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ID1401701500

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    Vokabeln: 6
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    2. Wort: 1
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    5. Knake-Werner,: 1
    6. PDS-Fraktion.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/17 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 17. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Drucksache 14/280) ....................................................... 1143 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktion der CDU/CSU Beschäftigung fördern – soziale Siche- rung verbessern – Flexibilisierung er- halten (Drucksache 14/290)....................... 1143 B Walter Riester, Bundesminister BMA ............. 1143 C Dr. Hermann Kues CDU/CSU......................... 1145 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD ........................ 1146 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1148 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P......................... 1151 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS ......................... 1153 C Silvia Schmidt (Eisleben) SPD ........................ 1155 B Julius Louven CDU/CSU................................. 1157 B Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 1159 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU................... 1161 C Dr. Maria Böhmer CDU/CSU............... 1162 A, 1167 B Heinz Schemken CDU/CSU............. 1163 B, 1170 A Konrad Gilges SPD........................... 1163 C, 1164 A Dr. Ilja Seifert PDS...................................... 1164 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD................. 1165 A, 1166 B Anette Kramme SPD ....................................... 1167 D Johannes Singhammer CDU/CSU................... 1169 B Wolfgang Weiermann SPD ............................. 1170 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P..................... 1171 B Margot von Renesse SPD ............................ 1171 D Zusatztagesordnungspunkt 6:1171 D Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu dem Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 19. Januar 1999 zur steuerlichen Behandlung von Kin- derbetreuungskosten und Haushalts- freibetrag bei Ehepaaren im Zusam- menhang mit der aktuellen Behandlung des Steuerentlastungsgesetzes und seiner haushalterischen Auswirkungen ............... 1173 A Dr. Barbara Höll PDS...................................... 1173 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF................................................................. 1174 B Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU........................................................ 1175 D Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN............................................ 1176 D Gisela Frick F.D.P. .......................................... 1177 D Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ........................................................... 1179 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 1180 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 1181 D Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 1183 A Nicolette Kressl SPD ....................................... 1184 B II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 Norbert Barthle CDU/CSU.............................. 1185 B Lydia Westrich SPD ........................................ 1186 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ................ 1187 B Ingrid Matthäus-Maier SPD............................. 1188 B Nächste Sitzung ............................................... 1189 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 1191 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen..................................... 1192 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 1143 (A) (C) (B) (D) 17. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Januar 1999 Beginn: 9.00 Uhr
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    Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20 Bundespräsident Dr. Roman Herzog
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident!
    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige von Ihnen ha-
    ben es selber zugegeben, daß sie in der Steuer- und So-
    zialpolitik einen Fehlstart hingelegt haben. Einige haben
    auch dazu gesagt, daß sie jetzt einmal eine Denkpause
    nehmen wollten. Leider – das zeigen die vorliegenden
    Seiten – haben Sie diese Denkpause für die 630-Mark-
    Verträge nur dazu genutzt, Regelungen vorzuschlagen,
    die aufs höchste verfassungsrechtlich bedenklich sind,
    sozialpolitisch nicht zu den Effekten führen, die Sie da-
    mit im Auge haben, und arbeitsmarktpolitisch ausge-
    sprochen negativ wirken.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie haben einen Gesetzentwurf zusammengeschu-
    stert, der in seiner Widersprüchlichkeit und Kompli-
    ziertheit wirklich nicht zu überbieten ist.


    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Es gibt 57 Druckseiten – das muß man sich einmal vor-
    stellen – für die Regulierung der geringfügigen Be-
    schäftigung. Das ist wirklich eine Höchstleistung. Sie
    wird zu nichts anderem führen als zu mehr Schwarzar-
    beit und nichts sonst.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es beginnt schon mit dem Festschreiben der Versi-
    cherungsfreigrenze. Verbal wollen Sie Arbeitnehmern
    und Betrieben die notwendige Flexibilität erhalten. Das
    hat schließlich Ihr Kanzler versprochen. Herr Riester hat
    es heute morgen wiederholt. Aber tatsächlich frieren Sie
    diese Flexibilität ein. Das ist nichts anderes als der Tod
    auf Raten für den sich schon heute in einem engen
    Rahmen bewegenden Rest an individueller Gestaltung
    auf dem Arbeitsmarkt. – Nein, Sie können diese Be-
    schäftigungsverhältnisse nicht abschaffen. Aber Sie
    würgen sie ab. Das ist auch so gewollt; denn das ist der
    Kompromiß zwischen den Versprechen Ihres Kanzlers
    und der Ideologie von Rotgrün.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie vernichten weitere Arbeitsplätze; denn mit der
    Zusammenlegung von Haupt- und Nebenbeschäfti-
    gung und der Abschaffung der individuellen Freigrenze
    wird natürlich das Arbeitsverhältnis auch für den Ar-
    beitgeber teurer.

    Daß es Ihnen, meine Damen und Herren, nur um
    schlichtes Abkassieren geht, das zeigt doch – Frau Dük-
    kert, da müssen Sie irgend etwas nicht richtig mitbe-

    Dr. Thea Dückert






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    kommen haben –, daß Sie Beiträge von den Arbeitge-
    bern erheben, aber die Arbeitnehmer im Regelfall kei-
    nerlei zusätzliche Ansprüche haben.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Da können Sie auch nicht mit Ihrer etwas schiefen Ar-
    gumentation kommen, sie seien über die Familienmit-
    versicherung krankenversichert. Bei den Beamten kas-
    sieren Sie genauso ab, und die erhalten nichts aus der
    gesetzlichen Krankenversicherung. In der Rentenversi-
    cherung entstehen regelmäßig keine Ansprüche. Genau-
    sowenig wie die ausschließlich geringfügig Beschäftig-
    ten, für die Sie Pauschalbeiträge einführen, die vom Ar-
    beitgeber zu zahlen sind, bekommen diejenigen, die eine
    Nebenbeschäftigung haben, eine Gegenleistung für diese
    Beiträge.

    Ich muß schon sagen: Im Abkassieren haben Sie in
    den ersten 100 Tagen Ihrer Regierung schon beachtliche
    Kreativität entwickelt.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Darauf muß man ja erst einmal kommen. Ich versuche,
    mir vorzustellen, was Sie uns gesagt hätten, wenn wir in
    der vergangenen Legislaturperiode an irgendeiner Stelle
    eine solche Regelung vorgeschlagen hätten.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, Frauenverbände und Ge-

    werkschaften haben Sie damit auch auf die Palme ge-
    bracht. Wenn ich mir heute morgen die Fraktion der
    Grünen anschaue, frage ich mich, warum eigentlich kei-
    ne Frauenpolitikerin redet und warum sich die Begeiste-
    rung für die Rede der Kollegin Dückert, die sich ja
    wirklich große Mühe gegeben hat, sehr in Grenzen hielt.
    Das zeigt doch schon, daß Sie mit den vorliegenden Re-
    gelungen selber nicht im reinen sind.

    Sie sind lautstark ausgezogen, den Sozialversiche-
    rungsschutz zu verbessern. Dabei wirkt das schlechte
    Gewissen richtig menschlich, das Sie bei Ihrem Pau-
    schalbeitrag plagt; denn nichts anderes hat dazu geführt,
    daß Sie die Optionsmöglichkeit erfunden haben. Die be-
    schränkt sich nun allerdings auf die Rentenversicherung,
    bei der man dann für 58,60 DM im Monat den Anspruch
    auf die Kur, auf die Invalidenversorgung und auf die
    spätere Berechnung der Rente nach Mindesteinkommen
    erwerben kann. Wir geben zu, daß Sie mit dem Schlie-
    ßen von möglichen Beitragslücken einen richtigen Punkt
    zu fassen versucht haben. Aber was sagen Sie eigentlich
    der Krankenschwester, die Monat für Monat eine große
    Leistung erbringen muß, um einen solchen Versiche-
    rungsschutz zu bekommen? Ist das wirklich gerecht?
    Entspricht das Ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit
    gegenüber den Krankenschwestern und denjenigen, die
    sich sehr mühsam durchs Leben schlagen müssen? Ich
    kann mir das nicht vorstellen.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Im übrigen gehe ich davon aus, daß Sie nicht damit
    rechnen, später die Veränderungen in der gesetzlichen
    Rentenversicherung vornehmen zu müssen, wenn die

    Beitragszahler diese zusätzlichen Ansprüche bezahlen
    müssen.

    Auch im Betriebsverfassungsrecht schrecken Sie
    nicht vor Verfassungsverstößen zurück. Sie haben zwar
    mühsam eingesehen, daß Sie die ungeliebten 630-DM-
    Verträge nicht verbieten können. Dem steht ja schließ-
    lich das Grundrecht auf Berufsfreiheit entgegen. Des-
    halb verbietet Ihnen Art. 12 des Grundgesetzes aber
    auch, den Abschluß dieser Verträge durch die Hintertür
    des Betriebsverfassungsgesetzes zu erschweren. Der Ar-
    beitgeber entscheidet auf Grund seiner unternehmeri-
    schen Entscheidungsfreiheit, die von der Verfassung her
    mitbestimmungsfrei ist – das wissen Sie ganz genau –,
    in welchem Umfang er solche Verträge anbietet. Der
    Arbeitnehmer entscheidet auf Grund seiner Vertrags-
    freiheit – in gleicher Weise verfassungsrechtlich ge-
    schützt –, ob er ein solches Angebot annimmt. Ein Veto-
    recht des Betriebsrats ist deshalb mit Art. 12 des Grund-
    gesetzes nicht zu vereinbaren.


    (Beifall bei der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    Sie winken da jetzt so ab. Ich bin ganz sicher, daß Ih-
    nen das die Sachverständigen bei der Anhörung noch
    sagen werden. Und wir werden ganz bestimmt gerade
    darüber bei den Ausschußberatungen noch zu reden ha-
    ben. Ich hoffe zumindest, daß Sie dieses Mal mit uns ei-
    ne sachliche Debatte dazu führen und es nicht so wie bei
    dem letzten Gesetzentwurf machen, wo auf unsere Fra-
    gen von Ihrer Fraktion nicht einmal geantwortet wurde,
    geschweige denn irgendein Beitrag zur Auflösung von
    Widersprüchlichkeiten geliefert wurde. Ich bitte darum,
    auf unsere Fragen doch ein wenig mehr Antwort zu ge-
    ben.

    Kommen wir zum Steuerrecht. Sie wollen schließ-
    lich das Wort Ihres Kanzlers einhalten und die 630-DM-
    Verträge von der Lohnsteuer ausnehmen. Dies muß
    mißlingen. Ihr Entwurf zeigt das auch. Es ist wirklich
    Krampf, was Sie dazu in Ihren Gesetzentwurf hineinge-
    schrieben haben. In Ihrer Ausschlußklausel steht: Wenn
    zu den 630 DM weitere Einkünfte kommen, gleichgültig
    in welcher Höhe und woher, fällt die Lohnsteuerfreiheit
    wieder weg.

    Schauen wir uns doch einmal an, welche Einkünfte
    das sein können: Zinseinnahmen aus Bausparverträgen –
    Lohnsteuerfreiheit weg; Einnahmen aus Vermietung und
    Verpachtung des selbstgenutzten Eigenheims – Lohn-
    steuerfreiheit weg. Für diesen Teil des Gesetzentwurfes
    trägt niemand sonst die politische Verantwortung als Ihr
    Spitzenmann, der SPD-Vorsitzende und Finanzminister
    Oskar Lafontaine.

    Das Nächste ist nun wirklich ein tolles Stück – ich
    bin deswegen ganz sicher, daß Sie sich auch das noch
    einmal anschauen müssen –: Nach Ihrem Vorschlag
    bleibt die verheiratete Arbeitnehmerin mit einem 630-
    DM-Vertrag ohne eigenes Haus, ohne Bausparvertrag –
    für diese Arbeitnehmerin leistet im übrigen der Ehe-
    mann Unterhalt – lohnsteuerfrei. Die geschiedene Ar-
    beitnehmerin, der der Exehemann wegen Kindererzie-
    hung Unterhalt zahlen muß, hat dadurch weitere Ein-
    künfte. Sie wird mit ihren 630 DM lohnsteuerpflichtig.

    Dr. Irmgard Schwaetzer






    (A) (C)



    (B) (D)


    Halten Sie das eigentlich für gerecht? Halten Sie das für
    eine von irgend jemandem überhaupt noch nachvoll-
    ziehbare Regelung?


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Anscheinend!)


    Stellen Sie sich vor, meine Partei hätte eine solche
    Klausel vorgeschlagen. Sie hätten uns sofort die Privile-
    gierung der Millionärsgattin und die Bestrafung der Ar-
    beiterfrau unterstellt.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Aber Sie wischen das alles mit einer Handbewegung so
    weg. Diese Regelungen werden die von Ihnen so gelobte
    Steuerfreiheit zu einem Märchen werden lassen.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Dies wird keine Brücke zurück in den Arbeitsmarkt für
    Frauen nach der Erziehungsphase. Denn wer sollte sol-
    che Arbeitsplätze noch anbieten? Außer einem Großbe-
    trieb verfügt wirklich niemand über die personellen Ka-
    pazitäten, um Ihre komplizierten Regelungen umzuset-
    zen. Sie führen die Frauen hinters Licht.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Sie sind in dieser Legislaturperiode mit dem Willen

    und dem Versprechen angetreten, Ordnung auf dem Ar-
    beitsmarkt zu schaffen. Aber Ordnung um welchen
    Preis? Um den Preis der Todregulierung des letzten biß-
    chen Flexibilität, das es bis heute überhaupt noch gege-
    ben hat.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie haben so eine Art unglückliche Liebe zu dem Be-
    griff der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Sie kennen
    Flexibilität und Transparenz nur in den Reden Ihres Ar-
    beitsministers, aber nicht wirklich in Ihren Regeln.


    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ziehen Sie deshalb die notwendige Konsequenz, und
    verzichten Sie auf dieses Gesetz! Es ist nicht frauen-
    freundlich, es führt in die Schwarzarbeit, und deswegen
    ist es überflüssig.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Auch Ihre eigenen Wähler würden Ihnen den Ab-
    schied von diesem Gesetz sicherlich danken. Sie schik-
    ken nämlich Kopien der Protestschreiben, die an Sie ge-
    hen, auch an uns. Nachdem Sie die Handelsvertreter und
    die übrigen Selbständigen schon bisher mit Ihren Ge-
    setzgebungskünsten auf die Palme gebracht haben, krie-
    gen wir jetzt auch noch die Briefe all derer aus den Ge-
    werkschaften, die diese Ihre Regelungen nicht haben
    wollen.


    (Konrad Gilges [SPD]: Das kann ich mir nicht vorstellen, daß anständige Gewerkschafter Ihnen einen Brief schreiben! Nein, das glaube ich nicht!)


    Diese Briefflut hat die Opposition nun wirklich nicht
    verdient.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Höchstens vom CGB und vom Beamtenbund!)


    Eine Anhörung zu Ihrem Meisterwerk werden wir Ih-
    nen natürlich nicht ersparen. Über die Bewertung durch
    unabhängige Sachverständige sollten Sie sich keine Illu-
    sionen machen. Deswegen appelliere ich schon heute an
    Sie: Entwickeln Sie die Fähigkeit zur Selbstkritik!

    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Kolle-
gin Knake-Werner, PDS-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heidi Knake-Werner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident!
    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin
    Schwaetzer, mit der Fähigkeit zur Selbstkritik ist das ja
    immer so eine Sache. Ich hätte mir in den letzten 16 Jah-
    ren auch einmal eine so engagierte Rede von Ihnen ge-
    wünscht, wie Sie sie jetzt als Vertreterin einer Opposi-
    tionspartei vortragen. Wenn Sie hier gegen das Abkas-
    sieren wettern, dann haben Sie wohl schon wieder ver-
    gessen, wo Sie in den letzten Jahren hingelangt haben
    und bei wem Sie in die Taschen gegriffen haben.


    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Tendenz steigend“
    war seit vielen Jahren die Prognose für die Entwicklung
    geringfügiger Beschäftigung. Was einstmals als Aus-
    nahme gedacht war, ist zur Regel geworden. Wer hier
    Mißbrauch betrieben hat, ist ziemlich eindeutig: Das wa-
    ren die Arbeitgeber, die immer hemmungsloser und
    schamloser sowie zum Teil mißbräuchlich die Möglich-
    keit versicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse ge-
    nutzt haben. Auch das will ich wegen des Kurzzeitge-
    dächtnisses der alten Bundesregierung sagen: Sie haben
    dabei nicht selten Schmiere gestanden.

    Ich will nur ein Gesetz nennen, das dazu beigetragen
    hat, daß Zehntausende versicherungspflichtige in versi-
    cherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt
    wurden: Das war das Ladenschlußgesetz, das zu einer
    unsäglichen und völlig überflüssigen Ausweitung der
    Ladenöffnungszeiten geführt hat.


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Sie hat bewirkt, daß heute in manchen Drogeriemärkten
    und -ketten bis zu 70 Prozent der Beschäftigten in ge-
    ringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, das heißt: ver-
    sicherungsfrei, arbeiten.

    Nun liegt der Gesetzentwurf der neuen Regierung
    vor. Nach dem peinlichen Schnellschuß des Bundes-
    kanzlers vom November ist Ihnen leider weder sozial-
    politisch noch frauenpolitisch der große Wurf gelungen.
    Ich denke, Sie haben kaum eines der im Zusammenhang

    Dr. Irmgard Schwaetzer






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    mit geringfügiger Beschäftigung anstehenden Probleme
    gelöst. Ich finde, daß hier – das bedauere ich sehr – eine
    wichtige Chance zu grundlegenden Veränderungen ver-
    tan worden ist. Es ist Ihnen weder gelungen, die Soli-
    dargemeinschaft insgesamt zu stärken, noch ist es Ihnen
    gelungen, auf die Lebenssituation der Frauen wirklich
    einzugehen.

    Wir von der Linken hier im Hause waren uns doch in
    den letzten Jahren völlig einig darin, daß geringfügige
    Beschäftigung ein Problem ist, das vor allen Dingen
    Frauen betrifft, da ihnen Arbeitsverhältnisse zugemutet
    werden, die keinen sozialen Schutz bieten, bei denen sie
    dem Heuern und Feuern ausgesetzt sind und mit dem
    Druck der Altersarmut leben müssen. Das wollten wir
    verändern. Nach unseren Vorstellungen sollte diesen
    Frauen mehr soziale und arbeitsrechtliche Sicherheit ge-
    geben werden. Dafür haben wir ja übrigens auch ge-
    meinsam in Bündnissen mit Gewerkschafterinnen und
    Vertreterinnen der Kirchen, mit dem Frauenrat und an-
    deren gestritten. Dieses sollte der Kernpunkt einer neuen
    gesetzlichen Regelung sein. Deshalb haben auch wir von
    der PDS schon sehr frühzeitig gefordert, daß jede be-
    zahlte Arbeitsstunde versicherungspflichtig gemacht
    wird, für sie also Beiträge in die Sozialkassen zu zahlen
    sind.

    Wenn diese Beiträge von den Arbeitgebern nun in die
    Sozialkassen gezahlt werden, dann ist das ein guter
    Schritt. Wenn daraus aber keine Leistungen resultieren,
    dann ist dieser Schritt doch viel zu kurz und halbherzig
    und verstößt außerdem gegen den Gleichheitsgrundsatz.
    Ich weiß nicht, wie Sie damit zum Beispiel vor dem
    Bundesverfassungsgericht bestehen wollen.

    Eines muß man deutlich sagen: Angesichts des von
    mir gerade beschriebenen vorrangigen Ziels, geringfügi-
    ge Beschäftigung im Interesse von Frauen zu regeln,
    sind wir damit keinen Schritt vorangekommen.


    (Beifall bei der PDS)

    Natürlich ist es richtig, daß mit dem vorgelegten Ge-

    setzentwurf durch die Beitragspflicht zur Renten- und
    Krankenversicherung die Flucht der Arbeitgeber aus
    dem sozialen Sicherungssystem endlich eingedämmt
    wird und die Chance besteht, die Finanzgrundlagen der
    Sozialkassen zu stabilisieren. Das erfreut mein Herz als
    Sozialpolitikerin. Für mich aber bleibt die zentrale Fra-
    ge: Was haben die betroffenen Frauen von diesem Ge-
    setz?

    Es ist ein bißchen haarspalterisch, Frau Dückert,
    wenn hier gesagt wird, diese Frauen müßten gar nichts
    bezahlen. Das ist doch Unsinn. Wenn sie Leistungen ha-
    ben wollen, dann müssen sie auch bezahlen, und zwar
    einen Beitrag in Höhe von knapp 50 DM. Und ich muß
    schon sagen: Bei 630 DM Einkommen sind 50 DM ein-
    fach unzumutbar. Ich kann nicht verstehen, warum Sie
    diesen Schritt nicht konsequent vollziehen. Wenn Sie
    schon die paritätische Finanzierung des Sozialsystems
    an dieser Stelle durchbrechen, warum tun Sie das dann
    nicht komplett? Warum zahlen die Arbeitgeber nicht,
    wie es im Gesetzentwurf der Gruppe der PDS aus der
    letzten Legislaturperiode enthalten war, bis zur Höhe
    des Existenzminimums beide Beitragsanteile? Das be-

    greife ich nicht. Hier sollten Sie wirklich konsequent
    sein.

    In der Tat ist der Grund für Ihr Vorgehen bezüglich
    der Krankenversicherung, das Solidarprinzip durch die
    Beiträge der Arbeitgeber weiter zu stärken. Sie halten
    damit an der Vorstellung fest, daß Frauen grundsätzlich
    durch zweite Hand versichert sind, ein Prinzip, von dem
    man sich aus frauenpolitischer Sicht endlich verabschie-
    den muß.


    (Beifall bei der PDS)

    Ein Drittes – das ist mir besonders wichtig –: keine

    Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das ist für
    mich völlig unverständlich, weil damit die geringfügig
    Beschäftigten weiterhin von arbeitspolitischen Maß-
    nahmen ausgeschlossen werden, von Fortbildung und
    Umschulung. Hier wäre eine Brücke zum Wiederein-
    stieg in den Arbeitsmarkt gegeben und auch die Chance
    auf existenzsichernde Beschäftigung in der Zukunft.


    (Beifall bei der PDS)

    Insgesamt glaube ich, daß, was die frauenpolitische

    Seite angeht, in diesem Gesetzentwurf eine Menge von
    Leerstellen bleibt. Ich glaube, es gibt noch viel zu tun.

    Nun zur Steuerseite. Sie wollen die geringfügige Be-
    schäftigung grundsätzlich steuerfrei stellen, wenn dies
    die einzige Einnahmequelle ist; das finde ich gut. Au-
    ßerdem wollen Sie die Einkünfte aus Nebenjobs besteu-
    ern; auch das halte ich für gut und längst überfällig.

    Frau Dückert, bei Ehefrauen, egal wie hoch die Ein-
    künfte ihrer Männer sind, soll das Einkommen aus der
    geringfügigen Beschäftigung steuerfrei bleiben. Ich fin-
    de dies richtig, und zwar deshalb, weil dies endlich nicht
    mehr das Klischee der Ehefrau als Zuverdienerin bedient
    und weil damit ein Schritt dahin gemacht wird, die tra-
    ditionellen Rollenmuster aufzubrechen. Natürlich weiß
    ich, daß dies dazu führen kann, daß einige Frauen dann
    ein nettes Taschengeld haben werden. Für die allermei-
    sten Frauen aber wird dies ein Schritt zu mehr Eigen-
    ständigkeit und Unabhängigkeit sein. Das müssen wir
    fördern; wir unterstützen dies. Dazu gehört aber auch,
    daß Sie sich zur Lösung des Problems des Ehegatten-
    splittings – erst dann ist dies konsequent – durchringen.


    (Beifall bei der PDS)

    Die gleiche Bezahlung von geringfügiger Beschäfti-

    gung in Ost und West endlich durchgesetzt zu haben
    halten wir unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung
    der Frauen für richtig. Wir unterstützen dies; denn es
    war den Frauen in Ostdeutschland nicht mehr zu er-
    klären – sie empfanden es als Demütigung –, warum sie
    100 DM weniger bekommen sollten.

    Aber unter beschäftigungspolitischen Aspekten ist es
    in der Tat ein riesengroßes Problem. Durch die geringe-
    ren Tarifeinkommen in Ostdeutschland entsteht nämlich
    die Situation, daß sich viele Frauen, die heute teilzeit-
    oder noch vollzeitbeschäftigt sind, überlegen werden, ob
    sie nicht mehr Geld in der Tasche haben, wenn sie auf
    eine geringfügige Beschäftigung ausweichen. Darin liegt
    für die Arbeitgeber die Chance, daß die Akzeptanz der
    geringfügigen Beschäftigung erhöht wird. Das ist eine

    Dr. Heidi Knake-Werner






    (A) (C)



    (B) (D)


    fatale Entwicklung für die Frauen und für die Sozialkas-
    sen.

    Für die Arbeitgeber ist es im wesentlichen ein Null-
    summenspiel. Die einzige Änderung für sie ist, daß sie
    in Zukunft die Pauschalsteuer, wie sie es in der Ver-
    gangenheit nicht selten gemacht haben, nun nicht mehr
    auf die abhängig Beschäftigten abwälzen können. Die
    Versicherungsbeiträge müssen sie tatsächlich zahlen.

    Aber trotzdem bringt den Arbeitgebern diese Rege-
    lung erhebliche Vorteile. Geringfügige Beschäftigung ist
    immer noch billiger als sozialversicherungspflichtige
    Beschäftigung. Viele Leistungen, die auch den gering-
    fügig Beschäftigten auf Grund tarifvertraglicher und ge-
    setzlicher Regelungen zustehen, werden ihnen die Ar-
    beitgeber weiterhin vorenthalten können. Das gilt zum
    Beispiel für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, für
    das Urlaubsgeld, für das Weihnachtsgeld und natürlich
    auch für den Kündigungsschutz. Das finde ich bedauer-
    lich. Die Arbeitgeber werden jede Chance nutzen, diese
    Vorteile in Anspruch zu nehmen. Daher glaube ich, daß
    sie sich nur zum Schein beklagen. In Wirklichkeit ist es
    die Lösung, die ihnen am meisten entgegenkommt.

    Zum Schluß noch eine Bemerkung. Gerade im Jahr
    der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hätte die Bundes-
    regierung mit einem beherzteren Gesetzentwurf zur Ein-
    dämmung geringfügiger Beschäftigung durchaus Punkte
    sammeln können. Auch diese Chance hat sie leider ver-
    paßt. Die Bundesrepublik Deutschland ist inzwischen
    neben Großbritannien das einzige Land in Europa, das
    sich noch diese Art von versicherungsfreier Beschäfti-
    gung in diesen Größenordnungen leistet. Dies nur zu
    dem immer wieder bemühten Argument von der Wett-
    bewerbsfähigkeit.

    Die Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes,
    Professor Ursula Nelles, stellt fest: Dieses Gesetz ist
    nicht nur ein frauenpolitisches Ärgernis, sondern auch
    ein Verstoß gegen das europäische Gleichbehand-
    lungsrecht. Ich denke, sie hat recht. Liebe Kolleginnen
    – das sage ich ganz bewußt –, es ist noch Zeit, uns ge-
    meinsam darauf zu besinnen, solche Peinlichkeiten in
    der Zukunft zu vermeiden.

    Danke schön.

    (Beifall bei der PDS)