Frau Kollegin, selbst dem ehemaligen Bildungsminister fällt es nicht leicht, innerhalb der verbliebenen Redezeit den Zusammenhang zwischen formalem Bildungsgrad und Zahngesundheit darzulegen - obwohl das ein reizvolles Thema wäre, wie ich gerne einräume.
Wir wissen, daß die Art und Weise, wie schon Kinder im Kindergarten und in der Schule zur Zahnpflege angehalten werden, und die Tatsache, ob sie das Gelernte praktizieren, sehr viel damit zu tun haben, ob sie anschließend Schäden haben oder Zahnersatz brauchen. Es empört Sie, daß wir junge Menschen zum Zähneputzen anhalten wollen. Wenn Sie nicht mehr Grund zur Empörung in diesem Leben haben, dann beneide ich Sie.
Wir werden die Kostenerstattung als Voraussetzung für intelligent ausgestaltete individuelle Anreize zu wirtschaftlichem Verhalten ausprägen. Wir werden im Bereich des Zahnersatzes das Kostenerstattungsverfahren obligatorisch einführen. Das ist der richtige Weg. Es wird sich zeigen, daß dieses unbürokratische und transparente Verfahren sehr wohl auch auf andere Bereiche übertragbar ist.
Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung gehören zusammen. Die heutigen Selbstbeteiligungsregelungen werden daher praktikabel ausgestaltet und erweitert. Wir haben die gesetzliche Selbstbeteiligung in einigen Bereichen erhöht. Das gilt für den
Jürgen W. Möllemann
Kur- und Rehabilitationsbereich mit Ausnahme der Anschlußheilbehandlungen; das gilt auch für die Zuzahlung bei Arzneimitteln.
Darüber hinaus erhalten die Krankenkassen die Möglichkeit, höhere Selbstbeteiligungen vorzusehen,
Selbstbehalte einzuführen und Versicherten Beitragsrückerstattungen zu gewähren.
Den Kritikern solcher Lösungen müßte es doch eigentlich zu denken geben, wenn nun sogar Ortskrankenkassen ihren Versicherten Beitragsrückerstattungen anbieten.
Wenn dies ein Wettbewerbsinstrument ist, wie viele beklagen, dann sage ich: recht so!
- Ja, sicher, das ist auch so. - Wenn man unser Gesundheitswesen auslüften will, muß man die Fenster öffnen und den frischen Wind des Wettbewerbs hereinlassen.
Die gesetzlichen Budgetierungen sind bei Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern aufgehoben worden. Es wird zukünftig wieder Sache der Selbstverwaltung sein, in den Verhandlungen zu beurteilen, in welchem Maße Anpassungen erforderlich sind. Dabei darf es nicht so sein, daß sich unumgängliche Entwicklungen nicht in der finanziellen Ausstattung widerspiegeln. Ich denke dabei zum Beispiel an Verschiebungen zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor. Wenn immer mehr Patienten von niedergelassenen Ärzten behandelt werden, die früher stationär im Krankenhaus behandelt wurden, dann muß das entsprechende Geld in den Sektor der niedergelassenen Ärzte transferiert werden.
Als Liberaler kann ich natürlich mit der Festschreibung des Beitragssatzes bis Ende dieses Jahres nicht besonders glücklich sein. Aber wir haben uns auf die Position verständigt,
daß es in der gegebenen Situation mit exorbitant hohen Steuern, Versicherungsbeiträgen und Abgaben wichtig ist, daß die Einsparungen durch unsere gesetzlichen Maßnahmen definitiv und garantiert an Versicherte und Betriebe weitergegeben werden.
Sparen ist kein Selbstzweck; vom Sparen soll derjenige etwas haben, der unser Gesundheitswesen finanziell am Laufen hält, also die Beschäftigten und ihre Betriebe gleichermaßen. Vom nächsten Jahr
steht es dann in der Verantwortung der Selbstverwaltung, die Beitragssätze festzusetzen.
Wir wollen die Stärkung des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen. Das bedeutet unter anderem, daß sie nicht mehr gemeinsam verhandeln, sondern jede Krankenkasse bzw. Kassenart in bestimmten Bereichen für sich. Wir sehen in den heute zu verabschiedenden Gesetzentwürfen vor, daß die Krankenkassen nur noch dort einheitlich und gemeinsam verhandeln, wo dies medizinisch unerläßlich ist oder wo ein anderes Verfahren zu einem unerträglichen Mehraufwand führen würde.
Die Innovationsfreude und die Kreativität der Beteiligten müssen endlich wieder so zum Zuge kommen können, daß unser Gesundheitssystem dadurch Schritt für Schritt besser wird. Warum sollte sich eine Krankenkasse denn besonders anstrengen, wenn alle ihre Konkurrenten ebenso von ihren Ideen profitieren, weil alle einheitlich und gemeinsam an einem Tisch sitzen?
Wir haben uns bei den Regelungen darauf konzentriert, den Wettbewerb um die Beitragssätze zu stärken. Es kann auch nicht angehen, daß eine solidarische Krankenversicherung Wettbewerb über ein möglichst großes Leistungsangebot macht. Damit auch hier Bewegung hereinkommt, können die Kassen in Modellvorhaben neue, andere Leistungen im Rahmen ihres Aufgabenfeldes erproben. Warum soll eine Krankenkasse nicht zusammen mit den Ärzten •feststellen, ob die Akupunktur eine sinnvolle und gewollte Methode zur Schmerzbehandlung ist?
Die Reform im Krankenhausbereich muß energisch fortgesetzt werden; denn dieser Bereich hat mit einem Drittel der Ausgaben ein ungeheures Gewicht. Wir alle wissen, wie schwierig diese Reform ist. Ich gebe zu: Ich bin mit der gefunden Konstruktion der Gesamtvergütungen nicht zufrieden. Wenn die Budgetverhandlungen vor Ort insgesamt eine Summe ergeben, die über der ausgehandelten Gesamtvergütung liegt, so soll bei allen Krankenhäusern im Land linear gekürzt werden. Dies ist nicht gerade das, was wir unter einer leistungsgerechten Vergütung verstehen.
Ich bin deshalb froh, daß wir in der Koalition gemeinsam der Auffassung sind - in den Beratungen im Ausschuß habe ich gemerkt: wohl alle, über die Fraktionsgrenzen hinweg -, daß wir in den Beratungen des Vermittlungsausschusses, weil uns bisher keine bessere Lösung eingefallen ist, nach einer besseren Lösung suchen sollten.
Es ist uns darüber hinaus gelungen, einige wegweisende Änderungen vorzunehmen. So werden Fallpauschalen und Sonderentgelte nicht mehr in dem schwerfälligen Verfahren, das bisher galt, eingeführt, sondern von der Selbstverwaltung. Ich finde es gut, daß auch die SPD die Forderung erhebt, möglichst schnell möglichst viele Leistungen über Fallpauschalen und Sonderentgelte abzurechnen. Hier gibt es sicher ein Feld für eine konstruktive Zusammenarbeit.
Die Krankenkassen erhalten bei der Krankenhausplanung mehr Mitsprachemöglichkeiten. Das ist
Jürgen W. Möllemann
sinnvoll, weil sie die Finanziers des Ganzen sind. Denn bei der finanziellen Zurückhaltung der Länder im Investitionsbereich kann man wohl kaum noch von einer ausgeglichenen Finanzierung sprechen.
Versorgungsverträge im Krankenhausbereich werden nicht mehr von allen Krankenkassen einheitlich und gemeinsam abgeschlossen und gekündigt. Auch das bringt Bewegung in die Landschaft.
Und - was ich besonders wichtig finde - wir verbessern die Möglichkeiten für ambulante Praxiskliniken. Künftig kann in solchen Einrichtungen ein Patient auch einmal über Nacht dableiben und weiterbehandelt werden.
Ich bin gespannt, ob es die Länder diesmal schaffen, einmal nicht an ihrem landespolitischen Egoismus festzuhalten, und ob sie bereit sein werden, über ein sinnvolles Konzept zu reden. Dazu gehört für mich auch, daß die Länder die Instandhaltungskosten für weitere drei Jahre übernehmen. Ich bin auch sehr gespannt, ob sie bereit sein werden, den Übergang zu einer betriebswirtschaftlich sinnvollen monistischen Finanzierung im Krankenhausbereich zu akzeptieren. Dies kann natürlich nur geschehen, wenn für die entsprechende finanzielle Kompensation gesorgt wird.
Last not least: Wir müssen den Regelungsdschungel in unserem Gesundheitssystem lichten. Das Prinzip der Subsidiarität muß auch für den Regelungsbedarf des Gesetzgebers gelten. Das Motto muß hier lauten: soviel Handlungsspielraum für die Selbstverwaltung wie möglich und so wenig Bürokratie wie nötig.
Es geht einfach nicht, daß die Ärzte immer weniger Zeit für ihre Patienten finden, weil der Gesetzgeber sie mit immer neuen Verordnungen und Gesetzen überzieht. Die Aussetzung der Einführung des ICD-10 mit dem Ziel der Vereinfachung und Reduzierung auf das Nötige war deshalb richtig.
Die Großgeräteplanung wird entfallen. Die Prüfung der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen entfällt ebenfalls, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen.
Aber dabei dürfen und werden wir nicht stehenbleiben. Die Bedarfsplanung bei Ärzten und Zahnärzten muß flexibilisiert werden; bei den Zahnärzten wird sie einvernehmlich wegfallen. Wir leisten uns heute den Luxus, jahrelang jungen Medizinern eine teure Ausbildung zu finanzieren, und sagen dann: Entschuldigung, es gibt schon zu viele von euch. - Entweder reduzieren wir die Ausbildungskapazitäten oder wir geben die starre Bedarfsplanung auf.
Wir haben die Bedingungen für Belegkliniken, für Praxiskliniken und für ambulante Praxiskliniken deutlich verbessert. Arztpraxen können im Falle eines Verkaufs künftig von einem vorübergehend tätigen Stellvertreter geführt werden, damit sie nicht brachliegen und an Wert verlieren. Alles andere werden wir im Zusammenhang mit der Novellierung der
Approbationsordnung für Ärzte noch einmal eingehend diskutieren.
Meine Damen und Herren, die vorliegenden Gesetzeswerke tragen eine liberale Handschrift - zugegeben. Ich bin auch gar nicht traurig darüber, daß Sie das kritisieren. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß wir gut daran getan hätten, eine Entkoppelung zwischen steigenden Krankenversicherungsbeiträgen und steigenden Lohnzusatzkosten vorzunehmen. Ich bin davon überzeugt, daß wir auf mittlere Sicht diese strukturellen Komponenten noch einmal diskutieren müssen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einen Appell an den Bundesrat richten. Ich hoffe sehr, daß sich die SPD-regierten Bundesländer nicht aus parteipolitischem Kalkül der notwendigen und sinnvollen Reform verschließen werden. Wir brauchen diese Reform im Gesundheitsbereich, und wir brauchen das Beitragsentlastungsgesetz.
Es ist jetzt nicht mehr die Zeit für überholte Rituale, Reformvorschläge mit Abscheu und Empörung zur Kenntnis zu nehmen und am Ende keine eigene Alternative zu präsentieren.
Wir müssen mutig und energisch an die Reform aller unserer Sozialversicherungszweige gehen. Im Gesundheitswesen sind wir auf dem richtigen Weg.
Ich danke Ihnen.