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ID1401701700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/17 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 17. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Drucksache 14/280) ....................................................... 1143 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktion der CDU/CSU Beschäftigung fördern – soziale Siche- rung verbessern – Flexibilisierung er- halten (Drucksache 14/290)....................... 1143 B Walter Riester, Bundesminister BMA ............. 1143 C Dr. Hermann Kues CDU/CSU......................... 1145 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD ........................ 1146 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1148 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 1151 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 1153 C Silvia Schmidt (Eisleben) SPD ........................ 1155 B Julius Louven CDU/CSU................................. 1157 B Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 1159 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU................... 1161 C Dr. Maria Böhmer CDU/CSU............... 1162 A, 1167 B Heinz Schemken CDU/CSU............. 1163 B, 1170 A Konrad Gilges SPD........................... 1163 C, 1164 A Dr. Ilja Seifert PDS...................................... 1164 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD................. 1165 A, 1166 B Anette Kramme SPD ....................................... 1167 D Johannes Singhammer CDU/CSU................... 1169 B Wolfgang Weiermann SPD ............................. 1170 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P..................... 1171 B Margot von Renesse SPD ............................ 1171 D Zusatztagesordnungspunkt 6:1171 D Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu dem Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 19. Januar 1999 zur steuerlichen Behandlung von Kin- derbetreuungskosten und Haushalts- freibetrag bei Ehepaaren im Zusam- menhang mit der aktuellen Behandlung des Steuerentlastungsgesetzes und seiner haushalterischen Auswirkungen ............... 1173 A Dr. Barbara Höll PDS...................................... 1173 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 1174 B Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU........................................................ 1175 D Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN............................................ 1176 D Gisela Frick F.D.P. .......................................... 1177 D Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 1179 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 1180 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1181 D Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 1183 A Nicolette Kressl SPD ....................................... 1184 B II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 Norbert Barthle CDU/CSU.............................. 1185 B Lydia Westrich SPD ........................................ 1186 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ................ 1187 B Ingrid Matthäus-Maier SPD............................. 1188 B Nächste Sitzung ............................................... 1189 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 1191 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen..................................... 1192 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 1143 (A) (C) (B) (D) 17. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 Beginn: 9.00 Uhr
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    Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20 Bundespräsident Dr. Roman Herzog
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heidi Knake-Werner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident!
    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin
    Schwaetzer, mit der Fähigkeit zur Selbstkritik ist das ja
    immer so eine Sache. Ich hätte mir in den letzten 16 Jah-
    ren auch einmal eine so engagierte Rede von Ihnen ge-
    wünscht, wie Sie sie jetzt als Vertreterin einer Opposi-
    tionspartei vortragen. Wenn Sie hier gegen das Abkas-
    sieren wettern, dann haben Sie wohl schon wieder ver-
    gessen, wo Sie in den letzten Jahren hingelangt haben
    und bei wem Sie in die Taschen gegriffen haben.


    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Tendenz steigend“
    war seit vielen Jahren die Prognose für die Entwicklung
    geringfügiger Beschäftigung. Was einstmals als Aus-
    nahme gedacht war, ist zur Regel geworden. Wer hier
    Mißbrauch betrieben hat, ist ziemlich eindeutig: Das wa-
    ren die Arbeitgeber, die immer hemmungsloser und
    schamloser sowie zum Teil mißbräuchlich die Möglich-
    keit versicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse ge-
    nutzt haben. Auch das will ich wegen des Kurzzeitge-
    dächtnisses der alten Bundesregierung sagen: Sie haben
    dabei nicht selten Schmiere gestanden.

    Ich will nur ein Gesetz nennen, das dazu beigetragen
    hat, daß Zehntausende versicherungspflichtige in versi-
    cherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt
    wurden: Das war das Ladenschlußgesetz, das zu einer
    unsäglichen und völlig überflüssigen Ausweitung der
    Ladenöffnungszeiten geführt hat.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Sie hat bewirkt, daß heute in manchen Drogeriemärkten
    und -ketten bis zu 70 Prozent der Beschäftigten in ge-
    ringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, das heißt: ver-
    sicherungsfrei, arbeiten.

    Nun liegt der Gesetzentwurf der neuen Regierung
    vor. Nach dem peinlichen Schnellschuß des Bundes-
    kanzlers vom November ist Ihnen leider weder sozial-
    politisch noch frauenpolitisch der große Wurf gelungen.
    Ich denke, Sie haben kaum eines der im Zusammenhang

    Dr. Irmgard Schwaetzer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    mit geringfügiger Beschäftigung anstehenden Probleme
    gelöst. Ich finde, daß hier – das bedauere ich sehr – eine
    wichtige Chance zu grundlegenden Veränderungen ver-
    tan worden ist. Es ist Ihnen weder gelungen, die Soli-
    dargemeinschaft insgesamt zu stärken, noch ist es Ihnen
    gelungen, auf die Lebenssituation der Frauen wirklich
    einzugehen.

    Wir von der Linken hier im Hause waren uns doch in
    den letzten Jahren völlig einig darin, daß geringfügige
    Beschäftigung ein Problem ist, das vor allen Dingen
    Frauen betrifft, da ihnen Arbeitsverhältnisse zugemutet
    werden, die keinen sozialen Schutz bieten, bei denen sie
    dem Heuern und Feuern ausgesetzt sind und mit dem
    Druck der Altersarmut leben müssen. Das wollten wir
    verändern. Nach unseren Vorstellungen sollte diesen
    Frauen mehr soziale und arbeitsrechtliche Sicherheit ge-
    geben werden. Dafür haben wir ja übrigens auch ge-
    meinsam in Bündnissen mit Gewerkschafterinnen und
    Vertreterinnen der Kirchen, mit dem Frauenrat und an-
    deren gestritten. Dieses sollte der Kernpunkt einer neuen
    gesetzlichen Regelung sein. Deshalb haben auch wir von
    der PDS schon sehr frühzeitig gefordert, daß jede be-
    zahlte Arbeitsstunde versicherungspflichtig gemacht
    wird, für sie also Beiträge in die Sozialkassen zu zahlen
    sind.

    Wenn diese Beiträge von den Arbeitgebern nun in die
    Sozialkassen gezahlt werden, dann ist das ein guter
    Schritt. Wenn daraus aber keine Leistungen resultieren,
    dann ist dieser Schritt doch viel zu kurz und halbherzig
    und verstößt außerdem gegen den Gleichheitsgrundsatz.
    Ich weiß nicht, wie Sie damit zum Beispiel vor dem
    Bundesverfassungsgericht bestehen wollen.

    Eines muß man deutlich sagen: Angesichts des von
    mir gerade beschriebenen vorrangigen Ziels, geringfügi-
    ge Beschäftigung im Interesse von Frauen zu regeln,
    sind wir damit keinen Schritt vorangekommen.


    (Beifall bei der PDS)

    Natürlich ist es richtig, daß mit dem vorgelegten Ge-

    setzentwurf durch die Beitragspflicht zur Renten- und
    Krankenversicherung die Flucht der Arbeitgeber aus
    dem sozialen Sicherungssystem endlich eingedämmt
    wird und die Chance besteht, die Finanzgrundlagen der
    Sozialkassen zu stabilisieren. Das erfreut mein Herz als
    Sozialpolitikerin. Für mich aber bleibt die zentrale Fra-
    ge: Was haben die betroffenen Frauen von diesem Ge-
    setz?

    Es ist ein bißchen haarspalterisch, Frau Dückert,
    wenn hier gesagt wird, diese Frauen müßten gar nichts
    bezahlen. Das ist doch Unsinn. Wenn sie Leistungen ha-
    ben wollen, dann müssen sie auch bezahlen, und zwar
    einen Beitrag in Höhe von knapp 50 DM. Und ich muß
    schon sagen: Bei 630 DM Einkommen sind 50 DM ein-
    fach unzumutbar. Ich kann nicht verstehen, warum Sie
    diesen Schritt nicht konsequent vollziehen. Wenn Sie
    schon die paritätische Finanzierung des Sozialsystems
    an dieser Stelle durchbrechen, warum tun Sie das dann
    nicht komplett? Warum zahlen die Arbeitgeber nicht,
    wie es im Gesetzentwurf der Gruppe der PDS aus der
    letzten Legislaturperiode enthalten war, bis zur Höhe
    des Existenzminimums beide Beitragsanteile? Das be-

    greife ich nicht. Hier sollten Sie wirklich konsequent
    sein.

    In der Tat ist der Grund für Ihr Vorgehen bezüglich
    der Krankenversicherung, das Solidarprinzip durch die
    Beiträge der Arbeitgeber weiter zu stärken. Sie halten
    damit an der Vorstellung fest, daß Frauen grundsätzlich
    durch zweite Hand versichert sind, ein Prinzip, von dem
    man sich aus frauenpolitischer Sicht endlich verabschie-
    den muß.


    (Beifall bei der PDS)

    Ein Drittes – das ist mir besonders wichtig –: keine

    Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das ist für
    mich völlig unverständlich, weil damit die geringfügig
    Beschäftigten weiterhin von arbeitspolitischen Maß-
    nahmen ausgeschlossen werden, von Fortbildung und
    Umschulung. Hier wäre eine Brücke zum Wiederein-
    stieg in den Arbeitsmarkt gegeben und auch die Chance
    auf existenzsichernde Beschäftigung in der Zukunft.


    (Beifall bei der PDS)

    Insgesamt glaube ich, daß, was die frauenpolitische

    Seite angeht, in diesem Gesetzentwurf eine Menge von
    Leerstellen bleibt. Ich glaube, es gibt noch viel zu tun.

    Nun zur Steuerseite. Sie wollen die geringfügige Be-
    schäftigung grundsätzlich steuerfrei stellen, wenn dies
    die einzige Einnahmequelle ist; das finde ich gut. Au-
    ßerdem wollen Sie die Einkünfte aus Nebenjobs besteu-
    ern; auch das halte ich für gut und längst überfällig.

    Frau Dückert, bei Ehefrauen, egal wie hoch die Ein-
    künfte ihrer Männer sind, soll das Einkommen aus der
    geringfügigen Beschäftigung steuerfrei bleiben. Ich fin-
    de dies richtig, und zwar deshalb, weil dies endlich nicht
    mehr das Klischee der Ehefrau als Zuverdienerin bedient
    und weil damit ein Schritt dahin gemacht wird, die tra-
    ditionellen Rollenmuster aufzubrechen. Natürlich weiß
    ich, daß dies dazu führen kann, daß einige Frauen dann
    ein nettes Taschengeld haben werden. Für die allermei-
    sten Frauen aber wird dies ein Schritt zu mehr Eigen-
    ständigkeit und Unabhängigkeit sein. Das müssen wir
    fördern; wir unterstützen dies. Dazu gehört aber auch,
    daß Sie sich zur Lösung des Problems des Ehegatten-
    splittings – erst dann ist dies konsequent – durchringen.


    (Beifall bei der PDS)

    Die gleiche Bezahlung von geringfügiger Beschäfti-

    gung in Ost und West endlich durchgesetzt zu haben
    halten wir unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung
    der Frauen für richtig. Wir unterstützen dies; denn es
    war den Frauen in Ostdeutschland nicht mehr zu er-
    klären – sie empfanden es als Demütigung –, warum sie
    100 DM weniger bekommen sollten.

    Aber unter beschäftigungspolitischen Aspekten ist es
    in der Tat ein riesengroßes Problem. Durch die geringe-
    ren Tarifeinkommen in Ostdeutschland entsteht nämlich
    die Situation, daß sich viele Frauen, die heute teilzeit-
    oder noch vollzeitbeschäftigt sind, überlegen werden, ob
    sie nicht mehr Geld in der Tasche haben, wenn sie auf
    eine geringfügige Beschäftigung ausweichen. Darin liegt
    für die Arbeitgeber die Chance, daß die Akzeptanz der
    geringfügigen Beschäftigung erhöht wird. Das ist eine

    Dr. Heidi Knake-Werner






    (A) (C)



    (B) (D)


    fatale Entwicklung für die Frauen und für die Sozialkas-
    sen.

    Für die Arbeitgeber ist es im wesentlichen ein Null-
    summenspiel. Die einzige Änderung für sie ist, daß sie
    in Zukunft die Pauschalsteuer, wie sie es in der Ver-
    gangenheit nicht selten gemacht haben, nun nicht mehr
    auf die abhängig Beschäftigten abwälzen können. Die
    Versicherungsbeiträge müssen sie tatsächlich zahlen.

    Aber trotzdem bringt den Arbeitgebern diese Rege-
    lung erhebliche Vorteile. Geringfügige Beschäftigung ist
    immer noch billiger als sozialversicherungspflichtige
    Beschäftigung. Viele Leistungen, die auch den gering-
    fügig Beschäftigten auf Grund tarifvertraglicher und ge-
    setzlicher Regelungen zustehen, werden ihnen die Ar-
    beitgeber weiterhin vorenthalten können. Das gilt zum
    Beispiel für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, für
    das Urlaubsgeld, für das Weihnachtsgeld und natürlich
    auch für den Kündigungsschutz. Das finde ich bedauer-
    lich. Die Arbeitgeber werden jede Chance nutzen, diese
    Vorteile in Anspruch zu nehmen. Daher glaube ich, daß
    sie sich nur zum Schein beklagen. In Wirklichkeit ist es
    die Lösung, die ihnen am meisten entgegenkommt.

    Zum Schluß noch eine Bemerkung. Gerade im Jahr
    der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hätte die Bundes-
    regierung mit einem beherzteren Gesetzentwurf zur Ein-
    dämmung geringfügiger Beschäftigung durchaus Punkte
    sammeln können. Auch diese Chance hat sie leider ver-
    paßt. Die Bundesrepublik Deutschland ist inzwischen
    neben Großbritannien das einzige Land in Europa, das
    sich noch diese Art von versicherungsfreier Beschäfti-
    gung in diesen Größenordnungen leistet. Dies nur zu
    dem immer wieder bemühten Argument von der Wett-
    bewerbsfähigkeit.

    Die Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes,
    Professor Ursula Nelles, stellt fest: Dieses Gesetz ist
    nicht nur ein frauenpolitisches Ärgernis, sondern auch
    ein Verstoß gegen das europäische Gleichbehand-
    lungsrecht. Ich denke, sie hat recht. Liebe Kolleginnen
    – das sage ich ganz bewußt –, es ist noch Zeit, uns ge-
    meinsam darauf zu besinnen, solche Peinlichkeiten in
    der Zukunft zu vermeiden.

    Danke schön.

    (Beifall bei der PDS)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat nun die
Kollegin Silvia Schmidt, SPD-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Silvia Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr geehrter Herr
    Präsident! Meine Damen und Herren! Als Neue muß ich
    gleich am Anfang feststellen: Die Opposition hört nicht
    richtig zu und kann auch nicht richtig addieren.


    (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das kommt ganz auf Ihre Rede an! – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Probieren Sie es einmal!)


    – Das ist sehr schön, Herr Schäuble. Ich danke Ihnen
    schon im voraus.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich werde es Ihnen als Neue einfach machen, meine
    Rede zu verfolgen und zu verstehen.

    Mit unserem Gesetzentwurf legen wir zu einem wei-
    teren, seit Jahren nicht gelösten Problem ein Reform-
    programm vor. Der Bundesminister für Arbeit hat schon
    darauf hingewiesen: Innerhalb von fünf Jahren hat sich
    die Zahl der geringfügig Beschäftigten um 1,1 Millionen
    erhöht. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Be-
    schäftigten ist aber um 2 Millionen zurückgegangen.

    16 Jahre lang war die alte Regierung nicht in der La-
    ge, diesen Mißstand auf dem Arbeitsmarkt aufzugreifen
    und zu beseitigen.


    (Beifall bei der SPD)

    Wenn ich an die F.D.P. denke, glaube ich, daß einige
    von Ihnen das auch gar nicht wollten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Sicherlich ist dies ein Grund, warum Sie jetzt dort sit-
    zen, wo Sie sitzen, nämlich auf der Oppositionsbank.

    Unser Gesetz ist ein weiterer Baustein in unserem
    Bemühen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die
    versicherungspflichtigen Arbeitsplätze zu erhalten; denn
    was eine Ausnahme von der Regel sein sollte, entwik-
    kelte sich zu einer Ursache für den Wegfall von sozial-
    versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen.

    Von den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen
    sind in allererster Linie Frauen betroffen. Der Anteil ge-
    ringfügig beschäftigter Frauen in Westdeutschland
    hat in den letzten zehn Jahren um 74 Prozent und in
    Ostdeutschland in den letzten fünf Jahren um 75 Pro-
    zent zugenommen. Allein in Sachsen-Anhalt – von dort
    komme ich – sind 84 Prozent der geringfügig Beschäf-
    tigten Frauen. Ähnlich sieht es in den anderen ostdeut-
    schen Ländern aus. Auch in den westdeutschen Ländern
    liegen die Zahlen noch bei über 70 Prozent.

    Frauen wollen arbeiten, wollen nicht ausgegrenzt
    werden und möchten auch gehört werden. Sie möchten
    aber nicht nur in diesen Billigjobformen beschäftigt
    sein. Sie wollen vor allen Dingen – das möchte ich noch
    einmal klarstellen – Vollzeitjobs haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Der eine oder andere behauptet ja, Frauen möchten
    die „drei Ks“ in Anspruch nehmen. Ich glaube, das ist
    nicht so. Nur 7 Prozent aller geringfügig beschäftigten
    Frauen üben diese Tätigkeit länger als 10 Jahre aus.
    20 Prozent sehen darin eine Chance für den beruflichen
    Wiedereinstieg. 22 Prozent dieser Frauen fehlt einfach
    die berufliche Alternative. Die meisten von ihnen sind
    jedoch auf dieses Einkommen angewiesen, und damit
    sind sie auch erpreßbar.

    Mit unserem Gesetz wird klargestellt: Auch 630-DM-
    Jobs sind Arbeitsverhältnisse, für die Regeln gelten
    müssen. Diese Regeln bestehen ja auch schon, wie rich-
    tig erkannt wurde. Geringfügig Beschäftigte haben An-
    spruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten

    Dr. Heidi Knake-Werner






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Urlaub, Kündigungsschutz und andere Arbeitnehmer-
    rechte. Aber – das ist das Neue – künftig müssen die
    Arbeitgeber darauf hinweisen und die Beschäftigten
    über ihre Rechte informieren; denn sonst werden sie re-
    greßpflichtig gemacht. Das war bis jetzt nicht der Fall.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Eine der für mich wichtigsten Änderungen – das muß
    ich wirklich einmal klarstellen; denn das, was hier
    manchmal dazu gesagt wird, finde ich schon eigenartig –
    betrifft die Rentenversicherung: Frauen und Männern
    wird die Möglichkeit eingeräumt, durch Zuzahlung in
    die Rentenversicherung, und zwar in Höhe von 7,5 Pro-
    zent, einen Rentenanspruch zu erwerben.

    Herr Dr. Kues, hören Sie bitte noch einmal zu: Na-
    türlich ist uns bewußt, daß 6,78 DM Rente im Monat für
    ein Jahr Arbeit bei einem Monatseinkommen von 630
    DM nicht viel ist. Allerdings beträgt der Eigenanteil
    auch nur 47,25 DM. Jetzt könnten Sie natürlich wieder
    etwas einwerfen. Aber dann müßte ich Ihnen sagen, daß
    Sie – Sie hatten ja am 19. Januar einen Gesetzentwurf
    eingebracht – die Ziffer 5 Ihres eigenen Gesetzentwurfes
    wahrscheinlich nicht kennen bzw. überflogen haben.
    Darin heißt es, daß Sie die gesetzliche Rentenversiche-
    rung auf die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
    ausdehnen wollen. Genau dies geschieht mit den 6,78
    DM, die wir als Option einführen. Ich verstehe daher die
    Diskussion nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Trotz der vielleicht geringen Höhe des erworbenen
    Rentenanspruchs ist dies ein wichtiger Schritt. Vor al-
    lem werden damit die Lücken in der Rentenbiographie
    geschlossen. Das ist gerade für Frauen, die nach der
    Wende oft aus der Beschäftigung herausgefallen sind,
    sich in der Sozialhilfe befinden und keinen Rentenan-
    spruch in dieser Zeit erwerben, wichtig. Ich bitte also,
    darüber nachzudenken – auch die liebe PDS.

    Zudem sollte man sich nicht nur auf die absoluten
    Zahlen konzentrieren. Wir müssen auch sehen, daß
    durch den Erwerb von Rentenansprüchen damit zusam-
    menhängende Ansprüche geschaffen werden: volle Be-
    rücksichtigung bei den Wartezeiten, Entgeltpunktbe-
    rechnung, Rehabilitation – ganz wichtig –, Rente nach
    Mindesteinkommen, Schutz vor Berufsunfähigkeit
    und Erwerbsunfähigkeit, vorgezogene Altersgrenzen.

    Alles zusammen trägt dazu bei, daß die sozial- und
    arbeitsrechtliche Lage der geringfügig Beschäftigten
    verbessert wird; denn oft werden sie ja als Ausputzer
    und intelligenzgeminderte Menschen dargestellt, die
    keine Ahnung von dem haben, was sie eigentlich ma-
    chen. Diese Diskriminierung dürfen wir nicht unbeachtet
    lassen.


    (Beifall bei der SPD)

    Für mich gehen Frauen aus dieser Gesetzgebung so-

    zial gestärkt hervor. Die bisher häufig zu beobachtende
    Ausnutzung der geringfügig Beschäftigten, die auf die-
    sen Verdienst angewiesen sind, wird gestoppt. Schutz-
    rechte werden ihnen nicht länger vorenthalten.

    Unser Gesetz ist zugleich auch ein wichtiges Instru-
    ment zum Erhalt von Arbeitsplätzen. Wir erwarten, daß
    damit die zunehmende Zahl der geringfügigen Beschäf-
    tigungsverhältnisse zu Lasten von Voll- und Teilzeitar-
    beitsplätzen eingedämmt wird. Besonders in Ost-
    deutschland wurden aus sogenannten Kostenersparnis-
    gründen – das müßte besonders die F.D.P. wissen – Ar-
    beitsverhältnisse in geringfügige Beschäftigungsverhält-
    nisse umgewandelt. Zudem sind mehrere tausend Ar-
    beitsplätze verlorengegangen. Jetzt läuft auch noch das
    ABM-Wahlgeschenk aus. Ich möchte da aus meinem
    Wahlkreis Sangerhausen/Mansfelder Land eine Zahl
    nennen: Wir sind jetzt wieder bei 24,1 Prozent Arbeits-
    losen. Wahlversprechungen sollten gehalten werden,
    aber Sie konnten es nicht.

    Die erhebliche Umwandlung in geringfügige Be-
    schäftigungsverhältnisse ist mit eine Folge der Um-
    strukturierung der Wirtschaft in den neuen Ländern und
    hängt natürlich auch mit der Strukturverschiebung hin
    zum Dienstleistungsgewerbe zusammen. Das mag mit
    eine Erklärung sein. Nichtsdestotrotz sind Arbeitslosen-
    zahlen von bis zu 25 und 30 Prozent in vielen Regionen
    der neuen Länder alarmierend. Dort können wir keine
    geringfügige Beschäftigung brauchen, sondern dort be-
    nötigen wir Teilzeit- und Vollzeitarbeitsplätze.

    Wir rechnen damit, daß unser Gesetz die Ausweitung
    des Mißbrauchs der 630-DM-Jobs eindämmen wird;
    denn die Arbeitgeber müssen künftig steuerfrei gezahlte
    Löhne auf den Lohnsteuerkarten der geringfügig Be-
    schäftigten eintragen. Dadurch wird eine bessere Kon-
    trolle möglich.

    Hat ein Arbeitnehmer mehrere solcher Jobs, werden
    sie auf der Lohnsteuerkarte zusammengerechnet, ent-
    sprechend behandelt und nach den allgemeinen steuerli-
    chen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen
    abgewogen. So verlieren sie ein Stückchen an Attrakti-
    vität, und Angebot und Nachfrage sinken. Zugleich wird
    dafür gesorgt, daß die Arbeitsstunden für den Arbeitge-
    ber nicht mehr unterschiedliche Kosten verursachen.

    Außerdem wird mit unserem Gesetz ein weiteres Ziel
    der Bundesregierung erreicht, nämlich der Erosion der
    Finanzgrundlagen der beitragsfinanzierten Sozialversi-
    cherungen entgegenzuwirken. Die Aufsplittung von so-
    zialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen in ge-
    ringfügige Beschäftigungsverhältnisse hat beiden Sozi-
    alversicherungssystemen Milliardenbeträge entzogen.
    Unser Gesetzentwurf wird dazu führen, daß diesen Ver-
    sicherungssystemen noch in diesem Jahr 3,4 Milliarden
    DM zugeführt werden.


    (Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das hätten Sie gern!)


    – Das wird so sein, Frau Schwaetzer.
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, lassen

    Sie mich in diesem Zusammenhang fragen: Welche
    Wirklichkeit nehmen Sie eigentlich noch wahr, wenn
    Sie der Meinung sind – ich zitiere aus dem von Ihnen
    vorliegenden Antrag –:

    Aufgrund des enormen Kostendrucks, dem sich
    viele Unternehmen und Selbständige gegenüberse-

    Silvia Schmidt (Eisleben)







    (A) (C)



    (B) (D)


    hen, besteht die Gefahr, daß künftig zunehmend so-
    zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält-
    nisse in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse
    umgewandelt werden und damit die Finanzgrund-
    lage der sozialen Sicherungssysteme erodiert.

    Richtig, meine Damen und Herren von der Opposi-
    tion, aber diese Tendenz besteht schon seit Jahren, und
    Sie haben 16 Jahre lang nicht gehandelt. Was soll das al-
    so?


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Da kann ich wirklich nur noch sagen: Wer zu spät
    kommt, den bestraft der Wähler.

    Zum Schluß möchte ich nochmals betonen: Unser
    Gesetzentwurf ist ein erheblicher sozialpolitischer Fort-
    schritt. Nicht alle wünschenswerten Forderungen wer-
    den erfüllt. Das kann aber bei der Komplexität dieses
    Themas auch nicht gewährleistet werden. Wichtig für
    die SPD-Fraktion ist: Geringfügige Beschäftigungen
    werden zu ordentlichen Arbeitsverhältnissen entwickelt,
    die den Arbeitnehmern ihre Rechte zusichern.

    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)