Ganz Deutschland debattiert über
Bildungspolitik. Das ist richtig.
– Lieber Herr Kollege Kampeter, wenn Sie sich einmal
die Mühe machen, im Protokoll
die im wahrsten Sinne des Wortes vorgestrige Rede Ihres
Fraktionsvorsitzenden in Replik auf den Bundeskanzler
nachzulesen, werden Sie merken: Ganz Deutschland dis-
kutiert über Bildungspolitik, nur Ihr Fraktionsvorsitzen-
der nicht. Obwohl der Kanzler sehr umfassend über Bil-
dung und Forschung geredet hat,
ging Herr Merz in seiner Haushaltsrede auf das Thema
mit keinem einzigen Wort ein. Dies ist ein schöner
Schwerpunkt, den Sie, meine sehr verehrten Damen und
Herren,
bei einem Thema setzen, über das ganz Deutschland dis-
kutiert.
Wenigstens zur Forschungspolitik nannte Herr Merz
zwei Stichworte. Das Erste betraf die Erforschung des
menschlichen Genoms; gerade im Bereich der Gesund-
heitsforschung ein wichtiger Teil. Das machen wir. Es ist
ein Schwerpunkt unseres Programms, das die Ministerin
vorgestellt hat.
Das Zweite betraf das Thema BSE. Das ist ein wichti-
ges Thema, keine Frage. Hier forderte Herr Merz die Bun-
desregierung auf, dass sie jede Anstrengung zur Erfor-
schung der Zusammenhänge unternehmen solle. Dies
müssen wir jetzt etwas umfassender erklären.
Forschungspolitik ist nichts Kurzfristiges. Sie wissen
genau, dass seit Jahren für die Erforschung der Creutz-
feldt-Jakob-Variante nicht nur durch die Ministerin für
Bildung und Forschung die notwendigen Mittel bereitge-
stellt werden, sondern dass sich auch in anderen Ressorts
einiges tut. Dort werden Mittel für die Erforschung der Er-
reger, der Ausbreitungswege und der Inkubationszeit zur
Verfügung stehen. Die einzigen Punkte, die Ihnen einge-
fallen sind, sind von dieser Bundesregierung auf den Weg
gebracht und erledigt. Ich kann nur sagen: Auch dies ist
eine Bestätigung erfolgreicher Forschungspolitik.
– Es geht um Bildung, das ist prima.
Sie haben sogar einen Bildungsparteitag gemacht, lie-
ber Kollege Austermann. Ich weiß nicht, ob Sie als
Delegierter dorthin gewählt wurden.
Die „VDI Nachrichten“ des Vereins Deutscher Ingeni-
eure kommentierten Ihr mangelndes Interesse an diesem
Thema: Kaum war dieser Herr Meyer als Generalsekretär
gewählt, sind alle aus dem Saal gegangen und dann haben
ein paar über Bildung diskutiert.
Der Verein Deutscher Ingenieure – vielleicht noch ein
unverdächtiger Zeuge, wenn Sie schon auf uns nicht
hören – hat gesagt: Schlecht, wenn in der CDU das Thema
auf so wenig Diskussionsbereitschaft stoßen sollte wie bei
ihrem kleinen Parteitag. Ich füge hinzu: ein wahrhaft klei-
ner Parteitag.
Herr Merz hat gezeigt: Das CDU-Desinteresse an Bildung
ist in Ihrer Partei nicht nur auf Stuttgart begrenzt, sondern
auf ganz Deutschland übertragbar.
Auch die Grundsatzrede Ihrer Frau Merkel war dünn. Da
gab es dann noch ein bisschen 50er-Jahre, zum Beispiel
Kopfnoten als bewährtes Element der erziehenden
Schule,
aber mehr ist ihr nicht eingefallen. Sie haben Recht mit
der Feststellung: Ganz Deutschland diskutiert über Bil-
dung, nur Ihre Stimme hört man kaum.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Jörg Tauss
13484
Konzepte sucht man erst recht vergebens.
Ein weiteres Signal, das mit diesem Haushalt einher-
geht, ist, dass wir die hohe gesellschaftliche Bedeutung
von Bildung und Forschung wieder anerkennen und dass
wir mit diesen Zukunftsinvestitionen den notwendigen
Handlungsspielraum für Bildung und Forschung wieder
öffnen.
Wir könnten auch ernsthaft über wirkliche Probleme
des Bildungswesens in unserem Land diskutieren, aber
nicht so, wie Sie es heute Morgen hier oder auf Ihren klei-
nen Parteitagen vorgeführt haben.
Mich erfüllt das Thema der beruflichen Bildung mit
großer Sorge. Das duale System – Betrieb und Berufs-
schule – bildet die meisten jungen Leute aus und macht
sie über viele Jahre hinweg in ihren Berufen zu qualifi-
zierten Fachleuten. Aber unübersehbar ist das duale Sys-
tem in einer tiefen Krise, es ist in einem Wandel begriffen.
Jeder dritte oder vierte Erwachsene wird nach einer
Untersuchung der Uni Rostock nach der Ausbildung
zunächst einmal arbeitslos. Die traditionelle Lehre wird
an vielen Stellen aufgeweicht, häufig durch private Aka-
demien, die mehr Durchlässigkeit hin zu weiterführenden
Bildungssystemen versprechen. Der ZVEI, der Zentral-
verband der elektrotechnischen Industrie, spricht von ei-
nem Wandel hin zu einer notwendigen Akademisierung
der Berufsausbildung.
Wir wollen und dürfen das duale System aber nicht zu
einer bildungspolitischen Restgröße verkommen lassen,
dessen Zustand sich gerade im schlechten Zustand der Be-
rufsschulen widerspiegelt. Deshalb tun wir alles, um die-
sen Zustand, soweit es in unserer Macht als Bund steht, zu
verbessern. Ich begrüße ausdrücklich das wichtige Zu-
kunftsinvestitionsprogramm für die Berufsschulen, Frau
Ministerin Bulmahn.
225 Millionen DM in zwei Jahren, das ist eine tolle Ini-
tiative, genauso wie das JUMP-Programm, das Hun-
derttausenden junger Menschen wieder Hoffnung gege-
ben hat. Das wäre eine bildungspolitische Diskussion, der
Sie sich stellen sollten. Über eine halbe Million junge
Menschen wurden ohne Zukunftsperspektive in Berufs-
schulen geparkt, von Herrn Kohl und Ihnen allein gelas-
sen. Viele junge Menschen haben sich sogar der Schule
zunehmend verweigert, weil sie keine gesellschaftliche
Perspektive mehr für sich sahen, weil sie das Gefühl hat-
ten, in der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden. Des-
halb haben wir JUMP und anderes auf den Weg gebracht.
Ihr Desinteresse an den jungen Menschen wird aber
nicht nur bei den benachteiligten Gruppen deutlich, son-
dern auch bei den Studierenden dieses Landes. Über die
Zahlen ist geredet worden. Sie können bei allen
Zahlenspielchen, die Sie hier betreiben – eins und eins ist
minus acht –, nicht darüber hinwegtäuschen, dass der
Rückgang der Zahl der Geförderten Ihre Erblast ist und
dass wir diesen Rückgang der Zahl der über BAföG Ge-
förderten nicht nur rückgängig gemacht haben, sondern
dass wir auch hier eine gegenteilige Entwicklung einge-
leitet haben.
Sie haben mit der fahrlässigen Zinsdebatte, die Sie auf den
Weg gebracht haben, das Vertrauen in das Instrument
BAföG doch erst einmal leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Mit der Dienstrechtsreform haben wir einige Initiati-
ven auf den Weg gebracht. Schauen Sie auf die For-
schungslandschaft. Meine Damen und Herren, gehen Sie
auf die parlamentarischen Abende. Egal, zu welchem Ver-
band Sie gehen, egal, in welchen Forschungsbereich Sie
gehen: Dort erleben Sie Aufbruchstimmung,
dort erleben Sie nicht kleinliche Kritik an dieser Regie-
rung. Sie erleben Lob für diese Regierung. Ich schlage Ih-
nen vor, sich dem ein bisschen anzuschließen.
Meine Redezeit ist vorüber. Ich hole dann bei Frau
Merkel, wie angekündigt, die CDU-Überraschungspakete
ab. Eine wirkliche Überraschung wäre das CDU-Überra-
schungspaket erst dann, wenn auch nur ein einziger
vernünftiger und ernst zu nehmender bildungs- und for-
schungspolitischer Ansatz darin zu finden wäre.
Da dies aber nicht der Fall ist, empfehle ich Ihnen ein-
fach, unserem Haushalt zuzustimmen und diese Bundesre-
gierung auf den Plätzen und Märkten für ihr Engagement
zu loben und außerdem Ihrem Fraktionsvorsitzenden ein
bisschen von dem näher zu bringen, was Bildung und For-
schung anbelangt. Da könnten Sie sich Verdienste erwer-
ben.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.