Rede von
Rezzo
Schlauch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Man kann eigentlich die Uhr danach stellen: Wenn von den politischen Marktschreiern die innere Sicherheit in die Öffentlichkeit gepuscht wird, dann ist Wahlzeit, dann wird auf Teufel komm raus gehobelt, und dann fallen grobe Späne. Diese bewirken alles, nur keine seriöse Diskussion und noch viel weniger Sicherheit für die Bürger.
Oft bewirken sie das Gegenteil von dem, was mit ihnen beabsichtigt wird. Die kostbaren Wählerstimmen, die man auf seine Schultern schaufeln will, landen nämlich ganz woanders. So ist es in Baden-Württemberg geschehen, wie viele von uns wissen.
Sie können eben nicht wie Herr Schröder den durchreisenden Drogendealer mit 4 Kilogramm Heroin mit dem hier in Deutschland geborenen ausländischen Jugendlichen mit ausländischem Paß, der hier aufgewachsen ist, eine Lehrstelle durchlaufen hat und wie seine deutschen Altersgenossen in seiner Jugendzeit mal eben auf die schiefe Bahn gerät, vergleichen und über einen Kamm scheren. Wir können doch nicht die Strafe für ein Fehlverhalten der hier in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen von Eltern ausländischer Herkunft davon abhängig machen, welchen Paß der Betreffende nun gerade hat.
Meine Damen und Herren, wenn in Hamburg einer durch die Stadt tingelt und ruft, die Kriminalität sei zu hoch, wir brauchten neue Gesetze, um die Verbrecher fassen zu können, und wenn er gleichzeitig die Staatsanwaltschaft unterbesetzt und ganze Stadtteile sozial verelenden läßt, weil er lieber nach den Pfeffersäcken schielt, dann werden ihm solche ideologischen Kampagnen auf die eigenen Füße fallen.
Der Kandidat aus Hamburg, der in seinem eigenen Kiez mit einer hausgemachten und im Vergleich zu anderen Großstädten erschreckend niedrigen Aufklärungsquote bei dem Delikt Raub aufwartet, und der Kandidat aus Hannover, einer Stadt, die offensichtlich führend in der Statistik über Jugendkriminalität ist, hätten besser erst vor der eigenen Tür gekehrt, bevor Sie in platter Weise nach dem eisernen Besen in Bonn rufen.
- Ich glaube, der Beifall von Ihnen kommt ziemlich falsch.
- Warten Sie nur ab, Sie kommen auch noch dran. - Dann hätten Sie sich vielleicht auch einmal darüber kundig machen können, daß in den letzten Jahren 40 Gesetze verabschiedet wurden, die alle an der Repressionsschraube gedreht haben.
Das hat zur Folge, daß es kein Defizit in der Gesetzgebung gibt - wir haben ja eine Inflation von Gesetzen -, sondern, wenn überhaupt, ein Defizit im Vollzug. Ich bin mit vielen Polizeipräsidenten in dieser Republik einig, die sagen, daß ein noch mehr an Sicherheit nur durch verstärkte Prävention, nur durch Vorbeugung zu erreichen ist. Es ist wichtiger - dahin gehend müssen wir unsere politischen Kräfte bündeln -, daß ein Delikt nicht begangen wird, als daß es zur Freude der Polizei aufgeklärt wird.
Meine Damen und Herren, den Menschen, die von Kriminalität bedroht sind und sich bedroht fühlen, helfen Sie mit dem Lauschangriff nicht. Die Alltagskriminalität vom Handtaschenraub bis zum Wohnungseinbruch kann man nur durch Präsenz von Polizei auf den Straßen in Verbindung mit präventiven Maßnahmen im Stadtviertel in den Griff bekommen. Was passiert aber beispielsweise bei all denjenigen, die nach mehr Polizei rufen? Beispielsweise bei der Großen Koalition in Berlin wird Polizeipräsenz abgebaut; man erhält nicht den Bestand.
Auch New York hilft nicht viel weiter. Der bei den konservativen Innenpolitikern in Mode gekommene Begriff der Nulltoleranz entblößt nur die Doppelzüngigkeit der Konservativen. Wenn es darum geht, Verkehrsdelikte, das Zuparken von Rad- und Gehwegen oder Geschwindigkeitsüberschreitungen, zu verfolgen, dann tönt der konservative Chor: Mehr Toleranz, mehr Großzügigkeit, weniger staatliche Eingriffe!
Noch schräger wird es, wenn der Rechtsprotagonist Gauweiler einem Herrn Krenz, der wegen Totschlags verurteilt wurde, die höchste Form der Toleranz in Gestalt der Begnadigung zukommen lassen will. Das, meine Damen und Herren Konservative, ist keine Kriminalpolitik. Das ist Willkür und Unberechenbarkeit, die es in einem Rechtsstaat eigentlich nicht geben sollte.
Es liegt auf der gleichen Ebene, wie wenn die PDS in
Hamburg Plakate mit dem Spruch „Soldaten sind
Rezzo Schlauch
Mörder" klebt und man darunter kleben müßte: „Aber Krenz' Soldaten nicht".
Herr Kanther, Sie beklagen den Werteverfall und -verlust. Es muß Ihnen im Echo zurückschallen. Wer betreibt denn einen gnadenlosen Modernisierungskurs ohne Rücksicht auf Verluste?
Wer höhlt denn die Solidargemeinschaft aus? Wer predigt ständig: Das Recht des Stärkeren soll sich durchsetzen? Wer hat denn den Fernsehkanälen für Sex and Crime durch die Unterwerfung der Rundfunklandschaft unter die Marktgesetze den Weg bereitet?
Das waren doch Sie mit Ihrer Regierung. Das können Sie doch jetzt nicht beklagen.
Die Mehrheit in diesem Hause hat hierfür offensichtlich überhaupt kein Gespür.
Sie setzt auf alte, abgedroschene Rezepte. Wir werden uns an diesen ideologischen kriminalpolitischen Schlachten von gestern nicht mehr beteiligen. Wir wollen die präventiven Instrumente ausbauen. Wir wollen die jugendlichen Delinquenten tatnah und ohne Zeitverzögerung den Prozessen zuführen. Wir wollen die völlig fehlgeschlagene und in hohem Maße Kriminalität verursachende Drogenpolitik reformieren. Wir wollen eine aktive Sozialpolitik betreiben. Das ist nämlich die beste Vorsorge gegen wachsende Jugendkriminalität.
Danke schön.