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ID1303107300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 2321 A Erweiterung der Tagesordnung . . . 2439 D Tagesordnungspunkt II: Wahl des Wehrbeauftragten (Drucksache 13/1000) . . . . . . . . . . 2321 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/504, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/505, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/514, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Rudolf Scharping SPD 2322 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 2333 D Otto Schily SPD 2344 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2344 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 2349 A Michael Glos CDU/CSU 2349 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 2349 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2354 C Dr. Gregor Gysi PDS 2354 C I fans Klein (München) CDU/CSU . . 2357 D Jochen Feilcke CDU/CSU 2358 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 2360 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 2369 B Michael Glos CDU/CSU 2375 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 2379 D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . 2384 B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2386 D Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 2389 A Günter Verheugen SPD 2391 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 2395 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 2396 D Ulrich Irmer F.D.P 2397 D Günter Verheugen SPD . . . . . . 2398 B Eckart Kuhlwein SPD 2399 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 2401 D Eckart Kuhlwein SPD . . . . . . . . . 2401 D Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . 2403 A Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 2403 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 2406 B Paul Breuer CDU/CSU 2409 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2411 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . 2412 B Ulrich Heinrich F.D.P. 2412 D Jürgen Koppelin F.D.P 2413 B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 2415 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2416 C Norbert Gansel SPD 2417 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2418 C Dr. Emil Schnell SPD 2421 A Armin Laschet CDU/CSU . . . 2422 B, 2431 B Michael von Schmude CDU/CSU . . . 2424 C Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2425 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 2427 B Dr. R. Werner Schuster SPD . . . . 2428 C Karl Diller SPD 2429 B Eckart Kuhlwein SPD 2429 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 2430 A Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . 2430 D Dr. Willibald Jacob PDS 2431 C Eckart Kuhlwein SPD (Erklärung nach § 31 GO) 2439 A Namentliche Abstimmungen . . . 2433 C, 2436 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . 2433 C, 2436 C Haushaltsgesetz 1995 (Drucksachen 13/528, 13/529, 13/966) . . . . . . . 2439 B Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksachen 12/8001, 13/530) . . . . . . . . . . 2439 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Initiative zum Karabach-Konflikt (Drucksache 13/1029) 2439 D Vizepräsident Hans Klein 2441 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2441 C Tagesordnungspunkt VI a: Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Francke (Hamburg), Peter Kurt Würzbach und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Karsten D. Voigt (Frankfurt), Uta Zapf und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann und der Fraktion der F.D.P.: Unbefristete und unkonditionierte Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel und der weiteren Abgeordneten der PDS: Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Nichtverbreitung von Kernwaffen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer, Ludger Volmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform und Stärkung des Nichtweiterverbreitungsvertrages für Atomwaffen und das Mandat der Bundesregierung für die Verlängerungskonferenz in New York (Drucksachen 13/398, 13/429, 13/537, 13/838) Uta Zapf SPD 2440 B Klaus Francke (Hamburg) CDU/CSU . 2441 D Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2442 B Dr. Olaf Feldmann F.D.P 2443 A Andrea Lederer PDS 2443 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 2444 C Nächste Sitzung 2445 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2447* A 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 30. 03. 95 Blunck, Lilo SPD 30. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 30. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 30. 03. 95 Hartmut Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Hartenstein, Liesel SPD 30. 03.95 Heym, Stefan PDS 30. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 30. 03. 95 Scheel, Christine BÜNDNIS 30. 03. 95 90/DIE GRÜNEN Tippach, Steffen PDS 30. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 30. 03. 95
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    Rede von Gerd Poppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, sicherlich sind wir uns in manchen außenpolitischen Fragen einig, aber es ist eine Verwischung der Unterschiede zwischen den Aufgaben von Regierung und Opposition, wenn Sie von uns hier fordern, als Opposition das zu erledigen, was Sie als Außenminister nicht schaffen.

    (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich kann Sie sehr wohl beruhigen: Wir fahren und wir sind gefahren nach Bosnien, in die Türkei, nach Rußland, und wir versuchen dort, Politik zu machen, die diese Konflikte lösen hilft.

    Gerd Poppe
    Wir sind uns sicherlich auch einig, daß Einsparungen im Haushalt notwendig sind. Aber es ist eine Binsenweisheit, daß man auch an den falschen Stellen sparen kann. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, den Rüstungshaushalt ungeschoren lassen oder erstmalig seit 1989 gar anheben, andererseits bei der Entwicklungshilfe oder der humanitären Hilfe sparen, dann sparen Sie an der falschen Stelle.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Nachdem ich vorhin den Bundeskanzler gehört habe, der die Lage der Menschen in Asien und Afrika mit der von denen in Rostock und Dresden in einem Atemzug genannt hat, wundert mich nichts mehr, was den Entwicklungshaushalt angeht.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, das Ungleichgewicht im Haushalt beruht auf einer politischen Fehlorientierung, über die wir heute nicht zum erstenmal reden. Es sind vor allem zwei grundsätzliche Fehler, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die wir Ihnen vorhalten.
    Erstens. Sie akzeptieren nach wie vor die Ergebnisse sogenannter militärischer Lösungen. Sie nehmen sie hin, obwohl jeder angesichts der täglichen Schreckensbilder in aller Welt weiß, daß mit militärischer Gewalt Konflikte nicht zu lösen sind, sondern nur durch die Beseitigung ihrer Ursachen. Der hohe Stellenwert des Militärischen in Ihrer Außenpolitik ist die zwangsläufige Konsequenz aus der systematischen Weigerung, Armut und Unterentwicklung endlich angemessen zu bekämpfen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Zweitens. Sie greifen immer noch in die politische Mottenkiste zur Bewahrung eines Status quo, von dem inzwischen jeder weiß, daß er nicht zu der erwünschten Stabilität führt. Das Hinnehmen einer abenteuerlichen Politik autoritärer Regierungen oder gar ihre Unterstützung führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit. Trotz entsprechender Erfahrungen mit den verblichenen kommunistischen Regimes, deren Lebensdauer Sie ja verlängert haben, und anderen Diktaturen wiederholen Sie mit erstaunlicher Konsequenz frühere Fehler.

    (Zuruf von der F.D.P.: Ich höre wohl nicht recht!)

    Warum setzen Sie auch nach den türkischen und russischen Militäreinsätzen gegen das kurdische bzw. tschetschenische Volk immer noch auf Regierungen, die offenkundig nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Menschenrechte zu wahren und demokratische Verhältnisse zu entwickeln? Warum sichern Sie ausgerechnet solchen Regierungen Ihre Unterstützung, ja Freundschaft zu, während Sie andererseits Irritationen gerade bei denjenigen schaffen - wie Polen und der Tschechischen Republik -, die auf dem Weg zur Demokratie sind?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Schäuble hat vorhin einen Anlauf genommen und wollte uns erklären, worin denn die Fehler bestanden bezüglich der Rangelei um die Einladung an Polen. Er hat diesen Satz nicht beendet, aber er hat von Solidarnosc gesprochen und von der großen Rolle, die Solidarnosc gespielt hat, und wie sehr er sie schätzt. Nun frage ich: Wenn es auf der einen Seite die unbezweifelbaren Verdienste von Mitterrand gibt, auf der anderen Seite die unbezweifelbaren Verdienste des Vorsitzenden der Solidarnosc und heutigen polnischen Präsidenten - warum soll dann nicht eine andere Behandlung möglich sein, als sie geschehen ist?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie, meine Damen und Herren von der Regierung eines der reichsten Länder der Erde, unterschätzen chronisch die Folgen von sozialen Krisen im ärmeren und größeren Teil der Welt. Sie nehmen politische Krisen immer erst dann wahr, wenn sie zum offen ausgetragenen Konflikt führen. Wenn dann das von vielen Sachverständigen lange erwartete Ergebnis eintritt, sind Sie, Herr Außenminister, überrascht oder enttäuscht oder schockiert. Wäre es da, herr Kinkel, nicht angebracht, nach den vielen schönen Worten über die Menschenrechte diesen endlich den angemessenen Stellenwert zu verschaffen, anstatt im Zweifelsfall immer wieder dem unmittelbaren außenwirtschaftlichen Interesse den Vorrang zu geben?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinrich Graf von Einsiedel [PDS])

    Die mindestens unklare Haltung der Bundesregierung läßt sich mit vielen Beispielen belegen. Ich erwähne nur die Politik gegenüber China und gegenüber dem Iran. Ich würde sehr gerne noch zu dem reden, was Sie über Bosnien und über Tschetschenien gesagt haben, möchte mich aber jetzt auf den aktuellen Fall, der uns beschäftigt, den Umgang mit der türkischen Intervention im Nordirak, beschränken.
    Niemand bestreitet, daß Terrorismus bekämpft werden muß. Aber es ist die verfehlte türkische Politik gegenüber dem kurdischen Volk, es sind die Aktionen der türkischen Militärs, die die PKK seit Jahren stärken, jede politische Lösung verhindern und die Demokratisierung blockieren.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    Wenn Sie ungeachtet dessen die türkische Regierung bis heute gebetsmühlenartig als Garanten des laizistischen Staates und demokratischen Partner in Europa darstellen, so ist das keine angemessene und ausreichende Reaktion. Ebensowenig reichen ein Sperrvermerk für die Finanzhilfe oder die halbherzige Ankündigung einer vorläufigen Aussetzung noch ausstehender Militärhilfe. Die türkische Regierung kann beruhigt abwarten, bis die Schamfrist verstrichen ist. Das Verfahren ist bekannt: Denken Sie

    Gerd Poppe
    nur an die sogenannte Normalisierung der Beziehungen zu China, ohne daß die Menschenrechtssituation sich auch nur im mindesten geändert hätte.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Es genügt auch nicht, schockiert zu sein, Herr Kinkel, wenn ein NATO-Partner in einen Nachbarstaat einmarschiert und verkündet, sich dort für ein Jahr einzurichten.

    (Birgit Homburger [F.D.P.]: Was soll man denn machen?)

    Die Initiative zur Anwendung der OSZE-Mechanismen hätte schon viel früher ergriffen werden können und müssen. Es reicht nicht aus, einmal mit dem Fuß aufzustampfen

    (Lisa Peters [F.D.P.]: Sondern was, Herr Poppe?)

    und dann nach wenigen Wochen wieder zur sogenannten Normalität, zur Tagesordnung überzugehen. Das gilt für Ihre Besuche in Moskau wie in Ankara.
    Meine Damen und Herren, hierzulande ist fast nur vom Einsatz des türkischen Militärs gegenüber der PKK die Rede. Kaum erwähnt werden z. B. die Übergriffe der Polizei in Istanbul gegen die protestierenden Alawiten. Inzwischen besteht die reale Gefahr, daß extreme Islamisten auch in der Türkei die Oberhand gewinnen.
    Es geht also nicht allein um die politische Lösung der sogenannten Kurdenfrage, d. h. den Beginn des Dialogs mit den Vertretern des kurdischen Volkes und den Abbau der kemalistischen Staatsdoktrin. Es geht um die demokratisch verfaßte Türkei schlechthin. Damit es sie geben kann, muß Druck auf die nationalistischen bzw. autoritären Kräfte ausgeübt werden. Zugleich müssen die demokratischen Kräfte gestärkt werden.
    Dafür ist es natürlich unverzichtbar - darin stimmen wir mit Ihnen überein -, der Türkei eine deutliche europäische Perspektive zu eröffnen. Andererseits wäre eine Aufnahme in die Zollunion zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch das falsche Signal.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Sie würde die Verfechter der gegenwärtigen Politik nur ermuntern. Es ist auch legitim, über eine Aussetzung der Mitgliedschaft im Europarat nachzudenken, wenn dessen Aufnahmekriterien glaubwürdig bleiben sollen.
    Hilfe für die Türkei, d. h. für alle Menschen in der Türkei, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit, bedeutet deshalb, das Angebot der europäischen Integration an Bedingungen zu knüpfen, die nicht aufgeweicht werden dürfen. Die Forderungen nach demokratischer Justiz und Verfassungsreform, nach
    Aufhebung des Ausnahmezustands in Kurdistan und nach der Freilassung gewaltfreier politischer Gefangener müssen deutlich artikuliert und mit praktischer Unterstützung verbunden werden.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Es gibt für die Lösung der Probleme der Türkei sicher kein Patentrezept, keine einfache, holzschnittartige Lösung. Etwas anderes haben wir auch nie behauptet. Diese Aufgabe ähnelt einer Gratwanderung. Jedoch könnte Deutschland durchaus eine Schlüsselrolle einnehmen, natürlich unter der Voraussetzung, daß die innenpolitischen Fragen in Deutschland gelöst werden.
    Das, was ich hier zur Türkei gesagt habe, sollte grundsätzlich für unsere Politik gelten. Ohne praktizierte Demokratie, ohne Garantie der Menschenrechte, ohne den besonderen Schutz der Minderheiten ist eine auf Interessenausgleich gerichtete Entwicklung nicht möglich. Auch wer den außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen die Priorität beimißt - um das für einen Außenminister und zugleich Vorsitzenden einer erklärten Wirtschaftspartei hinzuzufügen -, sollte die Vorzüge eines demokratischen Systems kennen, z. B. im Hinblick auf Risiken bei Auslandsinvestitionen.
    Die Forderung, die genannten Kriterien zum Maßstab von Außenpolitik zu machen, sollte endlich Konsens in diesem Hause werden, unabhängig davon, wer die deutsche Außenpolitik gestaltet.
    Gestern haben Sie, Herr Kinkel, im Ausschuß gefragt: Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Richtig!)

    Weiter haben Sie gesagt: Sie würden sich schon auf den Moment freuen, wenn wir vor derartigen Problemen stehen.

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Ich nicht!)

    Auch wir freuen uns darauf.

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das verstehe ich!)

    Aber vielleicht sollten Sie die Hoffnung nicht so schnell aufgeben.
    Ich will Ihnen deshalb noch abschließend zwei kleine Ermutigungen mit auf den Weg geben: die eine für den Bundeskanzler, die andere für den Bundesaußenminister.
    Der russische Oppositionspolitiker Jawlinskij hat mir neulich im Gespräch gesagt: Die deutsche Demokratie könne funktionieren, da sie fähig sei, sich selbst zu korrigieren. Der Kanzler habe Sergej Kowaljow nicht empfangen, was in Deutschland Unmut ausgelöst habe. Daraufhin habe er nun immerhin ihn, Jawlinskij, empfangen, wobei - in Klammern - die Frage sei, ob Jelzin überhaupt davon erfahre.
    Zweites Beispiel, Herr Kinkel: Sie haben es selbst genannt. Den Versuch, mit den Petersberger Gesprächen die bosnische Föderation in Gang zu bringen, halte ich für eine begrüßenswerte deutsche Initia-

    Gerd Poppe
    tive, auch wenn zu befürchten ist, daß sie zu spät kam. Von den bosnischen Freunden gab es viel Lob für Herrn Steiner und für Sie. Sie sind also mitunter lernfähig, fähig, sich zu korrigieren, und Sie könnten diese Lernfähigkeit auch heute einmal beweisen, indem Sie unseren Anträgen zum Haushalt zustimmen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Kollege Graf von Einsiedel.

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    Rede von Graf Heinrich von Einsiedel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht hundert Jahre alt, ich bin jünger.

    (Birgit Homburger [F.D.P.]: Sehen aber so aus!)

    - Vielleicht sehe ich so aus, aber Gott sei Dank oder leider war ich alt genug, als Heranwachsender, wie so viele Hunderttausende, ja, Millionen meiner Altersgenossen ein Opfer jenes geistigen und politischen Klimas zu werden, in dem wir für den nächsten Waffengang eingestimmt und abgerichtet wurden und dessen herausragendster Repräsentant eben jener Ernst Jünger war, der gestern und überhaupt in den letzten 10, 15 Jahren wieder so sehr gefeiert und ausgezeichnet wird.
    Ist das ein Zufall? Klimaveränderungen sind bekanntlich schwer nachzuweisen. Die Wiederentdekkung dieses Verherrlichers des Krieges ist für mich jedoch ein nicht zu übersehendes Indiz für die Veränderung des geistigen Klimas, in dem wir leben,

    (Beifall des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    des Klimas, das Jünger noch vorgestern ein fellachoides-atheistisches Zeitalter nennt. Ihm fehlen die heroischen Stahlgewitter. Nicht nur ihm. So mancher ehemals linker - in Jüngers Augen fellachoider - Libertiner, der plötzlich entdecken mußte, daß die Propheten, an die er geglaubt hat, nur Gespenster waren, springt auf den neuen nationalen Transrapid und bindet den Helm fester - was der Herr Bundespräsident auch immer gegen das Trittbrettfahren haben mag.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Was hat das alles mit Außen- und Militärpolitik zu tun, mögen Sie fragen? Nun ja, wir feiern demnächst den 50. Jahrestag der Befreiung, einer Befreiung, die wir uns ziemlich viel haben kosten lassen. Allein in den neun Monaten nach dem 20. Juli 1944, als ein paar verantwortungsbewußte Leute vergeblich versucht hatten, Deutschland von Hitler zu befreien, sind 4,8 Millionen Deutsche ums Leben gekommen, 16 000 pro Tag, jeden Tag zehnmal so viel wie an jedem Tag der fünf Jahre Krieg bis dahin. Wer war alles mitschuldig durch Unterlassen, durch Weggukken? Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich in diesem Zusammenhang nur von den deutschen Toten rede, denn auf seiten unserer Befreier sind auch noch Millionen gefallen, und Hunderttausende wurden in dieser Zeit noch ermordet. Es war verdammt schwer, uns zu befreien.
    Wir gedenken dieses Tages der Befreiung, einer Befreiung wider Willen. Aber die Versuchung ist groß - und ihr wird auch kräftig nachgegeben -, diesen 50. Jahrestag zu einer neuen Art von „Tag von Potsdam" umzufunktionieren, in einen Tag der nationalen Wiedergeburt.
    Eine Übertreibung? Lesen Sie die Papiere des Generalinspekteurs der Bundeswehr über die neuen Herausforderungen:
    Zum erstenmal seit 300 Jahren erleben wir die Gunst, nicht mehr Gegenstand externen Drucks zu sein.
    So jubelt der General. Und weiter:
    Zum erstenmal haben wir die Chance, politischer Akteur zu sein.
    Man glaubt, nicht recht zu lesen. Zwei Weltkriege verloren, in denen sich eine Welt gegen die deutschen imperialistischen Expansionsgelüste verschworen hatte, gegen den Druck, den wir auf alle Nachbarn ausgelöst hatten, in denen wir zweimal bis Rostow und darüber hinaus marschiert sind, bis alles in Scherben fiel, und in denen wir einmal Paris fast und einmal ganz Frankreich erobert haben!
    Im Geschichtsbewußtsein des Generals existiert das alles offenbar nicht. Im Gegenteil, er entwickelt globale militärische Verantwortung für Deutschland wie einst Wilhelm II. Man könnte meinen, er möchte auch gerne einmal die Uhren in Peking richtigstellen.
    40 Jahre lang wurden im Kalten Krieg ungeheure Summen in militärische Sicherheit gegenüber dem Warschauer Pakt investiert. Stolz schlägt man sich auf die Schulter, die Sowjetunion totgerüstet zu haben, und gesteht damit ungewollt ein, daß die Bedrohung wohl doch nicht so einseitig war, wie man uns Jahrzehnte lang gerne glauben ließ. Nun ist der Warschauer Pakt verschwunden, die Sowjetunion aufgelöst, Rußland auf seinen Territorialbesitz von vor 300 Jahren zurückgeworfen, Deutschland umzingelt von Nachbarn, die Verbündete oder Freunde sind, obwohl man sie nicht immer so behandelt wie Freunde - Herr Scharping hat dazu schon einiges gesagt -, aber immerhin umzingelt von Freunden.
    Man sollte meinen, wir könnten die Verteidigungsausgaben allmählich sozialverträglich zurückführen. Aber nein, wir sind ja wieder wer, nach General Naumann nun nicht mehr im Maschinenraum, sondern auf der Brücke des Dampfers UN, KSZE, NATO, EU usw. Ich kann bloß sagen: Hoffentlich ist es nicht die Titanic, die, Volldampf voraus, vermeintlich unsinkbar, auf die Eisberge zurast, die unsere Sicherheit tatsächlich bedrohen: die Klima- und Umweltkatastrophen, die drohenden nuklearen GAUS, die Überbevölkerung, die Kluft zwischen den Reichen, die im-

    Heinrich Graf von Einsiedel
    mer weniger und immer reicher werden, und den Armen, die immer mehr und immer ärmer werden, in Deutschland, in Europa, in Amerika und erst recht weltweit.
    Ich weiß, in den Augen der Mehrheiten dieses Hauses ist das reine Panikmache. Wir leben ja in der besten aller Welten. Aber das hat Europa auch zu Beginn dieses Jahrhunderts geglaubt und stürzte doch ab in die Barbarei des Weltkrieges. Der antiquierte Satz: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor" hatte sich umgekehrt. Der Krieg wurde so lange vorbereitet, bis er zwangsläufig ausbrach.
    Ich war zugegebenermaßen auf der Schule nicht besonders stark in Latein. Aber soviel meine ich mich doch noch zu erinnern: Der Krieg ist die Ultima ratio, das letzte Mittel. So lernten wir das damals. Bei General Naumann müssen wir umlernen: das äußerste, keineswegs das letzte Mittel. Was da der Unterschied ist, verschweigt er - wahrscheinlich der atomare Untergang.
    Im Krisenbogen von Marokko bis zum Indischen Ozean könnten sehr rasch militärische Schritte erforderlich sein, sagt der General. Wörtlich:
    Die den Einsatz von Streitkräften nahezu ausschließende und auf Reaktion als Verteidiger beschränkende Situation der nuklearen Konfrontation ist aufgehoben. Gefordert ist neue strategische Aktion bis hin zur Prävention.
    Der alte Bismarck würde im Grabe rotieren, wenn er das läse.
    Es gibt Kollegen und Kolleginnen sogar bei der SPD, die so etwas „militärisches Maulheldentum" nennen. So weit will ich gar nicht gehen. Aber die Alarmglocken müssen doch schrillen, wenn der oberste Repräsentant unserer Streitkräfte solche Töne anschlägt. Gut, er bestimmt Gott sei Dank noch nicht die Richtlinien in der Politik. Aber wenn er deswegen nicht sofort in die Wüste geschickt wird, dann kann er sich doch damit nicht allzuweit von den internen Richtlinien und Zukunftsperspektiven dieser Regierung entfernt haben.
    Wer wollte es bestreiten: Das größere Deutschland hat auch eine größere Verantwortung. Aber werden wir dieser Verantwortung gerecht, wenn wir der viertgrößte Waffenexporteur sind, über eine der modernsten Armeen verfügen und dennoch Unsummen für die Entwicklung und Beschaffung neuer Waffensysteme auszugeben bereit sind? Unsummen, die an anderen Stellen weitaus sinnvoller eingesetzt werden könnten?
    Würde es uns nicht viel besser anstehen, wenn wir die Vorreiter in der Entwicklungshilfe, im Umwelt-und Klimaschutz, bei weltweiten humanitären Aktionen wären? Ist statt einer Streitmacht von 50 000 Mann Krisenreaktionskräften nicht auch ein humanitäres Hilfskorps denkbar, wenn es auch nur 25 000 Mann wären?

    (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wie das die SED gemacht hat?)

    - Kommen Sie mir doch nicht mit der SED!

    (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Ich war nicht in der SED. Schon vor 46 Jahren habe ich die DDR und auch die SED kritisiert; ich brauche dem nichts mehr hinzuzufügen. Kommen Sie mir doch nicht mit dieser alten Leier. Sie können die PDS doch nicht mit der SED gleichsetzen. Gucken Sie doch einmal, wie alt diese Menschen sind!

    (Beifall bei der PDS Eduard Oswald [CDU/CSU]: Einige sind im Geiste sehr alt geblieben!)

    - Also ich nicht.
    Wir haben an zwei Verbündete, nämlich an Griechenland und die Türkei, für Milliarden DM Waffen und Militärausrüstung geliefert, an zwei Staaten, die schon militärische Zusammenstöße hatten und jedenfalls in einem großen Spannungsverhältnis zueinander stehen.
    In meinen Augen ist die Türkei in viel höherem Maße ein Unrechtsstaat, als es die DDR gewesen ist. Herr Rühe sagte mir, ich sollte noch einmal darüber nachdenken. Nach seinen eigenen Worten aber erfüllt die Türkei nicht einmal die Voraussetzungen eines NATO-Beitrittskandidaten, schon deshalb, weil sie neue Konflikte in die Allianz trägt, indem sie sich unfähig erweist, die Minderheitenprobleme im eigenen Lande unter Beachtung der Menschenrechte zu lösen. Zudem fragt sich nach den Übergriffen gegen die Alawiten, ob sie noch ein Bollwerk gegen Fundamentalisten ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Dieser Staat ist im Innern weder eine Demokratie noch ein Rechtsstaat. Die Türkei ist ein Staat, der in ein anderes Land einfällt mit Begründungen, die verdammt jenen ähneln, mit denen Hitler-Deutschland Polen überfiel.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Unser Außenminister versichert uns, es lasse sich nicht nachweisen, daß die von uns gelieferten Waffen eingesetzt würden. Ja, will er das denn überhaupt?

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Ja, er will es!)

    Erst kurz vorher sind die Waffen geliefert worden. Da schon müssen Sie doch gewußt haben, was für ein Staat die Türkei ist und wie dort mit Kurden umgegangen wird.

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Jetzt auf einmal sind Sie überrascht; Herr Poppe hat das dankenswerterweise klar gesagt.
    Wenn die Waffen nicht gegen die Kurden im Irak eingesetzt werden, so werden sie doch in jedem Fall

    Heinrich Graf von Einsiedel
    an anderer Stelle eingesetzt. So leicht können Sie sich nicht aus der Verantwortung herauszuschwindeln.

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Jetzt hat die Bundesrepublik die militärische Hilfe ein bißchen gestoppt. Der Deckel wird auf den Brunnen gelegt, doch das Kind liegt schon im Brunnen: Die Türken sind schon im Irak. Das ist Konfliktbereinigung made in Germany, made by Kinkel.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Die Außen- und Sicherheitspolitik dieser Regierung ist nicht konzeptionslos, wie Herr Scharping gesagt hat. Sie läßt einen klaren Trend zu militärisch abgesicherter Großmachtpolitik erkennen. Sie läßt erkennen, daß die herrschenden Kreise dieses Land nicht für saturiert halten, was Bismarck einmal vom Deutschen Reich angenommen hatte. Vielmehr streben sie wieder eine Weltmachtposition an, eine Neuordnung mindestens Europas unter deutscher Führung.
    Diesen Kurs werden wir mit all unseren Kräften bekämpfen und anprangern; denn es ist, wie schon zweimal zuvor, ein Kurs in die Katastrophe.

    (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)