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ID1401701900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/17 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 17. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Drucksache 14/280) ....................................................... 1143 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktion der CDU/CSU Beschäftigung fördern – soziale Siche- rung verbessern – Flexibilisierung er- halten (Drucksache 14/290)....................... 1143 B Walter Riester, Bundesminister BMA ............. 1143 C Dr. Hermann Kues CDU/CSU......................... 1145 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD ........................ 1146 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1148 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 1151 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 1153 C Silvia Schmidt (Eisleben) SPD ........................ 1155 B Julius Louven CDU/CSU................................. 1157 B Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 1159 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU................... 1161 C Dr. Maria Böhmer CDU/CSU............... 1162 A, 1167 B Heinz Schemken CDU/CSU............. 1163 B, 1170 A Konrad Gilges SPD........................... 1163 C, 1164 A Dr. Ilja Seifert PDS...................................... 1164 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD................. 1165 A, 1166 B Anette Kramme SPD ....................................... 1167 D Johannes Singhammer CDU/CSU................... 1169 B Wolfgang Weiermann SPD ............................. 1170 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P..................... 1171 B Margot von Renesse SPD ............................ 1171 D Zusatztagesordnungspunkt 6:1171 D Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu dem Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 19. Januar 1999 zur steuerlichen Behandlung von Kin- derbetreuungskosten und Haushalts- freibetrag bei Ehepaaren im Zusam- menhang mit der aktuellen Behandlung des Steuerentlastungsgesetzes und seiner haushalterischen Auswirkungen ............... 1173 A Dr. Barbara Höll PDS...................................... 1173 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 1174 B Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU........................................................ 1175 D Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN............................................ 1176 D Gisela Frick F.D.P. .......................................... 1177 D Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 1179 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 1180 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1181 D Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 1183 A Nicolette Kressl SPD ....................................... 1184 B II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 Norbert Barthle CDU/CSU.............................. 1185 B Lydia Westrich SPD ........................................ 1186 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ................ 1187 B Ingrid Matthäus-Maier SPD............................. 1188 B Nächste Sitzung ............................................... 1189 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 1191 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen..................................... 1192 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 1143 (A) (C) (B) (D) 17. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 Beginn: 9.00 Uhr
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    Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20 Bundespräsident Dr. Roman Herzog
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Silvia Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr geehrter Herr
    Präsident! Meine Damen und Herren! Als Neue muß ich
    gleich am Anfang feststellen: Die Opposition hört nicht
    richtig zu und kann auch nicht richtig addieren.


    (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das kommt ganz auf Ihre Rede an! – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Probieren Sie es einmal!)


    – Das ist sehr schön, Herr Schäuble. Ich danke Ihnen
    schon im voraus.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich werde es Ihnen als Neue einfach machen, meine
    Rede zu verfolgen und zu verstehen.

    Mit unserem Gesetzentwurf legen wir zu einem wei-
    teren, seit Jahren nicht gelösten Problem ein Reform-
    programm vor. Der Bundesminister für Arbeit hat schon
    darauf hingewiesen: Innerhalb von fünf Jahren hat sich
    die Zahl der geringfügig Beschäftigten um 1,1 Millionen
    erhöht. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Be-
    schäftigten ist aber um 2 Millionen zurückgegangen.

    16 Jahre lang war die alte Regierung nicht in der La-
    ge, diesen Mißstand auf dem Arbeitsmarkt aufzugreifen
    und zu beseitigen.


    (Beifall bei der SPD)

    Wenn ich an die F.D.P. denke, glaube ich, daß einige
    von Ihnen das auch gar nicht wollten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Sicherlich ist dies ein Grund, warum Sie jetzt dort sit-
    zen, wo Sie sitzen, nämlich auf der Oppositionsbank.

    Unser Gesetz ist ein weiterer Baustein in unserem
    Bemühen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die
    versicherungspflichtigen Arbeitsplätze zu erhalten; denn
    was eine Ausnahme von der Regel sein sollte, entwik-
    kelte sich zu einer Ursache für den Wegfall von sozial-
    versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen.

    Von den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen
    sind in allererster Linie Frauen betroffen. Der Anteil ge-
    ringfügig beschäftigter Frauen in Westdeutschland
    hat in den letzten zehn Jahren um 74 Prozent und in
    Ostdeutschland in den letzten fünf Jahren um 75 Pro-
    zent zugenommen. Allein in Sachsen-Anhalt – von dort
    komme ich – sind 84 Prozent der geringfügig Beschäf-
    tigten Frauen. Ähnlich sieht es in den anderen ostdeut-
    schen Ländern aus. Auch in den westdeutschen Ländern
    liegen die Zahlen noch bei über 70 Prozent.

    Frauen wollen arbeiten, wollen nicht ausgegrenzt
    werden und möchten auch gehört werden. Sie möchten
    aber nicht nur in diesen Billigjobformen beschäftigt
    sein. Sie wollen vor allen Dingen – das möchte ich noch
    einmal klarstellen – Vollzeitjobs haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Der eine oder andere behauptet ja, Frauen möchten
    die „drei Ks“ in Anspruch nehmen. Ich glaube, das ist
    nicht so. Nur 7 Prozent aller geringfügig beschäftigten
    Frauen üben diese Tätigkeit länger als 10 Jahre aus.
    20 Prozent sehen darin eine Chance für den beruflichen
    Wiedereinstieg. 22 Prozent dieser Frauen fehlt einfach
    die berufliche Alternative. Die meisten von ihnen sind
    jedoch auf dieses Einkommen angewiesen, und damit
    sind sie auch erpreßbar.

    Mit unserem Gesetz wird klargestellt: Auch 630-DM-
    Jobs sind Arbeitsverhältnisse, für die Regeln gelten
    müssen. Diese Regeln bestehen ja auch schon, wie rich-
    tig erkannt wurde. Geringfügig Beschäftigte haben An-
    spruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten

    Dr. Heidi Knake-Werner






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Urlaub, Kündigungsschutz und andere Arbeitnehmer-
    rechte. Aber – das ist das Neue – künftig müssen die
    Arbeitgeber darauf hinweisen und die Beschäftigten
    über ihre Rechte informieren; denn sonst werden sie re-
    greßpflichtig gemacht. Das war bis jetzt nicht der Fall.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Eine der für mich wichtigsten Änderungen – das muß
    ich wirklich einmal klarstellen; denn das, was hier
    manchmal dazu gesagt wird, finde ich schon eigenartig –
    betrifft die Rentenversicherung: Frauen und Männern
    wird die Möglichkeit eingeräumt, durch Zuzahlung in
    die Rentenversicherung, und zwar in Höhe von 7,5 Pro-
    zent, einen Rentenanspruch zu erwerben.

    Herr Dr. Kues, hören Sie bitte noch einmal zu: Na-
    türlich ist uns bewußt, daß 6,78 DM Rente im Monat für
    ein Jahr Arbeit bei einem Monatseinkommen von 630
    DM nicht viel ist. Allerdings beträgt der Eigenanteil
    auch nur 47,25 DM. Jetzt könnten Sie natürlich wieder
    etwas einwerfen. Aber dann müßte ich Ihnen sagen, daß
    Sie – Sie hatten ja am 19. Januar einen Gesetzentwurf
    eingebracht – die Ziffer 5 Ihres eigenen Gesetzentwurfes
    wahrscheinlich nicht kennen bzw. überflogen haben.
    Darin heißt es, daß Sie die gesetzliche Rentenversiche-
    rung auf die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
    ausdehnen wollen. Genau dies geschieht mit den 6,78
    DM, die wir als Option einführen. Ich verstehe daher die
    Diskussion nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Trotz der vielleicht geringen Höhe des erworbenen
    Rentenanspruchs ist dies ein wichtiger Schritt. Vor al-
    lem werden damit die Lücken in der Rentenbiographie
    geschlossen. Das ist gerade für Frauen, die nach der
    Wende oft aus der Beschäftigung herausgefallen sind,
    sich in der Sozialhilfe befinden und keinen Rentenan-
    spruch in dieser Zeit erwerben, wichtig. Ich bitte also,
    darüber nachzudenken – auch die liebe PDS.

    Zudem sollte man sich nicht nur auf die absoluten
    Zahlen konzentrieren. Wir müssen auch sehen, daß
    durch den Erwerb von Rentenansprüchen damit zusam-
    menhängende Ansprüche geschaffen werden: volle Be-
    rücksichtigung bei den Wartezeiten, Entgeltpunktbe-
    rechnung, Rehabilitation – ganz wichtig –, Rente nach
    Mindesteinkommen, Schutz vor Berufsunfähigkeit
    und Erwerbsunfähigkeit, vorgezogene Altersgrenzen.

    Alles zusammen trägt dazu bei, daß die sozial- und
    arbeitsrechtliche Lage der geringfügig Beschäftigten
    verbessert wird; denn oft werden sie ja als Ausputzer
    und intelligenzgeminderte Menschen dargestellt, die
    keine Ahnung von dem haben, was sie eigentlich ma-
    chen. Diese Diskriminierung dürfen wir nicht unbeachtet
    lassen.


    (Beifall bei der SPD)

    Für mich gehen Frauen aus dieser Gesetzgebung so-

    zial gestärkt hervor. Die bisher häufig zu beobachtende
    Ausnutzung der geringfügig Beschäftigten, die auf die-
    sen Verdienst angewiesen sind, wird gestoppt. Schutz-
    rechte werden ihnen nicht länger vorenthalten.

    Unser Gesetz ist zugleich auch ein wichtiges Instru-
    ment zum Erhalt von Arbeitsplätzen. Wir erwarten, daß
    damit die zunehmende Zahl der geringfügigen Beschäf-
    tigungsverhältnisse zu Lasten von Voll- und Teilzeitar-
    beitsplätzen eingedämmt wird. Besonders in Ost-
    deutschland wurden aus sogenannten Kostenersparnis-
    gründen – das müßte besonders die F.D.P. wissen – Ar-
    beitsverhältnisse in geringfügige Beschäftigungsverhält-
    nisse umgewandelt. Zudem sind mehrere tausend Ar-
    beitsplätze verlorengegangen. Jetzt läuft auch noch das
    ABM-Wahlgeschenk aus. Ich möchte da aus meinem
    Wahlkreis Sangerhausen/Mansfelder Land eine Zahl
    nennen: Wir sind jetzt wieder bei 24,1 Prozent Arbeits-
    losen. Wahlversprechungen sollten gehalten werden,
    aber Sie konnten es nicht.

    Die erhebliche Umwandlung in geringfügige Be-
    schäftigungsverhältnisse ist mit eine Folge der Um-
    strukturierung der Wirtschaft in den neuen Ländern und
    hängt natürlich auch mit der Strukturverschiebung hin
    zum Dienstleistungsgewerbe zusammen. Das mag mit
    eine Erklärung sein. Nichtsdestotrotz sind Arbeitslosen-
    zahlen von bis zu 25 und 30 Prozent in vielen Regionen
    der neuen Länder alarmierend. Dort können wir keine
    geringfügige Beschäftigung brauchen, sondern dort be-
    nötigen wir Teilzeit- und Vollzeitarbeitsplätze.

    Wir rechnen damit, daß unser Gesetz die Ausweitung
    des Mißbrauchs der 630-DM-Jobs eindämmen wird;
    denn die Arbeitgeber müssen künftig steuerfrei gezahlte
    Löhne auf den Lohnsteuerkarten der geringfügig Be-
    schäftigten eintragen. Dadurch wird eine bessere Kon-
    trolle möglich.

    Hat ein Arbeitnehmer mehrere solcher Jobs, werden
    sie auf der Lohnsteuerkarte zusammengerechnet, ent-
    sprechend behandelt und nach den allgemeinen steuerli-
    chen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen
    abgewogen. So verlieren sie ein Stückchen an Attrakti-
    vität, und Angebot und Nachfrage sinken. Zugleich wird
    dafür gesorgt, daß die Arbeitsstunden für den Arbeitge-
    ber nicht mehr unterschiedliche Kosten verursachen.

    Außerdem wird mit unserem Gesetz ein weiteres Ziel
    der Bundesregierung erreicht, nämlich der Erosion der
    Finanzgrundlagen der beitragsfinanzierten Sozialversi-
    cherungen entgegenzuwirken. Die Aufsplittung von so-
    zialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen in ge-
    ringfügige Beschäftigungsverhältnisse hat beiden Sozi-
    alversicherungssystemen Milliardenbeträge entzogen.
    Unser Gesetzentwurf wird dazu führen, daß diesen Ver-
    sicherungssystemen noch in diesem Jahr 3,4 Milliarden
    DM zugeführt werden.


    (Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das hätten Sie gern!)


    – Das wird so sein, Frau Schwaetzer.
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, lassen

    Sie mich in diesem Zusammenhang fragen: Welche
    Wirklichkeit nehmen Sie eigentlich noch wahr, wenn
    Sie der Meinung sind – ich zitiere aus dem von Ihnen
    vorliegenden Antrag –:

    Aufgrund des enormen Kostendrucks, dem sich
    viele Unternehmen und Selbständige gegenüberse-

    Silvia Schmidt (Eisleben)







    (A) (C)



    (B) (D)


    hen, besteht die Gefahr, daß künftig zunehmend so-
    zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält-
    nisse in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse
    umgewandelt werden und damit die Finanzgrund-
    lage der sozialen Sicherungssysteme erodiert.

    Richtig, meine Damen und Herren von der Opposi-
    tion, aber diese Tendenz besteht schon seit Jahren, und
    Sie haben 16 Jahre lang nicht gehandelt. Was soll das al-
    so?


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Da kann ich wirklich nur noch sagen: Wer zu spät
    kommt, den bestraft der Wähler.

    Zum Schluß möchte ich nochmals betonen: Unser
    Gesetzentwurf ist ein erheblicher sozialpolitischer Fort-
    schritt. Nicht alle wünschenswerten Forderungen wer-
    den erfüllt. Das kann aber bei der Komplexität dieses
    Themas auch nicht gewährleistet werden. Wichtig für
    die SPD-Fraktion ist: Geringfügige Beschäftigungen
    werden zu ordentlichen Arbeitsverhältnissen entwickelt,
    die den Arbeitnehmern ihre Rechte zusichern.

    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Dies war die erste
Rede der Kollegin Schmidt. Meine herzliche Gratula-
tion.


(Beifall)

Nun hat das Wort der Kollege Julius Louven,

CDU/CSU-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Julius Louven


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine
    sehr verehrten Damen und Herren! Am 19. November
    letzten Jahres hat von diesem Pult aus mit tragender
    Stimme und gequältem Gesicht der Bundeskanzler eine
    dritte Variante zur Lösung der 630-Mark-Verträge vor-
    getragen. Ich habe ihm damals geantwortet und gesagt,
    ihm sei sein telegenes Lächeln inzwischen vergangen,
    weil er sich wohl nicht vorstellen konnte, wie schwierig
    die Problemlösung in diesem Bereich ist.

    Wäre der Bundeskanzler heute hier, dann würde ich
    ihm sagen: Mit der Variante vier machen Sie sich nun
    restlos lächerlich.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie, Herr Minister, und die Redner der Regie-

    rungskoalition meinen, wir hätten dieses Problem nicht
    gelöst, so ist dies richtig.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Aber Sie haben ja in der letzten Legislaturperiode zu
    diesem Bereich einen Gesetzentwurf vorgelegt, den Sie
    heute am liebsten totschweigen würden. Denn der war

    so unmöglich, daß Sie heute davon nichts mehr wissen
    wollen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Man kann ja schlauer werden, Herr Louven!)


    Wir in der alten Koalition, Herr Gilges, waren uns
    immerhin einig. Dies haben wir am 11. Dezember 1997
    in einer Entschließung zum Ausdruck gebracht, in der es
    hieß:

    Für schutzwürdige Personen muß ein ausreichender
    Versicherungsschutz sichergestellt werden.

    Genau dies war immer Ihr Anliegen. Ich könnte Ihnen
    jetzt eine ganze Reihe entsprechender Zitate zum Bei-
    spiel von Frau Buntenbach,


    (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Richtig, Frau Buntenbach habe ich heute überhaupt nicht gesehen!)


    von Frau Onur, von den Kolleginnen Lotz und Schmidt
    und von Ottmar Schreiner vorlesen, der uns in seiner
    bekannt liebenswürdigen Art seinerzeit vorwarf, wir sei-
    en Sozialbanausen, weil wir diese Menschen ohne Ver-
    sicherungsschutz ließen.


    (Zurufe von der SPD: Das wart ihr doch auch!)


    Ich könnte jetzt Zitate von Ihnen nennen, die den
    Umfang von 14 DIN-A4-Seiten erreichen würden, in
    denen Sie gefordert haben, was auch wir sagten:

    Für schutzwürdige Personen muß ein ausreichender
    Versicherungsschutz sichergestellt werden.

    (Zuruf von der SPD: Warum habt ihr es dann nicht gemacht?)

    Gerd Andres, inzwischen Parlamentarischer Staatsse-

    kretär beim Arbeitsminister, hat am 1. Oktober 1997
    hier in einer Rede anläßlich einer Debatte zu diesem
    Problembereich mit der Aussage begonnen, „das Motto
    Mittendrin und trotzdem draußen“ beschreibe das Pro-
    blem sehr genau. So Gerd Andres. Er führte weiterhin
    aus:

    Jedes dieser Beschäftigungsverhältnisse muß sozi-
    alversicherungspflichtig sein. Das ist die richtige
    Logik in unserem System.

    Er rief uns zu:
    Warum stopfen Sie dieses Loch nicht? Warum tun
    Sie nichts?


    (Zuruf von der SPD: Machen wir doch!)

    Daraufhin habe ich genau heute vor einem Jahr ein

    Papier dazu vorgelegt, wie ich mir die Lösung des Pro-
    blems vorstellen könne. Ich habe mich dabei auch auf
    die Einlassungen von Gerd Andres bezogen. Für mich
    waren fünf Punkte wichtig. Ich habe sie am 19. Novem-
    ber 1998 genannt. Ich will sie heute wiederholen:

    Erstens. Der flexible Zugriff auf Arbeitnehmer, die ad
    hoc bereit sind, auch zu unpopulären Arbeitszeiten tätig
    zu werden, muß möglich bleiben.

    Sylvia Schmidt (Eisleben)







    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Zweitens. Die Arbeitsverhältnisse dürfen sich nicht
    wesentlich verteuern – weder für die Arbeitnehmer noch
    für die Arbeitgeber.

    Drittens. Der Einstieg in eine normale Teilzeitbe-
    schäftigung, die jetzt an der sogenannten 630-Mark-
    Mauer endet, muß mit einer Neuregelung erleichtert
    werden.

    Viertens. Wir müssen alles vermeiden, was Arbeit-
    nehmer und Arbeitgeber in die Illegalität treibt.

    Fünftens. Wir brauchen Regelungen, die einfach und
    handhabbar sind.


    (Leyla Onur [SPD]: Wunderbar! Danke schön!)


    Im Ausschuß hat Gerd Andres im Januar dieses Jah-
    res erklärt, daß man sich auf dieser Basis, also auf der
    Basis meines Papiers, sofort einigen könne. Sogar die
    Deutsche Angestellten-Gewerkschaft hat sich positiv
    geäußert, Lutz Freitag sogar fast überschwenglich.

    In der Aktuellen Stunde vom 19. November des letz-
    ten Jahres hat Ihr Fraktionsvorsitzender Struck auf
    Grund meiner Einlassungen gesagt, daß er es begrüße,
    daß wir uns in der CDU/CSU von der F.D.P. freige-
    schwommen hätten, und er darauf vertraue, auf Grund
    meiner fünf Punkte eine Regelung mit breiter Mehrheit
    im Bundestag beschließen zu können.

    Nun, meine Damen und Herren von der SPD und dem
    Bündnis 90/Die Grünen, Ihr Gesetzentwurf: Er ist ein
    absoluter Flop, Herr Minister.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nicht nur – o Graus –, daß er 57 Seiten umfaßt. Er ist
    vielmehr auch inhaltlich eine Katastrophe. Lieber Gerd
    Andres, lieber Minister Riester, beide sind Sie führend
    in Gewerkschaften tätig gewesen. Mit Ihren Gewerk-
    schaften, den Kirchen, den Frauenverbänden und vielen
    anderen haben Sie immer den Standpunkt vertreten, die
    hier beschäftigten Menschen bräuchten eine soziale Ab-
    sicherung. Nun legen Sie einen solchen Gesetzentwurf
    vor. Schämen Sie sich nicht, Herr Minister?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie sprechen hier davon, dies sei sozial ausgewogen.

    Sagen Sie doch einmal nach draußen, was daran sozial
    ausgewogen ist!


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Murks!)


    Ich frage mich auch, wo der Aufschrei der von mir
    angesprochenen Verbände bleibt. Sie müssen diesen
    wohl eine Schlaftablette verpaßt haben. Anders kann ich
    mir deren Verhalten – die Tatsache, daß sie ruhig sind –
    nicht erklären.

    Die Arbeitgeber haben künftig Sozialversicherungs-
    beiträge zu zahlen; Leistungsansprüche können die
    betroffenen Arbeitnehmer aber nur durch zusätzliche
    freiwillige Beiträge erwerben. Meine Damen und Her-
    ren, dies ist doch nun wirklich ein Witz! Ich habe mir
    nie vorstellen können, daß deutsche Sozialdemokraten
    so einen Nonsens vorlegen können.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: 16 Jahre haben Sie nichts gemacht, und jetzt kommen Ihnen die Tränen! Krokodilstränen sind das!)


    Auch die steuerlichen Regelungen schreien zum
    Himmel; die Kollegin Schwaetzer hat dies deutlich ge-
    macht. Sie haben doch genügend Verfassungsrechtler in
    Ihren Reihen, um zu erkennen, daß diese Regelungen
    nicht haltbar sind. Und man sieht es den gequälten Ge-
    sichtsausdrücken der Kolleginnen und Kollegen hier ja
    auch an.


    (Lachen des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])

    Im übrigen wundere ich mich darüber, daß sich all die,
    von denen ich Kritisches zitieren könnte – auch von Ih-
    nen, Frau Onur –, heute so ruhig verhalten.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es ist schon eigenartig. Sie schreiben in die Begrün-

    dung zum Gesetzentwurf – das muß man sich wirklich
    auf der Zunge zergehen lassen –:

    Bei verheirateten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
    nehmer bleibt es auch dann bei der Steuerfreiheit,
    wenn der andere Ehegatte eigene Einkünfte erzielt.

    Bei anderen wird einfach zusammengerechnet.
    Diesen Sachverhalt garnieren Sie mit der Klammer-

    bemerkung „Brücke zur Rückkehr in das Arbeitsleben“.
    Herr Minister – Sie haben das auch erwähnt –, erläutern
    Sie doch einmal, worin die „Brücke zur Rückkehr in das
    Arbeitsleben“ hier besteht!


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Lauter Sprüche! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/ CSU]: Gute Frage!)


    Eine Brücke zur Rückkehr in normale Beschäftigungs-
    verhältnisse gibt es nur – dies ist meine feste Überzeu-
    gung –, wenn wir die 630-Mark-Mauer, wo die gering-
    fügige Beschäftigung derzeit endet, überwinden. Dazu
    habe ich Vorschläge gemacht.

    Darüber hinaus muß man sich einmal anschauen, wie
    Sie von der Regierungskoalition dies alles kontrollieren
    wollen, welche bürokratischen Regeln Sie installieren.
    Angesichts dessen tun mir insbesondere die Arbeitgeber
    bei den kleinen und mittelständischen Betriebe leid, die
    dem ausgesetzt sind – typisch SPD!


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Selbst die Gemeinden müssen Sie – es ist nicht zu glau-
    ben – verpflichten, kontrollierend tätig zu werden.

    Mit dem Art. 10 dieses Gesetzes ändern Sie das Be-
    triebsverfassungsgesetz dahin gehend, daß sie den Be-
    triebsräten in dieser Frage ein Mitspracherecht geben.
    Wenn das Verhältnis von sozialversicherungspflichtigen
    Arbeitsverhältnissen und solchen mit einer geringfügi-
    gen Beschäftigung unausgewogen ist, kann der Be-
    triebsrat seine Zustimmung verweigern. Was heißt
    denn „unausgewogen“? Das ist ein unbestimmter
    Rechtsbegriff. Wenn man sich nicht einigt, sollen die
    Arbeitsgerichte die Frage der Unausgewogenheit ent-
    scheiden.

    Julius Louven






    (A) (C)



    (B) (D)


    Nun stellen Sie sich das einmal in der Praxis vor: Ein
    Großgastronom mit 30 Beschäftigten hat an einem Wo-
    chenende eine große Gesellschaft zu bewirten. Er kann
    dies nur mit zusätzlich 20 oder 30 geringfügig Beschäf-
    tigten bewältigen. Der Gastronom muß dafür den Be-
    triebsrat fragen. Der Betriebsrat sagt nein. Dann müßte
    der Gastronom zum Arbeitsgericht, um klären zu lassen,
    was in diesem Fall „ausgewogen“ heißt. Bis entschieden
    ist, ist die Veranstaltung natürlich vorbei bzw. sie hat
    gar nicht stattgefunden.


    (Heinz Schemken [CDU/CSU]: Der Kaffee ist kalt!)


    Der Betriebsfrieden ist gestört, die mittelständige Wirt-
    schaft geschädigt. So wollen Sie den Mittelstand för-
    dern!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Geschmunzelt habe ich auch bei dem Art. 16 dieses

    Gesetzes. Er besagt, daß die Bundesregierung bis zum
    31. März 2003 über die Auswirkungen dieses Gesetzes
    berichten muß. Dieses Datum wurde sicher aus wohler-
    wogenen Gründen gewählt: nach der nächsten Bundes-
    tagswahl.

    Ziel Ihres Gesetzentwurfes ist – so heißt es unter
    Spiegelstrich fünf der Zielbeschreibung – „mittelfristig
    die Ausweitung dieser Beschäftigungsverhältnisse ein-
    zudämmen“. Das Gegenteil wird der Fall sein. Unter
    Spiegelstrich sechs führen Sie als Ziel an, „Ausweichre-
    aktionen in den Bereich der Schwarzarbeit ... zu verhin-
    dern“. Das Gegenteil wird der Fall sein.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren von den
    Regierungsfraktionen, Ihre Parteifreundin Heide Simo-
    nis, die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin, hat
    sich im „Handelsblatt“ in dieser Woche von dem Ge-
    setzentwurf distanziert. Sie bezeichnet ihn als mehr als
    unglücklich. Der rheinland-pfälzische Arbeitsminister
    Florian Gerster – ebenfalls Ihr Parteifreund – äußerte
    sich ähnlich scharf.

    Die Arbeitgeber, die zunächst nach den Äußerungen
    des Bundeskanzlers vom 19. November nicht unzufrie-
    den waren, weil eine Verteuerung dieser Arbeitsverhält-
    nisse für sie nicht erfolgte, sind inzwischen besorgt, we-
    gen der Kompliziertheit des Gesetzes sogar entsetzt. Das
    Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht von
    Stückwerk, und die Gewerkschaften schweigen, weil sie
    wohl schweigen müssen.


    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Verlegen!)


    Dies alles darf Sie doch nicht unberührt lassen, meine
    Damen und Herren. Ich stelle mir vor, wir hätten ein
    solches Gesetz vorgelegt. Welches Szenario hätten Sie
    dann wohl veranstaltet?


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Helfen Sie uns doch! Nur zu!)


    Verlieren Sie, meine Damen und Herren, nicht Ihr
    Gesicht und Ihre Glaubwürdigkeit! Ziehen Sie diesen
    Murks zurück!


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ihre Regierungserklärung haben Sie überschrieben mit:
    Weil wir Deutschlands Kraft vertrauen. – Ich denke, die
    Deutschen vertrauten auf Ihre Vernunft – bisher aller-
    dings in vielen Punkten vergeblich.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)