Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kennzeichen einer soliden Außenpolitik sind Kontinuität und Berechenbarkeit. Lieber Herr Kinkel, davon sind Sie ziemlich weit entfernt. Das einzige, was an Ihnen berechenbar ist, sind Ihre Bundestagsreden. Die kennen wir schon seit drei Jahren.
Wenn Ihnen aber einmal etwas Neues einfällt, ist es nicht so gut.
Wenn gerade Sie anderen sagen, sie sollten nicht die Backen aufblasen, wirkt es schon etwas komisch; denn der Posaunenengel mit den dicken Backen auf der internationalen Bühne sind doch wohl Sie, nicht wir.
Meine Damen und Herren, wir leben in unruhigen Zeiten. Das Wort von der neuen Unübersichtlichkeit gilt ganz besonders für die internationale Politik. Der Epochenwechsel wirkt noch immer nach, mit neuen Erschütterungen. Das wird sich so schnell nicht ändern. Gerade dann aber, wenn internationale Entwicklungen schwer vorhersehbar sind, kommt es auf präzise Leitlinien und klare Maßstäbe an.
Die Regierung nimmt für sich in Anspruch, daß sie diese Maßstäbe hat: Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Was aber tun Sie für den internationalen Frieden?
Die Regierung müßte mit allem Nachdruck die Vereinten Nationen stärken. Was Sie da aber machen - Sie antichambrieren um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat.
Und wenn die Vereinten Nationen etwas wollen, sagen Sie nein. Die Bitte des Generalsekretärs, ihm ständig verfügbare deutsche Bereitschaftskräfte für friedenserhaltende Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, haben Sie nicht erfüllen wollen.
Friedenssicherung verlangt heute in erster Linie, eine Politik der frühzeitigen Erkennung von Konflikten, der Konfliktvorbeugung, der Konfliktursachenbekämpfung und der friedlichen Streitbeilegung zu betreiben. Es geschieht aber nicht. Wie die Regierungen anderer reicher Industriestaaten auch trägt diese Regierung dazu bei, daß sich die große, globale Krise, deren Wurzel die ungerechte Verteilung des Wohlstandes in der Welt ist, immer weiter aufbaut.
Oder die Menschenrechte. Der Außenminister rühmt sich gerne seines Einsatzes für die Menschenrechte, und ich glaube ihm auch, daß er sich bei seinen hektischen Reisen um humanitäre Einzelfälle kümmert. Aber wie war es mit Tschetschenien? Wie lange hat die Bundesregierung gebraucht, bis sie endlich unter massivem öffentlichem Druck den russischen Krieg gegen die Tschetschenen als Menschenrechtsfrage erkannt hat?
Oder die Türkei. Es ist doch nicht erst seit der türkischen Invasion in dem Norden des Irak bekannt, daß die türkische Regierung der kurdischen Bevölkerung elementare Menschenrechte verweigert. Trotzdem hat diese Bundesregierung dieses Land immer weiter mit Rüstungsgütern versorgt.
Oder Demokratie. Die Festigung demokratischer Strukturen in der Welt ist ganz bestimmt das wirkungsvollste Instrument zur Sicherung des internationalen Friedens und zum Schutz der Menschenrechte, aber die Beiträge der Bundesregierung zur Demokratisierungshilfe, ablesbar in dem Haushalt, der heute hier vorliegt, sind lächerlich gering.
Es ist leider wahr, die derzeitige deutsche Außenpolitik wird ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht; sie ist allenfalls selbstgerecht. Mal tritt sie kraftmeierisch auf, mal leisetreterisch. Sie ist unsensibel gegenüber anderen Staaten und Völkern, selbst gegenüber unmittelbaren Nachbarn wie Polen und der Tschechischen Republik.
Erst nach der alarmierenden Rede des tschechischen Präsidenten und von der Opposition im Bundestag dazu gezwungen, hat der Außenminister eine Regierungserklärung zu den deutsch-tschechischen Beziehungen abgegeben.
Günter Verheugen
Sie blieb in einer entscheidenden Frage der Geste für tschechische Naziopfer engherzig, kalt und kleinkariert.
Zur Nichteinladung des polnischen Präsidenten zu den Feierlichkeiten am 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa ist hier schon viel gesagt worden, aber diese, wie ich finde, fatale Taktlosigkeit gehört in einen ganz bedenklichen Zusammenhang. Hier drückt sich nämlich erneut das gespaltene Verhältnis der deutschen Konservativen zum Kriegsende aus.
Wir alle erinnern uns ja noch an jene Peinlichkeit beim 40. Jahrestag, als der Bundeskanzler den damaligen US-Präsidenten genötigt hat, auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg an Gräbern der Waffen-SS vorbeizudefilieren. Die Folge war eine tiefe Störung der deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Jetzt hat der Bundeskanzler wissen lassen, er werde in Moskau nicht an Gedenkveranstaltungen zur deutschen Niederlage, aber auch nicht an Siegesfeiern teilnehmen. Das wirft die Frage auf, was der 8. Mai für diese Regierung ist.
Ist die Kapitulation des Hitler-Regimes eine deutsche Niederlage oder die deutsche Befreiung gewesen? - Darauf hat der Ehrenvorsitzende der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion Alfred Dregger, unwidersprochen von seiner Partei und Fraktion, geantwortet. Ich zitiere ihn. Er nennt es „zynische Einseitigkeit unserer Nationalmasochisten", wenn man den 8. Mai als Tag der Befreiung von einem verbrecherischen System betrachtet, und für dieses System findet er auch eine Entschuldigung. Hitler, so meint Dregger,
wäre nicht an die Macht gekommen, wenn es die Demütigung und die Unsinnigkeiten von Versailles nicht gegeben hätte.
- Schuld waren also wieder einmal die anderen.
Solche Töne aus einer Regierungsfraktion werden von unseren Nachbarn sehr genau registriert. Zur Mehrung unseres Ansehens und zur Versöhnung zwischen Völkern tragen sie nichts bei, im Gegenteil.
Die Uneinsichtigkeit der Ewiggestrigen von der Art des Herrn Dregger schafft neue Ängste und neues Mißtrauen.
Wir hatten übrigens der Bundesregierung in der Debatte zur Regierungserklärung angeboten, mit den Fraktionen darüber zu reden, wie wir mit diesem schwierigen Gedenkjahr 1995 umgehen wollen. Das war im vergangenen Dezember. Das hat die Regierung in ihrer üblichen Selbstgefälligkeit überhört; jetzt ist der Scherbenhaufen da, und wir alle dürfen ihn zusammenkehren.
Meine Damen und Herren, der Bundespräsident hat unlängst eine bemerkenswerte Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gehalten. Er hat dabei, bezogen auf die deutsche Außenpolitik, vom Ende des Trittbrettfahrens gesprochen. Ich fand diese Formulierung, gelinde gesagt, verunglückt, denn weder die Außenpolitik von Konrad Adenauer, noch die von Willy Brandt und Helmut Schmidt oder von Walter Scheel und Flans-Dietrich Genscher war Trittbrettfahren.
Sie war gestaltend, und ihre Ergebnisse wirken bis heute.
Aber in dem, was hinter der verunglückten Formulierung steckt, hat der Bundespräsident wohl recht. Es gibt für unser Land keinen warmen Platz hinter dem Ofen, die Konflikte in der Welt betreffen uns unmittelbar. Ich will zu drei exemplarischen Konflikten etwas sagen.
Die schwierigste und gefährlichste Lage zeigt sich im ehemaligen Jugoslawien. Dort droht offene, unmittelbare Kriegsgefahr. Wir sollten uns nichts vormachen, Herr Außenminister, die Bemühungen der Kontaktgruppe um eine politische Lösung sind praktisch gescheitert. Sie ist am Ende. Und da es wohl nur ganz wenige in diesem Hause gibt, die eine andere Möglichkeit sehen, als nach einer politischen Lösung zu suchen, kommt es jetzt darauf an, alles zu tun, um den neuen Ausbruch des Krieges zu verhindern. Da sehe ich drei Dinge, die nötig sind.
Erstens. Das Waffenembargo muß bestehen bleiben, und es muß vor allen Dingen eingehalten werden.
Ich würde gern einmal wissen, was für Kenntnisse die Bundesregierung über die nach Bosnien strömenden Waffen hat und was sie eigentlich tut, damit dieser ständig anschwellende Strom versiegt.
Zweitens. Die Rolle der Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien muß gestärkt werden. Die Diskussion über den Abzug von UNPROFOR war schädlich. Nützlicher wäre es gewesen, Präsenz und Stärke der UNO vor allen Dingen in Bosnien zu erhöhen.
Drittens. Es muß weiter geredet und verhandelt werden. Da stimme ich mit der Bundesregierung ganz überein. So mühselig und frustrierend dieser Weg auch ist, es gibt keinen anderen.
Aber schon jetzt läßt sich aus dem Chaos im ehemaligen Jugoslawien eines lernen: Es muß uns gelingen, die internationalen Systeme der Friedenssicherung so auszubauen, daß sie ihre Aufgabe wirklich erfüllen können.
Das gilt weltweit für die Vereinten Nationen und in Europa zusätzlich für die OSZE. Vorschläge dazu gibt es genug. Wir wünschen uns von unserer Regierung, von der Bundesregierung, daß sie eine Vorreiterrolle übernimmt, wenn es darum geht, wirkungsvolle Mechanismen zur Konfliktbewältigung zu entwickeln.
Günter Verheugen
Wer sich dieser Aufgabe nicht stellt, bleibt auch bei zukünftigen Krisen und Konflikten hilflos.
Eine Bemerkung zu einem anderen aktuellen Konflikt, dem türkischen Krieg gegen die PKK im Norden des Irak. Ob dabei nun deutsche Waffen und Munition im Norden des Irak eingesetzt werden oder nicht - wobei ich übrigens gerne wissen möchte, Herr Kinkel, ob das Embargo, das Sie jetzt ausgesprochen haben, auch die für Mai vorgesehene Munitionslieferung einbezieht -, ist nicht entscheidend. Tatsache ist, daß die deutsche Rüstungshilfe dazu beigetragen hat und beiträgt, daß die Türkei glaubt, das Kurdenproblem mit Gewalt lösen zu können.
Ich widerspreche der These, man müsse gegenüber der Türkei ein Auge zudrücken, damit das Land nicht von fundamentalistischen Kräften überwältigt wird, so wie man früher, angeblich wegen der strategischen Bedeutung der Türkei im Ost-West-Konflikt, nicht so genau hinsehen wollte.
Ich habe eine andere These: Je mehr Gewalt, desto mehr Terrorismus, je mehr Terrorismus, desto mehr Destabilisierung. Und eine instabile Türkei ist es, die durch den Fundamentalismus gefährdet ist, gefährdeter jedenfalls als eine Türkei, die ihre inneren Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen versucht.
Bei diesem Versuch der friedlichen Lösung sollten wir der Türkei auch großzügig helfen. Aber dazu, meine Damen und Herren, braucht man keine Fregatten oder Panzer, sondern Entwicklungsprojekte für die kurdischen Gebiete.
Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie unserem NATO-Partner Türkei unzweideutig klarmacht: Die NATO, zu der die Türkei gehört, und die Europäische Union, zu der sie eines Tages gehören möchte, sind Wertegemeinschaften, zu denen nur gehören kann, wer die Menschenrechte schützt und achtet.
Mit dem von der Bundesregierung jetzt vorgesehenen Aufschub von Rüstungslieferungen wird wenig erreicht. Das zeigt nur ein schlechtes Gewissen. Es gibt nur einen einzigen sauberen Weg: Schluß mit der Rüstungshilfe ohne Wenn und Aber!
Ich will noch einen dritten Konflikt ansprechen - auch Sie haben ihn erwähnt, Herr Kinkel -: Burundi. Dort kündigt sich dieselbe bedrohliche Entwicklung wie in Ruanda an. Genau davor ist seit Ausbruch des Mordens in Ruanda ständig gewarnt worden. Wenn eine Krise vorhersehbar war, dann diese!
Wenn das große Morden tatsächlich ausbricht, dann werden wieder alle erschüttert sein. Die grauenvollen Bilder werden uns aufwühlen. Große Hilfsaktionen werden anlaufen, die viel Geld kosten werden. Dann werden wir feststellen, daß weniger Geld, aber rechtzeitiges Handeln ungezählte Leben hätte retten können.
Ruanda und Burundi sind kleine Länder und weit weg. Aber wer von Menschenrechten redet, muß dort handeln, und zwar rechtzeitig, wo es um das elementarste Menschenrecht überhaupt geht: um das Recht auf Leben.
Ich jedenfalls mag die dröhnenden Phrasen von unserer gestiegenen Verantwortung in der Welt nicht mehr hören, solange da, wo man helfen könnte, einfach weggeschaut wird.
Wir sehen die Außenpolitik und die Entwicklungspolitik in einem großen und untrennbaren Zusammenhang. Deshalb möchte ich jetzt ein paar Bemerkungen zur Entwicklungspolitik machen, ausgelöst durch einen sehr interessanten Artikel in der uns nicht gerade nahestehenden „Welt" von vorgestern, in der eine beredte Klage aus dem Hause Spranger zu lesen war, wie wenig der Entwicklungshilfeminister in Wahrheit doch zu bestellen habe.
: Wo ist der
denn eigentlich?)
Dem können wir voll und ganz beipflichten.
Das Ergebnis ist auch bitter: Die Bundesregierung hat seit 1983 den Entwicklungshaushalt kontinuierlich heruntergefahren. Dieser Haushalt gehört mit zum Steinbruch einer verfehlten Finanzpolitik der Bundesregierung. Wie im nationalen, so gilt auch im internationalen Bereich ganz offenbar: Umverteilung von unten nach oben. Der Anteil der öffentlichen Entwicklungsleistungen ist von 0,48 % des Bruttosozialprodukts auf jetzt 0,3 % gesunken. Der Anteil des Einzelplanes 23 am Gesamthaushalt fiel von damals 2,2 % - ich spreche von 1983 - auf jetzt knapp 1,7 %.
Ich muß wirklich sagen: Diese Zahlen sprechen für sich; denn sie machen deutlich, daß die Bundesregierung der globalen Verantwortung, von der sie gerne
Günter Verheugen
redet und die uns gerade durch die großen Konferenzen der letzten Zeit immer stärker ins Bewußtsein gerufen wird, nicht gewachsen ist.
Wenn wir darin übereinstimmen, daß es um Konfliktvorbeugung und Konfliktursachenbekämpfung geht, dann müssen an erster Stelle Maßnahmen zur Bekämpfung des unkontrollierten Bevölkerungswachstums, der Verelendung und der Umweltzerstörung in der Welt stehen. Das sind die Quellen der Konflikte, mit denen wir uns hier immer wieder beschäftigen. Gehen Sie an die Ursachen heran! Treiben Sie die Weltpolitik voran! Sie werden unsere Unterstützung dabei haben.
Herr Minister Spranger spricht von der Armutsbekämpfung als oberstem Ziel. Aber der Haushalt für die ärmsten Länder, nämlich die schwarzafrikanischen, wird drastisch zurückgefahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Entwicklungspolitik muß integraler Bestandteil internationaler Politik werden. Die Sicherheitsrisiken der Zukunft erfordern nicht in erster Linie militärische Maßnahmen, sondern eine vorbeugende Friedenspolitik. Das heißt, Entwicklungsprozesse unterstützen, Friedensprozesse so wie im Nahen Osten und im südlichen Afrika mit Entwicklungsprojekten flankieren. Das ist auch im eigenen wohlverstandenen Interesse.
In diesem Sinne ist Entwicklungspolitik eine Zukunftsaufgabe, die wir mindestens gleichrangig mit den Zukunftsaufgaben in der Innenpolitik sehen müssen.
Aber leider ist der Entwicklungshilfeminister seit Jahren ein permanenter Verlierer. Die Vorbereitung der letzten großen UN-Konferenzen mußte er anderen Ressorts überlassen: Töpfer bei der Umweltkonferenz in Rio, Herrn Kanther bei der Bevölkerungskonferenz in Kairo, Blüm beim Weltsozialgipfel in Kopenhagen, und in Berlin ist es Frau Merkel.
Maßvolle Anforderungen zur Erhöhung des Entwicklungshilfehaushaltes werden regelmäßig niedergebügelt. Der Minister wird entgegen seinen entwicklungspolitischen Vorstellungen zu Subventionen für die Großkonzerne gezwungen. In der internationalen Handels- und Schuldenpolitik hat er nichts zu sagen.
Ich komme zu dem Ergebnis, daß der Entwicklungsminister international die gleiche Rolle spielt wie national der Arbeits- und Sozialminister: Er kaschiert mit schönen Reden eine knochenharte Politik zugunsten der Besitzenden, da und dort garniert mit Almosen ohne wirklich strukturelle Bedeutung.
Da Herr Spranger das auch alles weiß, wundere ich mich, wie lange er das noch aushalten will.
Meine Damen und Herren, es ist notwendig, heute auch über unsere Bundeswehr zu reden. Diese Bundeswehr ist zur Zeit einem erneuten Wechselbad der Gefühle ausgesetzt: zum viertenmal innerhalb von vier Jahren die Ankündigung von Standortschließungen, von Auflösung und Verlegung von Truppenteilen und Dienststellen, erneut Unsicherheit über die persönliche Lebensplanung für alle Längerdiener, verbunden mit den bekannten Auswirkungen auf Lebenspartner und Kinder in Tausenden von Soldatenfamilien, dazu rasanter Schwund an Grundwehrdienstleistenden und rasanter Anstieg der Zahl der Antragsteller auf Kriegsdienstverweigerung.
Mit dieser erneuten Umorganisation innerhalb kürzester Zeit, von der selbst die Verursacher wissen, daß es nicht die letzte sein wird und daß sie so, wie vorgeschlagen, auch nicht Realität werden wird, mutet die Bundesregierung den Menschen in der Bundeswehr eine ganze Menge zu. Es ist ein Wunder, daß es innerhalb der Truppe trotz der vielerorts erkennbaren Frustration, Verbitterung und Resignation noch so ruhig ist.
Wir fordern die Bundesregierung und vor allem den verantwortlichen Verteidigungsminister auf, endlich für dauerhafte Strukturentscheidungen für die nächsten zehn Jahre zu sorgen und die Strukturentscheidungen sozialverträglich umzusetzen, damit die betroffenen Menschen endlich Planungssicherheit haben und wissen, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll. Wir haben es hier doch mit Menschen und nicht mit Maschinen zu tun!
An unsere Soldaten und Soldatinnen gerichtet, möchte ich folgendes sagen: Wir schulden den Besatzungen der Lufttransportgeschwader Dank und Anerkennung, die an der seit Juli 1992 eingerichteten humanitären Luftbrücke nach Sarajevo beteiligt sind und die an den ab Februar 1993 durchgeführten Hilfsflügen nach Bosnien beteiligt waren. Dies ist eine Leistung, die heute schon gewürdigt worden ist und die auch von der Opposition, der SPD, ausdrücklich gewürdigt werden soll.
Dank und Anerkennung verdienen auch die deutschen Soldaten in den AWACS-Aufklärungsflugzeugen und die Besatzungen von Schiffen und Flugzeugen der Bundesmarine bei der Überwachung des Embargos der Vereinten Nationen gegen die kriegführenden Parteien im ehemaligen Jugoslawien. Sie tun dort unter Gefahr für ihr Leben Dienst für unser Land, für unser Bündnis und die internationale Staatengemeinschaft. Sie sollen deshalb wissen, daß wir ihren Dienst achten und anerkennen, den sie als Grundwehrdienstleistende, Zeit- oder Berufssoldaten für uns und in unserem Auftrag überall in der Bundeswehr leisten.
Günter Verheugen
- Da täuschen Sie sich. Wir haben sowohl dem AWACS-Einsatz als auch dem Adria-Einsatz zugestimmt. Ihr Gedächtnis ist kurz, Herr Weng; das hatten wir heute schon einmal.
Die politischen Auseinandersetzungen, die wir in Bonn und im gesamten Land um die Rechtmäßigkeit möglicher Einsatzoptionen und die Richtigkeit sicherheitspolitischer Konzeptionen mit unseren politischen Gegnern führen, ist nicht gegen die Soldaten der Bundeswehr gerichtet und wird auch nicht auf deren Rücken ausgetragen, meine Damen und Herren.
Damit das ganz klar ist: Was den Auftrag der Bundeswehr angeht, so bleibt die Landesverteidigung das Entscheidende. Auslandseinsätze, über die so viel gestritten wird, sind für die SPD nur im Rahmen von friedenserhaltenden Maßnahmen der UNO möglich. UNO-Einsätze gehen über das traditionelle Auftragsverständnis hinaus, und die SPD tritt für die deutsche Beteiligung an Blauhelm-Missionen ein. An Kriegseinsätzen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes und außerhalb des Bündnisfalls auch im UNO-Auftrag soll sich die Bundeswehr nach unserer Überzeugung aber nicht beteiligen.
Solche Operationen hat es bisher überhaupt nur zweimal gegeben, und diese Kriege haben die Probleme nicht gelöst, die den jeweiligen Konflikt ausgelöst hatten. Wir sind der Meinung, daß Deutschland in den Vereinten Nationen eine hervorragende friedenspolitische Rolle auch dann spielen kann, wenn es sich wie bisher militärisch zurückhält.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß nach unserer Auffassung eine parlamentarische Befassung mit dem Auftrag der Bundeswehr zwingend notwendig ist. Der Auftrag der Bundeswehr, wie er vom Verteidigungsminister formuliert, vom Kabinett gebilligt und im Weißbuch 1994 veröffentlicht worden ist, ist bis heute nicht durch das Parlament debattiert, geschweige denn beschlossen worden.
Um einen möglichst breiten Konsens für die Einsätze der Bundeswehr zu erzielen, halten wir ein Bundeswehraufgabengesetz für erforderlich. Ich denke, daß sich diese Forderung auch aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ergibt, das von der Bundeswehr ausdrücklich als von einem Parlamentsheer gesprochen hat.
Meine Damen und Herren, wir sehen Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik in einem großen Zusammenhang. Es geht letztlich für uns und die Generationen nach uns um ein neues, erweitertes Verständnis von Sicherheit für Deutschland und Europa.
Die Politik der Bundesregierung ist von einer solchen Gesamtstrategie weit entfernt. Ihre Politik beschränkt sich auf Reaktion, wo präventiv gehandelt werden müßte, sie weicht aus, wo klare Standpunkte nötig wären, und sie verweigert sich, wo Leistungen und auch Opfer gefordert wären. Darum, meine Damen und Herren, können und wollen wir diese Politik nicht mittragen.