Rede von
Siegrun
Klemmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser
lauten morgendlichen Rede des Kollegen Kampeter will
ich mich bemühen, zu den haushaltspolitischen Realitäten
des Einzelplans 30 zurückzukehren.
Bildung und Wissenschaft sind die beste und wich-
tigste Investition in unsere Zukunft, in die Zukunft
jedes einzelnen Bürgers, in die Zukunft unserer
ganzen Gesellschaft.
Das hat Bundespräsident Johannes Rau am 14. Juli
2000 auf dem ersten Kongress des Forum Bildung in Ber-
lin gesagt. Weil die Regierungskoalition mit dem Bundes-
präsidenten ausdrücklich einer Meinung ist, zählt der Ein-
zelplan Bildung und Forschung eindeutig zu den
Gewinnern im Haushaltsaufstellungsverfahren für 2001.
Gewinner ist damit auch die deutsche Hochschul- und
Forschungslandschaft, sind die Studierenden und ist der
wissenschaftliche Nachwuchs.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen heute ei-
nen Einzelplan vor, dessen Plafond sich auf nahezu
16 Milliarden DM beläuft. Das sind 1,38 Milliarden DM
bzw. 9,5 Prozent mehr als im laufenden Haushaltsjahr.
Bereits im Entwurf waren zusätzlich 780 Millionen DM
vorgesehen, was einem Aufwuchs von 5,3 Prozent ent-
sprochen hätte. Dank den aus den UMTS-Versteige-
rungserlösen resultierenden Zinsminderausgaben stehen
für Bildung und Forschung im Rahmen des bis zum Jahre
2003 befristeten Zukunftsinvestitionsprogramms 1,8 Mil-
liarden DM – das sind jährlich 600 Millionen DM mehr –
zur Verfügung.
Herr Kollege Kampeter, die Verwendung dieser aus
den Zinsminderausgaben resultierenden Mittel ist durch-
aus einvernehmlich zwischen dem BMBF und der Regie-
rungskoalition festgelegt worden.
Ich will mich heute vor allen Dingen auf die neuen Ak-
zente kaprizieren, weil ich die anderen Veränderungen be-
reits während der ersten Lesung angesprochen habe. Die
UMTS-Zinsersparnisse investieren wir in vier Bereiche.
Erstens heben wir die Zukunftsinitiative Hochschule
aus der Taufe, ein Projekt, das bis zum Jahr 2003 einen
Umfang von 1 Milliarden DM haben wird.
Diese Zukunftsinitiative beinhaltet vier große Themenbe-
reiche.
Den ersten bildet das virtuelle Hochschulprojekt, das
die Qualität multimedialer Lehr- und Lernformen durch
den verstärkten Einsatz neuer Medien substanziell ver-
bessert. Aufbauend auf diesen multimedialen Lehrange-
boten wird es künftigen Studierenden möglich sein, ein
komplettes Studienangebot computergestützt und über
das Netz online wahrzunehmen. Darüber hinaus soll eine
Notebook-University ein Onlinestudium über ein lokales
Verbundnetz ermöglichen.
Ein weiterer Schritt in unseren Bemühungen, Deutsch-
land im Bereich der Informationstechnologien in der
weltweiten Spitze zu etablieren, ist die Gründung eines
Instituts für Informationstechnologie GMD-IT in St. Au-
gustin. Dieses Institut wird zur wachsenden Verzahnung
von Hochschulen und außeruniversitären Forschungsein-
richtungen beitragen.
Den zweiten Kern der Zukunftsinitiative Hochschule
stellt das Projekt zur Aufwertung des Wissenschaftsstand-
ortes Deutschland dar – Brain Gain statt Brain Drain.
– Herr Kollege Kampeter, wenn Sie die semantischen
Spielchen wiederholen wollen, die Sie peinlicherweise im
Ausschuss getrieben haben, sage ich Ihnen: Wenn Sie das
nicht verstehen, haben Sie sich vielleicht den falschen
Ausschuss ausgesucht.
Internationalität ist gerade im Wissenschafts- und For-
schungsbereich notwendige Voraussetzung, dabei über-
haupt minimal mitzureden.
Diese Initiative soll die deutschen Wissenschaftseinrich-
tungen attraktiver für Spitzenforscher aus dem In- und
Ausland machen, indem sie zum Beispiel ihre Ausstattung
und ihre Mitarbeiter für Forschungsprojekte mitbringen
können. Darüber hinaus soll talentierter Nachwuchs mehr
Möglichkeiten zu eigenständiger Forschung haben, was
durch Ausbildungspartnerschaften zwischen in- und
ausländischen Hochschulen gefördert werden soll. Wir
korrigieren die Fehler, die die heutige Opposition
während ihrer wahrlich ausreichend langen Amtszeit be-
gangen hat.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs
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Da nützt es nichts, dass Sie sich, kaum aus der Regie-
rungsverantwortung entlassen, als eifrige Kreuzritter zur
Rettung der deutschen Wissenschaft und Forschung ex-
ponieren. Sie haben Fehlentwicklungen zu verantworten
und wir machen sie rückgängig.
Der dritte Teil betrifft die Forschungszentren an den
Hochschulen. Wir wollen den bisherigen Wettbewerbs-
nachteil deutscher Forschungszentren in einen Wettbe-
werbsvorteil ändern, indem wir Forschungszentren an
besonders leistungsfähigen Hochschulen mit Anschub-
finanzierung unterstützen und so die Voraussetzungen da-
für schaffen, dass Spitzenforscherinnen und -forscher
demnächst wieder in unserem Land bleiben, wo sie drin-
gend benötigt werden.
Das vierte Projekt ist ein bundesweites Netzwerk für
Patentierungen und Neugründungen. Wir schaffen so
die Möglichkeit, das vorhandene wissenschaftliche Po-
tenzial zeitnah in ökonomischen Profit umzusetzen.
Der zweite durch UMTS-Mittel geförderte Schwer-
punkt sieht die Schaffung eines nationalen Genomfor-
schungsnetzes vor. Keine andere Forschungsrichtung hat
in den vergangenen Jahren eine solche Dynamik erfahren
wie die Genomforschung. Noch 1990 ahnte niemand,
dass die Erbanlagen des Menschen bereits zehn Jahre spä-
ter nahezu vollständig entschlüsselt sein würden. Die
neuen Chancen, die diese Forschung bietet, sollen zum
Wohl unserer Bevölkerung aktiv nutzbar gemacht wer-
den. So genannte Volks- und Erbkrankheien – Alzheimer,
Krebs, Aids, Epilepsie und Demenz – können nur durch
ein höheres Tempo bei der Funktionsanalyse bekämpft
werden. Deshalb werden wir im kommenden Jahr
100 Millionen DM und weitere 250 Millionen DM für
2002 und 2003 in den Einzelplan 30 einstellen.
Addiert man alle Mittel, einschließlich der für die Pflan-
zengenomforschung, stehen bereits im kommenden Jahr
244 Millionen DM für die Genomforschung in Deutsch-
land zur Verfügung.
Es ist mir ein ganz persönliches Anliegen, zu erwäh-
nen, dass wir während der Haushaltsberatungen durchge-
setzt haben, den Anteil der Mittel für Forschungsprojekte
zu ethischen, sozialen und rechtlichen Fragen der Ge-
nomforschung und zum Diskurs mit der Öffentlichkeit
von 3 auf 5 Prozent anzuheben.
Wir sind uns gerade auf diesem relativ neuen For-
schungsgebiet der politischen Verantwortung bewusst,
die auch der Kanzler am Mittwoch dieser Woche mit sei-
nem Vorschlag einer großen parlamentarischen Debatte
zu diesem Thema aufgegriffen hat. Die gesamte Thema-
tik bewegt viele Menschen, nicht nur die, die auf Heilung
warten oder auf die Vermeidung schwerster Krankheiten
hoffen. Darum ist ein breiter gesellschaftlicher Dialog
nötig. Es ist begrüßenswert, dass das BMBF das Jahr 2001
als Jahr der Lebenswissenschaften initiiert hat.
Die dritte Initiative kommt den neuen Bundesländern
zugute, in denen wir innovative regionale Wachstums-
kerne fördern werden. Wir knüpfen hier an ein anderes
von uns initiiertes Programm, den Inno-Regio-Wettbe-
werb, an. Der Zuspruch in den neuen Ländern zu diesem
Projekt war enorm. Er war derart positiv, dass es ange-
zeigt ist, hier entsprechend nachzulegen.
In den kommenden drei Jahren stehen je 50 Milli-
onen DM für die Erschließung von Innovationspotenzia-
len und die Etablierung von Kompetenzzentren zur Ver-
fügung. Dieses Projekt ist beispielhaft für die Priorität, die
die neuen Bundesländer für uns besitzen. Wir tragen dazu
bei, eine hochmoderne Forschungsstruktur zu etablieren,
die innerhalb Europas deutlich konkurrenzfähig ist.
Beim vierten UMTS-Projekt nehmen wir uns der Be-
rufsschulen in Deutschland an. Die Situation der Berufs-
schulen ist Ihnen allen aus Ihren Wahlkreisen bekannt.
Meine Fraktion ist sich hier ihrer bundespolitischen Auf-
gabe bewusst. Wir wollen nicht auf der einen Seite ein So-
fortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit und
für mehr Ausbildungsplätze anschieben, ohne auf der an-
deren Seite gleichzeitig die mediale Infrastruktur der
Berufsschulen zu verbessern. Sobald die nötige Verwal-
tungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern ausgear-
beitet sein wird, stehen in den kommenden zwei Jahren
255 Millionen DM für eine Modernisierung der Ausstat-
tung bereit.
Der wesentliche Akzent neben diesem Zukunftsinves-
titionsprogramm ist die überfällige BAföG-Reform.Herr
Kollege Kampeter und liebe Bildungspolitiker und Bil-
dungspolitikerinnen der Opposition, da sollten Sie nicht
an unserer Reform herummäkeln und lamentieren, dass
das nicht genug sei,
sondern Sie sollten sich schlicht und ergreifend vergegen-
wärtigen, wie das BAföG während Ihrer 16-jährigen Re-
gierungszeit deformiert worden ist.
1998 erhielten nur noch 340 000 Personen staatliche
Ausbildungsförderung, während es Anfang der 90er-Jah-
re noch 605 000 waren.
– Das werde ich Ihnen gleich erzählen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Siegrun Klemmer
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Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich mit dem Vor-
wurf des Kollegen Kampeter im gestrigen „Handelsblatt“
aufräumen, dass eine Trendwende beim BAföG bisher
nicht zu beobachten sei.
Dazu will ich Ihnen auf der rechten Seite des Hauses ein-
mal vortragen, wie sich Ihre Mittelansätze von 1991 bis
1998 entwickelt haben: 1991 waren es 2,5 Milliar-
den DM, 1993 2,2Milliarden DM, 1994 2Milliarden DM,
1995 1,8 Milliarden DM und 1997 1,5 Milliarden DM.
– Bleiben Sie ganz ruhig; ich komme gleich darauf zu
sprechen. – Dass damit auch ein kontinuierlicher Rück-
gang der Empfängerzahlen verbunden ist, das versteht
sich von selbst. Auch der an gleicher Stelle kritisierte Mit-
telabfluss für 1999 und 2000 bewegt sich mit 96 bzw. mit
93 Prozent im langjährigen Normalmaß.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erwarten Sie im
Ernst, dass die Studierenden nach diesen deprimierenden
Erfahrungen jetzt plötzlich die BAföG-Ämter erstürmen?
Das wird natürlich nicht der Fall sein. Es wird einer bun-
desweiten Informationskampagne bedürfen, um für eine
neuerliche Akzeptanz des BAföGs zu werben.
Nun korrigieren wir diese Fehlentwicklung und stellen
den Studierenden pünktlich zum Sommersemester 2001
alles in allem 1 Milliarde DM mehr zur Verfügung.