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ID1400300200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/3 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 3. Sitzung Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 I n h a l t : Gedenkworte für die Opfer der Naturka- tastrophe in den vier mittelamerikanischen Staaten El Salvador, Honduras, Guatemala und Nicaragua ................................................ 47 A Begrüßung des Beauftragten der OSZE für Medienfreiheit, Herrn Freimut Duve.............. 67 C Begrüßung des neuen Direktors beim Deut- schen Bundestag, Dr. Peter Eickenboom ..... 67 C Verabschiedung des Direktors beim Deut- schen Bundestag, Dr. Rudolf Kabel ............. 67 C Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache........... 47 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an der NATO- Luftüberwachungsoperation über den Kosovo (Drucksache 14/16)....................... 47 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 47 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 67 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 80 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN............................................. 85 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 91 A Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 96 D Michael Glos CDU/CSU ................................. 102 B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD ............ 102 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 103 A Joseph Fischer, Bundesminister AA................ 107 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 112 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. ........................ 115 B Volker Rühe CDU/CSU .................................. 116 C Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ....................................................... 119 A Wolfgang Gehrcke PDS .................................. 121 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 122 D Jürgen Koppelin F.D.P.. .............................. 123 B Gernot Erler SPD............................................. 124 D Rudolf Bindig SPD.......................................... 127 A Nächste Sitzung ............................................... 128 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten .......... 129 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 47 (A) (C) (B) (D) 3. Sitzung Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Rudolf Bindig Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 129 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Carstensen (Nordstrand), Peter Harry CDU/CSU 10.11.98 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 10.11.98 Hartnagel, Anke SPD 10.11.98 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 10.11.98 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 10.11.98 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 10.11.98 Reichard (Dresden), Christa CDU/CSU 10.11.98 Schulte (Hameln), Brigitte SPD 10.11.98 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.11.98 Vaatz, Arnold CDU/CSU 10.11.98 Verheugen, Günter SPD 10.11.98 130 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 10. November 1998 (A) (C) (B) (D)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident!
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstmals in
    der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben
    die Wählerinnen und Wähler durch ihr unmittelbares
    Votum einen Regierungswechsel herbeigeführt.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Sie haben Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grü-
    nen beauftragt, Deutschland in das nächste Jahrtausend
    zu führen. Dieser Wechsel ist Ausdruck demokratischer
    Normalität und Ausdruck eines gewachsenen demokrati-
    schen Selbstbewußtseins. Ich denke, meine sehr verehr-
    ten Damen und Herren, wir können alle stolz darauf
    sein, daß die Menschen in Deutschland rechtsradikalen






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    und fremdenfeindlichen Tendenzen eine deutliche Ab-
    fuhr erteilt haben.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    An dieser Stelle möchte ich noch einmal meinem
    Vorgänger im Amt, Herrn Dr. Helmut Kohl, für seine
    Arbeit und für seine noble Haltung bei der Amtsüberga-
    be danken.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Vor uns liegen gewaltige Aufgaben. Die Menschen
    erwarten, daß eine bessere Politik für Deutschland ge-
    macht wird. Wir wissen: Ökonomische Leistungsfähig-
    keit ist der Anfang von allem. Wir müssen Staat und
    Wirtschaft modernisieren, soziale Gerechtigkeit wieder-
    herstellen und sie sichern, das europäische Haus wirt-
    schaftlich, sozial und politisch so ausbauen, daß die ge-
    meinsame Währung ein Erfolg werden kann. Wir müs-
    sen die innere Einheit Deutschlands vorantreiben; und
    vor allem und bei allem: Wir müssen dafür sorgen, daß
    die Arbeitslosigkeit zurückgedrängt wird, daß bestehen-
    de Arbeitsplätze erhalten bleiben und neue Beschäfti-
    gung entsteht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Dafür brauchen wir neue Unternehmen, neue Pro-
    dukte, neue Märkte und vor allen Dingen schnellere In-
    novation. Wir brauchen eine bessere Ausbildung und ei-
    ne Steuer- und Abgabenpolitik, die vor allem die Kosten
    der Arbeit entlastet.

    Diese Bundesregierung wird die Probleme schultern,
    und sie wird die schöpferischen Kräfte, die es in unse-
    rem Land überreich gibt, mobilisieren.

    Die Bedingungen, unter denen wir an den Start ge-
    hen, sind alles andere als günstig.


    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Entgegen dem, was gelegentlich von der Opposition im
    Haus verbreitet wird, hat uns die alte Bundesregierung
    keineswegs ein bestelltes Haus hinterlassen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Heidi Knake-Werner [PDS] – Lachen bei der CDU/CSU)


    Das Ergebnis unseres vorläufigen Kassensturzes zeigt
    den Ernst der finanzpolitischen Lage.


    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Verschuldung des Bundes ist auf weit über 1 Billion
    DM getrieben worden. Der laufende Bundeshaushalt ist
    mit Zinsverpflichtungen von mehr als 80 Milliarden DM
    belastet. Das heißt, jede vierte Mark, die der Bund an
    Steuern und Abgaben einnimmt, muß für diese gewalti-
    gen Zinslasten ausgegeben werden. Hinzu kommt – ich

    muß das sagen, auch wenn es Ihnen nicht paßt –: Milli-
    ardenschwere Haushaltsrisiken wurden ignoriert;


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Einnahmen wurden zu hoch veranschlagt; Ausgaben
    wurden zu niedrig veranschlagt: Jahrelang hat man den
    Haushalt nur durch Einmaleffekte ausgeglichen. Deren
    Wirkung ist gleich wieder verpufft. Die großen Haus-
    haltslasten aber, die schwerwiegenden strukturellen Pro-
    bleme des Bundeshaushaltes, hat man einfach in die Zu-
    kunft verlagert.


    (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Wie sieht es denn in Niedersachsen aus?)


    Nach den jetzt ermittelten Zahlen müßte die jährliche
    Neuverschuldung mittelfristig um bis zu 20 Mil-
    liarden DM höher ausgewiesen werden, als Sie, Herr
    Waigel, das im Finanzplan gemacht haben. Das ist Ihr
    Problem, und das belastet jeden, der damit fertig werden
    muß.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, das kann und will ich
    nicht akzeptieren. Deshalb sage ich gleich am Anfang
    dieser Regierungserklärung: Diese finanzielle Erblast,
    die uns hinterlassen worden ist, zwingt uns zu einem
    entschlossenen Konsolidierungskurs.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Wir werden angesichts dessen, was wir vorgefunden ha-
    ben, um strukturelle Eingriffe nicht herumkommen. Alle
    Ausgaben des Bundes müssen auf den Prüfstand.


    (Zurufe von der CDU/CSU: Ah ja! – So, so!)

    Der Staat muß zielgenauer und vor allen Dingen wirt-
    schaftlicher handeln.

    Der Mißbrauch staatlicher Leistungen muß einge-
    dämmt werden. Subventionen und soziale Leistungen
    werden wir stärker als bisher auf die wirklich Bedürfti-
    gen konzentrieren.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns nicht,

    daß wir alles in kurzer Zeit schaffen. Aber sie haben ei-
    nen Anspruch darauf, daß wir nicht nur reden – wie das
    bisher getan worden ist –, sondern auch handeln.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)


    Wir haben gesagt: Wir wollen nicht alles anders, aber
    vieles besser machen. Daran werden wir uns halten. Das
    sagen wir denen, die heute die Schlachten des Wahl-
    kampfes noch einmal schlagen wollen. Das scheint auch
    auf der rechten Seite des Hauses so zu sein. Nur, beson-
    ders erfolgreich sind Sie nicht gewesen. Das werden Sie
    zugeben müssen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    Da gibt es diejenigen, die schon wieder Schwarzma-
    lerei betreiben und diesen lähmenden Pessimismus ver-
    breiten, der unser Land lange genug gehindert hat, die
    nötigen Schritte zur Anpassung an die Wirklichkeit zu
    tun. Aber das rufen wir auch denjenigen zu, die meinen,
    das jetzt Beschlossene gehe nicht weit genug.

    Wir wollen die Gesellschaft zusammenführen, die tie-
    fe soziale, geographische, aber auch gedanklich-
    kulturelle Spaltung überwinden, in die unser Land gera-
    ten ist.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir werden Deutschland entschlossen modernisieren
    und die innere Einheit vorantreiben. Voraussetzung da-
    für ist eine schonungslose Beurteilung der Lage, aber
    auch und vor allem das Besinnen auf die Stärken der
    Menschen in unserem Land und das Zutrauen darauf,
    daß wir es schaffen können.

    Dieser Regierungswechsel ist auch ein Generations-
    wechsel im Leben unserer Nation. Mehr und mehr wird
    unser Land heute gestaltet von einer Generation, die den
    zweiten Weltkrieg nicht mehr unmittelbar erlebt hat. Es
    wäre nun gefährlich, dies als einen Ausstieg aus unserer
    historischen Verantwortung mißzuverstehen. Jede Gene-
    ration hinterläßt der ihr nachkommenden Hypotheken,
    und niemand kann sich mit der „Gnade“ einer „späten
    Geburt“ herausreden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Für manche ist dieser Generationswechsel eine große
    Herausforderung. Schon ein Blick auf die Regierungs-
    bank oder auch in dieses Parlament zeigt, was die große
    Mehrheit unter uns politisch geprägt hat. Es sind die
    Biographien gelebter Demokratie.

    Wir haben den kulturellen Aufbruch aus der Zeit der
    Restauration miterlebt und mitgemacht. Viele von uns
    waren in den Bürgerbewegungen der 70er und
    80er Jahre engagiert. Die ehemaligen Bürgerrechtsgrup-
    pen aus der DDR, die gemeinsam mit den ostdeutschen
    Sozialdemokraten die friedliche Revolution mitgestaltet
    haben,


    (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    sind an dieser Regierung beteiligt.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Diese Generation steht in der Tradition von Bürger-

    sinn und Zivilcourage. Sie ist aufgewachsen im Aufbe-
    gehren gegen autoritäre Strukturen und im Ausprobieren
    neuer gesellschaftlicher und politischer Modelle. Jetzt ist
    sie – und mit ihr die Nation – aufgerufen, einen neuen
    Pakt zu schließen, gründlich aufzuräumen mit Stagna-
    tion und Sprachlosigkeit, in die die vorherige Regierung
    unser Land geführt hat.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    An ihre Stelle setzen wir eine Politik, die die Eigenver-
    antwortlichkeit der Menschen fördert und sie stärkt. Das
    verstehen wir unter der Politik der Neuen Mitte.

    Diesen Weg werden wir partnerschaftlich beschrei-
    ten. Jeder im In- und Ausland kann sich darauf verlas-
    sen, daß diese Regierung zu ihrer politischen, aber eben
    auch zu ihrer sozialen Verantwortung steht. Die Hoff-
    nungen, die auf uns ruhen, sind fast übermächtig.


    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Aber eine Regierung allein kann das Land nicht verbes-
    sern. Daran müssen alle mittun. Je mehr Menschen sich
    mit ihrer Initiative und ihrer Leistungsbereitschaft an der
    Reform unserer Gesellschaft beteiligen, desto größer
    werden die Erfolge sein.

    Den Menschen in Deutschland mangelt es nicht an
    schöpferischen Kräften. Wir werden helfen, sie zur Ent-
    faltung zu bringen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, es ist kein Zweifel: Unser
    drängendstes und auch schmerzhaftestes Problem bleibt
    die Massenarbeitslosigkeit. Sie führt zu psychischen
    Zerstörungen, zum Zusammenbruch von Sozialstruktu-
    ren. Den einen nimmt sie die Hoffnung, und den anderen
    macht sie angst. Sie belastet unser Gemeinwesen derzeit
    mit Kosten von jährlich 170 Milliarden DM.

    Die Bundesregierung ist sich völlig im klaren dar-
    über, daß sie ihre Wahl wesentlich der Erwartung ver-
    dankt, die Arbeitslosigkeit wirksam zurückdrängen zu
    können. Genau dieser Herausforderung werden wir uns
    stellen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Jede Maßnahme, jedes Instrument kommt auf den
    Prüfstand, um festzustellen, ob es vorhandene Arbeit si-
    chert oder neue Arbeit schafft. Wir wollen uns jederzeit
    – nicht erst in vier Jahren – daran messen lassen, in wel-
    chem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
    beitragen.

    Die Steuerreform, mit der wir in diesen Tagen be-
    ginnen, ist dazu ein erster Schritt. Wir werden nicht
    weitere 16 Jahre über die Notwendigkeit einer Steuerre-
    form reden und das Für und Wider der Interessengrup-
    pen abwägen. Nein, meine Damen und Herren, wir ma-
    chen diese Steuerreform.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Reform basiert auf der Einsicht in die ökonomi-
    schen Notwendigkeiten. Sie verbindet modernen Prag-
    matismus mit einem starken Sinn für soziale Fairneß. Im
    Mittelpunkt steht die Entlastung der aktiv Beschäftigten
    und ihrer Familien sowie der kleinen und mittleren Un-
    ternehmer.


    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wann?)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Deren Innovationskraft wollen und werden wir stärken.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Beides zusammen wird helfen, Arbeitslosigkeit abzu-
    bauen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und bestehende
    zu sichern.

    Unsere Steuerreform erschließt Entlastungen von ins-
    gesamt 57 Milliarden DM.


    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wann?)

    Nach der Gegenfinanzierung bleiben Bürgerinnen und
    Bürgern sowie Unternehmen 15 Milliarden DM als
    Nettoentlastung. Die Einkommensteuersätze werden
    nachhaltig gesenkt, das Kindergeld wird erhöht. Über
    die Legislaturperiode betrachtet, wird das einer durch-
    schnittlich verdienenden Familie mit zwei Kindern eine
    Nettoentlastung von 2 700 DM im Jahr bringen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Steuerschlupflöcher werden wir stopfen, ungerecht-
    fertigte Vergünstigungen werden wir abbauen. Das
    macht deutlich, daß wir die Lasten in unserer Gesell-
    schaft gerechter verteilen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir werden auch die Unternehmensbesteuerung
    grundlegend reformieren. Unternehmenseinkünfte sollen
    mit höchstens 35 Prozent besteuert werden.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, am SanktNimmerleins-Tag!)


    Dafür schaffen wir jetzt die gesetzlichen Voraussetzun-
    gen. Wir entlasten damit den Mittelstand, dem – ich sage
    es noch einmal – eine Schlüsselrolle bei der Schaffung
    von Arbeitsplätzen zukommt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, auch sonst haben wir ent-
    gegen dem, was gelegentlich verbreitet wird, die Anlie-
    gen des Mittelstandes berücksichtigt.


    (Lachen bei der F.D.P.)

    Der Verlustvortrag bleibt erhalten. Ein einjähriger Ver-
    lustrücktrag bleibt ebenfalls noch für Verluste, die 1999
    und 2000 entstehen und nicht mehr als 2 Millionen DM
    betragen. Die Wiederanlage von Gewinnen aus der Ver-
    äußerung von Grund und Boden und Gebäuden wird wie
    bisher nach § 6 b Einkommensteuergesetz begünstigt.

    Die Sonder- und Ansparabschreibungen für die Exi-
    stenzgründer können unverändert in Anspruch genom-
    men werden. Für kleine und mittlere Betriebe bleiben sie
    bis zum Jahr 2000 erhalten.

    Die Tarifermäßigung für Veräußerungsgewinne wird
    durch rechnerische Verteilung des Gewinns nur umge-
    staltet; sie wird nicht gestrichen. Damit werden zwar
    – das gilt es einzuräumen – Verlustzuweisungsmodelle
    eingedämmt, aber für die Betriebsnachfolge wird das
    keine Verschlechterung bedeuten.

    Wir werden – das ist schon an unseren ersten Schrit-
    ten sichtbar – das Steuerrecht transparenter


    (Lachen bei der CDU/CSU)

    und damit effizienter machen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Überflüssige Steuersubventionen sollen abgeschafft und
    wertvolle Steuergelder nicht länger in unsinnigen Steu-
    ersparmodellen verschwendet werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, einen
    Satz zu der im Koalitionsvertrag angekündigten umfas-
    senden Verbreiterung der Bemessungsgrundlage sa-
    gen. Interessierte Kreise haben ja so getan, als wollten
    wir mit unserer Steuerreform den Unternehmern buch-
    stäblich die Butter vom Brot nehmen. Dazu ist zu sagen,
    daß in den vergangenen Jahren nur einige wenige von
    Steuerentlastungen profitiert haben. Die große Mehrheit
    hat unter Steuerbelastungen leiden müssen. Jede ver-
    nünftige Steuerreform hat diesen von Ihnen verursachten
    Trend erst einmal zu stoppen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Inzwischen melden sich – und das ist gut so – immer
    mehr Ökonomen und weitsichtige Unternehmer zu
    Wort, die sehen, daß diese Steuerreform für sie eine
    große Chance ist. Sie sehen die Perspektive, die wir mit
    unseren schrittweisen Entlastungen aufzeigen. Ich habe
    überhaupt keine Scheu, den Begriff „schrittweise“ dick
    zu unterstreichen. Für die Betroffenen im Land ist es
    nämlich besser, sie bekommen schrittweise etwas in die
    Hand, als daß sie über Jahrzehnte lediglich mit Rederei-
    en vertröstet werden. In der Tat unterscheiden wir uns,
    was das Machen von Politik angeht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Menschen im Land sehen die Trendwende, die
    wir eingeleitet haben: Entlastung und Vereinfachung
    statt wie bisher immer höhere Sätze und immer weniger
    Transparenz. Ich denke, alle diejenigen, die sich wirk-
    lich mit inhaltlichen Fragen beschäftigen, nehmen be-
    reitwillig unsere Einladung an, in einer gemeinsamen
    Kommission über die Strukturreform des Steuerrechtes
    begleitend zu beraten.

    Eines will ich allerdings denen, die uns in den letzten
    Wochen mit schrillsten Vorwürfen überzogen haben, sa-
    gen: Niedrige und einfache Steuersätze wie zum Bei-
    spiel in den USA zu wollen, gleichzeitig aber an einer
    hohen Zahl von Ausnahmetatbeständen wie bisher in
    Deutschland festzuhalten, das geht nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wir werden – das ist Teil des Konzeptes zur Entla-
    stung der aktiv wirtschaftlich Tätigen – die Nutzung der

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    wirtschaftlichen Ressourcen endlich marktwirtschaftli-
    cher Vernunft unterwerfen. Deshalb steigen wir sofort in
    eine ökologische Steuer- und Abgabenreform ein. Wir
    vollziehen damit, meine sehr verehrten Damen und Her-
    ren, eine längst überfällige Kehrtwende. Natur und
    Energie als endliche und mithin knappe Güter werden
    über den Preis verteuert mit dem einzigen Ziel, Arbeit,
    die reichlich vorhanden ist, billiger zu machen, damit
    mehr Menschen Arbeit haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich unterstreiche es auch hier noch einmal: Es geht uns
    nicht um die Erschließung einer weiteren Einnahme-
    quelle für den Staat.


    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Mit der Energiebesteuerung folgen wir dem Beispiel un-
    serer Nachbarn in Dänemark, den Niederlanden und
    Österreich. Wir lösen damit die Probleme einer moder-
    nen Gesellschaft mit den Mitteln einer modernen Gesell-
    schaft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Einnahmen – das ist der Kernpunkt – aus der
    Energiesteuer verwenden wir nur zur Senkung der ge-
    setzlichen Lohnnebenkosten. Mit den Anreizeffekten der
    Energiesteuer fördern wir die Schaffung neuer Arbeits-
    plätze in nachhaltigen Zukunftstechnologien. Gerade bei
    den Lohnnebenkosten ist über die Jahre hinweg über die
    Notwendigkeit ihrer Senkung geredet worden. Unter der
    alten Regierung sind sie Jahr für Jahr gestiegen. Wir
    machen damit Schluß, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Damit führen wir im Rahmen dessen, was europäisch
    machbar und – auch das gilt es zu erkennen – sozial
    vertretbar ist, Marktwirtschaft in die Ressourcennutzung
    ein. Wir setzen dabei auf die Beschäftigungseffekte ei-
    ner zukunftsorientierten Produktion.

    Das ist für uns moderne Steuer- und Wirtschafts-
    politik. Wir streiten eben nicht um die Scheinalterna-
    tive: Angebots- oder Nachfrageorientierung. Dieser
    Streit führt nämlich zu nichts. Angebots- und Nachfra-
    georientierung stehen nicht im Widerspruch zueinander.
    Wir brauchen eine Nettoentlastung der Haushalte zur
    Belebung der Binnenkonjunktur, damit die Menschen
    auch kaufen können, was die Wirtschaft herstellt.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Durch Marktöffnung und Entbürokratisierung, durch
    die Förderung von Innovation und Zukunftsindustrien
    verbessern wir die Angebotsbedingungen für Produkte,
    neue Märkte und neue Verfahren. Beides gehört zu-
    sammen. Das eine gegen das andere auszuspielen ist
    töricht.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir müssen alle miteinander lernen, die Dinge zu
    verknüpfen und in solchen Zusammenhängen zu den-
    ken: Wir stehen nicht für eine rechte oder linke Wirt-
    schaftspolitik, sondern für eine moderne Politik der so-
    zialen Marktwirtschaft.


    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Die Bundesregierung macht endlich wieder Wirtschafts-
    politik. Wir eröffnen den Menschen die Perspektive der
    Selbständigkeit. Wer eine Existenz gründen, eine gute
    Idee vermarkten will, dem werden wir nach Kräften hel-
    fen. Wir wissen, daß unsere Banken bei der Bereitstel-
    lung von Geld für Unternehmensgründungen immer
    noch zu zögerlich sind. Sie nennen das Risikokapital.
    Für uns ist das Chancenkapital, das Unternehmensgrün-
    dern helfen soll. Darauf legen wir Wert.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Neuesten Umfragen zufolge geben heute mehr als die
    Hälfte derer, die demnächst die Schule oder die Univer-
    sität abschließen werden, als Ziel die berufliche Selb-
    ständigkeit an. Das wäre vor gar nicht so langer Zeit
    noch undenkbar gewesen. Aber die neue Gründerzeit –
    das ist auch gut so – hat längst begonnen. Wir als Regie-
    rung haben ihre Zeichen begriffen, und wir werden dafür
    Zeichen setzen.

    Wir werden dies vor allem für den Mittelstand tun.
    Moderne Mittelstandspolitik ist für uns: weniger Büro-
    kratie, schnellere Innovation, besserer Zugang zu den
    neuen Technologien, effizientere Vermarktung sowie
    Hilfe und Unterstützung auf internationalen Märkten.
    Dies wird Kennzeichen einer mittelstandsorientierten
    Politik der neuen Bundesregierung sein.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich habe darauf hingewiesen, daß das auch für die Entla-
    stung von Steuern und Abgaben gilt.

    Im übrigen: Wenn wir in der Altersvorsorge mehr
    private Vorsorge wollen, dann müssen wir die Nettoein-
    kommen auch so entlasten, daß sich die Menschen diese
    private Vorsorge buchstäblich leisten können, sonst
    funktioniert das nämlich nicht.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn wir die Leistungsbereitschaft der Menschen

    fördern wollen, dann müssen wir dafür sorgen, daß sich
    Leistung auszahlt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Meine Damen und Herren von der F.D.P., das Pro-
    blem besteht darin, daß Sie Leistung immer nur als die
    Leistung ganz weniger ganz oben verstehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir verstehen Leistung in erster Linie als Leistung der
    Krankenschwestern, der Ingenieure, als Leistung der
    Facharbeiterinnen und Facharbeiter.


    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Die werden wir entlasten, meine Damen und Herren, auf
    sie kommt es nämlich in dieser Zeit und in diesem Land
    an.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Das meinen wir, wenn wir von einer neuen Politik spre-
    chen, einer Politik, die eben nicht in Kästchen denkt,
    sondern die die Probleme im Zusammenhang begreift.

    Deshalb sage ich: Unsere Steuerreform ist ein guter
    Anfang.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Aber damit ist das Ziel eines überschaubaren und lei-
    stungsgerechten Steuersystems nicht erreicht. Dieses
    Ziel werden wir Schritt für Schritt verwirklichen, und
    Sie werden jeden einzelnen Schritt aufmerksam und si-
    cher auch kritisch begleiten dürfen – aber aus der Oppo-
    sition heraus, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    In den zurückliegenden Jahren ist viel über die Vor-
    und Nachteile des sogenannten Standorts Deutschland
    diskutiert worden. Der Begriff ist ein wenig verräterisch:
    „Standort“, das kann auch – und das war es ja auch in
    der letzten Zeit – „Stillstand-Ort“ sein. Wir machen die-
    ses Land wieder zu einem Bewegungs-Ort.

    Meine Damen und Herren, wir werden mit der Ener-
    giewirtschaft und den Umweltverbänden neue Wege der
    Energieversorgung beschreiten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Nutzung der Kernenergie ist gesellschaftlich
    nicht akzeptiert.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


    Sie ist mithin auch volkswirtschaftlich nicht vernünftig.
    Das ist der Grund, warum wir sie geregelt auslaufen las-
    sen werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Für die Bundesregierung steht dabei nicht ein Ausstieg
    im Mittelpunkt. Es geht vielmehr um den Einstieg in
    eine zukunftsfähige Energieversorgung.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der Anteil der Kernenergie wird schrittweise reduziert
    und schließlich ganz ersetzt.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Wann?)

    Dies, meine Damen und Herren, ist ein gewaltiges

    Investitionsprogramm, das auch und gerade neue Ar-
    beitsplätze in diesen Bereichen schaffen wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dabei setzen wir vor allem auf die Innovations- und
    Entwicklungspotentiale bei den erneuerbaren Ener-
    gien. Wir setzen auf eine konsequente Nutzung der Ein-
    sparmöglichkeiten: bei der Stromerzeugung, bei elektri-
    schen Geräten, bei den Gebäuden, aber auch im Stra-
    ßenverkehr. Mit der Energiewirtschaft werden wir aus-
    kömmliche Lösungen zu einer Zukunft ohne Atom-
    kraftwerke vereinbaren.

    Die Koalitionspartner sind sich darin einig, daß die
    Beendigung der Kernenergienutzung im Konsens erfol-
    gen soll – ohne daß es zu Regreßansprüchen kommt.
    Aus den Gesprächen der vergangenen Jahre wissen wir,
    daß wir zu einer einvernehmlichen Lösung kommen
    können. Sie ist an dem Widerstand – dem unverständli-
    chen Widerstand – auf der rechten Seite dieses Hauses
    gescheitert.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Das Problem der Entsorgung radioaktiver Abfälle – das
    gilt es zu erkennen – bleibt uns und unseren Nachkom-
    men allerdings noch auf Jahrtausende erhalten.

    Das bisherige Entsorgungskonzept ist inhaltlich ge-
    scheitert. Wir werden statt dessen einen nationalen Ent-
    sorgungsplan erarbeiten. Entsorgung wird auf direkte
    Endlagerung beschränkt werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Atommülltransporte quer durch die Republik, die
    nur durch massiven Polizeischutz zu sichern sind, pas-
    sen nicht zu einer auf Konsens und Zukunftsfähigkeit
    ausgerichteten Demokratie.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Allerdings gilt es hier zu bedenken, daß die vorherigen
    Regierungen völkerrechtlich bindende Verträge über die
    Rücknahme atomarer Abfälle abgeschlossen haben.
    Auch das müssen wir mit unseren Partnern in England
    und Frankreich einvernehmlich regeln. Wir wollen sol-
    che Transporte nur noch dann zulassen, wenn am Kraft-
    werk selbst keine genehmigten Zwischenlagerkapazitä-
    ten existieren.

    In einem neuen Energiemix werden wir auch Stein-
    kohle und Braunkohle brauchen. Dabei drängen wir auf
    die Verwendung modernster Technik mit hohen Wir-
    kungsgraden und auf eine bessere Nutzung von Fern-
    wärme und Kraft-Wärme-Kopplung.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Den Kohlekompromiß vom März 1997 werden wir

    umsetzen und in Brüssel absichern. Bei der sozial ver-
    träglichen Neustrukturierung des deutschen Kohleberg-
    baus brauchen wir rechtzeitig eine Orientierung auch für
    die Zeit nach dem Jahre 2005. Es geht uns auch hier
    darum, Planungssicherheit für die Unternehmen und
    materielle Sicherheit für die Beschäftigten zu schaffen.

    Die Klimaforscher und die vorbildlichen Unterneh-
    men, die vor ein paar Tagen mit dem Bundesum-

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    weltpreis ausgezeichnet worden sind, haben der Politik
    ins Stammbuch geschrieben – wir werden das beachten –:
    Gerade beim Klimaschutz dürfen die Verantwortlichen
    nicht auf Erkenntnisse über weitere Schädigungen unse-
    rer Umwelt warten; sie müssen aktive Vorsorge treffen.
    Wir werden das tun.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, der Staat und die ver-
    schiedenen Wirtschaftszweige müssen ihre Zusammen-
    arbeit verbessern, um auf diese Weise Synergieeffekte
    besser nutzen zu können. Wo die Bundesregierung das
    Ihrige dazu tun kann, da wird sie es tun.

    Wir werden die Verwaltung schlanker und effizien-
    ter machen, und wir werden hemmende Bürokratie rasch
    beseitigen. Beispielsweise werden wir die Vielzahl ver-
    schiedener Umweltbestimmungen in einem Umweltge-
    setzbuch zusammenfassen. Dabei werden wir überflüs-
    sige Vorschriften streichen und auf diese Weise die Re-
    gelungsdichte vermindern.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Eine grundlegende Justizreform werden wir zügig in
    Angriff nehmen. Unsere Zivil- und Strafjustiz ist heute
    noch aufgebaut wie vor hundert Jahren. Sie muß ent-
    schlackt und sie muß modernisiert werden. Die Bürge-
    rinnen und Bürger wollen und sollen schneller zu ihrem
    Recht kommen, und die Gerichte müssen entlastet wer-
    den. Auch um die Vereinfachung von Gesetzestexten
    werden wir uns zielstrebig kümmern. Die Rechte der
    Opfer von Verbrechen werden wir stärken. Dies gilt
    ganz besonders für die Schwächsten in unserer Gesell-
    schaft: mißbrauchte und mißhandelte Kinder.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wo immer das möglich ist, werden wir den Täter-
    Opfer-Ausgleich stärken und die gemeinnützige Arbeit
    als moderne Sanktionsform ausbauen. Es ist im Interesse
    der Gesellschaft, daß vor allem Straftäter, die bislang zu
    kurzen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, nicht zusätzli-
    che Kosten für den Staat verursachen, sondern gemein-
    nützige Arbeit leisten. Soweit die Gemeinschaft nicht
    vor ihnen geschützt werden muß, sollen sie sich für die
    Gemeinschaft nützlich machen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Große Aufmerksamkeit richten wir auf die Förderung
    der Verfahren zur Schlichtung. Es muß Schluß gemacht
    werden mit der verhängnisvollen Entwicklung, immer
    mehr zivile, soziale, wirtschaftliche oder sogar politi-
    sche Streitfälle auf die Gerichte abzuwälzen. Die Mög-
    lichkeiten, Streitfälle außergerichtlich zu regeln, werden
    wir stärken und bürgernah ausgestalten. Wir verbinden
    damit den Appell an Bürgerinnen und Bürger, aber auch
    an Interessengruppen, diese Möglichkeiten auszuschöp-
    fen, bevor die Justiz bemüht wird.

    Ich sage es deutlich: Diese Bundesregierung will kei-
    nen Bevormundungsstaat, nein, sie will einen Staat, der
    die Menschen ermutigt. Aber den Staat schlanker und
    effizienter zu machen, das darf nicht heißen, daß man
    ihn dort schwächt, wo vor allem die Schwächeren auf
    ihn angewiesen sind.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir wollen deshalb einen Staat, der die Bürgerrechte
    schützt und erweitert. Wir beharren auf dem Schutz der
    Schwächeren durch das Recht und durch den Staat.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich will keine Gesellschaft, in der sich einige wenige
    Schutz kaufen können und die Mehrheit Angst vor Ver-
    brechen hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Deshalb sage ich: Härte gegen das Verbrechen und seine
    Erscheinungsformen, aber eben auch Härte gegen die
    Ursachen des Verbrechens, das ist meine, das ist unsere
    Vorstellung von einem Staat, der seine Schutzaufgabe
    erfüllt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)


    Wir werden deshalb die Kriminalität in all ihren Er-
    scheinungsformen entschlossen bekämpfen. Die Polizei
    kann sich darauf verlassen, daß wir sie bei dieser Auf-
    gabe unterstützen.


    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Chaostage! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


    Aber zugleich gilt: Eine gute Politik der inneren Sicher-
    heit darf nicht auf Polizei und Strafrecht beschränkt
    bleiben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ein eigenverantwortliches Leben setzt zuallererst
    voraus, für sich selbst sorgen zu können. Wie sollen un-
    sere jungen Menschen unsere Gesellschaft und unsere
    Zukunft gestalten, wenn wir ihnen nicht einmal die
    Möglichkeit geben, für sich selber zu sorgen? Hierin
    liegt der Grund dafür, warum die Bundesregierung ein
    Sofortprogramm auflegen wird, um 100 000 Jugendliche
    so schnell wie möglich in Ausbildung und Beschäfti-
    gung zu bringen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Ich sage es noch einmal vor diesem Hohen Hause:
    Gerade diejenigen, die die Jugendkriminalität zurück-
    drängen wollen und dies mit aller Entschiedenheit mit
    Hilfe des Staates durchsetzen wollen, haben auf der

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    anderen Seite die Verantwortung, jungen Menschen eine
    Perspektive für Ausbildung und Arbeit zu geben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wir werden angesichts der Gefährdungen, die sich für
    die gesamte Gesellschaft aus einem Mangel an Perspek-
    tive ergeben, bei der Realisierung dieses Programmes
    einen besonderen Schwerpunkt in Ostdeutschland set-
    zen. Dies ist – zugegeben – ein erster Schritt, aber ein
    eminent wichtiger, um dort helfen zu können.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, Ziel einer aktiven Ar-
    beitsmarktpolitik muß es sein, den Menschen eine Brük-
    ke in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen. Wir alle wissen,
    daß eine gute Ausbildung die beste Voraussetzung für
    eine gesicherte berufliche Zukunft ist. Unser duales Sy-
    stem der Ausbildung ist noch immer vorbildlich in Eu-
    ropa. Aber die schleichende Verstaatlichung der Ausbil-
    dung muß aufhören.


    (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)

    – Das ist so. Sie haben es noch immer nicht verstanden.
    Das ist tatsächlich so. Sie werden es nie verstehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Sie interessiert das nicht.

    (Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU)


    Aber mich macht das besorgt. Daß Sie an den jungen
    Leuten nicht interessiert sind, merkt man an Ihrem Ge-
    brüll. Man merkt an der Art und Weise, wie Sie mit die-
    sem Thema umgehen,


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    wie wenig Sie das Thema der Ausbildungsperspektiven
    für junge Leute interessiert.


    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich sage Ihnen eines: Die Zahl der Ausbildungsplätze,
    die die Wirtschaft zur Verfügung gestellt hat, ist in Ihrer
    Regierungszeit kontinuierlich zurückgegangen. Das ist
    das Problem, vor dem wir stehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Das sollten Sie nicht lächerlich machen. Darüber sollten
    Sie nicht lachen. Denn der wirkliche Skandal in unserer
    Gesellschaft ist, daß die jungen Leute von Ihnen allein
    gelassen worden sind. Das ist das Problem. Deshalb sind
    Sie auch abgewählt worden.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Daß Sie sich beim Thema Ausbildungschancen der jun-
    gen Leute hier hinsetzen und so tun, als wenn Sie das
    nichts anginge, das ist eine Schande. Sie sollten sich
    schämen!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Für uns jedenfalls ist klar – auch wenn das die rechte
    Seite dieses Hauses nicht interessiert – –


    (Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


    – Da merkt man, welches Interesse Sie an diesen Fragen
    haben.


    (Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, für uns ist klar – in diesem

    Punkt lassen wir uns nicht beirren –: Wirtschaft und öf-
    fentliche Verwaltung stehen in der Pflicht, die Lehr-
    stellenzahl zu erhöhen und nicht zu senken.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir wollen und wir werden erreichen, daß alle Ju-
    gendlichen einen qualifizierten Ausbildungsplatz be-
    kommen. Das ist ihre Erwartung an Politik, und die
    werden wir erfüllen, sosehr Sie auch dagegen schimp-
    fen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Bei der Mobilisierung der Ausbildungsplätze setze
    ich auf die Mitarbeit der Wirtschaft. Ich weiß: Hundert-
    tausende von Handwerksmeistern sowie kleine und
    mittlere Unternehmen tun jedes Jahr ihre Pflicht. Aber
    bei den großen Unternehmen muß zugelegt werden; das
    gilt es gemeinsam zu erreichen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Ich setze bei der Mobilisierung von Ausbildungsplätzen
    darauf, daß wir keine Zwangsmaßnahmen benötigen. –
    Jetzt könnt ihr auch klatschen!


    (Heiterkeit bei der SPD)

    Aber ich sage unseren Jugendlichen, daß ihr morali-

    sches Recht auf Arbeit und Ausbildung – auch das muß
    ausgesprochen werden – die Pflicht einschließt, Ange-
    bote zur Berufsausbildung anzunehmen. Mobilität darf
    kein Fremdwort in diesem Sektor sein oder werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Auch folgendes muß deutlich werden: Nicht jeder

    wird seinen Traumberuf erlernen können. Wir werden
    kein Volk von Bankkaufleuten und Versicherungskauf-
    leuten werden können, bei allem Respekt vor dieser Be-
    rufsgruppe.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    Im europäischen Vergleich brauchen junge Menschen
    bei uns zu lange, bevor sie berufliche Verantwortung
    übernehmen können. Uns geht es nicht um eine Verkür-
    zung der Ausbildungszeit und schon gar nicht um eine
    Verschlechterung der Ausbildung; es geht uns vielmehr
    um eine bessere Verteilung der Ausbildung auf die Le-
    benszeit. Das ist das, was im Vordergrund unserer Be-
    mühungen steht. Ausbildung, Ausbildungsordnungen
    und Ausbildungsinhalte werden wir flexibler gestalten.
    Die Verbesserung und Modernisierung beruflicher Bil-
    dung und Qualifikation sollte ständiges Gesprächsthema
    im Bündnis für Arbeit sein.

    Wir wollen uns fit machen für die europäische Wis-
    sensgesellschaft. Darunter soll man sich nicht eine Ge-
    sellschaft aus lauter Superhirnen und Weißkitteln vor-
    stellen. Wissensgesellschaft, meine Damen und Herren,
    das heißt für mich: Qualifikationsgesellschaft. Das be-
    trifft die ganze Breite unserer Gesellschaft, das betrifft
    alle Menschen und nicht nur die wissenschaftlich-
    technischen Eliten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das ist der Grund, warum die Bundesregierung die
    Aufgabe einer Bildungs- und Qualifizierungsoffensive
    rasch anpacken wird. Wir wollen bestmögliche Bildung
    für alle, mehr Chancengleichheit, die Förderung unter-
    schiedlicher Begabungen, mehr Effizienz, aber auch
    mehr Wettbewerb.

    Diese Regierung hat nichts gegen die Herausbildung
    von Eliten. Auch unsere demokratische Gesellschaft
    braucht Eliten. Allerdings kommt es mir darauf an, was
    man unter Elite und ihrer Herausbildung versteht. Ge-
    prägt von eigener Erfahrung sage ich: Zur Elite gehört
    man nicht durch die Herkunft der Eltern; zur Elite gehört
    man durch Leistung.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Eliten in einer Demokratie erwachsen aus gleichen
    Chancen im Zugang zu den Bildungseinrichtungen. Das
    ist wichtig, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


    Sie erwachsen aus dem, was bei gleichen Zugangsvor-
    aussetzungen zu den Bildungseinrichtungen der einzelne
    in eigener Verantwortung daraus macht. Eines jedenfalls
    muß gelten: Der Geldbeutel der Eltern darf nicht über
    die Lebenschancen in unserer Gesellschaft bestimmen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Das ist der Grund, warum wir bereits 1999 mit der Re-
    form der Ausbildungsförderung beginnen werden. Wir
    werden dabei alle ausbildungsbezogenen staatlichen
    Leistungen zusammenfassen.

    Die Hochschulen werden wir stärken. Sie müssen
    Zentren der Ideenfindung und der Problemlösung sein.
    Sie sollen nach unserer Auffassung auch Zukunftswerk-
    stätten werden. Wir müssen den Trend zur Abwande-
    rung unserer Grundlagenforscher stoppen und gleichzei-
    tig die anwendungsorientierte Forschung nachhaltig för-
    dern.

    Wir brauchen eine bessere Bildungsplanung, und wir
    werden sie machen. Denn wir können es uns nicht län-
    ger leisten, daß ein bedenklich großer Teil unseres wis-
    senschaftlichen Nachwuchses völlig vorbei an den Er-
    fordernissen des Arbeitsmarktes qualifiziert wird.

    Auch an Universitäten und Fachhochschulen muß es
    Wettstreit geben. Konkurrenz belebt auch dort das Ge-
    schäft.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


    Die Hochschulen müssen viel stärker als bisher auch
    zu Existenzgründungen ermuntern. Forschung und
    Lehre sollen durch Budgetierung und mehr Autonomie
    entbürokratisiert und so wettbewerbsfähiger gemacht
    werden. Das Dienstrecht des Hochschulpersonals wer-
    den wir umfassend modernisieren, um auch hier mehr
    Anreize für Leistung und Innovation zu schaffen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


    Wir sollten uns nichts vormachen: Der Transfer von
    Wissenschaft zur Wirtschaft liegt in Deutschland im ar-
    gen. Die Transferzeiten, also die Umsetzung wissen-
    schaftlicher Erkenntnisse in die Produktionswirklichkeit,
    sind bei uns noch immer viel zu lange. Bei der Innovati-
    onsgeschwindigkeit hinken wir hinter den USA, aber
    auch den europäischen Ländern, die vergleichbar sind,
    hinterher. Die USA verdienen jedes Jahr mehr als
    30 Milliarden DM mit dem Export von Verfahren, von
    Lizenzen und von Patenten ins Ausland. Unsere Wirt-
    schaft hingegen muß heute mehr Ingenieurleistungen
    importieren, als sie exportiert. Das kann, das darf nicht
    so bleiben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Forschung, Lehre und Wirtschaft haben sich viel zu
    weit voneinander entfernt. Die Hochschulen stehen vor
    Umwälzungen, die denen der 70er Jahre vergleichbar
    sind. Dieser Herausforderung wird sich die Bundesregie-
    rung stellen – wieder einmal, bin ich versucht zu sagen.
    Wir werden die Investitionen in Forschung und Bildung
    in den nächsten fünf Jahren verdoppeln.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir werden auch auf europäischer Ebene die Anstren-
    gungen bei der Entwicklung neuer Technologien ver-
    stärken. Zusammen mit unseren Partnern wollen wir
    transeuropäische Netze und eine moderne wissen-
    schaftliche Infrastruktur schaffen.

    Es ist schon richtig: Kreativität, künstlerische Phanta-
    sie, handwerkliches Können, die geniale Idee, der Mut

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    zur bahnbrechenden Neuerung – all das kann vom Staat
    nicht herbeiorganisiert werden. Es ist das Ergebnis eines
    Prozesses von zahllosen kleinen Verbesserungen, an de-
    nen Tausende von kreativen, phantasievollen, kundigen
    und auch mutigen Menschen tagtäglich arbeiten. Deren
    Bemühungen zu unterstützen ist eine unserer wichtig-
    sten Aufgaben.

    Auf die jungen Menschen – ich unterstreiche es noch
    einmal – kommt es dabei ganz besonders an. Sie haben
    die Chance, Erfahrungen zu machen, die die Älteren –
    auch in diesem Hohen Haus – nie machen konnten. Wir
    wollen, wir müssen und wir werden dafür sorgen, daß
    sie nicht die Erfahrung machen, ausgeschlossen zu sein,
    noch bevor sie in den Prozeß einsteigen konnten, den sie
    eigentlich gestalten sollen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Aber machen wir uns nichts vor: Die Bewältigung
    des Jahrhundertproblems Arbeitslosigkeit kann nur ge-
    lingen, wenn alle gesellschaftlich Handelnden dabei
    mitmachen. Die eine, einzelne Maßnahme zur Lösung
    des Problems gibt es nicht. Steuerpolitik, Abgabenredu-
    zierung, Zukunftsinvestitionen und Tarifpolitik müssen
    einander sinnvoll ergänzen. Erst im Zusammenwirken
    aller volkswirtschaftlichen Akteure kann dauerhaft mehr
    Beschäftigung entstehen. Ich betone: im Zusammenwir-
    ken aller volkswirtschaftlichen Akteure. Das ist die Er-
    fahrung, die man in anderen Ländern hat machen kön-
    nen.

    Das ist auch die positive Erfahrung, die in vergange-
    nen Zeiten mit einem funktionierenden Modell
    Deutschland gemacht worden ist. Die deutschen Unter-
    nehmer stehen dabei ebenso in der Verantwortung wie
    die Sozialverbände und die Gewerkschaften. Sie alle la-
    de ich zu einem Bündnis für Arbeit und für Ausbil-
    dung ein. Ich bin froh, bestätigen zu können: Das erste
    Treffen wird bereits Anfang Dezember stattfinden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dieses Bündnis wird als ständiges Instrument zur Be-
    kämpfung der Arbeitslosigkeit eingerichtet. Ich weiß in-
    zwischen, daß die Beteiligten meiner Einladung folgen
    und ihren Teil der Verantwortung übernehmen wollen.
    Ich erwarte, daß sich die Gesprächspartner vom Denken
    in angestammten Besitzständen und von überkommenen
    Vorstellungen lösen. Das, meine Damen und Herren, gilt
    für alle Beteiligten.

    Ich setze darauf, daß wir zu einer vorurteilsfreien Be-
    urteilung der Lage kommen und daß unsere Diskussio-
    nen vom fairen Ausgleich zwischen Geben und Nehmen
    geprägt sind. Bündnisse für Arbeit wirken bereits überall
    mit Erfolg, in unseren Nachbarstaaten, aber auch in un-
    gezählten Betrieben in unserem eigenen Land. Hier in
    Deutschland haben sozial verantwortliche Unternehmer
    und tüchtige, ökonomisch denkende Betriebsräte unsere
    Mitbestimmung zu einem modernen, weltweit vorbildli-
    chen Modell entwickelt. Dies werden wir verteidigen
    und ausbauen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Das Bündnis für Arbeit ist der richtige Ort, um sich
    den drängenden Fragen zu stellen: Welche Spielräume
    kann die Abgabenpolitik des Staates, kann die Tarifpo-
    litik schaffen? Was bedeutet es, die Sozialleistungen
    stärker auf die Bedürftigen zu konzentrieren? Welche
    Spielräume schaffen wir damit für Investitionen, und
    welche Möglichkeiten bieten Instrumente wie Investiv-
    lohn und ähnliches? Welche Chancen bieten sich für uns
    alle, auch für die Beschäftigten, bei der Flexibilisierung
    der Arbeitszeiten?

    Ich erwarte auch, daß wir in diesem Bündnis für Ar-
    beit und Ausbildung die einmaligen Gelegenheiten nut-
    zen, die uns die neuen politischen Konstellationen in Eu-
    ropa bieten. Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit kann mit
    dieser Bundesregierung nun endlich auch als europäi-
    sche Frage behandelt werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    In bezug auf diese Frage haben unsere Partner in Europa
    – bei allem Respekt vor sonstigem – lange gewartet.

    Mit der Steuerreform, der Entlastung bei den Lohn-
    nebenkosten und dem Sofortprogramm gegen Ju-
    gendarbeitslosigkeit bringt die Bundesregierung gute
    Vorleistungen in das Bündnis für Arbeit ein.


    (Beifall bei der SPD)

    Ich erwarte, daß auch die anderen wirtschaftlich Han-
    delnden unserem Beispiel folgen. Die Menschen haben
    ein Recht darauf, daß wir uns der Verantwortung stellen
    und die Chancen entschlossen ergreifen, die uns ein
    Bündnis für Arbeit in Deutschland, mitten in einem so-
    zialer gewordenen Europa, eröffnet.

    Niemand erwartet von diesem Bündnis Patentlösun-
    gen. Aber alle stehen in der Pflicht, das Beste zu geben:
    Zusammenarbeit, Zukunftswillen und Zuversicht – das
    sind die Koordinaten des Bündnisses für Arbeit und
    Ausbildung. Gelingen kann ein solches Bündnis nur,
    wenn wir uns vorbehaltlos der Wirklichkeit stellen. Das
    mindeste, was die Bürgerinnen und Bürger von uns ver-
    langen können, ist der Wille zur Aufrichtigkeit, zur Be-
    schreibung der Wirklichkeit. Wir dürfen auch vor unbe-
    quemen Wahrheiten nicht haltmachen. Oft genug ist die
    gesellschaftliche Wirklichkeit verdrängt worden, zuge-
    deckt mit Lebenslügen und voreiligen Versprechungen.

    Ich unterstreiche: Diese Bundesregierung sagt den
    Menschen weder: „Alles ist schlecht“, noch sagt sie ih-
    nen: „Alles wird gut.“ Aber sie sagt zum Beispiel, daß
    es in diesem Land Menschen gibt, die unter den Bedin-
    gungen nackter Ausbeutung arbeiten müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Daß solche Beschäftigungen illegal sind, daß sich oft
    genug auch die Beschäftigten illegal hier aufhalten, das
    ändert nichts an den menschenunwürdigen Zuständen,
    die damit verbunden sind und die wir beseitigen müssen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    Diese Bundesregierung sagt auch, daß es in diesem
    Land Arbeit gibt, gutbezahlte Arbeit, die an den Sozial-
    systemen vorbei als „Schwarzarbeit“ angeboten – und
    nachgefragt – wird. Niemand sollte diese Schwarzar-
    beit verharmlosen oder aufhören, sie von Rechts wegen
    zu bekämpfen. Sie ist und bleibt Betrug an der Solidar-
    gemeinschaft.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Aber es gilt zu erkennen, daß Schwarzarbeit erst dann
    ganz verschwinden wird, wenn sich die reguläre, ver-
    steuerte und sozialversicherte Arbeit wieder lohnt,


    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    wenn die Menschen für ihre Arbeit wieder mehr Geld
    ins Portemonnaie bekommen. Das ist der Sinn bei den
    Entlastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
    Wir werden diese Entlastung vornehmen; Sie haben das
    nicht getan.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


    Deshalb wird auch bei der Bekämpfung der illegalen
    Arbeit der Satz gelten: Hart gegen den Rechtsbruch,
    aber nicht minder hart gegen die Ursachen.

    Wie für die innere Sicherheit so gilt auch für die so-
    ziale Sicherheit: Wir wollen alles tun, damit sich alle
    Bürger sicher fühlen können. Aber wir haben Grund zu
    der Annahme, daß es die Systeme der sozialen Siche-
    rung selbst sind, die durch ihre hohen Kosten immer
    mehr Menschen in die Flucht aus diesen Sozialsystemen
    treiben: in illegale, sozial nicht abgesicherte Arbeit oder
    in Scheinselbständigkeit. Wenn das so ist, heißt das, daß
    eine abstrakte soziale Sicherheit in immer mehr Einzel-
    fällen konkrete soziale Unsicherheit produziert und daß
    die Art, wie wir soziale Sicherheit organisieren, tatsäch-
    lich Arbeitsplätze vernichten oder gefährden kann. Des-
    halb müssen die Systeme und die Kosten der sozialen
    Sicherung insgesamt auf den Prüfstand.

    Wir werden die Augen vor solchen Wahrheiten nicht
    verschließen, und wir werden auch Konsequenzen dar-
    aus ziehen.


    (Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Erstmals, meine Damen und Herren, geht eine deutsche
    Bundesregierung daran, mit staatlichen Mitteln die
    Lohnnebenkosten zu senken. Die Entlastung der Ar-
    beitskosten durch Senkung der Rentenbeiträge um
    0,8 Prozent zum 1. Januar 1999 wird pünktlich in Kraft
    treten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir sind darüber hinaus bereit, gezielt Sozialabgaben
    zu bezuschussen, wenn dadurch weniger produktive Ar-
    beit bezahlbar gemacht werden kann.

    Das soziale Netz muß nach unserer Auffassung zu ei-
    nem Trampolin werden. Von diesem Trampolin soll je-
    der, der vorübergehend der Unterstützung bedarf, rasch
    wieder in ein eigenverantwortliches Leben zurückfedern
    können.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das, meine Damen und Herren, meinen wir, wenn wir
    sagen, daß es uns wichtiger ist, Arbeit zu finanzieren, als
    Arbeitslosigkeit bezahlen zu müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    In diesen Zielen wissen wir uns übrigens mit der gro-
    ßen Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland einig; wir
    wissen sie hinter uns. Doch die Initiativen der Bundes-
    regierung werden kaum ausreichen, den Kostendruck
    entscheidend zu lindern. Bei einem gerechten Umbau
    des Sozialstaates sind alle Beteiligten gefragt: die Ver-
    sicherten wie auch die Verbände und die Versiche-
    rungsträger, die Unternehmer und die Gewerkschafter.

    Dabei werden wir uns von einem Grundsatz leiten
    lassen: Die Stärke des Sozialstaates bemißt sich nicht an
    den Milliarden, die er ausgibt. Sie muß sich beweisen an
    der Qualität der Leistungen, die erbracht werden.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


    Damit hier keine Mißverständnisse aufkommen: Un-
    sere Gesellschaft erwirtschaftet genug, um sich den So-
    zialstaat leisten zu können. Was wir uns nicht leisten
    können, sind Ungerechtigkeit und Untätigkeit. Wir
    brauchen die Menschen in Deutschland nicht auf „Blut,
    Schweiß und Tränen“ einzustimmen. Die Menschen ha-
    ben gezeigt, daß sie bereit sind zu teilen und zu geben.
    Wie sonst, wenn nicht durch den Elan und die Solidari-
    tät der Menschen im Osten und im Westen hätte es die
    – bei allen Defiziten – doch beachtlichen Leistungen
    beim Aufbau der Wirtschaft in den neuen Ländern
    geben können? Ich sage ganz deutlich: Wir werden diese
    Solidarität mit den Menschen im Osten des Landes auch
    weiterhin brauchen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wer die dafür nötigen Leistungen zurückfährt, der ge-
    fährdet das Erreichte. Wir sind noch immer weit entfernt
    von gleichwertigen Lebensbedingungen in Ost und
    West.

    Das heißt konkret: Der Solidarpakt von 1993 wird
    auch weiterhin das finanzielle Rückgrat des wirtschaftli-
    chen Aufbaus bleiben. Wir werden die Maßnahmen der
    aktiven Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern, die –
    das kennen wir ja schon – vor der Wahl kurzfristig
    hochgefahren wurden und jetzt, wenn nichts geschähe,
    wieder ausliefen, auf dem bisherigen Niveau verstetigen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Über Bildungs- und Qualifizierungsangebote wollen
    wir möglichst vielen den Weg zurück in den ersten Ar-
    beitsmarkt ebnen. Dennoch wird eine aktive Beschäfti-
    gungspolitik auf relativ hohem Niveau im Osten
    Deutschlands noch für eine ganze Weile notwendig und
    unverzichtbar bleiben. Auch die bislang bis Ende 1998
    befristeten Regelungen zum Investitionsvorrang für
    Ostdeutschland werden wir fortführen. Diese Bundes-
    regierung, meine Damen und Herren, weckt auch dort
    keine Illusionen. Sie sagt, daß uns noch eine lange und
    schwierige Wegstrecke des wirtschaftlichen Aufbaus in
    den neuen Bundesländern bevorsteht. Aber sie zollt Le-
    bensleistung und Biographien der Menschen im Osten
    Achtung und hohen Respekt.

    Die Anstrengungen werden sich lohnen, denn wir ha-
    ben die Chance, überall in Ostdeutschland Regionen mit
    ökonomischem und ökologischem Vorbildcharakter zu
    schaffen, wirklich neue Wege zu gehen, statt Abziehbil-
    der der alten Bundesrepublik herzustellen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Menschen in den neuen Ländern – auch das gilt
    es zu erkennen – haben Deutschland auch und gerade
    kulturell stark bereichert. Viele im Westen können und
    sollten von ihrer Zivilcourage, ihrer Kreativität und ih-
    rem Erfindungsreichtum lernen. Wir wissen, meine Da-
    men und Herren, daß wir eine Nation mit einer gemein-
    samen Kultur, Sprache und Geschichte sind, allerdings
    auch eine Nation, die 40 Jahre Spaltung in getrennte
    Staaten hat erdulden müssen.

    Wir kennen die Mängel in den Regelungen über die
    Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer von
    DDR-Unrecht, und wir werden die Härten beseitigen.

    Gegen die Spaltung setzen wir den Willen zu mehr
    Normalität im Umgang miteinander. Besserwisserei und
    Larmoyanz, die Geringschätzung des anderen, seiner
    Vorlieben, seiner Gewohnheiten, all das hat in einer
    modernen Demokratie nichts zu suchen.

    Was wir allerdings verbessern wollen und müssen, ist
    die Zielgenauigkeit der Aufbau- und Fördermaßnah-
    men. Die Bundesregierung wird ein Förderkonzept ent-
    wickeln, das sich an drei Zielen ausrichtet: erstens der
    Sicherung der Förderpräferenz für die neuen Bundeslän-
    der, zweitens dem verstärkten Ausbau der infrastruktu-
    rellen Versorgung insbesondere in den wirtschaftlichen
    Problemregionen sowie drittens der Stärkung der Inno-
    vationsfähigkeit der Unternehmen und dem Ausbau von
    Finanzierungsformen, die den besonderen Problemen
    ostdeutscher Unternehmen gerecht werden.


    (Beifall bei der SPD)

    Die Eigenkapitalbasis der Unternehmen im Osten

    muß gestärkt werden.
    Vor allem die jungen und noch nicht so finanzstarken

    Kleinbetriebe in den neuen Ländern leiden existentiell
    unter einer zunehmend laxer werdenden Zahlungsmoral.
    Wir werden deshalb dafür sorgen, daß zahlungsunwilli-
    ge Schuldner begreifen, daß schlechte Zahlungsmoral
    sich auch finanziell nicht lohnt.

    Wir wollen die Anstrengungen zur Sanierung und
    Gestaltung der Städte verstärken und auch darüber
    wieder mehr Menschen in Beschäftigung bringen.

    Ich habe als Bundeskanzler erklärt, den Aufbau Ost
    zur Chefsache zu machen. Die Kompetenzen dafür wer-
    den gebündelt. Mir wird ein Staatsminister im Bundes-
    kanzleramt zur Seite stehen, der vor allem für eine sehr
    enge Koordination mit den Landesregierungen in den
    ostdeutschen Ländern sorgen wird.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das Bundeskabinett wird alle zwei Monate in einem

    der neuen Länder tagen, um mit den dortigen Landesre-
    gierungen die Lage zu erörtern und konkrete Projekte
    auf den Weg zu bringen, die der Situation dort gerecht
    werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN)


    Gerade in den neuen Bundesländern haben die Bürge-
    rinnen und Bürger ihre ganz speziellen Erfahrungen mit
    Dichtung und Wahrheit in der Politik gemacht.


    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben deshalb einen Anspruch darauf, daß wir die

    Probleme vor Ort beim Namen nennen, vor Ort Lösun-
    gen entwickeln und sie dann auch zügig durchsetzen.
    Realitätssinn und Reformwillen sind schließlich keine
    Optionen, die wir nach Belieben umsetzen und aus-
    schlagen könnten.

    Kurz vor der Jahrtausendwende ist die Welt in bahn-
    brechenden Veränderungen begriffen. Die Digitalisie-
    rung des Wissens und der Produktion, die Globalisie-
    rung der Waren- und Finanzmärkte zwingt uns zu An-
    passungen und zum Umdenken, zum Abschied von lieb-
    gewordenen Traditionen und Gewohnheiten. Das macht
    vielen Menschen angst. Aber, meine Damen und Herren,
    Angst haben müssen wir nicht vor der Veränderung,
    Angst haben müssen wir nur davor, im Stau selbstge-
    setzter Blockaden stecken zu bleiben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Wirklichkeit unseres Erwerbslebens hat sich
    drastisch verändert. Der schöne und viele Jahre Sicher-
    heit verheißende Ausdruck, jemand habe nach der be-
    ruflichen Qualifikation „ausgelernt“, hat seine Bedeu-
    tung verloren. Das Weiter- und das Dazulernen sind
    heute unabdingbare Anforderungen für jeden. Diese gilt
    es zu realisieren. Aber sie sind auch eine Herausforde-
    rung an die Neugier und Leistungsbereitschaft eines je-
    den.

    Dieser veränderten Realität muß sich auch unser So-
    zialsystem anpassen. So werden wir bei der Rentenre-
    form selbstverständlich die Zunahme der sogenannten
    unsteten Erwerbsverläufe angemessen berücksichtigen.
    Insbesondere Frauen dürfen eben nicht dafür bestraft
    werden, daß sie ihr Leben flexibel gestalten, daß Phasen

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    der Kindererziehung, der Erwerbsarbeit und des Lernens
    einander abwechseln.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Meine Damen und Herren, wer das Lernen gering-
    schätzt und die Möglichkeiten des Wissens nicht nutzt,
    läuft in eine Falle. Wenn wir die ökologische Moderni-
    sierung wollen, dann heißt das auch, daß wir die enor-
    men Möglichkeiten, die uns die Bio-, die Medizin- und
    die Gentechnik bieten, in verantwortbarem Rahmen nut-
    zen und entwickeln wollen. Wenn wir den Weg in eine
    Gesellschaft gehen wollen, die industriell stark, tech-
    nisch innovativ, sozial gerecht und serviceorientiert ist,
    dann können wir es uns nicht leisten, gerade die perso-
    nenbezogenen oder die im Haushalt erbrachten Dienst-
    leistungen als minderwertig zu diskriminieren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


    Wir werden uns von der Vorstellung trennen müssen,
    nur die in der unmittelbaren Produktion erbrachte kör-
    perliche "Maloche" oder der Dienst im Büroalltag seien
    wirkliche Arbeit. Unser Augenmerk gilt allen, die ge-
    sellschaftlichen Wohlstand und gesellschaftliches Wohl-
    ergehen schaffen, den produktiv Beschäftigten ebenso
    wie den vielen, die das Wagnis der Existenzgründung
    auf sich nehmen, und genauso sehr denen, die sich um
    die Belange der Menschen kümmern.

    Haushaltshilfe und Altenbetreuung, Einpack- oder
    Einpark-Service sind Dienstleistungen an der Allge-
    meinheit, deren sich niemand schämen muß. Diejenigen,
    die diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen
    und sie angemessen zu bezahlen in der Lage sind, wer-
    den in unserer Gesellschaft immer mehr. Auch deshalb
    werden wir die sogenannten 620-Mark-Jobs nicht ein-
    fach abschaffen. Aber wir werden sie angemessen in die
    Sozialversicherungspflicht einbeziehen.


    (Beifall bei der SPD)

    Die Grenze werden wir auf 300 DM festlegen. Da wir

    gleichzeitig die Pauschalbesteuerung aufheben, werden
    diese Tätigkeiten nicht unzumutbar verteuert.

    Man sieht daran: Die Bundesregierung erkennt aus-
    drücklich die Notwendigkeit und Berechtigung solcher
    Beschäftigungsverhältnisse an: sowohl für die Arbeitge-
    ber als auch für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und
    Arbeitnehmer und für die Verbraucher. Aber wir wollen
    gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften den
    Mißbrauch, der mit dieser Regelung betrieben worden
    ist, ernsthaft bekämpfen.


    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Mehr Flexibilität im Arbeitsleben darf nicht auf Ko-
    sten sozialer Sicherheit gehen. Vor allem darf sie nicht
    zu Lasten der Frauen gehen, denen die Gesellschaft
    schon immer mit größter Selbstverständlichkeit höchste
    Flexibilität abverlangt hat. Wir müssen die Vorausset-

    zungen dafür schaffen, daß Frauen, die es wollen, am
    Erwerbsleben teilhaben können. Dabei haben wir nicht
    nur gegen überkommene Strukturen in der Gesellschaft
    zu kämpfen. Wir müssen auch ein Schul- und Betreu-
    ungssystem schaffen, das die Lebenswirklichkeit mo-
    derner Familien und von Alleinerziehenden ausreichend
    berücksichtigt.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Die Bundesregierung wird schon Anfang 1999 ein
    Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ initiieren. Wir wer-
    den ein wirksames Gleichstellungsgesetz vorlegen, auf
    Chancengleichheit bei der Ausbildung insbesondere in
    zukunftsorientierten Berufen achten, Existenzgründerin-
    nen besonders unterstützen und die Bedingungen für
    flexiblere Arbeitszeiten verbessern.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub werden wir zu
    einem Elterngeld und zu einem flexiblen Elternurlaub
    weiterentwickeln. Die Schaffung von größeren und bes-
    seren Angeboten zur Kinderbetreuung werden wir unter-
    stützen.

    Aber ein solches Aktionsprogramm bleibt ein Trop-
    fen auf den heißen Stein, solange wir nicht die objektive
    Benachteiligung von Frauen aufheben, etwa in der Ren-
    tenversicherung. Auch darüber ist viele Jahre geredet
    worden, aber es ist nichts geschehen. Was geschehen ist,
    hat die Lage der Menschen eher verschlechtert. Deshalb
    sind wir auch hier gefordert, zu modernisieren und so-
    ziale Gerechtigkeit wiederherzustellen.

    Die Bundesregierung wird zunächst die von ihrer
    Vorgängerin getroffenen Maßnahmen zur Verschlechte-
    rung der Rentnerinnen und Rentner aussetzen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wir sagen ausdrücklich „Maßnahmen“ und nicht „Re-
    form“, denn die Reform liegt noch vor uns.


    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen den Begriff der Reform wieder in sein
    Recht setzen. Reform – das Wort war einmal klar defi-
    niert als Programm oder Projekt, das die Lebensverhält-
    nisse der Menschen verbessert. So war das damals bei
    der Einführung des Frauenwahlrechts vor – fast auf den
    Tag genau – 80 Jahren, eine Reform, die August Bebel
    und die Sozialdemokraten erkämpft hatten. So war das
    auch in den 70er Jahren, als Sozialdemokraten und ihre
    Bündnispartner unter Willy Brandt und Helmut Schmidt
    tatsächlich „mehr Demokratie wagten“ und mehr Chan-
    cengleichheit herstellten.

    Heute stehen wir erneut vor der Notwendigkeit von
    Reformen, die das Leben der Menschen verbessern sol-
    len. Es geht nicht zuletzt darum, die gewaltig entfalteten
    Produktivkräfte, den immensen Reichtum an Waren und
    Dienstleistungen, den wir erwirtschaften, wieder in

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    einen sozialen, in einen sinnstiftenden Zusammenhang
    zu integrieren; denn das ist verlorengegangen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das muß das große gesellschaftliche Projekt der Neu-
    en Mitte sein: die ökologische und solidarische Erneue-
    rung unserer Gesellschaft und Ökonomie zu einer mo-
    dernen sozialen Marktwirtschaft. Daran werden wir ar-
    beiten; das werden wir miteinander leisten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das ist auch der Grund, warum wir bei der Alterssi-
    cherung eine echte Solidarität der Generationen, nicht
    nur eine Solidarität der Berufsgruppen erzielen wollen.
    Wir wollen einen mit Leben erfüllten Generationenver-
    trag, keinen Vertrag zu Lasten der Arbeit. In diesem
    Sinne werden wir dem Bundestag Vorschläge zur Re-
    form der Alterssicherung vorlegen, die auf Solidarität,
    aber auch auf die gesellschaftliche Realität abzielen.

    Dabei geben wir eine dreifache Garantie ab: Wir
    werden den heute in Rente lebenden Menschen ihre
    Rente sichern und ihnen jedenfalls ihre ohnehin oft ge-
    ringen Einkünfte nicht kürzen. Denjenigen, die heute in
    die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, sagen wir
    zu, daß sie damit einen wirksamen und leistungsgerech-
    ten Rentenanspruch erwerben. Denjenigen, die jetzt ins
    Berufsleben eintreten, sichern wir den Umbau der Al-
    terssicherung zu einem transparenten, zukunftsfähigen
    Versicherungspakt zu.

    Dieser Pakt wird auf vier Säulen stehen: Das sind die
    gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche Alters-
    vorsorge, die private Vorsorge, deren Organisation vom
    Staat, etwa in steuerlicher Hinsicht, ermutigt wird, und
    die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
    mer am Produktivkapital und an der Wertschöpfung in
    den Unternehmen. Für den Nutzen der Reform, die wir
    im Grundsatz vereinbart haben, gibt es auf der ganzen
    Welt gute Beispiele; von denen können, von denen wer-
    den wir lernen.

    Bei der gesetzlichen Rentenversicherung müssen wir
    die finanzielle Grundlage verbreitern und versicherungs-
    fremde Leistungen staatlich finanzieren.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Bei den Lebensversicherungen werden wir für mehr
    Wettbewerb und mehr Transparenz sorgen. Die zu-
    kunftsfähige Erneuerung der betrieblichen Altersvorsor-
    ge muß im Bündnis für Arbeit und Ausbildung fest ver-
    einbart werden. Die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen
    und Arbeitnehmer am Produktivvermögen werden wir
    unterstützen. Durch die Nettoentlastung der Lohn- und
    Einkommensteuerzahler schaffen wir auch auf diesem
    Sektor beachtliche Spielräume für die Tarifpartner.

    Eine derartige Reform wird ihren Namen verdienen –
    anders als die Rentenkürzungen und die weiteren sozia-
    len Einschnitte, die wir noch in diesem Jahr aussetzen,

    um Raum für wirklich zukunftsfähige Lösungen zu
    schaffen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Verschlechterungen beim Kündigungsschutz
    und bei der Lohnfortzahlung werden wir – wie wir es
    versprochen haben – zum 1. Januar 1999 aufheben.


    (Beifall bei der SPD)

    Im Gesundheitswesen werden wir die Belastungen

    der Kranken, vor allem der chronisch Kranken und der
    älteren Patienten, zurückführen. Die Zuzahlungen der
    Versicherten bei Medikamenten werden ebenfalls zum
    1. Januar 1999 gesenkt. Das sogenannte Krankenhaus-
    notopfer wird ab sofort ausgesetzt.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch im Gesundheitswesen reichen die heute zur
    Verfügung stehenden Finanzmittel für eine qualitativ
    hochwertige Versorgung im Prinzip aus. Nicht die Ra-
    tionierung in der gesetzlichen Krankenversicherung,
    sondern die Rationalisierung in der Versorgung ist der
    richtige Weg – und den werden wir gehen, meine Da-
    men und Herren.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich weiß, die Tradition, die soziale Sicherheit zu wah-
    ren, gilt heute manchen schon als revolutionär. Dafür die
    traditionellen Mittel aufzuwenden wäre aber womöglich
    reaktionär. Weder auf dem Renten- noch auf dem Ge-
    sundheitssektor werden wir uns in diesem Widerspruch
    verfangen. Wir stehen auch in diesen Bereichen für eine
    Reform, die sich an den Realitäten orientiert.

    Die Realität lehrt uns zum Beispiel, daß Deutschland
    in den vergangenen Jahrzehnten eine unumkehrbare
    Zuwanderung erfahren hat. Wir haben die Menschen,
    die in den 50er Jahren zu uns kamen, eingeladen. Heute
    sagen wir diesen unter uns lebenden Mitbürgerinnen und
    Mitbürgern, daß sie keine Fremden sind. Zu Fremden
    machen sich vielmehr diejenigen, die in unserem Land
    den Fremdenhaß propagieren.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Das wollen wir nicht. Diesen verblendeten Minderheiten
    setzen wir eine entschiedene Politik der Integration ent-
    gegen.


    (Beifall bei der SPD)

    Den Zuwanderern, die bei uns arbeiten, sich legal in

    Deutschland aufhalten, Steuern zahlen und sich an die
    Gesetze halten, ist viel zu lange gesagt worden, sie seien
    bloß Gäste. Dabei sind sie real längst Mitbürgerinnen
    und Mitbürger geworden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    Diese Bundesregierung wird deshalb ein modernes
    Staatsangehörigkeitsrecht entwickeln. Es wird die
    Voraussetzungen dafür schaffen, daß diejenigen, die auf
    Dauer bei uns leben und deren Kinder, die hier bei uns
    geboren sind, volles Bürgerrecht erhalten können.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


    Niemand, der Deutscher werden will, soll dafür seine
    ausländischen Wurzeln aufgeben oder verleugnen müs-
    sen. Deshalb werden wir eine doppelte Staatsbürger-
    schaft ermöglichen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der PDS)


    Integration erfordert auch und gerade die aktive Mitwir-
    kung derer, die sich integrieren sollen. Aber wir werden
    denen, die dauerhaft hier leben, arbeiten, ihre Steuern
    zahlen und die Gesetze achten, die Hand reichen, damit
    sie sich in unsere Demokratie als Menschen auch wirk-
    lich einbringen können.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    So nehmen wir die Wirklichkeit in Europa positiv zur
    Kenntnis, so wollen wir das miteinander halten, und so
    sollte es in Deutschland üblich werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Unser Nationalbewußtsein basiert eben nicht auf den
    Traditionen eines wilhelminischen „Abstammungs-
    rechts“, sondern auf der Selbstgewißheit unserer Demo-
    kratie. Wir sind stolz auf dieses Land, auf seine Land-
    schaften, auf seine Kultur, auf die Kreativität und den
    Leistungswillen seiner Menschen. Wir sind stolz auf die
    Älteren, die dieses Land nach dem Krieg aufgebaut und
    ihm seinen Platz in einem friedlichen Europa geschaffen
    haben. Wir sind stolz auf die Menschen im Osten unse-
    res Landes, die das Zwangssystem der SED-Diktatur ab-
    geschüttelt und die Mauer zum Einsturz gebracht haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Was ich hier formuliere, ist das Selbstbewußtsein
    einer erwachsenen Nation, die sich niemandem über-,
    aber auch niemandem unterlegen fühlen muß,


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    die sich der Geschichte und ihrer Verantwortung stellt,
    aber bei aller Bereitschaft, sich damit auseinanderzuset-
    zen, doch nach vorne blickt. Es ist das Selbstbewußtsein
    einer Nation, die weiß, daß die Demokratie nie für die
    Ewigkeit erworben ist, sondern daß Freiheit, wie es schon
    in Goethes „Faust“ heißt, „täglich erobert“ werden muß.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Auch unsere Nachbarn in Europa wissen, daß sie uns als
    Deutschen um so besser trauen können, je mehr wir
    Deutschen selbst unserer eigenen Kraft vertrauen.


    (Beifall des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD])


    Es waren in der Vergangenheit immer die gefährli-
    chen Schieflagen im nationalen Selbstbewußtsein, die zu
    Extremismus und Unfrieden geführt haben. In diesen
    Tagen ist es 80 Jahre her, daß der erste Weltkrieg zu
    Ende gegangen ist. In Frankreich und Deutschland ist
    damit das Gedenken an Leid und unsagbaren Schmerz
    verbunden. Beide Völker sind deswegen unumkehrbar in
    dem Bewußtsein geeint: „Nie wieder!“

    Für uns Deutsche ist der gestrige Tag, der
    9. November, geschichtsbeladen und ambivalent wie
    kein anderer. Kein anderes Datum symbolisiert Stolz
    und Schmerz, Freude und Schande in der Geschichte un-
    serer Nation so sehr wie dieser 9. November. Es ist der
    Tag, da die erste deutsche Republik entstand. Es ist der
    Tag, an dem für Millionen von Ostdeutschen die Berli-
    ner Mauer passierbar wurde. Aber es ist auch der Tag
    der Reichspogromnacht, als 1938 Deutsche in verbre-
    cherischem Rassenwahn im ganzen Land Synagogen
    anzündeten, die Häuser und Geschäfte jüdischer Mitbür-
    ger zerstörten und die jüdischen Mitbürgerinnen und
    Mitbürger töteten.

    Vieles, was die Väter und Mütter unserer Verfassung
    konzipiert haben, geschah vor allem in Erinnerung an
    diese nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Die
    gemeinsame Geschichte verpflichtet auch uns. Aber in-
    zwischen – das ist gut so – ist unsere Demokratie kein
    zartes Pflänzchen mehr, sondern ein starker Baum. Die
    Deutschen haben mit Hilfe ihrer Freunde und Verbün-
    deten die staatliche Einheit in Frieden und Selbstbe-
    stimmung vollenden können. Wir bekennen uns unein-
    geschränkt zu unserer Verankerung im westlichen
    Bündnis und in der Europäischen Union. Wir sind heute
    Demokraten und Europäer – nicht, weil wir es müßten,
    sondern weil wir es wirklich wollen, meine Damen und
    Herren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Als Demokraten und Europäer wollen wir die Instru-
    mente der Demokratie weiterentwickeln. Wir werden sie
    an den Erfordernissen einer modernen Politik ausrichten,
    die auf Partnerschaft und Dialog gegründet ist. Die de-
    mokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und
    Bürger werden wir stärken. Wir werden mit den Um-
    weltverbänden über ein Verbandsklagerecht reden, das
    nicht noch mehr politische Entscheidungen auf die Justiz
    abwälzt, sondern die Beteiligung betroffener und sach-
    kundiger Bürger schon im Vorfeld stärkt; darum geht es
    uns.

    Wir werden da, wo es geht, Gesetze mit einem Über-
    prüfungsvorbehalt versehen und sie nach einem ver-
    nünftigen Zeitraum der Erprobung erneut dem Parla-
    ment vorlegen, um sie zu korrigieren oder auch zu be-
    stätigen.

    Wir halten es mit der Maxime des großen Philoso-
    phen Ernst Bloch:

    Alles Gescheite mag schon siebenmal gedacht wor-
    den sein. Aber wenn es wieder gedacht wurde, in
    anderer Zeit und Lage, war es nicht mehr dasselbe.

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Nicht nur dein Denken, sondern vor allem das zu
    Bedenkende hat sich unterdes geändert.

    Daran orientieren wir uns, wenn wir sagen: Wir wollen
    uns den Realitäten stellen und wieder einmal mehr De-
    mokratie praktizieren.

    Meine Damen und Herren, es ist heute eine lebendige
    und stabile Demokratie, die wir beim Umzug der Ver-
    fassungsorgane nach Berlin mitnehmen. Die Baumaß-
    nahmen dafür werden zügig zu Ende geführt, und die
    Bundesregierung wird helfen, die Voraussetzungen zu
    schaffen, die Berlin braucht, um seiner Aufgabe als
    Hauptstadt gerecht zu werden. Insbesondere die städte-
    bauliche Neuordnung der Berliner Mitte werden wir
    unterstützen.

    Aber es geht ja um mehr als um einen Umzug, meine
    Damen und Herren. Es geht auch hier um einen Auf-
    bruch. Wir gehen übrigens nicht nach Berlin, weil wir in
    Bonn gescheitert wären. Ganz im Gegenteil! Das
    40jährige Gelingen der Bonner Demokratie, die Politik
    der Verständigung und guten Nachbarschaft, die
    Leuchtkraft eines Lebens in Freiheit haben dazu beige-
    tragen, die deutsche Teilung zu überwinden und das zu
    ermöglichen, was wir heute gemeinhin „Berliner Re-
    publik“ nennen. Jürgen Habermas und viele andere er-
    hoffen sich von dieser Berliner Republik ein, wie er
    formuliert hat, „ziviles Land, das sich kosmopolitisch
    öffnet und behutsam-kooperativ in den Kreis der ande-
    ren Nationen einfügt“. Daran wollen wir arbeiten.

    In der öffentlichen Diskussion hat es aber auch Ein-
    wände gegen diesen Begriff gegeben. Manchen klingt
    Berlin immer noch zu preußisch-autoritär, zu zentrali-
    stisch. Dem setzen wir unsere ganz und gar unaggressive
    Vision einer Republik der Neuen Mitte entgegen. Die-
    se Neue Mitte grenzt niemanden aus. Sie steht für Soli-
    darität und Innovation, für Unternehmungslust und Bür-
    gersinn, für ökologische Verantwortung und eine politi-
    sche Führung, die sich als modernes Chancenmanage-
    ment begreift. Symbolisch nimmt diese Neue Mitte Ge-
    stalt in Berlin an: mitten in Deutschland und mitten in
    Europa.

    Allerdings bleibt auch hier die Vergangenheit leben-
    dig. In jüngster Zeit, meine Damen und Herren, werden
    große deutsche Unternehmen mit dieser Vergangenheit
    in besonderem Maße konfrontiert. Deshalb habe ich
    noch vor der Aufnahme meiner Amtsgeschäfte betroffe-
    ne Industrieunternehmen zusammengerufen, um über
    einen gemeinsamen Fonds zur Entschädigung berech-
    tigter Ansprüche von Zwangsarbeitern zu sprechen.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Gemeinsam heißt hier Gemeinsamkeit der Unterneh-
    men. Ich habe den Eindruck, daß die Unternehmen zu
    einer fairen Lösung hinsichtlich der berechtigten An-
    sprüche bereit sind.

    Aber ich sage genauso deutlich: Wo es nicht um den
    Ausgleich erlittenen Unrechts geht, werden wir unseren
    Unternehmen und damit auch ihren Arbeitnehmerinnen
    und Arbeitnehmern im Inland, aber auch im Ausland
    Schutz gewähren.

    Über das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin
    wird nicht per Exekutivbeschluß entschieden, sondern
    unter Berücksichtigung der breiten öffentlichen Debatte
    hier im Deutschen Bundestag. Wir sind sicher, daß wir
    dabei eine würdige Lösung finden werden, die in ein
    Gesamtkonzept für die Gedenkstätten in Deutschland
    eingebettet wird.

    Aber in diesem Geschichtsbewußtsein sagen wir
    auch, daß Berlin noch für ganz andere Traditionen steht
    als nur für die Erinnerung an totalitäre Schreckensherr-
    schaft. Berlin steht auch für demokratische Selbstbe-
    hauptung und Freiheitswillen; beides wurde vor allem
    von den sozialdemokratischen Stadtoberhäuptern Ernst
    Reuter und Willy Brandt verkörpert.


    (Beifall bei der SPD)

    Berlin steht für ein weltoffenes Klima, das die Stadt

    zum Anziehungspunkt für die Jugend und für die kultu-
    relle Avantgarde aus ganz Europa gemacht hat. Die
    kulturellen Brücken nach New York, Warschau, Moskau
    und Paris sind längst wieder geschlagen. Für die jünge-
    ren Deutschen und Europäer ist Berlin vor allem eine
    heitere und aufregende Stadt, die sie von Klassenreisen,
    Fußballspielen oder auch von der Love-Parade her ken-
    nen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Fraktionsvorsitzender, ich weiß nicht, warum

    Sie so besonders lächeln.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Wir gehen zusammen zur Love-Parade!)

    Auch und gerade an diesen Traditionen werden wir an-
    knüpfen, wenn wir Berlin zur Hauptstadt einer Republik
    der Neuen Mitte machen wollen.

    Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zur
    kulturellen Förderung Berlins.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Diese wird mit Unterstützung kultureller Projekte und
    Einrichtungen in den neuen Ländern einhergehen. Zur
    Bündelung der kulturpolitischen Kompetenzen des Bun-
    des schaffen wir das Amt eines Staatsministers für
    kulturelle Angelegenheiten. Er wird Impulsgeber und
    Ansprechpartner für die Kulturpolitik des Bundes sein
    und sich auf internationaler, aber vor allem auf europäi-
    scher Ebene als Interessenvertreter der deutschen Kultur
    verstehen. Auch dadurch wird die Bundesregierung
    Kulturpolitik wieder zu einer großen Aufgabe europäi-
    scher Innenpolitik machen.

    Meine Damen und Herren, die Republik der Neuen
    Mitte ist auch eine Republik des Diskurses. Er findet
    nicht hinter den verschlossenen Türen der Gremienvor-
    stände statt. Die Neue Mitte sucht den Konsens über das
    beste Ergebnis und nicht den Kompromiß über den
    kleinsten gemeinsamen Nenner.

    Die neuen Medien sind für sie nicht in ein paar mehr
    oder ein paar weniger Kanälen im Privatfernsehen, son-
    dern bedeuten für sie den technisch unbegrenzten

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    Zugang zum Wissen und zum weltweiten Informations-
    austausch.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir werden uns dafür einsetzen, gemeinsam mit den
    Ländern und den Partnern aus der Industrie an den
    Schulen einen kostenlosen oder zumindest kostengünsti-
    gen Internetzugang zu ermöglichen.

    Im Zeitalter von Internet und Online-Kommunikation
    muß aber auch das Wort von der demokratischen Öf-
    fentlichkeit einen neuen Klang bekommen. Die neuen
    Wege der Informationsvermittlung sind eine hervorra-
    gende Chance, die Gesellschaft zum Sprechen zu brin-
    gen; aber sie bergen auch Gefahren. Einer verantwortli-
    chen Medienpolitik kommt deshalb zentrale Bedeutung
    zu. Jeder soll Zugang zu den neuen Medien haben, jeder
    soll ihren Nutzen und ihre Grenzen kennen. Deshalb
    meinen wir es wörtlich, wenn wir dazu auffordern, unse-
    re Kinder den Umgang mit Computern zu lehren: nicht
    nur die Technik, sondern mehr noch die Kultur dieser
    Form der Kommunikation.

    Aus Bonn, meine Damen und Herren, nehmen wir
    eine gelebte, eine lebendige demokratische Transparenz
    mit nach Berlin. Diese Transparenz wird hier in diesem
    Haus des Deutschen Bundestags in großartiger Archi-
    tektur sichtbar.

    Den Reichstag, der nun bald Deutscher Bundestag
    sein wird, überwölbt eine gläserne Kuppel, wir wir wis-
    sen. Das ist nach meiner Auffassung mehr als ein hüb-
    sches architektonisches Detail. Es sollte ein Symbol für
    neue Offenheit und für demokratische Renovierung die-
    ses so sehr geschichtsbeladenen Gebäudes sein. Es kann
    ein Symbol für die moderne Kommunikation einer
    staatsbürgerlichen Öffentlichkeit werden.

    Diese Öffentlichkeit beschränkt sich nicht auf die
    Politik. Die Zusammenarbeit mit den Kirchen und Re-
    ligionsgemeinschaften als wichtigen Kräften des kultu-
    rellen, politischen und sozialen Lebens werden wir för-
    dern und fortsetzen. Wir begrüßen den Dialog der Reli-
    gionsgemeinschaften untereinander und ihre Bereit-
    schaft, zu den brennenden sozialen, wirtschaftlichen und
    kulturellen Gestaltungsfragen mit Anregungen und Kri-
    tik beizutragen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU])


    Das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger in
    Vereinen und Verbänden, im Sport, in Bürgerinitiativen
    und Selbsthilfegruppen ist eine der Keimzellen unseres
    sozialen Zusammenlebens und einer eigenverantwortli-
    chen Gestaltung unserer Existenz.

    Herr Kollege Schäuble, verzeihen Sie, aber weil Sie
    dies alles – ein wenig machtverliebt und machtversessen –
    übersehen haben, haben Sie verloren. Das ist der Grund.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: So eine Frechheit!)


    Von Koalition ist bei uns meist nur die Rede, wenn es
    um Parteien geht. Diese braucht man auch. Wir streben
    jedoch eine große gesellschaftliche Koalition an, eine
    Koalition aller Kräfte, die den Wandel in Deutschland
    gestalten wollen. Wir bieten nicht nur ein Bündnis für
    Arbeit an. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen
    ein Zukunftsbündnis in diesem Land schaffen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Berlin ist aber auch die Stadt, die quälende Jahr-

    zehnte lang durch den Ost-West-Konflikt geteilt war. So
    glücklich wir Deutschen über dessen Überwindung sind,
    so bewußt sind wir uns auch, daß das Ende des kalten
    Krieges noch lange nicht den Weltfrieden gebracht hat.

    Der weltpolitische Umbruch hat in vielen Regionen
    neue Instabilitäten und gewaltsame Konflikte ausgelöst,
    auch vor unserer Haustür in Europa. Flüchtlingselend,
    Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung in den
    Ländern des Südens sind ein gefährlicher Nährboden für
    diese und neue Konflikte.

    Angesichts solcher Risiken, aber vor allem angesichts
    der Chancen internationaler Zusammenarbeit erwartet
    die Welt von uns mehr als je zuvor, daß wir unseren
    Verpflichtungen im Rahmen unserer Bündnisse gerecht
    werden. Wir bleiben in Europa und in der Welt verläßli-
    che Partner.

    Der Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von
    Amerika verdanken wir viel: nicht weniger als den
    Frieden und unsere Freiheit. Ich will es gar nicht ver-
    hehlen, meine Damen und Herren: Etliche, die heute in
    diesem Deutschen Bundestag sitzen, und auch manche,
    die jetzt Mitglieder der Regierung sind, waren nicht im-
    mer mit allem einverstanden, was unsere amerikani-
    schen Partner vor allem in der Hochrüstungsphase des
    kalten Krieges getan und vorgeschlagen haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das hat Helmut Schmidt gespürt!)


    Sie standen damit übrigens nicht allein in der westlichen
    Welt.

    Es ist aber dieselbe Generation, die von kaum einem
    Ereignis der Nachkriegsgeschichte so geprägt worden ist
    wie von John F. Kennedys Berlin-Besuch und seinem
    Bekenntnis zur Freiheit Westberlins.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Schriftsteller haben diese Generation als – ich zi-
    tiere – „Kinder der amerikanischen Zone“ bezeichnet.
    Sie ist mit amerikanischer Kultur und amerikanischen
    Produkten aufgewachsen. Aus der kritischen Distanz der
    Kinder wurde die Partnerschaft von Erwachsenen. Die
    Freundschaft mit Amerika wurde dieser Generation
    nicht aufgezwungen, sie wurde ihr von amerikanischer
    Demokratie und Kultur angeboten. Es ist eine Freund-
    schaft, die auf gegenseitiges Verständnis und immer
    bessere gegenseitige Kenntnis gebaut ist.

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Es ist eine Freundschaft, die sich bewährt hat und vor
    keiner Bewährungsprobe steht. Wir garantieren sie nicht
    nur aus Kontinuität und Bündnistreue heraus, nein, wir
    garantieren sie aus jenem Vertrauen, das nur aus part-
    nerschaftlichem Miteinanderreden und Miteinanderfüh-
    len entstehen konnte. Wir stehen überzeugt zu unse-
    ren Verpflichtungen im Rahmen der Atlantischen
    Allianz.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Instrumente der gemeinsamen europäischen Au-
    ßen- und Sicherheitspolitik wollen wir ausbauen und
    nutzen, um Europa in der internationalen Politik endlich
    handlungsfähig zu machen. Darauf warten auch unsere
    Freunde in den Vereinigten Staaten mit Ungeduld.

    Deutsche Außenpolitik ist und bleibt Friedenspolitik.
    Dabei bekennen wir uns ausdrücklich zu der Bereit-
    schaft, an friedenssichernden und friedenserhaltenden
    Maßnahmen und Missionen mitzuwirken. Das gilt be-
    sonders auch für die Lage in Südosteuropa.

    Wir wissen sehr genau, daß es nicht genügt, zur
    Durchsetzung der Menschenrechte etwa im Kosovo ein
    militärisches Drohpotential zu mobilisieren und, sollte
    dies unvermeidlich sein, es auch einzusetzen. Viel
    wichtiger als ein eventueller Militärschlag ist die Aufga-
    be, die Einhaltung geschlossener Abkommen zu über-
    wachen und die Friedenssicherung vor Ort zu gewährlei-
    sten. Auch bei der Erfüllung dieser Aufgabe werden sich
    unsere Partner auf uns verlassen können.


    (Beifall bei der SPD)

    In Europa kommt dabei der OSZE als der einzigen

    gesamteuropäischen Sicherheitsorganisation überragen-
    de Bedeutung zu. Bei der Befriedung des Kosovo hat sie
    sich bereits eine Aufgabe neuer Qualität gesetzt. Die
    Bundesregierung unterstützt diese Mission mit allen
    Kräften.

    Wir liefern damit auch eine hochmoderne Definition
    vom Wirken der Bundeswehr als einer Armee, die dem
    Frieden dient. Unsere Soldaten setzen heute ihr mili-
    tärisches Know-how in immer mehr Bereichen zivil
    ein.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Howgh! – Unruhe bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    – Jetzt haben Sie aber was! Es sei Ihnen gegönnt.

    (Heiterkeit bei der SPD)


    Eine entscheidende politische Schwäche wurde soeben
    ausfindig gemacht.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Das wird so weitergehen.
    Bei der Befriedung des Kosovo – ich hatte es schon

    gesagt – hat die Bundeswehr sich bereits eine Aufgabe
    neuer Qualität gesetzt. Die Aufgaben der Bundeswehr
    reichen von der Eindämmung von Naturkatastrophen bis
    hin zu aktiver Demokratisierungshilfe.

    Ausdrücklich danken wir den jungen Deutschen, die
    in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo militärisch und
    zivil den Frieden wahren helfen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Sie wissen, welche Hypothek sie tragen, wie genau ihr
    Auftritt in der Welt, aber auch hier in Deutschland be-
    obachtet wird. Und sie lösen ihre Aufgabe mit bewun-
    dernswerter Disziplin und Professionalität.

    Selbstverständlich wird die Bundeswehr weiterhin
    zur Landes- und Bündnisverteidigung befähigt bleiben.
    Eine Wehrstrukturkommission wird bis Mitte der Le-
    gislaturperiode Vorschläge unterbreiten über Auftrag,
    Umfang, Ausrüstung und Ausbildung der Streitkräfte.

    Dabei betonen wir allerdings in aller Deutlichkeit,
    daß das Vorhalten militärischer Potentiale der Krisen-
    prävention dienen soll, wie auch ihr Einsatz die Ultima
    ratio der Friedenspolitik bleiben muß.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir werden unsere Bemühungen zur weltweiten Abrü-
    stung und Rüstungskontrolle noch verstärken. Die Bun-
    desregierung hält an dem Ziel der vollständigen Ab-
    schaffung der Massenvernichtungswaffen fest.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir wissen, daß es der Welt nicht gutgehen kann,
    wenn es wenigen immer besser und vielen immer
    schlechter geht. Die Überwindung der Kluft zwischen
    armen und reichen Weltregionen bleibt die größte inter-
    nationale Herausforderung an der Schwelle zum 21.
    Jahrhundert.

    Der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozial-
    produkt ist in den vergangenen 16 Jahren um beinahe
    die Hälfte gesunken, auf jetzt noch 0,28 Prozent. Diesen
    Abwärtstrend werden wir stoppen und dabei auf Effizi-
    enz und Kohärenz der Maßnahmen zur Bewältigung
    globaler Zukunftsaufgaben achten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dem Wirtschaftsgipfel 1999 in Köln werden wir
    eine Initiative zur weiteren Erleichterung der Schulden-
    last der ärmsten Entwicklungsländer unterbreiten. Ge-
    meinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Uni-
    on werden wir die regionale Zusammenarbeit mit den
    Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika ausbauen.

    Den von verheerenden Naturgewalten heimgesuchten
    Staaten Zentralamerikas werden wir helfen,


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    nicht nur mit unmittelbarer humanitärer Hilfe, sondern
    auch mit Mitteln für den Wiederaufbau ihrer fast voll-
    ständig zerstörten Infrastrukturen. Deshalb werden wir

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    uns in den zuständigen internationalen Gremien für
    einen möglichst umfassenden Schuldenerlaß einsetzen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Den Vereinten Nationen werden wir eigenständige
    Einheiten für friedenserhaltende Maßnahmen anbieten.
    Dabei setzt sich die Bundesregierung aktiv dafür ein, das
    Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren
    und die Rolle des Generalsekretärs zu stärken.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Möglichkeit, Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat
    der Vereinten Nationen zu werden, werden wir wahr-
    nehmen, sofern ein gemeinsamer europäischer Sitz nicht
    erreichbar ist.

    Wir maßen uns nicht an, international die Rolle einer
    Führungsmacht zu spielen oder in Krisensituationen oh-
    ne Abstimmung mit unseren Partnern politische Initiati-
    ven zu ergreifen. Uns ist weltweit an guter Zusammen-
    arbeit gelegen. Auch unsere Außenwirtschaftsbeziehun-
    gen sollen dem Frieden und der Demokratisierung die-
    nen.

    Als dritte Säule unserer Außenpolitik werden wir die
    auswärtige Kulturpolitik stärken und ausbauen. Das ist
    gerade unter den Bedingungen der Globalisierung un-
    verzichtbar.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir wissen aus eigener Erfahrung: Frieden braucht wirt-
    schaftliche Entwicklung, und die wirtschaftliche Ent-
    wicklung braucht Frieden. Nur dort können Krisen auf
    Dauer gelöst werden, wo die Menschen spüren, daß sich
    Frieden und Demokratie lohnen und daß friedliche Ent-
    wicklung ihre Lage spürbar verbessert.

    Eine solche Aufgabe stellt sich uns gemeinsam mit
    unseren europäischen Partnern etwa im Nahen Osten.
    Im Friedensprozeß zwischen Israel, den Palästinensern
    und den arabischen Nachbarstaaten können und wollen
    wir nicht die Rolle des Paten im Friedensprozeß spielen.
    Dieser Part kommt den Vereinigten Staaten von Ameri-
    ka und den internationalen Organisationen zu. Aber wir
    Europäer können und sollten durch gezielte Wirtschafts-
    hilfe, durch Öffnung der Märkte und durch die Beteili-
    gung an Infrastrukturmaßnahmen dazu beitragen, den
    Friedensprozeß unumkehrbar zu machen. Damit können
    wir unserer historischen Verantwortung gerecht werden
    – auch und gerade für Israel und für den Frieden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Einbindung Deutschlands in die Europäische
    Union ist von zentraler Bedeutung für die deutsche
    Politik. Die Bundesregierung wird deshalb insbesondere
    die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr
    1999 nutzen, um den europäischen Integrationsprozeß
    voranzutreiben. Nur durch die Weiterentwicklung zu
    einer Politischen Union sowie zu einer Sozial- und Um-

    weltunion wird es gelingen, unser Europa bürgernah zu
    gestalten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Durch den Regierungswechsel in Deutschland und
    durch die neuen politischen Realitäten in Europa ergibt
    sich endlich die Chance einer europäischen Sozial- und
    Beschäftigungspolitik. Der Kampf gegen die Arbeitslo-
    sigkeit kann endlich auch als europäische Frage behan-
    delt werden. Er ist eben nicht mehr länger eine Fußnote
    zu den Beschlüssen des Ministerrates, sondern er steht
    auf der europäischen Tagesordnung ganz oben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Unser Ziel ist ein europäischer Beschäftigungspakt.
    In ihm sollen ausdrücklich verbindliche Ziele zum Ab-
    bau der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie zur
    Überwindung der Diskriminierung von Frauen auf dem
    Arbeitsmarkt aufgenommen werden. Zur Schaffung von
    zukunftsfähigen Arbeitsplätzen werden wir uns auch in
    der Europäischen Union für eine Politik der ökologi-
    schen Modernisierung einsetzen.

    Die Europäische Währungsunion ist eine unum-
    kehrbare Tatsache. Der Euro wird uns die völlige Ver-
    gleichbarkeit der Preise und der Leistungen bringen.
    Damit ist die Zeit nationaler Alleingänge endgültig vor-
    bei. Das gilt zum Beispiel auch für die Weiterentwick-
    lung der ökologischen Steuerreform. Sie muß und sie
    kann nur in einem europäischen Rahmen auf Dauer ge-
    lingen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die gemeinsame Währung muß ein Erfolg werden.

    Das heißt: Sie muß stabil sein und stabil bleiben.
    Die Stabilitätsorientierung der künftigen europäi-

    schen Geldpolitik stellen wir nicht in Frage. Aber auch
    die vom Bundesbankpräsidenten selbst als wünschens-
    wert bezeichnete Diskussion um die Zinspolitik – um
    auf einen aktuellen Punkt einzugehen – wollen und wer-
    den wir führen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dabei hat niemand – ich wiederhole: niemand – die Un-
    abhängigkeit der Bundesbank und der Europäischen
    Zentralbank in Frage gestellt.


    (Zurufe von der CDU/CSU: Ha, ha!)

    – Sie interpretieren das immer gerne anders. Aber es ist
    so, wie ich es Ihnen hier sage; glauben Sie es mir.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Diese Unabhängigkeit ergibt sich aus dem Bundes-

    bankgesetz und aus dem Maastrichter Vertrag. Dort
    wurde sie verankert, weil sie sachlich geboten ist und
    weil sie der Stabilität dient.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Aber ich füge hinzu: Dabei entspricht es entwickelter
    und guter europäischer Tradition demokratisch verfaßter
    Gesellschaften – auch deshalb steht dies darin –, daß
    zum Beispiel die Europäische Zentralbank ihre in voller
    Souveränität gefaßten geldpolitischen Entscheidungen
    regelmäßig dem Europäischen Parlament darlegen wird.
    Was spricht dagegen?


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Der Bundesfinanzminister hat als einer der ersten auf
    die Notwendigkeit hingewiesen, zu wirksamen interna-
    tionalen Vereinbarungen zu kommen, um die Turbulen-
    zen auf den Weltfinanzmärkten zu glätten. Diese Not-
    wendigkeit wird heute bei der Bundesbank, bei den
    europäischen und nordamerikanischen Partnern – bis hin
    zur Weltbank und zur US-Notenbank – genauso gese-
    hen. Auch und gerade wegen der internationalen
    Finanzkrisen müssen wir darauf hinwirken, daß Europa
    mit einer Stimme spricht.

    Es wird deshalb ein erster Schwerpunkt der Ratsprä-
    sidentschaft sein, die Deutschland am 1. Januar 1999
    übernimmt, die Verhandlungen zur Agenda 2000 bereits
    bei einem Sondertreffen des Europäischen Rates im
    Frühjahr 1999 abzuschließen. Das ist gewiß eine im-
    mens schwierige Aufgabe. Aber wir wollen den ernst-
    haften Versuch unternehmen, diese Aufgabe zu erfüllen.

    Im Rahmen der Neuregelung der EU-Finanzen wol-
    len wir dabei auch zu einer höheren Beitragsgerechtig-
    keit kommen und die deutsche Nettobelastung auf ein
    faires Maß verringern. Ich muß aber in diesem Zusam-
    menhang darauf hinweisen, daß diese Belastungen im
    Jahre 1992 mit der Stimme der damaligen Bundesregie-
    rung unter anderen Bedingungen – das ist gar keine Fra-
    ge – beschlossen worden sind und daß es schwierig sein
    wird – das weiß jeder, der sich dieser Aufgabe ange-
    nommen hat –, diese Beschlüsse, auf deren Realisierung
    viele der Partner setzen, wenigstens in etwa zu korrigie-
    ren. Wir werden daran arbeiten. In diesem Punkt sind
    wir uns ja alle in diesem Hause einig.

    Bei der Agrarpolitik werden wir uns auf europäi-
    scher Ebene für grundlegende Veränderungen einsetzen.
    Wo die Angleichung der Preise an das Weltmarktniveau
    die deutschen Bauern benachteiligt, müssen wir in Eu-
    ropa ein System direkter Einkommensbeihilfen durch-
    setzen, ein System, das auch national ergänzt werden
    können muß.

    Auch die EU muß sparsam wirtschaften, ihre Mittel
    effizient und zielgerecht einsetzen und den Subventi-
    onsmißbrauch bekämpfen. Auch in Europa müssen wir
    uns auf die strukturschwächsten und förderungsbedürf-
    tigsten Regionen konzentrieren. Dabei dürfen die neuen
    deutschen Bundesländer gegenüber vergleichbaren Re-
    gionen Europas nicht in einen Nachteil geraten.

    Wir werden dafür sorgen, daß Deutschland in der EU
    nicht länger als Bremser bei der Sozialpolitik auftritt.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir werden aktiver Schrittmacher bei der Reform der
    EU sein. Wir wollen nicht, daß der Euro deutsch spricht.
    Wir wollen, daß D-Mark, Franc und Schilling europä-
    isch sprechen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Die Erwartungen unserer Nachbarn und Partner an
    diese Bundesregierung sind enorm. Wir werden versu-
    chen, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen. Die re-
    gelmäßigen Konsultationen mit Frankreich und Groß-
    britannien sind für uns keine bloße Formsache. Die
    deutsch-französische Freundschaft ist das Fundament
    unserer Europapolitik. Diese Freundschaft wollen wir
    auf eine noch breitere gesellschaftliche und vor allem
    kulturelle Grundlage stellen.

    Unseren Nachbarn im Osten versichern wir, daß wir
    die Chance der EU-Osterweiterung entschlossen nut-
    zen wollen. Europa wird und darf nicht am ehemaligen
    Eisernen Vorhang oder an der deutschen Ostgrenze en-
    den.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Deutschen werden eben nicht vergessen, welch un-
    schätzbaren Beitrag die Völker in Ungarn und in Polen
    zumal zur Überwindung der deutschen Teilung geleistet
    haben. Wir wollen sie partnerschaftlich in die EU inte-
    grieren.


    (Beifall bei der SPD)

    Dazu gehört auch die Beachtung angemessener Über-

    gangsfristen, zum Beispiel bei der Arbeitnehmerfreizü-
    gigkeit. Dies bitte ich wirklich alle zu verstehen. Die
    Beachtung dessen dient eben nicht der Abwehr und Ver-
    zögerung, sondern dem vollständigen Gelingen und der
    Integration.

    Die Bundesregierung ist sich ihrer besonderen histo-
    rischen Verantwortung gegenüber Polen bewußt. Sie
    wird ihr mit dem Angebot einer immer engeren Partner-
    schaft sowie der Verstärkung der Zusammenarbeit zwi-
    schen Deutschland, Frankreich und Polen gerecht wer-
    den.

    Die Bundesregierung wird zügig daran arbeiten, auf
    Grundlage der Deutsch-Tschechischen Erklärung noch
    bestehende Probleme im Verhältnis zur Tschechischen
    Republik abzubauen.


    (V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)

    Meine Damen und Herren, die gemeinsame Währung

    ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur europäischen
    Integration. Aber sie gibt nur einen Rahmen vor, einen
    Rahmen, den wir mit Leben füllen müssen.

    Wir brauchen eine zügige und glaubwürdige Demo-
    kratisierung der europäischen Institutionen. Dabei steht
    für die Bundesregierung fest, daß unser Europa die na-
    tionalen Identitäten nicht ersetzen oder aufheben soll.
    Dennoch oder gerade deshalb scheint eine föderale Ord-
    nung in Europa die beste Gewähr für Solidarität und
    Fortschritt zu sein.

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bei uns in Deutschland hat sich das föderale System
    bewährt. Bund und Länder bleiben auf Kooperation an-
    gewiesen. Kooperation bedeutet nicht die Aufgabe der
    eigenen Interessen. Wer wüßte das besser als ich? Die
    Bundesregierung wird sich an der gemeinsamen Formu-
    lierung einer zeitgemäßen Aufgabenverteilung im Ver-
    hältnis zwischen Bund und Ländern beteiligen. Nur im
    sachgerechten Interessenausgleich werden beide Seiten
    ihrer gesamtstaatlichen und europäischen Verantwor-
    tung gerecht.

    Am Ende dieses Jahrtausends wird Deutschland zwei
    internationale Großereignisse ausrichten. Im Jahre 1999
    wird Weimar europäische Kulturhauptstadt sein; im
    Jahr darauf findet die Weltausstellung 2000 in Hanno-
    ver statt. Beide Veranstaltungen werden die Bundesre-
    publik Deutschland ins internationale Rampenlicht stel-
    len. Weimar wird die erste europäische Kulturhauptstadt
    in den neuen Bundesländern sein und versuchen, eine
    Brücke zwischen dem kulturellen Erbe und dem histori-
    schen Auftrag aus unserer Geschichte zu schlagen. Die
    Expo 2000 wird für unseren Aufbruch in die Welt des
    21. Jahrhunderts stehen.

    Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung dieser
    beiden Ereignisse bewußt, und sie wird ihnen zu inter-
    nationalem Erfolg verhelfen. Sie verläßt sich dabei auch
    auf die Leistungsbereitschaft, die Gastfreundschaft und
    die Neugier der Menschen in Deutschland.

    Gegen die Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte set-
    zen wir das Konzept von Europa als Lebensort und Le-
    bensart. Wir stehen für das Zukunftsprojekt Deutschland
    in Europa. Dabei stehen wir in vorderster Reihe mit den
    sozialen Modernisierern unserer Nachbarländer. Diese
    Chance, gemeinsam ein modernes Europa der sozialen
    Marktwirtschaft und der ökologischen Verantwortung zu
    bauen, werden wir ergreifen.

    Wir machen keine unhaltbaren Versprechungen. Aber
    wir können und wir wollen Mut machen, Mut zu einer
    neuen Zivilität und zu mehr Partnerschaft, aber auch
    Mut zum Optimismus, zur Neugier auf die Zukunft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich erinnere an Willy Brandt, der vor diesem Parla-
    ment 1973 in der Regierungserklärung seines Reform-
    bündnisses den „vitalen Bürgergeist“ zitiert hat, der in
    dem Bereich zu Hause sei, den auch Willy Brandt da-
    mals „die neue Mitte“ genannt hat.

    Helmut Schmidt hat vor diesem Haus in seiner Regie-
    rungserklärung 1976 in vergleichbar schwieriger Wirt-
    schaftslage gesagt: Die Bundesregierung setzt bei ihren
    Bemühungen zuallererst – ich zitiere ihn – auf den Fleiß,
    die Intelligenz und das Verantwortungsbewußtsein der
    Deutschen. Daran knüpfe ich bewußt an, und ich bin si-
    cher, meine Damen und Herren, wir werden es schaffen,
    weil wir Deutschlands Kraft vertrauen.

    Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

    (Langanhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. Rudolf Seiters
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen, es ist mir eine große Freude, auf der Eh-
rentribüne den Beauftragten der OSZE für Medien-
freiheit, unseren langjährigen Kollegen Freimut Duve,
begrüßen zu dürfen.


(Beifall im ganzen Hause)

Lieber Kollege Duve, hier im Parlament werden Sie
vermißt. Sie haben eine neue, verantwortungsvolle Auf-
gabe übernommen. Ich möchte Ihnen im Namen des
Hauses für Ihre bisherige Arbeit herzlich danken und
wünsche Ihnen für die Zukunft viel Erfolg.


(Beifall im ganzen Hause)

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich mittei-

len, daß heute zum erstenmal hinter dem Präsidenten-
stuhl der neue Direktor beim Deutschen Bundestag, Herr
Dr. Peter Eickenboom, Platz genommen hat.


(Beifall im ganzen Hause)

Er folgt Dr. Rudolf Kabel nach. Dr. Kabel hat dieses

Amt mehr als sieben Jahre mit großer Sachkunde ausge-
übt und ist nunmehr in den Ruhestand getreten. Von die-
ser Stelle aus nochmals herzlichen Dank für die im
Dienste des Parlaments geleistete Arbeit. Alles Gute
auch ihm für die Zukunft.


(Beifall im ganzen Hause)

Den neuen Direktor haben Sie schon willkommen

geheißen. Ich tue das auch noch offiziell. Ich wünsche
ihm für sein verantwortungsvolles Amt eine glückliche
Hand und Gottes Segen.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat der

Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang
Schäuble.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsi-
    dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
    Bundeskanzler, es ist wahr: Sie haben am 27. September
    mit Rotgrün die Wahl gewonnen. Wir haben Ihnen dazu
    gratuliert. Wir wünschen auch unter Ihrer Regierung un-
    serem Land eine gute Zukunft.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Sie werden allerdings in der Zukunft nicht jede sachli-
    che Einwendung gegen Ihre Absichten und Ihre Politik
    mit dem Hinweis auf das Wahlergebnis abtun können.
    Sie müssen sich in der Zukunft schon mit der Sache aus-
    einandersetzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben – nicht mit
    einem Übermaß an Freude, aber in demokratischem Re-
    spekt – das Wahlergebnis nicht nur akzeptiert, sondern
    den Oppositionsauftrag für diese vier Jahre angenom-
    men. Wir werden eine kämpferische, eine kritische Op-
    position sein. Wir werden nicht Opposition um der Op-
    position willen betreiben. Wo Sie Absichten verfolgen,

    Bundeskanzler Gerhard Schröder






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    eine Politik betreiben, der wir zustimmen, werden wir
    Sie nicht kritisieren, nur um andere Positionen zu ver-
    treten. Aber wo es um der Sache willen geboten ist,
    werden wir das Wächteramt der Opposition kämpfe-
    risch, aufmerksam wahrnehmen. Darauf können Sie
    zählen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    So dienen wir gemeinsam in unterschiedlicher Verant-
    wortung und in demokratischer Gemeinsamkeit unserem
    Land.

    Gleich zu Beginn sagen will ich auch: Ihre Regie-
    rungserklärung war eine Enttäuschung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    Es ist eine Ansammlung von Überschriften und Ab-
    sichtserklärungen. Aber wo es um inhaltliche Substanz
    geht, bleibt sie, trotz einer nicht unbeachtlichen Dauer –
    aber eine Regierungserklärung am Anfang einer neuen
    Legislaturperiode muß alle Themen behandeln; das
    braucht seine Zeit –, bemerkenswert blaß.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Noch spannender ist im übrigen, was Sie in Ihrer Re-

    gierungserklärung nicht erwähnt haben. Zwar haben Sie
    am Schluß, im Zusammenhang mit der Europäischen
    Währungsunion und der aktuellen Debatte, die Ihr Fi-
    nanzminister nebst Frau Gemahlin ausgelöst haben,


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Macho!)


    ein paar Bemerkungen dazu gemacht; aber ausschließ-
    lich in diesem Zusammenhang ist in Ihrer Regierungser-
    klärung das Wort „Preisstabilität“ vorgekommen. Das ist
    mir schon aufgefallen, und durchaus bemerkenswert.


    (Bundesminister Oskar Lafontaine: Das ist ja wirklich das größte Problem!)


    – Ganz langsam! Wir machen es ganz in Ruhe.
    Wir haben in Ihrer Regierungserklärung eine Menge

    ertragen müssen, was so nicht akzeptabel ist. Daß man
    nach einem demokratischen Wechsel alles ein wenig an-
    ders darstellt, ist ja in Ordnung. Aber mit Helmut-
    Schmidt-Zitaten zu enden und zum deutsch-
    amerikanischen Verhältnis so zu reden, wie Sie es getan
    haben, und gleichzeitig zu verschweigen, daß Sie gegen
    den NATO-Doppelbeschluß demonstriert und darüber
    Helmut Schmidt gestürzt haben – während Helmut Kohl
    und wir dafür gesorgt haben, daß er durchgesetzt werden
    konnte –, ist schon ein starkes Stück.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Schwanhold [SPD]: Vor 15 Jahren!)


    Man kann ja über Erblast und andere Dinge reden.
    Aber ein paar Dinge müssen am Anfang klargestellt
    sein: Davon zu reden, daß für die Frauen, für die Ver-
    einbarkeit von Familie und Beruf, nichts getan worden
    sei in Deutschland, ist angesichts der Tatsache, daß in
    den 16 Jahren, in denen Helmut Kohl Bundeskanzler
    war, in denen wir, die CDU/CSU und die F.D.P., ge-
    meinsam Regierungsverantwortung getragen haben, die

    Berücksichtigung von Erziehungszeiten in der Ren-
    tenversicherung eingeführt worden ist, schon eine Un-
    verschämtheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben den Erziehungsurlaub und das Erziehungs-
    geld eingeführt. In Ländern, in denen die Union regiert,
    gibt es ein drittes Jahr Erziehungsgeld; in Ländern, in
    denen die SPD regiert, gibt es das nicht. Das ist der Un-
    terschied, und das darf man nicht verfälschen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Was Sie zur Solidarität mit den Menschen im Osten,
    in den neuen Bundesländern, gesagt haben, das will ich
    mit der Hoffnung so stehenlassen, daß das neue Amt Ih-
    nen auch eine neue Einsicht gibt. Wer sich noch daran
    erinnert, was Sie als Ministerpräsident von Niedersach-
    sen zur Solidarität mit den Menschen in den neuen Län-
    dern gesagt haben, kann nur hoffen, daß Sie in der neuen
    Verantwortung ein neues Verständnis von Solidarität
    aller Deutschen in Ost und West haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Als Sie von der Einbindung der Vertreter der Bürger-

    rechtsbewegung in der ehemaligen DDR in Ihre Regie-
    rung und Koalition sprachen, Herr Bundeskanzler, hät-
    ten Sie auch ein Wort zu der Koalition von SPD und
    PDS in Mecklenburg-Vorpommern sagen müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ernst Schwanhold [SPD]: Warum?)


    – Das will ich Ihnen sagen, Herr Kollege. Ich habe dazu
    eine Agenturmeldung der „AFP“ vom 9. November.
    Darin steht:

    Bundesinnenminister Otto Schily will die Überwa-
    chung der PDS durch den Verfassungsschutz neu
    überprüfen.
    Schily sagte am Montag vor Journalisten in Berlin,
    es sei eine „vertrackte Situation“, wenn die PDS
    wie in Mecklenburg-Vorpommern an der Regie-
    rung beteiligt sei und andererseits vom Verfas-
    sungsschutz beobachtet werde.

    Der Mann hat recht: Das ist eine vertrackte Situation.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ernst Schwanhold [SPD]: Es ist doch alles gesagt!)


    – Natürlich, deswegen gehört das in eine Regierungser-
    klärung, wenn man von der Bürgerrechtsbewegung
    spricht. Wenn das eine vertrackte Situation ist, dann ist
    die richtige Schlußfolgerung, mit der PDS keine Koali-
    tion zu bilden, anstatt aufzuhören, sie durch den Verfas-
    sungsschutz überwachen zu lassen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Schwanhold [SPD]: Ziehen Sie sich jetzt aus den Rathäusern zurück?)


    – Über das Thema könnten wir noch länger reden.

    (Ludwig Stiegler [SPD]: Nur zu!)


    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    – Ja, natürlich! Die Regelanfrage bei der Stasi-
    Überwachungsbehörde abschaffen. Lesen Sie doch ein-
    mal nach, was Herr Gauck und Richard Schröder, Ihr
    Parteifreund, dazu gesagt haben. Die PDS hat sich mit
    ihrer totalitären Vergangenheit nicht auseinandergesetzt.
    Aber Sie wollen der PDS helfen, die Vergangenheit
    wegzuwischen. Wir werden dabei nicht mitmachen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Ich rate dazu, daß wir die Verfassungsschutzbehörden
    auch in der Zukunft ermuntern, die Frage, ob eine Orga-
    nisation beobachtet werden muß oder nicht, nach ihrem
    Gefahrenpotential für die freiheitlich-demokratische
    Grundordnung zu beurteilen und nicht danach, ob die
    SPD mit der Organisation koaliert. Das ist der Punkt,
    weshalb ich meine, daß die vertrackte Situation falsch
    aufgelöst ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine an-
    dere Agenturmeldung zitieren, die ich heute morgen mit
    Befriedigung gelesen habe. Sie ist von „dpa“. Da steht –
    Herr Bundeskanzler, dazu haben Sie gar nichts gesagt,
    obwohl Sie viel von Erblast gesprochen haben –:

    Niedrigste Preissteigerung seit Vereinigung:
    0,7 Prozent. Die Lebenshaltungskosten sind in
    Deutschland im Oktober um 0,7 Prozent gegenüber
    dem Vorjahresmonat gestiegen.

    Meine Damen und Herren, auch das gehört zur Eröff-
    nungsbilanz dieser Regierung: ein Maß an Preisstabili-
    tät, wie wir es in Deutschland niemals zuvor gekannt
    haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wer weiß und sich daran erinnert, daß Inflation im-

    mer die brutalste Form der Ausbeutung der sozial
    schwächeren Bevölkerungsschichten gewesen ist, der
    muß, wenn er für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit
    – im Ziel sind wir uns einig – stehen will, dafür sorgen,
    daß die Preisstabilität erhalten bleibt. Deswegen gehört
    das zur Eröffnungsbilanz Ihrer Regierung.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Herr Bundeskanzler, wenn Sie Ihrem Vorgänger im
    Amt zu Recht bei vielen Gelegenheiten immer wieder
    Ihren Respekt bekunden, ist das in Ordnung. Den teilen
    wir, sogar mehr als Sie. Aber dann die Ergebnisse und
    die Politik von Helmut Kohl und seiner Regierung so zu
    verfälschen, wie Sie es in Ihrer Regierungserklärung
    getan haben, ist nicht in Ordnung. Das paßt nicht zu-
    sammen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen muß am Anfang der Debatte über Ihre Regie-
    rungserklärung, am Beginn dieser Legislaturperiode von
    der Opposition um der Wahrheit und der künftigen Be-
    wertung der Ergebnisse Ihrer Politik willen festgehalten

    werden, was die Eröffnungsbilanz Ihrer Regierung tat-
    sächlich ist.


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Miserable Finanzen!)


    – Unsere Bundesregierung hinterläßt geordnete Staats-
    finanzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Ein Schweizer Käse ist dagegen eine Betonmauer!)


    Es ist bemerkenswert. Die wirtschaftswissenschaftli-
    chen Forschungsinstitute haben in ihrem Herbstgutach-
    ten im Oktober doch mitgeteilt, daß nach ihrer Meinung
    ein Entlastungsspielraum für eine Steuerreform im Jahre
    1999 in einer Größenordnung von gesamtstaatlich etwa
    20 bis 30 Milliarden DM netto zur Verfügung steht. Das
    ist das Ergebnis der Finanzpolitik unserer Regierung,
    und das ist die Eröffnungsbilanz der Ihren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: 100 Milliarden DM Zinsen!)


    Die Steuereinnahmen sind im Jahre 1998 deutlich
    stärker gestiegen, als im Bundeshaushalt 1998 einge-
    stellt, und die Ausgaben sind weniger gestiegen, als im
    Bundeshaushalt 1998 vorgesehen.

    Die Arbeitslosigkeit ist stärker zurückgegangen, als
    wir selber dafür finanzielle Vorsorge getroffen haben.
    Im Oktober war die Arbeitslosigkeit in Deutschland –
    das ist die Eröffnungsbilanz – um knapp 400 000 niedri-
    ger als im Oktober des Vorjahres. Ein Rückgang der Ar-
    beitslosigkeit in Deutschland um 400 000 in einem Jahr
    ist ein großer Erfolg der letzten Regierung. Dieser Trend
    gehört zur Eröffnungsbilanz Ihrer Regierung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben stabile Preise. Wir haben ein niedriges

    Zinsniveau, ein Zinsniveau auf historischem Tiefst-
    stand. Das ganze Gerede von Herrn Lafontaine ist also
    unhaltbar. Es ist eine geplante, langfristig angelegte
    Kampagne mit dem Ziel, die Unabhängigkeit von Bun-
    desbank und Europäischer Zentralbank durch Ein-
    schüchterung und politischen Druck schrittweise einzu-
    engen. Die ganze Kampagne entbehrt jeder sachlichen
    Grundlage, denn wir haben in Deutschland niedrigere
    Zinsen als in Amerika und in den meisten europäischen
    Ländern. Unser Zinsniveau ist auf einem historischen
    Tiefststand. Auch das gehört zur Eröffnungsbilanz.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Schwanhold [SPD]: Real sind sie relativ hoch!)


    – Das kann man endlos weitermachen.
    Wir haben eine Steuerquote von 21 Prozent, und die

    Staatsquote liegt in diesem Jahr unter 48 Prozent. Sie
    liegt deutlich niedriger als am Anfang der Regierungs-
    zeit von Helmut Kohl. Da Sie gerade Helmut Schmidt
    zitiert haben: Es gehörte zur Eröffnungsbilanz unserer
    Regierung, daß die Staatsquote damals über 50 Prozent

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    lag, und heute liegt sie trotz der Wiedervereinigung un-
    ter 48 Prozent. Auch das gehört zur Eröffnungsbilanz.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen sage ich noch einmal: Stabile Preise, soli-

    des Wirtschaftswachstum, 2,7 Prozent reales Wachstum
    in diesem Jahr, rückläufige Arbeitslosigkeit – 400 000
    weniger in einem Jahr –, niedrige Zinsen, geordnete
    Staatsfinanzen – das ist die Eröffnungsbilanz Ihrer Re-
    gierung. An diesen Zahlen und Trends werden Sie sich
    in der Zukunft messen lassen müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie versuchen jetzt, die Prognosen zu verändern, in-

    dem Sie sagen, im nächsten Jahr werde es schwieriger
    werden, und indem Sie nach unten rechnen. Ich sage Ih-
    nen: Wenn sich die Prognosen für die gesamtwirtschaft-
    liche Entwicklung und für die Entwicklung am Arbeits-
    markt verändern sollten, dann wäre das vor allem und in
    erster Linie das Ergebnis der Ankündigungen einer fal-
    schen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik von Rot-
    Grün.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben angekündigt, daß Sie unsere Maßnahmen

    rückgängig machen wollen, so zum Beispiel die Rege-
    lung zum Schlechtwettergeld. Ich würde Ihnen raten:
    Überlegen Sie es sich noch einmal. Die Tarifpartner in
    der Bauwirtschaft haben doch alles gut geregelt. Warum
    wollen Sie denn mit einer gesetzlichen Neuregelung
    schon wieder in abgeschlossene Tarifverträge eingrei-
    fen? Ich finde, wenn wir Dezentralisierung und Tarif-
    autonomie ernst nehmen, sollten wir das, was die Tarif-
    partner in der Bauwirtschaft im Zusammenwirken mit
    dem Gesetzgeber gut geregelt haben, nicht durch einsei-
    tige Eingriffe des Gesetzgebers wieder rückgängig ma-
    chen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie die Deregulierungen am Arbeitsmarkt –

    von denen übrigens Helmut Schmidt in seinem neuen
    Buch gerade geschrieben hat, daß sie notwendig sind,
    um mehr Arbeitsplätze zu bekommen – rückgängig ma-
    chen, zum Beispiel eine gewisse Eigenbeteiligung bei
    der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, auf die sich die
    Tarifpartner zum Teil geeinigt haben, wenn Sie diese
    Maßnahmen, die uns in Deutschland mehr Arbeitsplätze
    eingebracht haben, zurücknehmen, dann – das ist völlig
    klar – wird das Ergebnis mehr Arbeitslosigkeit sein. Aus
    diesem Grund verschlechtern sich die Prognosen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


    Wenn Sie die Steuerbelastung für Unternehmen und
    für den Mittelstand erhöhen, dann werden Sie eben we-
    niger Investitionen, weniger Arbeitsplätze und weniger
    Wirtschaftswachstum haben, und dann werden natürlich
    auch die Steuereinnahmen wieder zurückgehen.

    Die neuen Haushaltslöcher, die Sie angeblich aus-
    findig gemacht haben, haben Sie übrigens nicht be-
    schrieben. Sie haben von 20 Milliarden DM gesprochen.
    Aber Sie waren doch bei der Haushaltsdebatte Anfang

    September anwesend. Herr Bundeskanzler, Herr Mi-
    nisterpräsident außer Diensten – damals haben Sie als
    Ministerpräsident gesprochen –, welche Zahl hat sich
    seit Anfang September verändert? Es ist die Unwahrheit,
    wenn Sie behaupten, bei Durchsicht der Bücher hätten
    Sie neue Löcher entdeckt. Alle Zahlen lagen auf dem
    Tisch. Wir haben Anfang September darüber diskutiert.
    Nichts außer den Ankündigungen von Rot-Grün für eine
    künftige falsche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik
    hat sich geändert.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nun sagen Sie, weil Sie ja die Kritik an den rotgrünen

    Koalitionsvereinbarungen gehört haben, der Mittelstand
    werde mit Ihrer Steuerpolitik doch entlastet oder nicht
    so belastet, wie man in den Zeitungen lese. Meine Da-
    men und Herren, ich will an einem kleinen Punkt einmal
    aufzeigen, mit welchen Kniffen und Tricks schon in die-
    ser Regierungserklärung gearbeitet wird.

    Sie haben mir ja das Manuskript Ihrer Rede liebens-
    würdigerweise durch das Presse- und Informationsamt
    der Bundesregierung um 8.22 Uhr übersenden lassen.
    Deswegen hatte ich Zeit, mir dies genau anzuschauen.


    (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Bei mir ist es gar nicht angekommen! – Dr. Peter Struck [SPD]: Lächerlich!)


    – Nein, ich bedanke mich doch, daß ich den Wortlaut
    der Pressemitteilung habe. Ich weiß gar nicht, warum
    Sie sich aufregen.


    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sagen Sie es bitte so deutlich, wie Sie es meinen! Peinlich! – Ludwig Stiegler [SPD]: Herzlich!)


    – Noch herzlicher?

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ja!)


    – Wenn es Ihnen Freude macht, bedanke ich mich wirk-
    lich herzlich, Herr Kollege, daß ich durch das Presse-
    und Informationsamt der Bundesregierung um 8.22 Uhr
    den Inhalt Ihrer Regierungserklärung zugestellt bekom-
    men habe. Deswegen habe ich jetzt die Gelegenheit, Ih-
    nen an Hand des Textes – das Stenographische Protokoll
    habe ich ja noch nicht – die Tricks aufzuzeigen, mit de-
    nen Sie arbeiten.

    Die Steuerentlastungen, die Sie vorsehen oder die
    angekündigt werden – es wechselt ja; die Gesetzentwür-
    fe, die uns zugesandt werden,


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wasserstandsmeldungen!)


    werden ja zurückgezogen, bevor sie überhaupt nur die
    Geschäftsführung der Fraktionen erreicht haben. Aber
    Spaß beiseite.


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es gibt wenigstens welche!)


    – Lenken Sie nicht ab. Sie wollen das, was ich Ihnen sa-
    ge, offenbar nicht hören. – In Ihrer Regierungserklärung
    haben Sie die geplanten Steuerentlastungen für die Jahre
    1999, 2000, 2001 und 2002 wunderbar dargestellt, ohne

    Dr. Wolfgang Schäuble






    (A) (C)



    (B) (D)


    bei den Entlastungen zeitlich zu differenzieren. Dann
    haben Sie gesagt, der Mittelstand werde im übrigen gar
    nicht belastet.

    Und jetzt zitiere ich einmal:
    Die Sonder- und Ansparabschreibungen für Exi-
    stenzgründer

    – Sie haben das auch so gesagt –
    können unverändert in Anspruch genommen wer-
    den;

    – o toll, und jetzt höre man weiter zu –
    für kleinere und mittlere Betriebe bleiben sie bis
    zum Jahr 2000 erhalten.

    Sie werden also also gestrichen, ehe die Tarifentlastun-
    gen überhaupt in Kraft treten können. Das ist die Wahr-
    heit. Der Rest ist gelogen.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Da helfen die besten Spindoctors nicht. Die Substanz
    Ihrer Steuerpolitik bedeutet eine Mehrbelastung für
    Wirtschaft und Mittelstand und damit eine Belastung
    und Verhinderung von Investitionen und von Arbeits-
    plätzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es kann nach den Grundregeln von Krafts Rechen-

    buch und nach Adam Riese ja auch gar nicht anders
    sein. Aber Adam Riese?


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Der gehört nicht zur Bundesregierung!)


    Dazu hat das „Handelsblatt“ geschrieben: Gerhard
    Schröder fordert Adam Riese heraus. Welch eine Her-
    ausforderung, Herr Bundeskanzler! Aber das ist gefähr-
    lich. Man sollte die Grundrechenarten nicht außer Kraft
    setzen. Ich kann nicht mehr Geld ausgeben und gleich-
    zeitig weniger einnehmen wollen; das geht nicht zu-
    sammen. Wer nicht die Kraft zum Sparen hat, der wird
    die Betriebe und auch die Steuerzahler nicht entlasten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!)


    Sie sehen jetzt keine Nettoentlastung vor. Heute ha-
    ben Sie gesagt: 15 Milliarden DM ab dem Jahr 2002;
    Verzeihung, aber im Moment haben wir, wenn ich das
    richtig weiß, den 10. November 1998. Die Arbeitslosig-
    keit ist das dringendste Problem in unserer Gesellschaft;
    ihre Bekämpfung kann nicht bis zum Jahr 2002 warten.
    Wir brauchen jetzt Steuerentlastungen. Für 1999 haben
    Sie keine vorgesehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn es keine Entlastung gibt, dann muß der eine

    mehr bezahlen, was der andere weniger bezahlen soll.
    Es geht nicht anders zusammen.


    (Zuruf des Bundesministers Oskar Lafontaine)


    – Ja, natürlich. Aber, Herr Finanzminister, von Ihnen
    wissen wir, daß Sie niemals entlasten, sondern allenfalls
    umverteilen wollen. Am liebsten würden Sie Steuern nur
    erhöhen; denn je mehr Sie Steuern erheben, desto mehr
    glauben Sie ja, daß Sie Rädchen haben, mit denen Sie
    die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinflussen
    können. Das allerdings ist altes Denken: keine Neue
    Mitte, sondern alte Linke.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Selbst Ihre eigenen Darlegungen, so schön sie formu-

    liert sind, sind ja, wenn man sie ein bißchen abklopft,
    ziemlich fadenscheinig. Sie selber haben für das Jahr
    2002 – das haben Sie zwar nicht gesagt, aber so ist es
    vorgesehen – eine Nettoentlastung von 15 Milliarden
    DM versprochen. Dann haben Sie uns auch hier gesagt –
    das haben wir alle gehört; ob Ihre Fraktion so genau zu-
    gehört hat, weiß ich allerdings nicht sicher; aber wir ha-
    ben aufmerksam zugehört –, daß die durchschnittliche
    Familie um 2 700 DM entlastet werde. Stimmt das, Herr
    Bundeskanzler?


    (Bundesminister Oskar Lafontaine: Stimmt!)