Rede von
Dr.
Ruth
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit den heute zur Debatte stehenden Vorlagen geht es um die gesetzlichen Grundlagen der sogenannten dritten Reformstufe, welche Regierung und Koalition dem Gesundheitswesen verordnen wollen. Während alle einschlägigen Bemühungen bis zum Gesundheits-Reformgesetz von 1988 fast nur Kostendämpfungsmaßnahmen waren, deren Wirkung ohnehin stets nach kurzer Zeit verpuffte, gab es mit dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 bekanntlich erste Ansätze zu echten Strukturveränderungen.
Das heute vorliegende Ergebnis ist jedoch niederschmetternd. Die EBM-Reform ist ein Scherbenhaufen. Eine Stärkung der hausärztlichen Tätigkeit hat nicht stattgefunden. Der Anteil spezialärztlicher Leistungen ist gegenwärtig höher denn je. Zu einer stärkeren Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung ist es nicht gekommen.
Auch die Veränderungen in der Krankenhausfinanzierung haben nicht zu den gewollten Ergebnissen geführt. Für das laufende Jahr wurde den Krankenhäusern dafür nun eine Art von Budgetierung aufgedrückt, die an Härte und Undifferenziertheit bisher ihresgleichen sucht.
Dr. Ruth Fuchs
Vielleicht erklären sich all diese Mißerfolge auch daraus, daß die Regierung zwischenzeitlich alle Hände voll damit zu tun hatte, sich im Zuge eines regelrechten Rollback weniger um die Verwirklichung der gesetzlichen Aufträge zu kümmern, sondern mehr darum, schon einmal erreichte Fortschritte möglichst wieder zunichte zu machen. Jedenfalls war sie sehr erfolgreich dabei, die Positivliste, die Pflegepersonalregelung bzw. die Festbetragsregelung für Medikamente zu kippen, auszusetzen oder aber wenigstens in ihrer Substanz zu unterhöhlen.
Es gibt also fast nichts, woran in einem positiven Sinne angeknüpft werden könnte.
Unter diesen Umständen in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als handele es sich hier um so etwas wie die Fortsetzung einer kontinuierlichen Reform in verschiedenen Stufen, von denen zwei bereits bewältigt seien, gehört wohl eher in das schillernde Reich der Gaukelei.
Die wesentliche Veränderung, die neben den Budgetierungen wirklich stattgefunden hat, ist die vom Risikostrukturausgleich begleitete Organisationsreform der Krankenkassen und die damit verbundene Vorbereitung der Wahlfreiheit der Versicherten. Aber ausgerechnet dieser Schritt in eine richtige Richtung soll nun gründlich mißbraucht und zum Ausgangspunkt einer neuen Ära im Gesundheitswesen werden - der Ara der direkten und offenen Konkurrenz der einzelnen Kassen um Mitglieder.
„Wettbewerb der Krankenkassen" und „Vorfahrt für die Selbstverwaltung" sollen die neuen Wundermittel sein, mit denen die Gebrechen des Gesundheitswesens endlich kuriert und die Beitragssätze in der Krankenversicherung stabilisiert werden können.
Natürlich sind stabile Beitragssätze ein wichtiges und notwendiges Ziel. Erreichbar dürfte es allerdings nur sein, wenn es in ein umfassendes Konzept für eine echte Strukturreform des Gesundheitswesens und für weitere Schritte zu einer dauerhaften Konsolidierung der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung eingebettet ist.
Die Hauptursachen der Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen liegen aber bekanntlich nicht primär in einer vermeintlichen Kostenexplosion, sondern zunächst einmal vor allem in den relativ zurückbleibenden Einnahmen in Folge sinkender Lohnquote und zunehmender Massenarbeitslosigkeit. Hinzu kommen dann noch die bekannten, politisch beschlossenen Verschiebebahnhöfe innerhalb der Sozialversicherung.
Unter diesen Bedingungen hat die Erhöhung der Beitragssätze stets nur bewirken können, daß der Anteil der Ausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung am Bruttoinlandsprodukt in etwa gleichgeblieben ist. Wenn wir ein auch in Zukunft leistungsfähiges Gesundheitswesen und Beitragssatzstabilität haben wollen, verlangt das vor allem eine sozialstaatlich orientierte Verbesserung seiner Einnahmensituation.
Solange diese Tatsache von der Regierung völlig ignoriert wird, besteht wenig Hoffnung auf eine dauerhafte Lösung, zumal die Aufwendungen für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung auch künftig weiter wachsen werden.
Im Gegensatz dazu geht es auch mit den vorliegenden Gesetzesvorhaben letztlich wieder nur einseitig um eine Umverteilung der Kosten zu Lasten der Versicherten.
Allerdings hat die Regierung aus der Geschichte ihres bisherigen Scheiterns auch gelernt. In Zukunft möchte sie, nachdem sie mit dem Beitragsentlastungsgesetz den sozialen Kahlschlag noch einmal gründlich selbst betreibt, möglichst nicht mehr in eigener Verantwortung budgetieren, Leistungen ausgrenzen oder Zuzahlungen erhöhen und auch nicht mehr für die Korrektur der strukturellen Fehler im Gesundheitswesen zuständig sein.
Da Beitragssatzerhöhungen künftig erheblich erschwert werden sollen, die Selbstverwaltungen aber auch dann nicht das Instrumentarium haben werden, um aus eigener Kraft wesentliche Rationalisierungsreserven zu erschließen, wird den Kassen nur ein Weg offenbleiben: weitere finanzielle Belastungen der Versicherten. Exakt dafür soll ihnen ein beachtliches Repertoire an Möglichkeiten neu zur Verfügung gestellt werden: Zusatzleistungen, die allein von den Versicherten zu finanzieren sind; Zuzahlungserhöhungen in eigener Entscheidung; Selbstbehalte im Rahmen von Kostenerstattungen; Beitragsrückgewähr und anderes mehr. Daß dies im einzelnen Maßnahmen sind, die die Versicherten, gemessen an ihren eigenen gesundheitlichen Interessen, falsch stimulieren und zugleich die Solidarität im ganzen beschädigen, sei hier nur erwähnt.
Im Klartext heißt das: In Zukunft sollen es die Selbstverwaltungen sein, die die Kürzungen bei Versicherten und Leistungserbringern auszuführen haben und anschließend natürlich als Überbringer der schlechten Nachricht dastehen müssen. Das bedeutet nichts anderes, als daß sich die Regierung endgültig aus ihrer Verantwortung für die Steuerung und Regulierung des Gesundheitswesens verabschieden will - dies ausgerechnet in einer Zeit, in der die Mittel knapper werden, in der die Sozialversicherungssysteme zunehmend unter Druck geraten und in der die Aufrechterhaltung der sozialen Funktionen des Gesundheitswesens mehr denn je sozialstaatliches Handeln erfordert.
Was die Selbstverwaltungen betrifft, so ist zu sagen, daß die potentielle Rolle, die sie im Gesundheitswesen spielen könnten, kaum zu überschätzen ist. Ihre Stärkung und innere Reform könnte sehr wohl zu sachgerechteren Entscheidungsfindungen, zu mehr Bürgernähe und Demokratie beitragen. Voraussetzung aber sollte sein, daß sie sich nicht nur wie bisher als einseitig interessengeleitete Institutions- bzw. Standesvertretungen verstehen, sondern den in ihnen versammelten Sachverstand in die Gestaltung eines Gesundheitswesens einbringen, das in erster
Dr. Ruth Fuchs
Linie am Wohl der Patienten und an den Gesundheitsinteressen der Bevölkerung orientiert ist.
Um es deutlich zu sagen: Hinter dieser Reform mit ihren scheinbar so griffigen Leitformeln verbirgt sich der bisher gefährlichste Angriff auf den gegenwärtig noch wirksamen sozialen Standard in der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung, auf das Solidarprinzip und auf die sozialstaatliche Verantwortung für ein sozial gerechtes und leistungsfähiges Gesundheitswesen.
Alle neokonservativen und neoliberalen Vorstellungen über die künftige gesellschaftliche Entwicklung werden in geradezu klassischer Form auf das Gesundheitswesen übertragen. Das Gesetz führt zur Deregulierung, zur Privatisierung von elementaren Lebensrisiken und zur Entsolidarisierung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wird dieses Reformvorhaben Realität, dann ist der soziale Grundkonsens auf dem Gebiet des Gesundheitswesens aufgekündigt. Auch für diesen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit beginnt dann definitiv der Weg in eine andere Republik.
Unseren Vorstellungen von einer sozial gerechten und qualitativ hochstehenden Medizin, auf die jeder Mensch nach seinem Bedarf und nicht nach seiner Zahlungsfähigkeit Anspruch hat, entspricht dies nicht. Deshalb lehnen wir die vorliegenden Gesetze, mit denen die sogenannte dritte Stufe der Gesundheitsreform verwirklicht werden soll, entschieden ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.