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ID1404100200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Ergebnisse des Europäischen Rates am 3. und 4. Juni 1999 in Köln und zum Stand der Friedensbemühungen im Ko- sovo-Konflikt ............................................ 3483 A b) Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- feldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo (Drucksache 14/1111) ................................ 3483 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 3483 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 3488 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg ...... 3492 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 3495 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA ........... 3497 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 3501 C Michael Glos CDU/CSU.................................. 3504 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN................................................... 3505 A Gernot Erler SPD............................................. 3507 D Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 3509 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3511 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU...................... 3512 B Günter Verheugen, Staatsminister AA............. 3514 B Dr. Norbert Wieczorek SPD ............................ 3516 C Tagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu den Ankündigun- gen einer Mehrwertsteuererhöhung und einer fortlaufenden Erhöhung der Mi- neralölsteuer durch den Bundesfinanz- minister ..................................................... 3519 C Rainer Brüderle F.D.P. .................................... 3519 D Jörg-Otto Spiller SPD...................................... 3520 D Gerda Hasselfeldt CDU/CSU .......................... 3522 A Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3522 D Heidemarie Ehlert PDS.................................... 3524 A Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF.............. 3525 A Friedrich Merz CDU/CSU............................... 3526 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3527 D Dr. Günter Rexrodt F.D.P................................ 3528 D Wolfgang Grotthaus SPD ................................ 3529 D Dietrich Austermann CDU/CSU ..................... 3531 A Lydia Westrich SPD ........................................ 3532 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 3533 B Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD.............. 3534 C Nächste Sitzung ............................................... 3535 C Berichtigungen................................................. 3535 B Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 3537 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3483 (A) (C) (B) (D) 41. Sitzung Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 Beginn: 9.30 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigungen 40. Sitzung am Freitag, 7. Mai 1999, Seite 3414 D, na- mentliche Abstimmung zum Entschließungsantrag auf Drucksache 14/997: Abgeordneter Dr. Reinhard Loske (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) hat sich bei der namentli- chen Abstimmung nicht, wie angegeben, der Stim- me enthalten, sondern mit Nein gestimmt. Dement- sprechend ändert sich das endgültige Ergebnis der Abstimmung. Die Zahl der Nein-Stimmen beträgt tatsächlich 567 und der Enthaltungen 8. Im selben Plenarprotokoll ist auf Seite III sowie auf Seite 3473 A jeweils bei Anlage 6 statt Günter Veit ,,Rüdiger Veit“ zu lesen. Bei den unter Anlage 6 aufgeführten Namen gehört die Abgeordnete Claudia Roth (Hamburg) nicht der SPD- Fraktion an, sondern der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Auf Seite 3478 D ist bei dem Rednerkopf Petra Ernstberger statt PDS ,,SPD“ zu lesen. Reinhard Schultz (Everswinkel) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 3537 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Blank, Renate CDU/CSU 8.6.99 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 8.6.99 Braun (Augsburg), Hildebrecht F.D.P. 8.6.99 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 8.6.99 Bruckmann, Hans-Günter SPD 8.6.99 Bulmahn, Edelgard SPD 8.6.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 8.6.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 8.6.99 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Frick, Gisela F.D.P. 8.6.99 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Bayreuth), Horst F.D.P. 8.6.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 8.6.99 Funke, Rainer F.D.P. 8.6.99 Gebhardt, Fred PDS 8.6.99 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 8.6.99 Gradistanac, Renate SPD 8.6.99 Günther (Plauen), Joachim F.D.P. 8.6.99 Hartenbach, Alfred SPD 8.6.99 Heinrich, Ulrich F.D.P. 8.6.99 Dr. Höll, Barbara PDS 8.6.99 Hoffmann (Wismar), Iris SPD 8.6.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 8.6.99 Hübner, Carsten PDS 8.6.99 Jäger, Renate SPD 8.6.99 Janz, Ilse SPD 8.6.99 Jüttermann, Gerhard PDS 8.6.99 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 8.6.99 Kampeter, Steffen CDU/CSU 8.6.99 Kasparick, Ulrich SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Köster-Lößack, Angelika BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Kolbow, Walter SPD 8.6.99 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Kumpf, Ute SPD 8.6.99 Leidinger, Robert SPD 8.6.99 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 8.6.99 Lensing, Werner CDU/CSU 8.6.99 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine F.D.P. 8.6.99 Mante, Winfried SPD 8.6.99 Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin CDU/CSU 8.6.99 Meckel, Markus SPD 8.6.99 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 8.6.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 8.6.99 Moosbauer, Christoph SPD 8.6.99 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 8.6.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 8.6.99 Nahles, Andrea SPD 8.6.99 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 8.6.99 Oswald, Eduard CDU/CSU 8.6.99 Otto (Frankfurt), Hans-Joachim F.D.P. 8.6.99 Philipp, Beatrix CDU/CSU 8.6.99 Reiche, Katherina CDU/CSU 8.6.99 Reinhardt, Erika CDU/CSU 8.6.99 Rönsch (Wiesbaden), Hannelore CDU/CSU 8.6.99 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 8.6.99 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 8.6.99 Rübenkönig, Gerhard SPD 8.6.99 Schaich-Walch, Gudrun SPD 8.6.99 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 8.6.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 8.6.99 Schmidt-Zadel, Regina SPD 8.6.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 8.6.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 8.6.99 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 3538 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 8. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 8.6.99 Seehofer, Horst CDU/CSU 8.6.99 Späte, Margarete CDU/CSU 8.6.99 Spanier, Wolfgang SPD 8.6.99 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 8.6.99 Dr. Staffelt, Ditmar SPD 8.6.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 8.6.99 Tappe, Joachim SPD 8.6.99 Tauss, Jörg SPD 8.6.99 Teuchner, Jella SPD 8.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Uldall, Gunnar CDU/CSU 8.6.99 Voß, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8.6.99 Weißgerber, Gunter SPD 8.6.99 Wiesehügel, Klaus SPD 8.6.99 Willner, Gert CDU/CSU 8.6.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 8.6.99 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 8.6.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 8.6.99 Wolff (Zielitz), Waltraud SPD 8.6.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 8.6.99 Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Belgrad muß jetzt einem detaillierten Abzugsplan für die
    jugoslawischen Sicherheitskräfte zustimmen. Ansonsten
    werden die Flüchtlinge nicht in Sicherheit und ohne
    Furcht in ihre Heimat zurückkehren können. Erst wenn
    ein vollständiger Abzug begonnen hat, können die Luft-
    schläge der NATO gegen Jugoslawien ausgesetzt wer-
    den.

    Meine Damen und Herren, der EU-Beauftragte Ahti-
    saari, der russische Sonderbeauftragte Tschernomyrdin
    und der stellvertretende US-Außenminister Talbott ha-
    ben in der letzten Woche eine, wie wir alle hoffen, ent-
    scheidende Dynamik in Gang gebracht. Ihnen gebührt
    größter Dank für ihren Einsatz, ihre Beharrlichkeit und
    ihr diplomatisches Geschick.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich bin sicher, daß ich diese Dankbarkeit auch im Na-
    men des Deutschen Bundestages und der gesamten Be-
    völkerung unseres Landes aussprechen darf. Respekt
    gebührt vor allem aber auch Präsident Jelzin, ohne des-






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    sen Vertrauen Viktor Tschernomyrdin seine Aufgabe
    nicht hätte bewältigen können.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Die Arbeit von Ahtisaari und Tschernomyrdin zeigt:
    Frieden können wir in Europa nur schaffen und bewah-
    ren, wenn wir gemeinsam, das heißt mit Rußland mit
    den Vereinigten Staaten, agieren. Heute können wir mit
    Fug und Recht sagen: Die Politik der Bundesregierung
    in der Kosovo-Krise hat sich als richtig erwiesen – mi-
    litärische Festigkeit einerseits, gleichzeitig aber die Ent-
    schlossenheit, eine breite internationale Plattform zu
    schaffen, von der aus die Zustimmung der Belgrader
    Führung zu einer politischen Lösung erreicht werden
    kann und erreicht werden konnte.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben in den vergangenen Wochen nicht nur die
    Einheit innerhalb der NATO bewahrt. Die deutsche Prä-
    sidentschaft hat diese Einheit auch in der Europäischen
    Union maßgeblich gestaltet und erhalten, also auch unter
    denjenigen europäischen Staaten, die der NATO nicht
    angehören. Über die G 8 und die Beauftragung von Prä-
    sident Ahtisaari hat sie erreicht – das ist insbesondere
    ein Verdienst des Bundesaußenministers –, daß sich
    Rußland dem internationalen Konsens angeschlossen
    hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Europa hat unter deutscher Präsidentschaft in der Kosovo-
    Krise politische Führungskraft bewiesen.

    Der von Belgrad akzeptierte Friedensplan beinhaltet
    die folgenden Elemente: ein sofortiges Ende der Gewalt
    und Unterdrückung im Kosovo; Abzug aller – ich be-
    tone: aller – jugoslawischen Sicherheitskräfte, das heißt:
    Militär, Sonderpolizei und paramilitärische Einheiten;
    Stationierung einer internationalen Friedenstruppe mit
    einem NATO-Kern und einer erheblichen Beteiligung
    russischer Truppen und Truppen anderer Nicht-NATO-
    Staaten – alles unter dem Dach der Vereinten Nationen –;
    die Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre
    Heimat unter Überwachung des UNHCR; Beginn eines
    politischen Prozesses mit dem Ziel, eine substantielle
    Autonomie für das Kosovo im Rahmen der Souveränität
    und der territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugo-
    slawien zu erreichen.

    Die Meldungen und Entwicklungen seit dem Wo-
    chenende haben aber eines gezeigt: Schon die nächsten
    Tage und Wochen werden eine kritische Phase auf dem
    Weg zu einer tragfähigen, stabilen Situation im Kosovo
    sein. Die internationalen Friedenstruppen müssen un-
    mittelbar hinter den abziehenden jugoslawischen Si-
    cherheitskräften in das Kosovo einrücken, um kein Si-
    cherheitsvakuum entstehen zu lassen. Der Einzug einer
    robusten internationalen Friedenstruppe mit 50 000 Sol-
    daten wird schwierig sein und gewiß nicht ohne Risiko.

    Wir kennen noch nicht das volle Ausmaß der Zerstö-
    rungen. Es wird Gefahren durch Minen geben. Wider-

    stand durch unkontrollierte serbische Einheiten ist denk-
    bar. Sodann müssen sich die Kämpfer der UCK demo-
    bilisieren, und sie müssen ihre Waffen abgeben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch wenn sie nicht auf den Widerstand der einen oder
    anderen Seite trifft, wird die Friedenstruppe bei ihrem
    Einzug und ihrer Stationierung vor wirklich schwierige
    Herausforderungen gestellt sein. Sodann muß die Rück-
    kehr von einer Million Flüchtlingen und Vertriebenen
    ins Werk gesetzt werden. Die Menschen sollen noch vor
    Einbruch des Winters in ihre Städte, Dörfer und Häuser
    zurückkehren können.

    Dem UNHCR wird hierbei eine führende Rolle zu-
    kommen. Aber – wir haben es erfahren – er kann die
    Probleme nicht alleine lösen. Wohnhäuser und lebens-
    wichtige Infrastruktur sind zerstört. Durch den Ausfall
    der landwirtschaftlichen Produktion mangelt es an Nah-
    rung. Hier werden eine Reihe von internationalen Orga-
    nisationen, vor allem aber die Soldaten der Friedens-
    truppen anpacken und helfen müssen.

    Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat sich
    in den vergangenen Wochen nicht nur an den militäri-
    schen NATO-Operationen im Rahmen unserer Bündnis-
    solidarität, sondern auch in vorbildlicher Weise an der
    Hilfe für Hunderttausende von Flüchtlingen in Mazedo-
    nien und Albanien beteiligt. Sie hat sich hierdurch gro-
    ßen Respekt und den Dank bei den Menschen in der Re-
    gion, aber auch bei den vielen internationalen zivilen
    Helfern erworben. Dafür möchte ich den Soldaten der
    Bundeswehr noch einmal herzlich danken und ihnen
    meine und, so denke ich, unser aller Anerkennung aus-
    sprechen.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Die Bundeswehr wird ihre Tätigkeit im Dienst für
    den Frieden im Kosovo gemäß den Beschlüssen dieses
    Hohen Hauses fortsetzen. Sie soll ihre Erfahrung von
    Anfang an in der internationalen Friedenstruppe nutzbar
    machen und so für ein stabiles und sicheres Umfeld für
    die zurückkehrenden Flüchtlinge sorgen. Ich habe kei-
    nen Zweifel daran, daß die Bundeswehr bestens auf die
    ihr bevorstehenden Aufgaben vorbereitet ist.

    Die Bundesregierung hat gestern unter Bezugnahme
    auf vorherige Beschlüsse und vorbehaltlich der Zustim-
    mung des Deutschen Bundestages die Teilnahme der
    Bundeswehr an der Friedensmission im Kosovo be-
    schlossen. Ich bitte Sie, dem Beschlußvorschlag Ihre
    Unterstützung zu geben, sobald die Voraussetzungen
    vorliegen und der Sicherheitsrat mit der Entsendung der
    Friedenstruppe befaßt ist. Ich hoffe sehr, daß dies in
    ganz kurzer Zeit – noch heute oder spätestens morgen –
    der Fall sein wird.

    Zu Beginn der Luftschläge der NATO habe ich am
    24. März vom Berliner Gipfel aus erklärt, daß wir im
    Kosovo gemeinsam mit allen Bündnispartnern die
    grundlegenden Werte von Freiheit, von Demokratie und
    von Menschenrechten verteidigen. Ich habe gesagt, daß
    wir nicht zulassen dürfen, daß diese Werte nur eine

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    Flugstunde von uns entfernt buchstäblich mit Füßen ge-
    treten werden. Die Belgrader Führung habe ich aufge-
    fordert, die Kämpfe im Kosovo sofort zu beenden und
    sich für den Frieden zu entscheiden. Wir alle haben da-
    mals gehofft, daß sich die Vernunft in Belgrad schnell
    durchsetzen würde. Wir sind in diesen Hoffnungen ent-
    täuscht worden. Statt dessen hat die Belgrader Führung
    die Vertreibung und das Morden auf grausamste Weise
    intensiviert. Die im Kosovo begangenen Verbrechen
    werden nicht dadurch rückgängig gemacht, daß die
    Menschen – hoffentlich bald – in ihre Heimat zurück-
    kehren. Die Kosovaren haben einen Anspruch auf Ge-
    rechtigkeit. Die Verantwortung für das Leid, das ihnen
    zugefügt wurde, muß festgestellt und strafrechtlich ge-
    ahndet werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. und der Abg. Dr. Heidi Knake-Werner [PDS])


    Der Strafgerichtshof in Den Haag hat am 27. Mai
    Anklage gegen den jugoslawischen Präsidenten Milose-
    vic und gegen weitere Mitglieder der Belgrader Führung
    wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben.
    Die Bundesregierung hat die Arbeit dieses Tribunals in
    der Vergangenheit vorbehaltlos unterstützt und wird es
    auch in Zukunft tun. Ohne Gerechtigkeit kann es keine
    dauerhafte Stabilisierung und keine wirkliche Demokra-
    tisierung in Jugoslawien geben.

    Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch ein Wort
    über die Opfer und über das Leiden der serbischen Zi-
    vilbevölkerung sagen. Wir haben gemeinsam mit den
    NATO-Partnern von Anfang an klargestellt, daß sich die
    Militäraktionen nicht gegen das serbische Volk richten
    und daß wir alles tun werden, Verluste unter der Zivil-
    bevölkerung zu vermeiden. Aber doch – gleichsam ohne
    die Möglichkeit, dies zu verhindern – hat es unschuldige
    Opfer gegeben. Ich bedaure dies zutiefst und bin mir
    bewußt, daß es für die Opfer und ihre Familienangehöri-
    gen keine zufriedenstellende Erklärung sein kann, wenn
    ich darauf hinweise, daß die Belgrader Führung die volle
    Verantwortung für die Konsequenzen der militärischen
    Auseinandersetzung zu tragen hat.

    Für mich gibt es keinen Zweifel, daß die NATO-
    Intervention im Kosovo zwingend notwendig war. Dabei
    will ich einräumen, daß die Verteidigung der Menschen-
    rechte von Regierenden Maßnahmen verlangt, durch die
    der Handelnde auch Schuld auf sich lädt. Doch auch der,
    der nicht handelt, würde in dieser Situation Schuld auf
    sich laden. Ich bin sicher: Nicht gehandelt zu haben
    hätte zu noch größerer Schuld geführt, nämlich der
    Schuld unterlassener Hilfeleistung für bedrängte und
    gequälte Menschen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Die Kosovo-Krise führt uns eindringlich vor Augen,
    daß Europa sein Engagement auf dem Balkan nicht auf
    das Management periodisch immer wieder auftretender
    Krisen beschränken kann und darf. Es kann in Südosteu-
    ropa kein Nebeneinander von Stabilitätsinseln und Kri-

    senherden geben. Wir müssen uns auf eine regionale
    Konfliktprävention konzentrieren. Deshalb hat die
    deutsche Präsidentschaft noch während des Fortgangs
    der Kosovo-Krise beschlossen, eine umfassende Hilfs-
    strategie für die Länder dieser Region auf den Weg zu
    bringen. Am 10. Juni werden die Außenminister der Eu-
    ropäischen Union, der Staaten der Region, der USA,
    Rußlands und der Türkei sowie die EU-Kommission und
    die wichtigsten internationalen Organisationen ein-
    schließlich der Finanzorganisationen in Köln zusam-
    mentreffen, um einen Stabilitätspakt für Südosteuro-
    pa zu verabschieden.

    Ziel dieses Stabilitätspaktes ist die Entwicklung einer
    Perspektive von Frieden, Wohlstand und damit Stabili-
    tät. Wir wollen gewaltsame Konflikte gar nicht erst zum
    Ausbruch kommen lassen; wir wollen sie verhindern.
    Dazu müssen wir dauerhafte Voraussetzungen für De-
    mokratie, Marktwirtschaft, regionale Zusammenarbeit
    und gutnachbarliche Beziehungen schaffen sowie die
    betreffenden Staaten nachhaltig, wenn auch Schritt für
    Schritt, in Europa verankern.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Beim Kölner Gipfel haben wir beschlossen, daß die
    Europäische Union eine führende Rolle beim Stabili-
    tätspakt und beim wirtschaftlichen Wiederaufbau der
    Region spielen soll. Der Europäische Rat hat auch seine
    Bereitschaft erklärt, die Länder der Region enger an die
    Union heranzuführen, mit der Perspektive einer vollen
    Integration in ihre Strukturen. Die Kommission hat hier-
    zu eine neue Form vertraglicher Beziehungen vorge-
    schlagen. In Köln hat die Union weiterhin beschlossen,
    beim Wiederaufbau und bei der Übergangsverwaltung
    im Kosovo eine zentrale Rolle zu übernehmen.

    Wir alle wissen, daß Jugoslawien eine Schlüsselrolle
    für die Stabilität auf dem Balkan zukommt. Das Land
    muß so schnell als möglich ein voller, ein gleichberech-
    tigter Partner im Stabilitätspakt sein.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Aber – auch das gilt es hinzuzufügen – es ist kaum
    denkbar, daß ein Jugoslawien mit seiner derzeitigen
    Führung ein vertrauenswürdiger Partner in der Region
    und in Europa sein kann.


    (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


    Der Präsident von Montenegro und der serbische Op-
    positionsführer Djindjic haben kürzlich zu Recht festge-
    stellt, daß nur ein demokratisches Jugoslawien Stabilität
    auf dem Balkan auf Dauer gewährleisten kann.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Sie haben erklärt, daß die Kosovo-Krise die Chance
    bietet, mit internationaler Hilfe einen Neuanfang für Ju-
    goslawien zu schaffen. Ich hoffe, daß das Land und sei-
    ne Menschen diese Chance so schnell wie möglich er-

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    greifen. Europa jedenfalls ist zur Hilfe bei der Demo-
    kratisierung bereit.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Meine Damen und Herren, die Europäische Union hat
    beim Gipfel in Berlin zu Beginn der NATO-Operation
    große Geschlossenheit bewiesen, und sie hat diese Ge-
    schlossenheit bis zum Europäischen Rat in Köln be-
    wahrt. Am Ende der deutschen Präsidentschaft in der
    Europäischen Union blicken wir auf ein ungemein ar-
    beitsintensives Halbjahr zurück. Schon heute besteht
    Anlaß, mit dem Ergebnis von Köln eine erste Bilanz der
    deutschen Präsidentschaft zu ziehen.

    Wir haben die Präsidentschaft in einer für Europa und
    die Europäische Union gewiß schwierigen Zeit über-
    nommen. Wir waren wie noch keine Präsidentschaft vor
    uns mit einer Bündelung von Herausforderungen kon-
    frontiert: Agenda 2000, Rücktritt der Kommission,
    Krieg im Kosovo. Wir haben in diesem Halbjahr viel, ja
    sehr viel erreicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Schon beim Sondertreffen des Europäischen Rates im
    März 1999 konnte die deutsche Präsidentschaft in zwei
    ganz wichtigen Bereichen grundsätzliche und rich-
    tungsweisende Entscheidungen erreichen. In Berlin gab
    es – das hatte niemand erwartet – eine Einigung über die
    Agenda 2000.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Aber zu welchem Preis für Deutschland? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


    – Ich erinnere mich an Ihre aufgeregten Stellungnah-
    men, wir sollten den Gipfel in Berlin besser verschieben.
    Das haben Sie doch ständig erklärt. Erinnern Sie sich
    dessen nicht mehr?


    (Zurufe von der CDU/CSU)

    – Es waren gar nicht Sie, Herr Schäuble. Es war Ihr
    ehemaliger Kanzlerkandidat Stoiber, der immer von der
    Verschiebung geredet hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Und in Berlin hat sich der Europäische Rat auf mei-
    nen Vorschlag hin darauf verständigt, den früheren ita-
    lienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi als neuen
    Präsidenten der Kommission vorzuschlagen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die überragende Zustimmung durch das Europäische
    Parlament ist der beste Beweis dafür, daß Romano Prodi
    eine gute Wahl ist.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch der Europäische Rat in Köln stand natürlich im
    Zeichen der aktuellen Entwicklungen in der Kosovo-
    Krise. Dennoch hat dieser Europäische Rat – der erste
    nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags – erneut
    die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Euro-
    päischen Union unter deutscher Präsidentschaft unter
    Beweis gestellt. Entscheidende und bedeutende europa-
    politische Vorhaben sind auf den Weg gebracht worden.
    Europa hat deutlich gemacht, daß es gewillt ist, die neu-
    en Möglichkeiten, die es mit dem Amsterdamer Vertrag
    gewonnen hat, entschlossen zu nutzen. Bester Ausdruck
    hierfür ist, daß sich die Mitgliedstaaten der Europäi-
    schen Union rasch und in großem Einvernehmen auf den
    jetzigen NATO-Generalsekretär Solana als künftigen
    Hohen Beauftragten für die Gemeinsame Außen-
    und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ver-
    ständigt haben. Auch das war ein Vorschlag der Präsi-
    dentschaft.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich denke, einen besseren und profilierteren Kandi-

    daten hätten wir nicht finden können. Solana wird der
    europäischen Außen- und Sicherheitspolitik die Stimme
    verleihen, die ihr bisher so sehr fehlte. Damit wird Eu-
    ropa international erheblich an Gewicht gewinnen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Europa wird außenpolitisch mit einer Stimme sprechen,
    und es wird weltweit mehr als je zuvor Gehör finden.

    Vom Europäischen Rat in Köln gehen darüber hinaus
    wichtige Impulse und Orientierungen für die Fortent-
    wicklung Europas aus. Wir haben in einigen wesentli-
    chen Bereichen Ergebnisse erzielt, die weit über die
    deutsche Präsidentschaft hinausweisen und die für die
    kommenden Arbeiten in Europa eine Art Fahrplan bis
    Ende 2000 skizzieren:

    Erstens. Wir haben einen Europäischen Beschäfti-
    gungspakt beschlossen. Ziel ist, nationale Anstrengun-
    gen zur Schaffung von mehr Beschäftigung auf europäi-
    scher Ebene zu begleiten und zu unterstützen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Flankierend dazu haben wir eine europäische Investiti-
    onsinitiative auf den Weg gebracht.

    Zweitens. Vor dem Hintergrund der Kosovo-Krise
    haben wir in Köln einen Fahrplan für die Ausgestaltung
    einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und
    Verteidigungspolitik verabschiedet. Europa braucht
    mehr denn je eigene Kapazitäten zum Krisenmanage-
    ment.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Dabei steht fest: Dies soll keine Alternative zur
    NATO sein. Dies wird das Atlantische Bündnis und das
    europäische Gewicht in der NATO stärken. Eine stärke-
    re Rolle Europas in der Sicherheits- und Verteidigungs-
    politik wird Europa wie auch der NATO nützen. Des-
    halb wollen wir die im Amsterdamer Vertrag formulier-
    ten Perspektiven möglichst bald im Rahmen der euro-

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    päischen Integration umsetzen. Bis Ende des Jahres
    2000 sollen unter französischer Präsidentschaft die dafür
    erforderlichen rechtsförmlichen Beschlüsse gefaßt wer-
    den.

    Drittens. Der Europäische Rat in Köln hat eine ge-
    meinsame Strategie für Rußland beschlossen. Von ihr
    gehen wichtige Signale aus: Zum einen ist sie Beweis
    dafür, daß sich Europa zu mehr außenpolitischer Ge-
    meinsamkeit zusammenfindet, und zum anderen dafür,
    daß es seine Politik gegenüber wichtigen Partnern bün-
    deln und koordinieren will. Daß sich die erste gemein-
    same Strategie der EU auf Rußland richtet, ist Beweis
    dafür, welch außerordentliches Gewicht wir Europäer
    einer engen und partnerschaftlichen Kooperation mit
    Rußland auf ökonomischem – aber nicht nur auf öko-
    nomischem – Gebiet beimessen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir Europäer wollen diese Partnerschaft ausbauen und
    Rußland auf seinem Weg der Reformen und der Demo-
    kratisierung weiter mit aller Kraft unterstützen.

    Viertens. Ferner haben wir uns in Köln auf das weite-
    re Vorgehen bei der Lösung der seinerzeit in Amsterdam
    offengebliebenen institutionellen Fragen verständigt.
    Anfang des Jahres 2000 wird eine Regierungskonferenz
    einberufen werden, um auch auf diesem Felde die EU
    erweiterungsfähig zu machen. Europa steht zu seinen
    Zusagen. Wir wollen die mittel- und osteuropäischen
    Länder sobald als möglich in die Europäische Union
    aufnehmen. Dafür haben wir in Berlin mit der Verab-
    schiedung der Agenda 2000 wesentliche Grundlagen
    gelegt.


    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Na, na!)

    Die letzten Hindernisse für die Erweiterung werden wir
    mit dem Abschluß der in Köln beschlossenen Regie-
    rungskonferenz zu den institutionellen Reformen bis
    Ende 2000 aus dem Weg geräumt haben.

    Die Bilanz der deutschen Präsidentschaft ist ein Be-
    weis für unser Engagement zugunsten der Erweiterung
    der Union. Das wird in den ost- und mitteleuropäischen
    Staaten durchaus so gesehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben damit den Weg für schnelle Fortschritte in
    diesem Prozeß frei gemacht. Jetzt sind in erster Linie die
    Beitrittsländer selbst gefordert. Sie müssen ihre konse-
    quente Reformpolitik fortsetzen. Erfolge in diesem Be-
    reich werden letztlich über konkrete Beitrittstermine
    entscheiden. Die Fortschrittsberichte, die die Kommissi-
    on regelmäßig vorzulegen hat, und die Tatsache, daß sie
    über den Stand der Verhandlungen zu berichten hat, sind
    ein Beweis dafür.

    Fünftens. Schließlich haben wir in Köln ein weiteres
    zukunftsweisendes Projekt angestoßen. Wir haben uns
    darauf verständigt, daß unter der kommenden finnischen
    Präsidentschaft eine Art Konvent aus nationalen Parla-
    mentariern, Europaparlamentariern, Vertretern der Re-
    gierungen der Mitgliedstaaten und Vertretern der Kom-

    mission unter Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen
    einberufen wird, die eine Grundrechtscharta der Eu-
    ropäischen Union erarbeiten soll.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dieses politische Grundsatzdokument wollen wir – so
    sehen es die Festlegungen vor – beim Europäischen Rat
    im Dezember 2000 unter französischer Präsidentschaft
    verabschieden. Europäische Grundrechte sind aber un-
    mittelbar Angelegenheit der europäischen Bürger. Wir
    wollen eben nicht nur einen Vertrag zwischen Regierun-
    gen, sondern eine intensive öffentliche Diskussion, in
    der die Europäer selbst über ihre Grundrechte befinden.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
    mich noch einen Punkt erwähnen, der mir am Herzen
    liegt und bei dem der deutsche Vorsitz in Köln leider
    keinen Erfolg erzielen konnte. Ich meine die Fortent-
    wicklung der Beziehungen zwischen der Europäischen
    Union und der Türkei. Es war mein Ziel, bei diesem
    Europäischen Rat das Verhältnis der Europäischen Uni-
    on zur Türkei neu zu ordnen. Wir wollten einen klaren
    Zeitplan für die Heranführung an die Union vereinbaren.
    Nachdem sich Ministerpräsident Ecevit mir gegenüber
    zu den Kopenhagener Kriterien und den Bestimmungen
    des Art. 6 des EU-Vertrages bekannt hat, sollte auch die
    Türkei als Kandidat gleichberechtigt in den Beitrittspro-
    zeß einbezogen werden. Hierzu konnten wir in Köln
    trotz der Unterstützung der meisten Mitgliedstaaten auf
    Grund der Bedenken einiger weniger Partner noch keine
    Einigung erzielen.

    Die Türkei – das bleibt aber festzustellen – ist für Eu-
    ropa und die Region ein ganz gewichtiger und damit
    wichtiger Partner.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir alle müssen darum ein Interesse daran haben, die
    Demokraten in der Türkei zu stärken, sie für Europa, für
    unsere Politik und unsere gemeinsamen Werte zu ge-
    winnen. Dazu wäre ein deutliches Signal in Köln der
    richtige Weg gewesen. Daß dies nicht gelungen ist, be-
    daure ich, aber ich werde mich davon unbeeindruckt
    weiterhin um Fortschritte im Verhältnis zur Türkei, und
    das heißt: um die Konkretisierung ihrer Beitrittsper-
    spektive bemühen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, diese Tage werden für die
    Lösung der Kosovo-Krise entscheidend sein. Ich sage
    das deshalb, weil vielleicht schon heute ein entscheiden-
    der Tag sein wird. Ich jedenfalls wünsche dem Außen-
    minister, der gleich erneut zu dem Treffen der G-8-
    Staaten fahren wird, dabei alles Glück dieser Welt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich habe die Hoffnung, daß der Konflikt jetzt zu ei-
    nem Ende kommt. Er hat auch zu Spannungen in unserer
    eigenen Gesellschaft geführt. Ich möchte niemandem
    meinen Respekt versagen, der das Engagement der

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    NATO aus ethischen Gründen und Überzeugungen
    nicht mittragen konnte. In diesem Zusammenhang
    möchte ich Ihnen, den Abgeordneten des Deutschen
    Bundestages, und zwar allen, Dank sagen, daß Sie in Ih-
    rer überwältigenden Mehrheit die Kosovo-Politik der
    Bundesregierung mitgetragen haben.

    Ich glaube, daß uns in den vergangenen Wochen bei
    allen auch kontroversen und oft emotional geführten
    Diskussionen hier im Bundestag wie in der Bevölkerung
    ein Grundkonsens verbunden hat, nämlich der, daß
    Europa unteilbar ist. Seine Werte und seine demokrati-
    schen Errungenschaften dürfen – das hat uns verbunden
    – eben nicht an den Grenzen der Europäischen Union
    haltmachen, sondern beanspruchen universelle Geltung.


    (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile das Wort
dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, dem Kolle-
gen Wolfgang Schäuble.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsi-
    dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
    Bundeskanzler, den Grundkonsens, von dem Sie im Zu-
    sammenhang mit Europas Rolle, Auftrag und Verständ-
    nis und der Unteilbarkeit unseres Auftrags über die
    Grenzen der Europäischen Union hinaus zuletzt gespro-
    chen haben, teilen wir in der Tat. Alle Menschen in un-
    serem Lande teilen die Hoffnung, daß das Morden und
    die Vertreibung im Kosovo bald ein Ende finden. Jeder
    Tag früher, an dem Morden und Vertreibung im Kosovo
    beendet werden, ist um so besser. Jeder Tag früher, an
    dem militärische Maßnahmen der NATO unter Beteili-
    gung der Bundeswehr nicht mehr notwendig sein wer-
    den, ist um so besser.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will noch einmal hervorheben, was wir schon

    während Ihrer Rede zum Ausdruck gebracht haben: Wir
    teilen den Dank an den finnischen Staatspräsidenten
    Ahtisaari, an Herrn Tschernomyrdin und an Herrn Tal-
    bott für ihre Bemühungen, endlich ein Ende der Gewalt
    im Kosovo und im ehemaligen Jugoslawien herbeizu-
    führen.

    Die militärische Entschlossenheit der NATO hat
    einen entscheidenden Beitrag zur Annäherung an eine
    politische Lösung geleistet. Die Debatte in diesem Haus
    und in unserer Bevölkerung war schwierig. Die Bundes-
    regierung hat sich in dieser Debatte im Rahmen unserer
    Beschlußfassung auf die Unterstützung der CDU/CSU,
    wie ich es Ihnen vorhergesagt habe, immer verlassen
    können, teilweise mehr als auf die Unterstützung in
    Ihren eigenen Reihen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Weil der militärische Einsatz von NATO und Bun-
    deswehr unausweichlich geworden war, um eine politi-
    sche Lösung zu erreichen, will ich auch in dieser Stunde
    noch einmal den Soldaten der Bundeswehr und den Sol-

    daten der Streitkräfte aller Verbündeten unseren Dank
    für ihren gefährlichen, mutigen und entschlossenen
    Dienst aussprechen.


    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


    Es war immer klar: Wir brauchen eine politische Lö-
    sung. Wir haben immer auch gesagt: Die Vorstellungen,
    nach denen manches ein bißchen unklar war – auch sie
    hat es da und dort im Bündnis gegeben; selbst innerhalb
    der Bundesregierung mußten sie gelegentlich dementiert
    werden, weil der eine oder andere hohe Beamte viel-
    leicht nicht richtig verstanden worden ist oder etwas
    falsch ausgedrückt hat –, daß man notfalls auch mit
    Kampftruppen am Boden in Jugoslawien einmarschiert
    und nach Belgrad zieht, um, wenn es nicht anders geht,
    mit ausschließlich militärischen Mitteln ein Ende der
    Auseinandersetzung herbeizuführen, haben wir immer
    abgelehnt. Das haben wir stets klar gesagt. Es ist gut,
    daß inzwischen auch im Bündnis darüber Klarheit
    herrscht. Dieser Weg hat sich zu jedem Zeitpunkt als
    nicht gangbar erwiesen. Das muß auch heute gesagt
    werden; denn wir brauchen eine politische Lösung. Wir
    teilen die Wünsche, daß das Treffen der Außenminister
    der G-8-Staaten in Köln das Ergebnis des Kriegsendes
    in diesen Tagen bringt.

    Wenn eines bei Milosevic und der serbischen Füh-
    rung sicher ist, dann ist es, daß man ihr nicht trauen
    kann und sehr vorsichtig sein muß. Herr Bundeskanzler,
    mein Rat lautet, aus Erfahrung klug zu werden: Der
    Jubel in Köln war zu früh und zu laut.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir hätten gerne eingestimmt, wenn die Grundlagen da-
    für gegeben wären.


    (Widerspruch bei der SPD)

    Ich will Ihnen sagen, warum der Jubel falsch war.

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie einen
    Moment nachdenken, dann stellen Sie fest: Es liegt noch
    ein schwerer, risikoreicher und gefährlicher Weg vor
    allen Dingen vor den Soldaten der Bundeswehr und all
    denjenigen, die in den Kosovo gehen müssen. Lassen
    Sie uns einen Moment darüber nachdenken, was alles
    falsch war.


    (Ernst Schwanhold [SPD]: Scheinheiligkeit!)

    Es war falsch, Herrn Primakow in Bonn so zu behan-

    deln, wie er behandelt worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Vielleicht hat es Herr Tschernomyrdin heute in Moskau
    leichter.

    Als ich den Jubel in Köln letzte Woche sah, habe ich
    einen Moment gedacht: Wie mag das auf unsere ameri-
    kanischen Freunde wirken? Man muß wirklich immer
    und immer wieder sagen: Wir haben die Amerikaner ge-
    rufen; die Amerikaner haben sich nicht auf den Balkan
    gedrängt. Ein paar Jahre lang haben sie gesagt: Das sol-
    len die Europäer einmal selber machen. Die Europäer
    haben es nicht gekonnt; vielmehr haben wir Europäer
    unsere amerikanischen Freunde gebeten. Es war sehr

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    unklug, den Eindruck zu erwecken, den Krieg machten
    die Amerikaner und den Frieden die Europäer. Gegen-
    über den Amerikanern war dies nicht nur rücksichtslos,
    sondern im Sinne unserer langfristigen Zukunftsinteres-
    sen auch falsch.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie einen

    Moment über die Schwierigkeiten in der russischen In-
    nenpolitik nachdenken, die mit Händen zu greifen wa-
    ren, dann werden Sie das, was ich zu Primakow gesagt
    habe, vielleicht doch anders beurteilen. Vor allen Din-
    gen werden Sie sich fragen, ob das Ausmaß des Jubels
    in Köln und der Kontrast zu dem Empfang von Herrn
    Tschernomyrdin auf dem Flughafen in Moskau nicht
    wiederum die Lage in Moskau eher erschwert als er-
    leichtert hat.


    (Joachim Poß [SPD]: Das war doch eine Trendwende!)


    Mir geht es darum, daß wir den Weg gemeinsam er-
    folgreich zu Ende gehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil das einige, wie es die Zwischenrufe zeigen, im-

    mer noch nicht begreifen wolle, will ich eine dritte Fra-
    ge stellen: Hat der Jubel in Köln nicht möglicherweise
    bei der serbischen Führung in Belgrad, bei Milosevic
    und anderen, den Eindruck erweckt, daß diejenigen, die
    jetzt so sichtbar Erleichterung zeigen, vorher furchtbar
    unsicher gewesen sein müssen,


    (Joachim Poß [SPD]: Sie sind dabei zu filibustern, Herr Schäuble!)


    und die Entscheidung erleichtert, es noch einmal zu ver-
    suchen und die Zugeständnisse, nachdem man sie müh-
    sam akzeptiert hat, gleich zu Anfang, noch ehe der
    Rückzug begonnen hat, sofort wieder zurückzunehmen?
    Darüber mag man auch nachdenken.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kleinkariert! – Joachim Poß [SPD]: Ein Staatsmann ist der nicht, der Herr Schäuble!)


    Wir haben die Auseinandersetzung hierüber in diesen
    schwierigen Monaten bisher nicht sehr polemisch und
    kritisch geführt, aber es sind sehr viele atmosphärische
    Fehler gemacht worden. Dieser Bundestag, der heute
    über einen Antrag der Bundesregierung, dem er zu-
    stimmen muß, berät, steht vor einer der schwierigsten
    und weittragendsten Entscheidung, die er je zu treffen
    hatte. Die Dimension dieser Entscheidung ist so weitrei-
    chend wie die Entscheidung zur Beteiligung an den
    Luftangriffen, die wir im März zur Kenntnis nehmen
    mußten. Jedermann weiß – welche Absprachen auch
    immer in den nächsten Tagen getroffen werden –, daß es
    sich um einen ungeheuer schwierigen, gefahrvollen und
    risikoreichen Auftrag handelt, der sich über Jahre er-
    streckt. Je besser es gelingt, die Lage in Belgrad oder in
    Moskau nicht weiter anzuheizen, indem man hier, aus
    welchen Gründen auch immer – und sei es nur, daß man
    nicht genügend darüber nachdenkt und ausreichend das

    Ende bedenkt –, die Dinge provoziert, und die Lage ru-
    hig zu halten,


    (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie machen es jetzt schlimm!)


    desto geringer ist das Risiko für die Soldaten der Bun-
    deswehr und der anderen Streitkräfte der Nationen, die
    diesen gefährlichen Dienst leisten müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der Antrag der Bundesregierung bedarf noch einer

    Veränderung, vermutlich einer Neufassung, denn die
    Bundesregierung sieht nach dem, was sie heute nacht
    den Fraktionen mitgeteilt hat, eine andere Rechtsgrund-
    lage für die Beschlußfassung durch den Bundestag vor,
    als sie im Antrag steht. Wir begrüßen es, daß die Bun-
    desregierung anstrebt, ein Mandat des Sicherheitsrates
    der Vereinten Nationen zur Grundlage zu haben, was
    in dem vorliegenden Antrag so nicht enthalten ist. Wir
    werden das ebenso gründlich prüfen, wie wir auch kei-
    nerlei Verzögerung bei den Beratungen hinnehmen.
    Auch das sage ich Ihnen noch einmal zu. Es ist natürlich
    richtig, daß, wenn der Rückzug beginnt, möglichst
    schnell Streitkräfte in das Kosovo einrücken müssen, um
    dort eine Sicherheitspräsenz herzustellen. Deswegen
    sind wir zu einer zügigen Beratung bereit, werden daran
    mitwirken und mithelfen.

    Genauso klar sage ich aber auch, damit es daran kei-
    nen Zweifel gibt: Die Verantwortung, die jedes Mitglied
    dieses Hauses bei der Zustimmung zu diesem Antrag auf
    sich nimmt, ist außergewöhnlich hoch. Täuschen Sie
    sich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
    sozialdemokratischen Fraktion, darüber nicht! Deswe-
    gen werden wir zügige Beratung mit gründlicher Prü-
    fung verbinden. Vielleicht, Herr Bundeskanzler, ist es
    eine ganz vernünftige Arbeitsteilung, die auch gemäß
    der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in
    der Notwendigkeit konstitutiver Zustimmung des Bun-
    destages angelegt ist, daß diejenigen, die von der ver-
    ständlichen, notwendigen und unvermeidlichen Hektik
    dieser sich jagenden Gespräche und Verhandlungen auf
    europäischer Ebene, im Rahmen der G 8, in der UNO
    oder wo auch immer betroffen sind, mit anderen Argu-
    menten austauschen und diese von denen prüfen lassen
    müssen, die von dieser Hektik nicht betroffen sind und
    mit ein wenig mehr Atem und weniger Atemlosigkeit
    prüfen können, was wir unter welchen Voraussetzungen
    verantworten und den Soldaten der Bundeswehr zumu-
    ten können.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es ist der gefährlichste Einsatz in der Geschichte der
    Bundeswehr.

    Hierzu möchte ich eine weitere Bemerkung anfügen:
    Herr Bundeskanzler, Herr Bundesfinanzminister, Sie
    wollen uns in den nächsten Wochen mit allen möglichen
    Entscheidungen zur Finanz- und Haushaltspolitik
    überraschen. Da Herr Eichel angekündigt hat, er habe
    praktisch alles zusammen, wäre es mir lieber, wenn er es
    in dieser Woche sagen würde. Dann muß man nicht
    nach der Wahl am kommenden Sonntag feststellen:
    Hätte man es vor der Wahl gewußt, wäre vielleicht man-

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    ches anders gelaufen. Ein wenig Klarheit vor der Wahl
    würde überhaupt nicht schaden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Jetzt sind Sie aber weit unter Ihrem Niveau!)


    – Wenn Sie zu tollen Ergebnissen gekommen wären,
    würden Sie es ganz bestimmt vor der Wahl sagen, so
    wie ich Sie kenne. Sie haben sich nie durch einen Man-
    gel an Zurückhaltung ausgezeichnet. Das kann man Ih-
    nen nicht vorwerfen.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So wie Sie das früher auch immer gemacht haben!)


    In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen,
    daß wir vor der Situation stehen, daß 10 000 Soldaten –
    wenn man alles zusammenrechnet, sind es über 10 000
    Soldaten – für einen langen Zeitraum im ehemaligen Ju-
    goslawien, vor allem im Kosovo, aber auch in Bosnien
    Dienst tun sollen. Das wird die Bundeswehr bis an die
    Grenzen ihrer Belastbarkeit fordern. Wir alle verweisen
    hier darauf, daß im Kosovo nur Soldaten zum Einsatz
    kommen, die sich dafür auch freiwillig gemeldet haben.
    Jeder, der sich als Zeitsoldat verpflichtet hat, hat sich
    damit freiwillig bereit erklärt, dort Dienst zu tun. Dieser
    Einsatz wird eine ungeheure Belastung und Herausfor-
    derung für die Bundeswehr sein. Angesichts dieser Ver-
    hältnisse und der finanziellen Auswirkungen, die dieser
    Einsatz auf die Bundeswehr haben wird, halte ich es für
    völlig unvorstellbar, daß die Bundesregierung ihre Zu-
    sage, nicht in die mittelfristige Finanzplanung der Bun-
    deswehr einzugreifen, nicht einhalten wird. Das muß
    man auch in diesem Zusammenhang sagen. Etwas ande-
    res könnte man der Bundeswehr nicht zumuten.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Der liest doch Zeitung und weiß, daß Kosovo nicht angerechnet wird!)


    Wenn Sie, Herr Kollege, erlauben, möchte ich ein
    paar Bemerkungen über die deutsche Präsidentschaft
    in der Europäischen Union machen. Ich möchte auch
    hier mit dem beginnen, worin wir übereinstimmen: Wir
    haben schon im März darauf hingewiesen – ich wieder-
    hole das –: Die Entscheidung, Romano Prodi als künf-
    tigen Präsidenten der Europäischen Kommission zu be-
    nennen, ist gut. Daß das Europäische Parlament der Er-
    nennung von Romano Prodi mit übergroßer Mehrheit
    zugestimmt hat, hat die Richtigkeit dieser Entscheidung
    bestätigt. Auch die Entscheidung für Solana als künfti-
    gen Repräsentanten einer Gemeinsamen Außen- und
    Sicherheitspolitik der Europäischen Union ist eine gute
    Entscheidung, die wir begrüßen und unterstützen. Auch
    die Absprachen und die Ergebnisse von Köln bezüglich
    der Integration der Westeuropäischen Union in die
    Europäische Union und der Stärkung der Handlungsfä-
    higkeit sowie der verteidigungs- und sicherheitspoliti-
    schen Identität der Europäischen Union finden unsere
    Zustimmung und unsere Unterstützung.


    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ist ja toll!)


    Darüber hinaus sind aber keine Ergebnisse während
    der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen
    Union erzielt worden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ich habe zuerst daran gedacht, von mageren Ergebnissen
    zu sprechen. Aber auch bei magerem Fleisch gibt es
    immer noch Knochen. Hier gibt es noch nicht einmal
    Knochen, denn es sind keine Ergebnisse erzielt worden.

    Die Agenda 2000, die in Berlin verabschiedet wurde,
    ist gescheitert. Herr Bundeskanzler, es ist doch ganz ein-
    fach: Als Sie an einem Freitag morgen in Bonn nach
    einer langen Nacht der Verhandlungen in Berlin ange-
    kommen sind, haben wir Verständnis dafür gehabt, daß
    Sie uns nicht direkt sagen konnten, wie sich die Ergeb-
    nisse des Berliner Gipfels auf die Beitragslast der Bun-
    desrepublik Deutschland auswirken würden. Aber in-
    zwischen sind drei Monate vergangen. Trotzdem erklärt
    sich die Bundesregierung bis auf den heutigen Tag au-
    ßerstande, dem Hohen Hause mitzuteilen, ob Deutsch-
    land nach dem Berliner Gipfel nun mehr oder weniger in
    die EU zahlen muß.


    (Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das liegt doch vor!)


    Sie müssen doch inzwischen wissen, was Sie beschlos-
    sen haben. Ich weiß, warum Sie die Zahlen nicht vorle-
    gen. Wenn Sie das nämlich täten, dann würde deutlich,
    daß die Belastung durch den Berliner Gipfel für den
    Haushalt der Bundesrepublik Deutschland nicht gesun-
    ken, sondern gestiegen ist. Das ist die Wahrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


    Ihr bisheriges Verhalten steht in einem merkwürdigen
    Widerspruch zu Ihren wirklich verantwortungslosen
    Ankündigungen im Januar. Sie haben damals gesagt, die
    Zeiten seien vorbei, in denen in Brüssel das Geld der
    deutschen Steuerzahler verbraten werde, die Engländer,
    die Franzosen und die Spanier sollten jetzt endlich ein-
    mal mehr zahlen, damit wir in Deutschland weniger be-
    zahlen müssen. Nichts davon haben Sie erreicht. Sie
    konnten es auch gar nicht erreichen; denn wenn man
    einstimmige Ergebnisse erzielen will, dann stellt man
    mit solchen Erklärungen von vornherein nur das eigene
    Scheitern sicher. Das haben Sie auch erreicht. Aber von
    dem, was Sie angekündigt hatten, haben Sie nichts er-
    reicht.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat uns denn die Einstimmigkeit hinterlassen?)


    Die Agenda 2000 hat zu keiner grundlegenden Re-
    form der Agrar- und Strukturpolitik, zu keiner grundle-
    genden Reform der europäischen Finanzpolitik geführt
    und auch nicht die Europäische Union auf die Riesen-
    aufgabe der Osterweiterung mit den Beitrittsanwärtern
    Polen, Tschechien und Ungarn in der ersten Reihe vor-
    bereitet. Diese Reformen werden angesichts der Not-
    wendigkeit, jetzt ein noch größeres Aufbauwerk auf dem
    Balkan zu bewältigen, zu einem noch viel größeren De-

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    saster führen. In keiner Weise ist Europa durch den Ber-
    liner Gipfel auf die Riesenaufgabe eines Stabilitätspak-
    tes für den Balkan vorbereitet worden. Darin besteht das
    Scheitern Ihrer Arbeit.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist Provinztheater!)


    Vor dem Kölner Gipfel haben Sie groß von Beschäf-
    tigungspakt und von Beschäftigungsprogrammen gere-
    det. Man konnte richtig Angst bekommen, das klang
    nach einer Drohung. Europäische Beschäftigungspro-
    gramme werden die Arbeitslosigkeit in Europa nicht
    verändern. Es wäre viel gescheiter, Europa würde das
    machen, was auf dem Luxemburger Gipfel mit dem Be-
    schäftigungskapitel im Amsterdamer Vertrag vereinbart
    worden ist, nämlich daß jedes Mitgliedsland seine natio-
    nale Wirtschafts-, Finanz-, Steuer-, Haushalts- und So-
    zialpolitik an dem Ziel ausrichtet, mehr Arbeitsplätze zu
    schaffen. Aber genau vor dieser Herausforderung ver-
    sagt Ihre Regierung kläglich.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Jetzt ist in Brüssel nichts herausgekommen außer

    noch so einer Art Bündnisrunde auf europäischer Ebene.
    Da Sie uns in diesen Tagen gezeigt haben, was Sie unter
    „Bündnis für Arbeit“ verstehen, will ich an dieser Stelle
    meine Warnung vorbringen. Sie haben jetzt ein kleines
    „Bündnis für Arbeit“ abgeschlossen. Wissen Sie, was
    das kleine „Bündnis für Arbeit“ hinsichtlich der
    Schlechtwettergeldregelung bedeutet? Es bedeutet, die
    Arbeitnehmer zahlen ein bißchen weniger, die Arbeitge-
    ber zahlen auch ein bißchen weniger, und die Gemein-
    schaft der sozialversicherungsbeitragspflichtigen Ar-
    beitnehmer und Arbeitgeber insgesamt zahlt ein bißchen
    mehr – ein Vertrag zu Lasten der Allgemeinheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    Wenn das ein kleines „Bündnis für Arbeit“ ist, dann
    kann man bei der Vorstellung, was erst ein großes
    „Bündnis für Arbeit“ bringen würde, nur Alpträume be-
    kommen. Das brauchen wir auf europäischer Ebene
    ganz gewiß nicht.


    (Peter Dreßen [SPD]: Seien Sie doch froh, daß er etwas zustande bringt!)


    Dann will ich Ihnen noch folgendes sagen: Ihre Poli-
    tik der Steuererhöhungen besteht ausschließlich darin,
    selbstgemachte Fehler teilweise zu korrigieren. Anfang
    des Jahres haben Sie die Steuern für Wirtschaft und
    Mittelstand erhöht und angekündigt, Sie würden sie in
    ein, zwei Jahren korrigieren. Davon ist gar nicht mehr
    die Rede. Jetzt wird nur noch gesagt, man hoffe, viel-
    leicht ohne Steuererhöhungen auszukommen.

    Außerdem herrscht bei Ihnen ein Durcheinander in
    der Gesundheitspolitik und in der Rentenpolitik. Uns
    haben Sie Vorwürfe gemacht, als wir in der Rentenver-
    sicherung einen demographischen Faktor eingeführt ha-
    ben, durch den das Wachstum der Renten weiterhin ge-
    sichert, aber verstetigt bzw. verlangsamt worden ist.
    Jetzt machen Sie Rentenpolitik nach Kassenlage: jeden

    Tag eine neue Ankündigung, zwei Jahre Aussetzung der
    Rentenanpassung oder Halbierung oder was auch im-
    mer. Renten nach Kassenlage, das ist nicht das, was wir
    uns bei der gesetzlichen Rentenversicherung vorgestellt
    haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Folge von alldem ist – wir reden von Beschäfti-

    gung in Europa, und die muß man zu Hause machen –:
    Das Wachstum in Deutschland im ersten Quartal 1999
    – gerade habe ich die Meldung auf den Tisch bekommen
    – beträgt noch 0,7 Prozent. Das heißt, nach dem OECD-
    Bericht sind wir in der Wachstumsentwicklung inzwi-
    schen unter den Schlußlichtern in Europa. Die Ursache
    dafür liegt nicht in Brasilien oder sonstwo, sondern in
    Deutschland, in Ihrer falschen Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen geht die Arbeitslosigkeit, seit Sie Kanzler

    sind, saisonbereinigt nicht mehr zurück, während sie im
    vergangenen Jahr zurückgegangen ist.


    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Mein Gott! Die Rabulistik ist nicht mehr zu ertragen!)


    Auch die wirtschaftliche Entwicklung und die Inve-
    stitionen gehen zurück.


    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: 4,5 Millionen Arbeitslose haben Sie hinterlassen! Verlogene Bande! – Gegenrufe von der CDU/ CSU: Was?)


    – Aber liebe Kollegen, lassen Sie sich doch nicht ablen-
    ken, die wollen doch nur stören.

    Lassen Sie mich ganz ruhig sagen: Es zeigt doch das
    gesunkene Vertrauen in die Nachhaltigkeit der wirt-
    schaftlichen und finanziellen Entwicklung in Europa
    unter der deutschen Präsidentschaft als Folge insbeson-
    dere der schlechten Entwicklung in Deutschland, daß
    der Wechselkurs zwischen Euro und Dollar von 1,18 zu
    Beginn Ihrer Amtszeit auf unter 1,03 am gestrigen Tage
    gesunken ist – ein Menetekel. So haben wir nicht ge-
    wettet, als wir den Euro eingeführt haben. Einen stabilen
    Euro, so stabil wie die D-Mark, haben wir alle miteinan-
    der versprochen. Jetzt machen Sie in Deutschland, dem
    größten Teilnehmerland der Europäischen Währungs-
    union, eine Politik, die die Wachstumskräfte und die
    Stabilitätserwartungen schwächt. Das schafft an den Fi-
    nanzmärkten eine Vertrauenskrise bezüglich des Euro.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir hatten einen Stabilitätspakt verabredet – ein

    großes Verdienst von Theo Waigel. Danach sollten sich
    alle dazu verpflichten, ihre Neuverschuldung auch nach
    Erreichen der Kriterien 1999, 2000 und 2001 schrittwei-
    se stetig zu senken. Ausnahmen würden nur in äußersten
    Notfällen von der Europäischen Union genehmigt wer-
    den. Die erste Ausnahme ist bereits genehmigt worden.
    Sie als Ratspräsident haben aber zugesichert, es würde
    eine einmalige Ausnahme bleiben, in Zukunft gäbe es
    keine weitere.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Herr Bundeskanzler Schröder, jemandem, der ewige
    Treue schwört, aber bei der ersten Versuchung dieser
    nachgibt, um anschließend zu erklären, einmal sei kein-
    mal, dem glaubt man nicht. Deswegen zerstören Sie mit
    dieser Politik Vertrauen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich lese in einer Agenturmeldung: Blair und Schröder

    rufen zu Kurswechsel auf. – Wenn Sie den Kurs Ihrer
    Politik korrigieren, dann kann ich Sie nur unterstützen.


    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ihre Politik!)


    Wechseln Sie endlich den chaotischen Kurs der Wirt-
    schafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik der Bundes-
    regierung! Dazu brauchen Sie aber nicht Tony Blair; das
    müssen Sie nicht in Londoner Zeitungen verkünden, Sie
    müssen vielmehr hier in Deutschland handeln. Da sind
    Sie schwach. Nur mit Aufrufen in der Presse sind Sie
    stark.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bemerkenswert ist – das muß man einmal sagen –:

    Der Aufruf soll sich vor allem an die sozialdemokrati-
    schen Regierungen in Europa richten. Dazu haben Sie
    allen Grund: Fordern Sie sich selber auf! In diesem Auf-
    ruf sprechen sich – hören Sie einmal zu! – Blair und
    Schröder für drastische Maßnahmen zur Sanierung der
    öffentlichen Finanzen aus. Außerdem fordern sie Re-
    formen des Sozialstaats, flexiblere Arbeitsmärkte und
    eine allgemein unternehmerfreundlichere Politik. – Mei-
    ne Damen und Herren: herzlichen Glückwunsch!


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich will Ihnen noch einmal sagen: Von Ihren Medien-
    auftritten haben wir genügend gehabt. Ich schlage vor,
    daß Sie oder Ihr zuständiger Minister in dieser Woche –
    wir haben noch eine Bundestagssitzung – an dieses Pult
    gehen und sagen, was Sie vorhaben. Sie müssen vor den
    Wahlen Klarheit schaffen, damit wir nicht nach der
    Wahl sagen müssen: Sie haben die Leute vor der Wahl
    angelogen. Wir wollen bei den Renten, bei den Kürzun-
    gen und bei den Steuern keinen Wahlbetrug.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die schrecklichen Erfahrungen im Kosovo lehren:

    Wir brauchen politisch, sicherheitspolitisch und wirt-
    schaftspolitisch ein starkes Europa. Aber ein starkes Eu-
    ropa geht nur nach dem Prinzip der Dezentralisierung
    und nicht dadurch, daß wir noch mehr Bürokratie nach
    Brüssel schieben. Ein starkes Europa wird nur gelingen,
    wenn jeder in Europa seiner Verantwortung nachkommt.
    Deswegen fängt ein starkes Europa, wenn man Europa
    richtig machen will, zu Hause an.


    (Hans-Werner Bertl [SPD]: Das haben Sie jahrelang vergessen!)


    Darin versagt diese Regierung.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)