Rede von
Peter
Hintze
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist im Interesse der von Armut betroffenen Menschen, lieber Herr Kollege Spanier, daß wir in dieser Debatte nicht
Peter Hintze
Klischees verfestigen, sondern uns mit der tatsächlichen sozialen Situation in Deutschland beschäftigen.
Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu Ihrem Beitrag machen: Sie haben hier unseren Bundeskanzler angesprochen. Ich will Ihnen einmal sagen, worin ein wesentlicher Verdienst unseres Bundeskanzlers liegt: daß wir einen so starken Sozialstaat haben, wie er auf der Welt wohl einmalig ist.
Ich darf einmal an die Zeit erinnern, als der Bundeskanzler noch Helmut Schmidt hieß - jetzt wollen wir einmal zu unserem Thema kommen -: Von 1977 bis 1982 sind die Realwerte der Eckregelsätze permanent gesunken. Es war eine unserer Maßnahmen, eine Leistung von Helmut Kohl, daß dieser unwürdige Zustand beendet wurde und die Werte entsprechend gestiegen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe in meiner eigenen Arbeit bedrückende Einzelschicksale kennengelernt, Menschen, die in Not geraten sind, Menschen, die Hilfe brauchen, materielle Hilfe und persönliche Zuwendung. Deswegen finde ich es richtig, daß wir in dieser Debatte auch denen danken, die sich Tag für Tag um solche Menschen kümmern, die Gegenstand unserer Überlegungen sind, solche, die materiell in Not geraten sind, solche, die in Wohnungsnot sind. Ich denke an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialämter, in den Kirchen und der Sozialverbände. Sie helfen in schwierigen und schwierigsten Situationen. Sie setzen sich Tag für Tag mit dem Problem, das wir heute diskutieren, auseinander.
Sie sind aber gleichzeitig auch einem großen Druck ausgesetzt. Denn sie werden nicht nur mit materiellen, sondern auch mit menschlichen und seelischen Problemen konfrontiert, die ihre Möglichkeiten oft übersteigen. Manchmal ballen sie auch die Faust in der Tasche, weil ihr Gegenüber versucht, das System auszunutzen. Auf der anderen Seite fehlt ihnen oft die Zeit, um so zu beraten, wie es fachlich geboten wäre.
- Es ist einfach unehrlich, liebe Frau Kollegin, wenn wir uns beim Thema Sozialhilfe die Dinge nicht wirklich genau anschauen. Wir müssen einen Beitrag für die Menschen leisten, die wirklich Hilfe brauchen, und diesbezüglich für die entsprechende Verstärkung sorgen, aber wir müssen auf der anderen Seite
auch darauf achten, daß kein Mißbrauch aufkommt. Das gleiche gilt auch im Steuerrecht.
Der Grundgedanke des Bundessozialhilfegesetzes ist nicht nur, ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Der Grundgedanke ist, Menschen zu befähigen, Armutslagen aus eigener Kraft zu verlassen.
Wenn wir uns einmal von den Klischees abwenden und uns den Fakten zuwenden, dann finde ich das Hochinteressante im Bericht der Bundesregierung: Es ist millionenfach gelungen, mit nur einer kurzfristigen Überbrückungshilfe den dauerhaften Rückstieg in die eigene Erwerbsfähigkeit und in die Selbstversorgung zu garantieren. Das finde ich eine beachtliche Leistung, und das muß in dieser Stunde auch angesprochen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wer wie die SPD in ihrer Anfrage Sozialhilfe mit Armut gleichsetzt, der mißversteht den Sozialstaat. Außerdem - das zweite Problem - stigmatisiert er die Menschen, die auf diesen Rechtsanspruch angewiesen sind. Damit leistet er vielleicht unfreiwillig einen Beitrag dazu, daß sie diesen Rechtsanspruch für sich gar nicht realisieren.
Es trifft zu, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger und die Summe der Aufwendungen für Sozialhilfe gestiegen sind. Das liegt aber nicht daran, daß Deutschland ärmer geworden wäre. Es liegt daran,
daß sich der Kreis der Anspruchsberechtigten stark verändert hat. Heute ist der Anteil der Ausländer unter den Sozialhilfeempfängern erheblich höher als noch vor zehn Jahren. Ohne diesen Anstieg gäbe es gegenwärtig rund 600 000 Sozialhilfeempfänger pro Jahr weniger. Bezogen auf die alten Bundesländer ist das immerhin ein Plus von 30 Prozent.
Damit wird deutlich: Das, was die SPD in dieser Debatte als Armutsproblem darstellen will, hat in Wahrheit ganz maßgeblich mit der Übernahme humanitärer Aufgaben und mit unserem Asylrecht zu tun. Es relativiert das Problem nicht, stellt es aber in einen anderen Zusammenhang.
Wir übernehmen in Deutschland in großem Maße humanitäre Aufgaben für Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Hunger flüchten. Dafür stehen wir, aber dafür lassen wir uns dann nicht von Ihnen vorhalten, wir hätten ein wachsendes Armutsproblem, meine Damen und Herren.
Armut wird in Deutschland durch die Leistungen der Sozialhilfe wirksam verhindert. Gleichwohl gibt es tragische Lebensläufe, die zu schweren Notlagen führen können.
Peter Hintze
Ich denke an Obdachlose, die ein Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen hat und die in ihrer Lebenssituation resignieren. Ich denke an drogenabhängige Jugendliche, die jeden Kontakt zu ihrer Familie verloren haben.
Zu Ihrem Zwischenruf muß ich sagen: Es ist wirklich traurig und wird der Situation nicht gerecht. Ich war zu einer Zeit in einer Kirchengemeinde tätig, da waren Sie noch für die Politik verantwortlich. Ich habe dort das Problem der Obdachlosigkeit kennengelernt.
Es ist einfach fahrlässig, so darüber zu reden, als ließe sich die Sache einer politischen Maßnahme zuordnen.
Die Menschen brauchen nicht derartige einseitige Zuordnungen. Diese Menschen brauchen Hilfe. Aber es gehört auch zu einer solchen Debatte, daß es uns bewußt ist, daß Politik hier immer wieder an Grenzen stößt und daß wir es wahrscheinlich nie schaffen werden, jedem Menschen in jeder persönlichen Problemlage gerecht zu werden.
In der öffentlichen Diskussion wird zwischen relativer und absoluter Armut unterschieden. Sie, Herr Kollege Spanier, haben das eben auch getan. Absolute Armut als physische Existenzbedrohung kennen wir in der Dritten Welt. Viele hundert Millionen Menschen haben keinen Zugang zu unverseuchtem Wasser, leiden an Mangel- und Unterernährung und sind Krankheiten schutzlos ausgeliefert. Der Bericht der Weltbank, der gestern veröffentlicht wurde, spricht eine bedrückende Sprache.
Es gibt auch Armutsdefinitionen, die nicht von einem absoluten Mangel ausgehen, sondern die Armut als Unterschreitung eines bestimmten Anteils am Durchschnittseinkommen verstehen. Diesen Armutsbegriff haben Sie eben angesprochen. Der Begriff führt aber in die Irre, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil Länder mit niedrigem Einkommensniveau und einer schlechten Einkommensverteilung viel weniger Armut leiden als Länder mit einem hohen Einkommensniveau und einer größeren Einkommensverteilung. Da lauern manche statistische Fallen.
Was in diesem Haus passiert ist, daß nämlich die Situation in Deutschland mit der in Mexiko verglichen wurde, ist Ergebnis genau einer solchen relativen Betrachtungsweise, meine Damen und Herren. Relativ mag es beispielsweise den Menschen in Mexiko besser gehen als denen in den USA, aber die Menschen gehen von Mexiko in die USA und nicht von den USA nach Mexiko, weil sie nicht unsere relative Betrachtungsweise interessiert, sondern das, was sie wirklich an Möglichkeiten zum Leben haben. Deswegen führt eine solche relative Betrachtungsweise in die Irre.
Ein zweiter Gedanke: Nehmen wir einmal an, das Einkommen aller Menschen in Deutschland würde sich verdrei-, vender- und verfünffachen, so würde sich nach Ihrem Armutsbegriff an der Armutssituation in Deutschland nichts ändern, weil das Verhältnis der verschiedenen Einkommen dann unverändert bestehen bliebe.
Die neuere Forschung in Deutschland ist sich darüber einig, daß Menschen im wesentlichen aus zwei Ursachen in eine Armutslage geraten können. Die erste Ursache wird als biographischer Bruch bezeichnet - Scheidung, Arbeitslosigkeit, Tod eines nahen Angehörigen, Überschuldung, Drogen- und Medikamentenabhängigkeit.
Die zweite Ursache ist die unzureichende Ausstattung mit einem immer wichtiger werdenden „Lebensmittel", mit Bildung. Das gilt für fehlende Schulabschlüsse, mangelhafte Berufsausbildung und die Unfähigkeit, mit veränderten Lebenssituationen umzugehen. Deshalb ist es ganz wichtig, daß wir dieses Thema nicht nur als ein sozialpolitisches Thema verstehen, sondern erkennen, daß es sich bei der Überwindung von Armutslagen und bei dem Bestreben von Menschen, aus Armutslagen herauszukommen, um eine bildungspolitische Aufforderung an alle, die damit zu tun haben - Bund, Länder und Gemeinden -, handelt.