Rede von
Graf
Heinrich
von
Einsiedel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht hundert Jahre alt, ich bin jünger.
- Vielleicht sehe ich so aus, aber Gott sei Dank oder leider war ich alt genug, als Heranwachsender, wie so viele Hunderttausende, ja, Millionen meiner Altersgenossen ein Opfer jenes geistigen und politischen Klimas zu werden, in dem wir für den nächsten Waffengang eingestimmt und abgerichtet wurden und dessen herausragendster Repräsentant eben jener Ernst Jünger war, der gestern und überhaupt in den letzten 10, 15 Jahren wieder so sehr gefeiert und ausgezeichnet wird.
Ist das ein Zufall? Klimaveränderungen sind bekanntlich schwer nachzuweisen. Die Wiederentdekkung dieses Verherrlichers des Krieges ist für mich jedoch ein nicht zu übersehendes Indiz für die Veränderung des geistigen Klimas, in dem wir leben,
des Klimas, das Jünger noch vorgestern ein fellachoides-atheistisches Zeitalter nennt. Ihm fehlen die heroischen Stahlgewitter. Nicht nur ihm. So mancher ehemals linker - in Jüngers Augen fellachoider - Libertiner, der plötzlich entdecken mußte, daß die Propheten, an die er geglaubt hat, nur Gespenster waren, springt auf den neuen nationalen Transrapid und bindet den Helm fester - was der Herr Bundespräsident auch immer gegen das Trittbrettfahren haben mag.
Was hat das alles mit Außen- und Militärpolitik zu tun, mögen Sie fragen? Nun ja, wir feiern demnächst den 50. Jahrestag der Befreiung, einer Befreiung, die wir uns ziemlich viel haben kosten lassen. Allein in den neun Monaten nach dem 20. Juli 1944, als ein paar verantwortungsbewußte Leute vergeblich versucht hatten, Deutschland von Hitler zu befreien, sind 4,8 Millionen Deutsche ums Leben gekommen, 16 000 pro Tag, jeden Tag zehnmal so viel wie an jedem Tag der fünf Jahre Krieg bis dahin. Wer war alles mitschuldig durch Unterlassen, durch Weggukken? Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich in diesem Zusammenhang nur von den deutschen Toten rede, denn auf seiten unserer Befreier sind auch noch Millionen gefallen, und Hunderttausende wurden in dieser Zeit noch ermordet. Es war verdammt schwer, uns zu befreien.
Wir gedenken dieses Tages der Befreiung, einer Befreiung wider Willen. Aber die Versuchung ist groß - und ihr wird auch kräftig nachgegeben -, diesen 50. Jahrestag zu einer neuen Art von „Tag von Potsdam" umzufunktionieren, in einen Tag der nationalen Wiedergeburt.
Eine Übertreibung? Lesen Sie die Papiere des Generalinspekteurs der Bundeswehr über die neuen Herausforderungen:
Zum erstenmal seit 300 Jahren erleben wir die Gunst, nicht mehr Gegenstand externen Drucks zu sein.
So jubelt der General. Und weiter:
Zum erstenmal haben wir die Chance, politischer Akteur zu sein.
Man glaubt, nicht recht zu lesen. Zwei Weltkriege verloren, in denen sich eine Welt gegen die deutschen imperialistischen Expansionsgelüste verschworen hatte, gegen den Druck, den wir auf alle Nachbarn ausgelöst hatten, in denen wir zweimal bis Rostow und darüber hinaus marschiert sind, bis alles in Scherben fiel, und in denen wir einmal Paris fast und einmal ganz Frankreich erobert haben!
Im Geschichtsbewußtsein des Generals existiert das alles offenbar nicht. Im Gegenteil, er entwickelt globale militärische Verantwortung für Deutschland wie einst Wilhelm II. Man könnte meinen, er möchte auch gerne einmal die Uhren in Peking richtigstellen.
40 Jahre lang wurden im Kalten Krieg ungeheure Summen in militärische Sicherheit gegenüber dem Warschauer Pakt investiert. Stolz schlägt man sich auf die Schulter, die Sowjetunion totgerüstet zu haben, und gesteht damit ungewollt ein, daß die Bedrohung wohl doch nicht so einseitig war, wie man uns Jahrzehnte lang gerne glauben ließ. Nun ist der Warschauer Pakt verschwunden, die Sowjetunion aufgelöst, Rußland auf seinen Territorialbesitz von vor 300 Jahren zurückgeworfen, Deutschland umzingelt von Nachbarn, die Verbündete oder Freunde sind, obwohl man sie nicht immer so behandelt wie Freunde - Herr Scharping hat dazu schon einiges gesagt -, aber immerhin umzingelt von Freunden.
Man sollte meinen, wir könnten die Verteidigungsausgaben allmählich sozialverträglich zurückführen. Aber nein, wir sind ja wieder wer, nach General Naumann nun nicht mehr im Maschinenraum, sondern auf der Brücke des Dampfers UN, KSZE, NATO, EU usw. Ich kann bloß sagen: Hoffentlich ist es nicht die Titanic, die, Volldampf voraus, vermeintlich unsinkbar, auf die Eisberge zurast, die unsere Sicherheit tatsächlich bedrohen: die Klima- und Umweltkatastrophen, die drohenden nuklearen GAUS, die Überbevölkerung, die Kluft zwischen den Reichen, die im-
Heinrich Graf von Einsiedel
mer weniger und immer reicher werden, und den Armen, die immer mehr und immer ärmer werden, in Deutschland, in Europa, in Amerika und erst recht weltweit.
Ich weiß, in den Augen der Mehrheiten dieses Hauses ist das reine Panikmache. Wir leben ja in der besten aller Welten. Aber das hat Europa auch zu Beginn dieses Jahrhunderts geglaubt und stürzte doch ab in die Barbarei des Weltkrieges. Der antiquierte Satz: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor" hatte sich umgekehrt. Der Krieg wurde so lange vorbereitet, bis er zwangsläufig ausbrach.
Ich war zugegebenermaßen auf der Schule nicht besonders stark in Latein. Aber soviel meine ich mich doch noch zu erinnern: Der Krieg ist die Ultima ratio, das letzte Mittel. So lernten wir das damals. Bei General Naumann müssen wir umlernen: das äußerste, keineswegs das letzte Mittel. Was da der Unterschied ist, verschweigt er - wahrscheinlich der atomare Untergang.
Im Krisenbogen von Marokko bis zum Indischen Ozean könnten sehr rasch militärische Schritte erforderlich sein, sagt der General. Wörtlich:
Die den Einsatz von Streitkräften nahezu ausschließende und auf Reaktion als Verteidiger beschränkende Situation der nuklearen Konfrontation ist aufgehoben. Gefordert ist neue strategische Aktion bis hin zur Prävention.
Der alte Bismarck würde im Grabe rotieren, wenn er das läse.
Es gibt Kollegen und Kolleginnen sogar bei der SPD, die so etwas „militärisches Maulheldentum" nennen. So weit will ich gar nicht gehen. Aber die Alarmglocken müssen doch schrillen, wenn der oberste Repräsentant unserer Streitkräfte solche Töne anschlägt. Gut, er bestimmt Gott sei Dank noch nicht die Richtlinien in der Politik. Aber wenn er deswegen nicht sofort in die Wüste geschickt wird, dann kann er sich doch damit nicht allzuweit von den internen Richtlinien und Zukunftsperspektiven dieser Regierung entfernt haben.
Wer wollte es bestreiten: Das größere Deutschland hat auch eine größere Verantwortung. Aber werden wir dieser Verantwortung gerecht, wenn wir der viertgrößte Waffenexporteur sind, über eine der modernsten Armeen verfügen und dennoch Unsummen für die Entwicklung und Beschaffung neuer Waffensysteme auszugeben bereit sind? Unsummen, die an anderen Stellen weitaus sinnvoller eingesetzt werden könnten?
Würde es uns nicht viel besser anstehen, wenn wir die Vorreiter in der Entwicklungshilfe, im Umwelt-und Klimaschutz, bei weltweiten humanitären Aktionen wären? Ist statt einer Streitmacht von 50 000 Mann Krisenreaktionskräften nicht auch ein humanitäres Hilfskorps denkbar, wenn es auch nur 25 000 Mann wären?
- Kommen Sie mir doch nicht mit der SED!
Ich war nicht in der SED. Schon vor 46 Jahren habe ich die DDR und auch die SED kritisiert; ich brauche dem nichts mehr hinzuzufügen. Kommen Sie mir doch nicht mit dieser alten Leier. Sie können die PDS doch nicht mit der SED gleichsetzen. Gucken Sie doch einmal, wie alt diese Menschen sind!
- Also ich nicht.
Wir haben an zwei Verbündete, nämlich an Griechenland und die Türkei, für Milliarden DM Waffen und Militärausrüstung geliefert, an zwei Staaten, die schon militärische Zusammenstöße hatten und jedenfalls in einem großen Spannungsverhältnis zueinander stehen.
In meinen Augen ist die Türkei in viel höherem Maße ein Unrechtsstaat, als es die DDR gewesen ist. Herr Rühe sagte mir, ich sollte noch einmal darüber nachdenken. Nach seinen eigenen Worten aber erfüllt die Türkei nicht einmal die Voraussetzungen eines NATO-Beitrittskandidaten, schon deshalb, weil sie neue Konflikte in die Allianz trägt, indem sie sich unfähig erweist, die Minderheitenprobleme im eigenen Lande unter Beachtung der Menschenrechte zu lösen. Zudem fragt sich nach den Übergriffen gegen die Alawiten, ob sie noch ein Bollwerk gegen Fundamentalisten ist.
Dieser Staat ist im Innern weder eine Demokratie noch ein Rechtsstaat. Die Türkei ist ein Staat, der in ein anderes Land einfällt mit Begründungen, die verdammt jenen ähneln, mit denen Hitler-Deutschland Polen überfiel.
Unser Außenminister versichert uns, es lasse sich nicht nachweisen, daß die von uns gelieferten Waffen eingesetzt würden. Ja, will er das denn überhaupt?
Erst kurz vorher sind die Waffen geliefert worden. Da schon müssen Sie doch gewußt haben, was für ein Staat die Türkei ist und wie dort mit Kurden umgegangen wird.
Jetzt auf einmal sind Sie überrascht; Herr Poppe hat das dankenswerterweise klar gesagt.
Wenn die Waffen nicht gegen die Kurden im Irak eingesetzt werden, so werden sie doch in jedem Fall
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an anderer Stelle eingesetzt. So leicht können Sie sich nicht aus der Verantwortung herauszuschwindeln.
Jetzt hat die Bundesrepublik die militärische Hilfe ein bißchen gestoppt. Der Deckel wird auf den Brunnen gelegt, doch das Kind liegt schon im Brunnen: Die Türken sind schon im Irak. Das ist Konfliktbereinigung made in Germany, made by Kinkel.
Die Außen- und Sicherheitspolitik dieser Regierung ist nicht konzeptionslos, wie Herr Scharping gesagt hat. Sie läßt einen klaren Trend zu militärisch abgesicherter Großmachtpolitik erkennen. Sie läßt erkennen, daß die herrschenden Kreise dieses Land nicht für saturiert halten, was Bismarck einmal vom Deutschen Reich angenommen hatte. Vielmehr streben sie wieder eine Weltmachtposition an, eine Neuordnung mindestens Europas unter deutscher Führung.
Diesen Kurs werden wir mit all unseren Kräften bekämpfen und anprangern; denn es ist, wie schon zweimal zuvor, ein Kurs in die Katastrophe.