Rede von
Hannelore
Rönsch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
gehört schon einiger Mut dazu, dieses Steuerbelastungs-
gesetz, das Sie uns heute vorgelegt haben, als Entlastung
der Familien zu verkaufen.
Im Gegensatz zu einigen meiner Kollegen habe ich
durchaus Verständnis dafür, daß der Finanzminister an
dieser Debatte nicht teilnehmen will;
denn das, was uns heute von der Regierungskoalition
geboten wurde, ist eine schlichte Zumutung. Sie haben
ein sogenanntes Steuerentlastungsgesetz vorgelegt, und
dies ist nichts anderes als eine großangelegte semanti-
sche Täuschung der Familien.
In 78 Einzelpunkten werden Familien von Ihnen zur
Kasse gebeten. Frau Kollegin Kressl, ich nehme es Ih-
nen nicht übel, weil Sie Neuling im Parlament sind – –
– Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der
SPD, die Sie soeben gelacht haben und schon länger
dem Parlament angehören, nehme ich übel, daß Sie die-
se neue Kollegin nicht darüber aufgeklärt haben, was – –
– Schon vier Jahre dabei? Um so schlimmer, dann hätten
Sie vielleicht das eine oder andere an Familienpolitik
schon mitbekommen müssen.
Ich werde dies heute nicht noch einmal wiederholen;
denn dann hatten Sie ja in vier Jahren Gelegenheit, in
den unterschiedlichen Ausschüssen zu sehen, was die
alte Bundesregierung für die Familien geleistet hat.
Sie haben sich damit gebrüstet, eine Kindergelderhö-
hung für das erste und das zweite Kind vorzulegen. Was
tun Sie denn für die Familien mit mehr als zwei Kin-
dern? Nichts!
Die werden durch das heute zu beratende Steuerbela-
stungsgesetz und durch das Energiebesteuerungsgesetz,
das wir demnächst beraten werden, vielfach zur Kasse
gebeten.
Sie haben davon gesprochen, daß der Grundfreibetrag
erhöht wird. Haben Sie einmal nachgerechnet, was das
bringt? Das sind schlappe 3,50 DM. Dafür lohnt sich der
Weg von da drüben bis hierher gar nicht.
Im Wahlkampf haben Sie versprochen: Das Kinder-
geld wird erhöht. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie
vorher nachgerechnet und gemerkt haben, daß dies
5,8 Milliarden DM kostet. Jetzt wissen Sie nicht, wie
das Ganze finanziert werden soll.
In dieser neuen Koalition ist das Chaos so groß, daß
Mittwoch und Donnerstag noch einmal beraten werden
mußte. Da wurde von den Grünen gesagt, man sei sich
gar nicht klar darüber, welche haushaltsrechtlichen
Auswirkungen dieses Vorhaben hätte. Da weiß doch die
eine Linke nicht, was die andere Linke tut. Aber uns
wird heute zugemutet, ein solches Gesetz in Abwesen-
heit des Finanzministers zu beraten.
Ich bin auch erstaunt darüber, daß sich die Grünen
heute hier hinstellen und dieses Gesetz vollmundig un-
terstützen, obwohl sie am Donnerstag abend noch gar
nicht wußten, wohin die Reise geht.
Hier weiß doch überhaupt keiner, was heute wirklich be-
raten wird und wie das Ganze finanziert werden soll.
Ihr Geheimnis wird es bleiben, wie Sie Familien un-
terstützen und entlasten wollen. Ich werde Ihnen jetzt
am Beispiel einiger Ihrer Einzelmaßnahmen deutlich
machen, wo Sie Familien in Zukunft zusätzlich belasten.
Die Familien sind ganz besonders betroffen von der
Streichung des pauschalen Vorkostenabzugs, von der
Reduzierung des Erhaltungsaufwands und den Ab-
schreibungsmöglichkeiten beim Wohnungsbau, beim
Eigenheimbau und beim Mietwohnungsbau.
Nehmen wir einmal die durchschnittliche Familie in
Deutschland mit zwei Kindern und einer Wohnung mit
80 Quadratmetern. Sie geben dieser Familie für ein Kind
im Monat 30 DM mehr Kindergeld. Eine Mieterhöhung
von nur 1 DM pro Quadratmeter belastet diese Familie
zusätzlich mit 960 DM im Jahr. Ihre Kindergelderhö-
hung von jährlich 720 DM für zwei Kinder wird dann
allein durch die Mietkostensteigerung aufgefressen.
Ich nenne ein weiteres Beispiel; da gehen Sie der
Familie so richtig ans Eingemachte. Bisher war der Spa-
rerfreibetrag auf 6 000 DM festgelegt. Jetzt sind es nur
noch 3 000 DM.
712 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998
(C)
Das heißt, Sie tasten den Notgroschen der Familie an. Es
ist schändlich, daß Sie so etwas als Familienpolitik be-
zeichnen.
Mit diesem Steuerbelastungsgesetz wollen Sie ein
weiteres ungeliebtes Kind beseitigen, nämlich das Ehe-
gattensplitting. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen
schon gesagt, daß man das gar nicht so ohne weiteres
antasten darf.
– Herr von Larcher, Ihre Zwischenrufe waren noch nie
sehr sinnvoll; deshalb werde ich auch nicht weiter dar-
auf eingehen. – Mit der Kappung des Ehegattensplittings
wollen Sie die Familie treffen, bei der sich ein Ehepart-
ner der Familienarbeit und der Kindererziehung widmet.
Es entspricht nämlich nicht Ihrem Familienbild, daß eine
Frau und Mutter zu Hause bleibt, ihre Kinder erzieht
und sich der Familienarbeit widmet.
Dafür wollen Sie sie bestrafen.
Wie die Frau Staatssekretärin dazu kommt, sehr laut-
stark zu behaupten, die Kaufkraft würde durch dieses
Gesetz gestärkt, bleibt ihr Geheimnis. Bei jeder der
78 Einzelmaßnahmen geht es der Familie direkt oder in-
direkt ans Portemonnaie. Wie dadurch Kaufkraft ge-
stärkt werden soll, kann ich mir nicht erklären.
Wenn Sie die Experten aller Verbände, die heute
morgen schon angesprochen worden sind, und die Wirt-
schaftswissenschaftler einmal genau anhören, dann wer-
den Sie noch mitbekommen, daß die Ihnen prognostizie-
ren, daß die Zahl der Arbeitslosen auf Grund Ihrer Maß-
nahmen schleichend steigen wird. Es ist für mich unver-
ständlich, wie Sie dies alles so hinnehmen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem
heute vorgelegten Steuerbelastungsgesetz ist aber erst
der Anfang beim Abkassieren gemacht.
Es kommt noch ein weiteres Gesetz, das Sie auch se-
mantisch sehr schön verkleidet und „Ökosteuergesetz“
genannt haben. Wie dieses Gesetz für Ökologie, für
Natur greifen soll, wird ebenfalls Ihr Geheimnis bleiben.
All das, was in dieses Gesetz eingeht, wird für die Sen-
kung der Sozialbeiträge herangezogen. Ich finde es nicht
verkehrt, daß man Sozialbeiträge senkt. Aber nennen Sie
dieses Gesetz entsprechend dem, was es bewirkt, näm-
lich Energiebesteuerungsgesetz. Mit diesem Energiebe-
steuerungsgesetz, mit neuen Steuern auf Gas, auf Heiz-
öl, auf Strom, auf Benzin, wird der Bürger zusätzlich
vielfach belastet. Das wird sich auch bei der Familie
auswirken: auf den Schulbus, wiederum auf die Miete,
auf das Brot, auf den Metzger, auf das Schwimmbad für
die Kinder. In keiner Weise Entlastung erfahren die
Rentner, die Studenten und die Sozialhilfeempfänger,
die keine Sozialbeiträge zahlen und daher an keiner
Stelle eine Kompensation erhalten.
Wir sind in unserer Fraktion nach langen Beratungen
übereingekommen, dieser Kindergelderhöhung nicht zu-
zustimmen. Diese 30 DM für die Ein-Kind-Familie –
60 DM bei zwei Kindern – haben diese Familien zwar
verdient, weil Sie ihnen permanent in die Tasche grei-
fen, aber wir sorgen uns um die Menschen.
Wir sehen, wie Sie durch Ihre Gesetze die Menschen
ständig neu belasten und wie Sie vor dem 7. Februar
1999, dem Termin der Hessen-Wahl, den Bürgern un-
redlich das eine oder andere verschweigen.
Wir werden diesen Gesetzentwurf heute ablehnen, weil
er unredlich und unsolide ist, weil er von den Bürgern
selbst bezahlt wird und den Familien keine Entlastung
bringt.
Einige meiner Kollegen werden diesen Gesetzentwurf
heute trotz der Kindergelderhöhung, die darin enthalten
ist – einige tun sich sehr schwer damit –, ablehnen.
Bringen Sie ein besseres Gesetz ein! Besinnen Sie sich
auf einen guten Weg! Wir haben Ihnen mit unseren
Petersberger Beschlüssen gute Vorgaben gemacht.
An dieser Stelle, meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen von der SPD, wäre es für Ihre Fraktion schon einmal
sinnvoll, auch Sachverstand von außen einzuholen;
denn dann wüßten Sie, daß die von uns vorgelegte Steuer-
reform in breiten Teilen der Bundesrepublik Deutsch-
land, bei Wirtschaftswissenschaft und Industrie, bei
Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf höchste Akzeptanz
gestoßen ist.
Fragen Sie doch auch einmal bei den Grünen nach, die
unserer Steuerkonzeption sehr entgegengekommen sind!
– Die Wahl verloren, die Wahl gewonnen, lieber Herr
von Larcher: Wir nehmen die Oppositionsrolle an,
Hannelore Rönsch
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 713
(C)
(D)
aber wir werden Sie kontrollieren und Ihnen auf die Fin-
ger schauen.
Was Sie in diesen Tagen bisher geboten und geleistet
haben, ist ein Skandal für das Votum, das der Wähler
Ihnen gegeben hat.
Sie reden sich heraus, daß Sie 100 Tage Zeit brauchen.
Sie sind so unvorbereitet in diese Regierung gestolpert,
daß unser Land heute darunter leidet.
Sie hatten sich auf die Übernahme der Regierung nicht
vorbereitet, und wir haben heute die Konsequenzen zu
tragen. Das werden wir, die Opposition, Ihnen nicht
durchgehen lassen. Wir werden das Mandat, das der
Bürger uns gegeben hat, hier kraftvoll vertreten.