Rede:
ID1303106000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Herr: 1
    5. Bundesminister: 1
    6. Dr.: 1
    7. Klaus: 1
    8. Kinkel.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 2321 A Erweiterung der Tagesordnung . . . 2439 D Tagesordnungspunkt II: Wahl des Wehrbeauftragten (Drucksache 13/1000) . . . . . . . . . . 2321 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/504, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/505, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/514, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Rudolf Scharping SPD 2322 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 2333 D Otto Schily SPD 2344 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2344 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 2349 A Michael Glos CDU/CSU 2349 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 2349 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2354 C Dr. Gregor Gysi PDS 2354 C I fans Klein (München) CDU/CSU . . 2357 D Jochen Feilcke CDU/CSU 2358 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 2360 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 2369 B Michael Glos CDU/CSU 2375 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 2379 D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . 2384 B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2386 D Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 2389 A Günter Verheugen SPD 2391 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 2395 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 2396 D Ulrich Irmer F.D.P 2397 D Günter Verheugen SPD . . . . . . 2398 B Eckart Kuhlwein SPD 2399 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 2401 D Eckart Kuhlwein SPD . . . . . . . . . 2401 D Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . 2403 A Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 2403 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 2406 B Paul Breuer CDU/CSU 2409 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2411 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . 2412 B Ulrich Heinrich F.D.P. 2412 D Jürgen Koppelin F.D.P 2413 B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 2415 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2416 C Norbert Gansel SPD 2417 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2418 C Dr. Emil Schnell SPD 2421 A Armin Laschet CDU/CSU . . . 2422 B, 2431 B Michael von Schmude CDU/CSU . . . 2424 C Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2425 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 2427 B Dr. R. Werner Schuster SPD . . . . 2428 C Karl Diller SPD 2429 B Eckart Kuhlwein SPD 2429 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 2430 A Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . 2430 D Dr. Willibald Jacob PDS 2431 C Eckart Kuhlwein SPD (Erklärung nach § 31 GO) 2439 A Namentliche Abstimmungen . . . 2433 C, 2436 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . 2433 C, 2436 C Haushaltsgesetz 1995 (Drucksachen 13/528, 13/529, 13/966) . . . . . . . 2439 B Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksachen 12/8001, 13/530) . . . . . . . . . . 2439 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Initiative zum Karabach-Konflikt (Drucksache 13/1029) 2439 D Vizepräsident Hans Klein 2441 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2441 C Tagesordnungspunkt VI a: Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Francke (Hamburg), Peter Kurt Würzbach und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Karsten D. Voigt (Frankfurt), Uta Zapf und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann und der Fraktion der F.D.P.: Unbefristete und unkonditionierte Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel und der weiteren Abgeordneten der PDS: Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Nichtverbreitung von Kernwaffen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer, Ludger Volmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform und Stärkung des Nichtweiterverbreitungsvertrages für Atomwaffen und das Mandat der Bundesregierung für die Verlängerungskonferenz in New York (Drucksachen 13/398, 13/429, 13/537, 13/838) Uta Zapf SPD 2440 B Klaus Francke (Hamburg) CDU/CSU . 2441 D Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2442 B Dr. Olaf Feldmann F.D.P 2443 A Andrea Lederer PDS 2443 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 2444 C Nächste Sitzung 2445 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2447* A 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 30. 03. 95 Blunck, Lilo SPD 30. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 30. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 30. 03. 95 Hartmut Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Hartenstein, Liesel SPD 30. 03.95 Heym, Stefan PDS 30. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 30. 03. 95 Scheel, Christine BÜNDNIS 30. 03. 95 90/DIE GRÜNEN Tippach, Steffen PDS 30. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 30. 03. 95
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Michael Glos


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident des Saarlandes kann auf praktische Beispiele der Steuervereinfachung und des Entgegenkommens in Sachen Steuern verweisen. Nicht umsonst hat Zwick junior die Johannisbad AG ins Saarland verlegt und dann prompt die Steuern, die er in Bayern bezahlt hat, zurückbekommen. Wenn das die Steuergerechtigkeit für die kleinen Leute ist, die Sie einfordern, Herr Ministerpräsident, dann gute Nacht!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben aber sehr bewußt heute nicht mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik begonnen, für die Sie in der Troika zuständig sind, sondern mit allerlei Ablenkungsmanövern versucht, über Ihre Fehlprognosen hinwegzutäuschen: Sie müssen uns nicht mehr mahnen, die polnische Westgrenze anzuerkennen; das ist längst geschehen. Wir brauchen auch nicht Ihre Ratschläge, wie wir mit dem 8. Mai umzugehen haben. Das wird sicher mit großer Würde erfolgen. Wir werden der Tatsache gedenken, daß an diesem Tag ein Teil unseres Vaterlandes befreit worden ist, ein anderer Teil leider unter Diktatur verblieben ist. Wir werden der Opfer gedenken, die dieser Weltkrieg im In- und im Ausland gefordert hat. Und wir werden mit den Millionen Menschen fühlen, die als Folge des Zweiten Weltkrieges aus ihrer angestammten Heimat verjagt worden sind.
    Wir dürfen uns nicht nur am 8. Mai dieses Tages erinnern, sondern müssen vor allen Dingen aus unserer Geschichte die Lehren für die Zukunft ziehen. Dazu gehört vor allen Dingen, daß wir in der Welt die Verantwortung übernehmen, die uns Deutschen zusteht und der wir nicht ausweichen dürfen, nämlich Frieden zu stiften. Dazu gehört - das erwartet man von uns Deutschen -, daß wir unsere ökonomischen Fundamente in Ordnung halten und mit unserer wirtschaftlichen Stärke dazu beitragen, diese Welt besser zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.])

    Damit bin ich bei dem möglichen Super-GAU, der hätte passieren können: Es wäre ein Super-GAU gewesen, wenn Herr Lafontaine Wirtschafts- und Finanzminister in diesem Land geworden wäre.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.])

    Er ist ein Mann der Fehlprognosen; seine Vorhersagen stimmen nicht. Noch kurz vor der Bundestagswahl haben Sie im Scheinwerferlicht der Bundespressekonferenz ein gesamtstaatliches Finanzierungsdefizit in der Größenordnung von weit über 100 Milliarden DM beschworen. Sie haben Sondersitzungen verlangt und den Bundesfinanzminister aufgefordert, neue Finanzpläne auszuarbeiten. Heute sind diese Defizite gottlob niedriger, als wir alle es erwartet haben. Das ist eine gewaltige Leistung.
    Im September 1994 haben Sie den Bundeskanzler der „Steuerlüge" bezichtigt. Ich darf zitieren, was Sie am 5. September 1994 in ntv gesagt haben - Herr Lafontaine, Sie haben dann anschließend Gelegenheit, sich zu entschuldigen; deswegen sollten Sie sich sehr bewußt ins Gedächtnis rufen, was Sie vor der deutschen Öffentlichkeit gesagt haben -:
    Kohl lügt jetzt wieder. Er wird nach der Wahl, wenn er im Amt bleibt, die Mehrwertsteuer erhöhen.

    Michael Glos
    Gott sei Dank ist Helmut Kohl im Amt geblieben. Die Mehrwertsteuer wird nicht erhöht, und sogar die Finanzierung der Kohle - auch der teuren Kohle, die in Ihrem Land gefördert wird - wird auf den Bundeshaushalt übertragen, ohne daß dieser Bundeshaushalt aus den Fugen gerät.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In der Debatte am 29. Juni 1994 haben Sie uns für den Februar dieses Jahres 4 Millionen Arbeitslose prognostiziert. Dies ist nicht eingetreten. Gleichzeitig haben Sie der Bundesregierung vorgehalten, es genüge nicht, mit Blick auf den Wahltermin erste Konjunkturschwalben zu feiern. Wir wissen, daß wir inzwischen einen Wirtschaftsaufschwung erreicht haben, der sich selber trägt. Wir brauchen ihn ganz dringend, nicht zuletzt um die Schulden des Saarlandes mitfinanzieren zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie sind ein Herr der Irrtümer, sozusagen der Irrtum-Oskar, eine Art Daniel Düsentrieb der Wirtschaftsprognose. Alles, was Sie bisher prognostiziert haben, war falsch.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie können ihm ja viel vorwerfen, aber das nicht! Das hat er nicht prognostiziert!)

    - Frau Matthäus-Maier, von Herrn Lafontaine und Ihnen finanzpolitische Ratschläge anzunehmen ist so töricht,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Welche Zahlen wären denn so falsch wie Ihre?)

    wie wenn man Frau Griefahn nach dem Sinn des Familienzusammenhaltes fragt. Nur, Frau Griefahn ist in Fragen des Familienzusammenhalts immer noch sehr viel kompetenter als Sie in Finanzprognosen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sollten sich mal nach dem Zusammenhalt der Familie Strauß/ Hohlmeier erkundigen! Wie ist denn der?)

    - Herr Fischer, Sie nutzen jede Gelegenheit, um auf sich aufmerksam zu machen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, woher!)

    Ich habe gehört, Sie hätten jetzt sogar Ihre Büste im Haus der Geschichte aufstellen lassen. Deswegen sind Sie aber noch lange keine geschichtliche Figur geworden.
    Das Saarland hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Flächenstaaten; darüber sollten wir einmal reden. Sie haben Ihren letzten Haushalt gerade noch einmal - am Rande der Verfassung - hinbekommen. Ohne Bundeszuschüsse in Höhe von 2 Millliarden DM jährlich könnten Sie Ihren Haushalt überhaupt nicht aufstellen. Außerdem: Ich habe mir sagen lassen - dazu sollten Sie entweder selbst etwas sagen oder sagen lassen -, Sie würden hier herkommen und über den Bundeshaushalt 1995 reden, ohne in Ihrem Land bisher den Haushalt für dieses Jahr aufgestellt zu haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Gehen Sie doch erst einmal nach Hause und machen Sie Ihre Hausaufgaben!

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sehr gut!)

    Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Koalition hat die entscheidenden Grundlagen für die wirtschaftliche Belebung geleistet. Deutschland und die D-Mark sind Horte der Stabilität. Der Dollarkurs steht zur Zeit bei 1,378 DM. Ich weiß nicht, ob das ein Grund ist, stolz zu sein.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, nein!)

    Jedenfalls entwickeln sich die Märkte nach den Finanzströmen, und die Finanzströme richten sich nach dem Vertrauen. Das Vertrauen in die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland ist sehr hoch.

    (Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/ CSU] und des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])

    Ich befürchte, daß uns dieser niedrige Dollarkurs in vielen exportorientierten Bereichen Sorge machen wird. Das wird uns immer wieder veranlassen, uns nach der Decke zu strecken und uns daran zu erinnern, daß wir auf den internationalen Märkten konkurrieren müssen und daß uns wegen „Made in Germany" allein niemand etwas abkauft, weil inzwischen auch andere Länder in der Lage sind, qualitativ hochwertige Produkte zu fertigen.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist wahr! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! Weißwürste aus Korea! Lederhosen von den Philippinen!)

    Immer mehr deutsche Markenprodukte werden in anderen Ländern gefertigt. Wir erleben eine Globalisierung der Wirtschaft, wie wir sie noch nie hatten. Wir können das nicht aufhalten.
    Ich war während der Zeit des deutschen Metallarbeiterstreiks zufällig bei BMW in Pretoria. In diesen Streik und in den damit verbundenen Kostenschub hat man dort große Hoffnungen gesetzt. Man hat gesagt: Qualitativ sind wir nun gleichwertig mit den deutschen Werken. - Das ist auch vom internen Qualitätssicherungssystem, das in allen großen Konzernen vorhanden ist, anerkannt. Die Chance, daß jetzt die Märkte der südlichen Halbkugel mit dem 3er-
    BMW von Pretoria und nicht mehr von Deggendorf aus beliefert werden, steigt mit jedem Kostenschub, den wir bei uns produzieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Wahrheit.
    Sie sollten die Arbeitnehmer auch darüber aufklären: Durch Solidarität mit Streikenden und dem Erscheinen an den Toren der Fabriken - die SPD-Abgeordneten haben sich dazugestellt und den Streikenden gut zugeredet, weiterzustreiken -, in denen will-

    Michael Glos
    kürlich gestreikt wird - Bayern war als Streikregion ja willkürlich gewählt -, wird man der Verantwortung für die Arbeitnehmer bei uns im Land schon lange nicht mehr gerecht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir wären jetzt die Sorgen - und das sind die geringeren -, die eine starke Mark mit sich bringt, ein ganzes Stück los, wenn Sie die letzte Bundestagswahl gewonnen hätten. Das ist ganz sicher. Dann wären wir in die zweite Liga abgestiegen,

    (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!)

    dann würde sich die Stabilität der Mark der italienischen Lira immer stärker annähern. Das würde zwar manche Probleme lösen, aber andere und viel größere Probleme schaffen. Vor allen Dingen: Wenn wir Ihren haushalts- und steuerpolitischen Vorschlägen folgten, bekämen wir ein Defizit von weit über 100 Milliarden DM. Dann würde genau der umgekehrte Schub auf den Finanzmärkten einsetzen. Das, was wir vermeiden wollen, würde dann eintreten.
    Ich möchte jetzt gern ein paar Äußerungen aus Ihrer Rede aufgreifen, Herr Ministerpräsident. Sie haben von Steuervereinfachung gesprochen. Ich kann nur sagen: Die meisten Komplizierungen werden in die Steuergesetze durch die faulen Kompromisse hineingetragen, zu denen der Bundesrat mit seinen Einsprüchen zwingt.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist unehrlich!)

    - Das ist nicht unehrlich, Frau Matthäus-Maier.

    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist so!)

    Ich habe Gelegenheit gehabt, mit Ihnen zusammen viele Steuergesetze zu machen. Wir hatten zu der Zeit allerdings eine klare Mehrheit im Bundesrat, zwischen 1986 und 1990, und dadurch war sehr vieles leichter als heute. Sie können jetzt mithelfen, den im Bundesrat Handelnden gute Ratschläge zu geben, damit die Verkomplizierung nicht weiter Platz greift.
    Ich weiß natürlich, daß die größte Vereinfachung dann besteht, wenn man überhaupt keine Steuern mehr zahlen muß. Aber dennoch: Auch die Maßnahmen, die der Bundesfinanzminister jetzt auf den Weg gebracht hat, nämlich die Entlastung der Bürger um 30 Milliarden DM durch die Steuerfreistellung des Existenzminimums und durch eine wesentliche Verbesserung beim Familienlastenausgleich, führen dazu, daß eineinhalb Millionen Menschen, die bisher Einkommensteuererklärungen abgeben mußten, in Zukunft keine mehr abgeben müssen und damit auch keine Steuern mehr zahlen müssen. Das ist für mich die großartigste Steuervereinfachung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch die heute stark kritisierte geplante Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer halte ich für äußerst notwendig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wer hier glaubt, er könne sich bei den Kommunen ganz billig einschmeicheln, indem er mit falschen Zahlen und falschen Prognosen versucht, dies zu verhindern, der ist auf dem Holzweg. Die kommunalen Spitzenverbände werden erkennen, daß die Beteiligung an der Umsatzsteuer auf die Dauer sehr viel mehr Sicherheit

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)

    in der Steuerkalkulation und in der Einnahmevorausschätzung für die Kommunen bringt. Sie werden Sie dazu zwingen, unserem Vorschlag zuzustimmen; er ist eine einmalige Chance für die Kommunalfinanzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin überzeugt, daß der Rat Ihrer Oberbürgermeister, Ihrer Oberkreisdirektoren, Ihrer Landschaftsverbandsvorsitzenden usw. - was weiß ich, was es alles gibt; in sozialdemokratisch regierten Ländern gibt es mehr Bürokratie als in Bayern, wo ich mich mit den Strukturen besser auskenne - Sie dazu bringen wird, hier der Vernunft gemäß zu handeln.
    Es ist ja nicht so, daß für die Industrieunternehmen, die wir bei uns im Land halten wollen oder die wir von außerhalb gewinnen wollen, nur die Kosten zählen, die sie für die Arbeit, für die Infrastruktur aufzubringen haben. Ein ganz entscheidender Kalkulationsfaktor, wenn es um den Standort geht, sind auch die Kapitalkosten. Die Gewerbesteuer ist überholt; zumindest die Gewerbekapitalsteuer muß schnell abgeschafft werden.

    (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

    Mit einer tariflichen Jahresarbeitszeit von 1 620 Stunden liegt Deutschland weit hinter allen Industrieländern. In den Vereinigten Staaten sind es 1 850 und in Japan fast 1 900 Stunden. Es wäre einmal interessant gewesen, wenn Herr Lafontaine etwas dazu gesagt hätte, warum z. B. das Swatch-Auto nicht im Saarland gefertigt wird, sondern nebenan im Elsaß. Das hat u. a. nicht nur mit den Lohnkosten, sondern auch mit den Energiekosten bei uns im Land zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum wird es nicht in Bayern produziert? Sagen Sie uns das einmal!)

    Nun möchte ich noch einmal auf die Kernenergie zu sprechen kommen. Ich bin beileibe kein Kernenergiefetischist. In meinem Wahlkreis, in Grafenrheinfeld, steht ein Kernkraftwerk. Es steht sehr nahe bei der Stadt Schweinfurt, und es ist für einen Abgeordneten, der dort direkt gewählt worden ist, nicht unproblematisch, den Bürgerinnen und Bürgern seine Notwendigkeit zu erklären.
    Ich habe - wie die allermeisten - großes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der deutschen Technik, auch unserer Bedienungsmannschaften und all derer, die Großes leisten, um uns mit preiswerter Energie zu versorgen. Niemand forscht auch mehr in den Bereichen nachwachsender und regenerativer Energie unter den deutschen Bundesländern, als es Bayern tut. Je mehr Spielräume wir durch günstige Strompreise haben, desto mehr können wir für die Forschung aufwenden, um in Zukunft vielleicht etwas Vernünftiges zu finden, was die Kernenergie ersetzt.

    Michael Glos
    Ich weiß jedenfalls: Gegenwärtig ist die Kernenergie in Deutschland nicht zu ersetzen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    wenn wir nicht gleichzeitig die energieintensive Industrie aus dem Land vertreiben wollen und damit unsere Arbeitsmarktprobleme zusätzlich verschärfen wollen.
    Deutschland hat mit 34 % den größten Anteil der Kernenergie an der öffentlichen Stromversorgung. Wir haben gleichzeitig auch die sichersten Kernkraftwerke. Wir haben 21 Kernkraftwerke in Betrieb. Wenn wir sie ersetzen wollten, müßten sehr, sehr viele neue Kohlekraftwerke gebaut werden, mit den entsprechenden Folgen für den CO2-Ausstoß.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Denken Sie doch mal an Energieeinsparung! Sie kapieren es immer noch nicht!)

    Dieses Thema wird ja derzeit sehr intensiv diskutiert. Ich habe der Diskussion nichts hinzuzufügen. Ich möchte nur sagen: In der Welt sind - wenn ich die richtigen Zahlen habe - ca. 440 Kernenergieanlagen in Betrieb, und fast 50 weitere Reaktoren sind im Bau. Rund 17 % des Weltstrombedarfs werden derzeit durch die Kernenergie gedeckt.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir Deutschen, die diese Energie mit am besten beherrschen, aussteigen, machen wir die Welt noch lange nicht sicherer.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im Gegenteil, wenn wir uns ausblenden, verlieren wir auch das Know-how, die Fähigkeit und die Möglichkeit, noch sicherere Kernkraftwerke zu entwikkeln als die derzeitigen. Wir können vor allen Dingen nicht mithelfen, die unsicheren Kernkraftwerke um uns herum zu verbessern. Und das ist unsere Aufgabe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das wird zwangsläufig mit deutschem Kapital, mit deutschem Geld geschehen müssen. Wer sonst soll das in den ost- und südosteuropäischen Nachbarländern mitfinanzieren? Auch wenn es aus EG-Mitteln oder von gemeinsamen europäischen Banken finanziert wird, wird es letztendlich mit deutschem Geld mitfinanziert. Dann möchten wir aber auch, daß in Deutschland dadurch Arbeit entsteht und wichtiges Know-how gehalten wird.
    Ich weiß, daß ein zweites Tschernobyl verheerende Wirkungen hätte, nicht nur auf die unmittelbare Umgebung, sondern auch auf das Vertrauen der Menschen in die Beherrschbarkeit dieser Technologie. Deswegen sollten wir uns, statt uns in Deutschland unsinnige Ausstiegsdiskussionen zu leisten, aufmachen und die um uns herum befindlichen unsicheren Kernkraftwerke mit deutscher Technik sicherer machen. Darüber zumindest sollten wir uns einig sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wo sind die Rezepte der SPD geblieben, um die Lage unseres Landes zu verbessern? Ich habe sie heute vermißt.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben wieder mal nicht zugehört!)

    Ich habe heute Herrn Scharping erlebt - ich habe sehr intensiv zugehört, Herr Schmidt -, der lediglich versucht hat, vor seiner eigenen Riege eine Art Schaulaufen zu veranstalten. Es ist ja bekannt, was sich z. B. am vergangenen Montag in der SPD-Fraktion abgespielt hat.
    Der Herr Bundeskanzler und auch Kollege Solms haben heute schon einmal eine der Stellvertreterinnen von Herrn Lafontaine, nein, von Herrn Scharping - bei Ihnen wechseln ja die Vorsitzenden so schnell, daß man immer zu tun hat, nachzukommen - zitiert. Ich möchte zitieren, was über eine andere Stellvertreterin von Herrn Scharping im „Handelsblatt" geschrieben worden ist. Das ist, wenn ich es richtig sehe, so etwas wie die Leib- und Magenzeitung der Frau Matthäus-Maier. Ich kenne keine andere Zeitung, in der sie so oft mit Bild erscheint. Da steht u. a. zu lesen, daß sie das „Vorgehen der eigenen Haushälter und Verteidiger" verdammt hat, daß es Herrn Lafontaine ungeheuer schwergefallen ist, Ruhe in die Fraktionssitzung zu bringen.

    (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Das kann nur Herr Scharping gewesen sein! Zitieren Sie mal richtig!)

    Es heißt dort wörtlich:
    Angesichts einer absehbaren Mehrheit für diese populistische Position in der inzwischen eher nach links neigenden Fraktion sah sich Scharping offenbar gezwungen, gegen die eigenen Haushälter und „ Verteidiger" zu stimmen.
    Es gibt eine ganze Reihe von Zeitungen - ich könnte die „Süddeutsche Zeitung" zitieren -, die sich inzwischen mit der furchtbaren Situation in der SPD-Fraktion beschäftigen.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zerbrechen Sie sich mal nicht unseren Kopf!)

    Nun könnten wir darüber kurzfristig Schadenfreude zeigen. Wenn man sich jedoch überlegt, daß die Opposition von heute einmal die Regierung von morgen sein kann, so wird es einem angst und bange um das, was in unserem Land dann offensichtlich möglich wäre.

    (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Um Gottes willen! Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Wir sind allemal besser als ihr!)

    Ich habe die Rede von Herrn Scharping heute morgen so verstanden, daß er gehandelt hat - das ist ihm ja auch gelungen - wie in der Geschichte vom Capitano. Sie kennen die Geschichte vielleicht; ich darf sie ganz kurz erzählen: Der Capitano befiehlt den Angriff im Morgengrauen, springt aus dem Schützengraben und ruft: „Vorwärts, Kameraden!" Die Re-

    Michael Glos
    aktion: Beifall in den Schützengräben hinter ihm, vereinzelte Rufe „Bravissimo, Capitano!"

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ihre Witze sind viel besser als Ihre Politik! Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist nicht Capitano, das ist Amigo! Heiterkeit bei der SPD)

    Ähnlich ist der Zustand in Ihrer Partei und Fraktion: ein gespaltener und zerrissener Haufen, der nicht nur zur Regierung, sondern auch schon zur Opposition unfähig ist. Auch in dieser Rolle läuft Ihnen, ob Sie wollen oder nicht, Herr Fischer ein ganzes Stück den Rang ab. Und was ist in Hessen passiert? Da ist ein grüner Fuchs in einen roten Hühnerstall eingefallen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Aber ihr seid in den Hühnerstall gar nicht reingekommen!)

    Die erschreckte Reaktion zeigt dies alles überdeutlich.
    Ich will der Frau Wieczorek-Zeul nicht so viel Ehre antun und noch einmal alles vorlesen, was sie in dem wirklich nachlesenswerten Interview im Bonner „General-Anzeiger" von heute alles gesagt hat.

    (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Lesen Sie ruhig alles vor!)

    In Bayern ist der Zustand der SPD fast noch schlimmer. Es findet ein kabarettreifes „Schmidteinander" statt. Renate Schmidt sagt über Bonn zur Ablenkung: „Da läuft einiges schief, was wir korrigieren müssen. " Deswegen will sie wieder nach Bonn, angeblich zur Rettung der SPD. In Bayern wird sie nicht gebraucht.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Können Sie uns nun einmal etwas zum Haushalt sagen? Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Zur Verschuldung!)

    - Zum Haushalt? Ja, darüber rede ich doch die ganze Zeit.

    (Lachen bei der SPD)

    Sie hätten zuhören müssen. Dem Haushalt liegt immer eine bestimmte Politik zugrunde. Wir reden hier über die Politik und nicht über Erbsenzählereien. Das habe ich früher lange genug im Haushaltsausschuß getan.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir sind doch nicht in Passau! Aschermittwoch ist vorbei! Weiterer Zuruf von der SPD: Der CSU-Parteitag beginnt morgen!)

    Was die SPD in Bayern mit ihrer Vorsitzenden gemacht hat, das ist schon eine große Gemeinheit. Da bezeichnet der SPD-Landtagsabgeordnete Schösser Edmund Stoiber als eine „Lichtgestalt" - so weit geht sonst nur die CSU-Landesgruppe.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Was ich vor allen Dingen beklagen will, ist, was man mit Frau Schmidt dort gemacht hat. Ich möchte das einmal in Ihre Vorstellungswelt übertragen: Das ist, als wenn man den Herrn Struck zugleich zum stellvertretenden Parteivorsitzenden, zum geschäftsführenden Fraktionsvorsitzenden und zum Generalsekretär machen würde und dann immer noch versichert, das alles sei nicht gegen den Herrn Scharping gerichtet.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ich sage ja: Seine Witze sind besser als seine Politik!)

    Zu Recht schreibt Herr Deubmann in der „Süddeutschen Zeitung":
    Nun ist bald Ostern, und geändert hat sich nichts. Die 252 Bonner SPD-Abgeordneten bieten wie seit Jahren das jämmerliche Bild einer nörgelnden, undisziplinierten und am liebsten mit sich selbst beschäftigten Ansammlung von Politikern, die zufällig zur selben Partei gehören.
    Ich habe dem sehr wenig hinzuzufügen.
    Ich kann nur sagen: Wir tragen diese Koalition mit. Herr Bundeskanzler, ich habe mit sehr großer Freude gehört, daß Sie noch mindestens bis zum Jahr 2001 zur Verfügung stehen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen kann ich für die CSU-Landesgruppe versichern, daß sie dann unter meinem Vorsitz immer noch sehr gerne mit Ihnen zusammenarbeiten wird.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es ist selbstverständlich, daß wir dem Einzelplan 04, um den es heute geht, zustimmen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Immerhin hat er in seinem Schlußsatz den Haushalt erwähnt!)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Klaus Kinkel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Klaus Kinkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen kurz vor dem 8. Mai, dem Tag der Erinnerung an den Schlußpunkt der dunkelsten Zeit unserer Geschichte - was heute ja in der Debatte schon eine große Rolle gespielt hat -, aber auch einem Tag der Erinnerung an einen demokratischen Neuanfang, der uns ein vorher nicht gekanntes Maß an Sicherheit, Wohlstand und internationaler Wertschätzung gebracht hat.
    Den 8. Mai würdig zu begehen muß unser aller Anliegen sein. Ich bin sehr sicher, daß uns das gelingen wird. Morgen wird übrigens der polnische Außenminister Bartoszewski hierher kommen und Gespräche führen. Ich gehe einmal davon aus - auch

    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    nach den Gesprächen, die ich in der Zwischenzeit mit ihm geführt habe -, daß wir danach wissen werden, wie wir diesen Tag wirklich würdig begehen können, auch was Polen anbelangt.
    Deutschland ist wiedervereinigt, souverän, rundum von Freunden umgeben, und erstmals gibt es keine wirklich existentielle außen- oder sicherheitspolitische Bedrohung für uns. Der Herr Bundeskanzler hat schon recht: Unser Ansehen draußen ist enorm; es ist nach der Wiedervereinigung weiter gewachsen. Aber auch die Erwartungen an uns sind gewachsen. All das sollten wir nicht aus den Augen verlieren und für selbstverständlich halten, auch wenn es keine Schlagzeilen macht.
    Schlagzeilen werden in diesen Tagen leider von der türkischen Militäroperation im Nordirak, vom Wiederaufflammen der Kämpfe in Bosnien und vom anhaltenden Tschetschenien-Konflikt gemacht, von Ereignissen, die unsere außen- und sicherheitspolitische Lage nicht unmittelbar berühren, die uns aber doch aus unterschiedlichsten Gründen betreffen und fordern. Es wird uns nicht möglich sein, das, was da abläuft, nur von der Zuschauertribüne aus zu betrachten und auf dieser Zuschauertribüne zu verharren.
    In diesem Zusammenhang möchte ich ein Wort an die Opposition richten. Ich verstehe ja, daß mehrere von Ihnen, zuletzt beim Thema Nordirak, die Gelegenheit zur innenpolitischen Profilierung gesucht haben.

    (Günter Verheugen [SPD]: Ach Gott!)

    - Doch! - Wann immer etwas schlecht läuft, rufen Sie sofort, ob nun gegenüber Freund oder Feind, nach dem großen Knüppel und überbieten sich an Entrüstung. Ich möchte einmal deutlich und klar sagen, daß Sie im Gegensatz dazu weder im Auswärtigen Ausschuß - das hat die gestrige Sitzung wieder gezeigt - noch hier im Parlament bessere Vorschläge machen. Im Bundestag hört man von Ihnen zur Außen- und Sicherheitspolitik praktisch nichts, auch heute morgen nicht von Herrn Scharping. Und was Herr Lafontaine geboten hat, war ja nun auch mehr als vage und wirklich mager.

    (Zuruf von der F.D.P.: War jämmerlich! Günter Verheugen [SPD]: Das kommt noch!)

    - Ja, ich bin gespannt darauf, Herr Verheugen, was noch kommt.
    Nach außen aber wird vor allem bei Ereignissen, die schwierig sind, der Eindruck erweckt, als hätten ausgerechnet Sie das Patentrezept in der Tasche.

    (Zuruf von der F.D.P.: Nichts haben sie!)

    Dabei wissen Sie sehr genau, daß die Zeiten der nationalen Außenpolitik vorbei sind und daß es sich gerade bei den Konflikten, von denen ich eben sprach, um Konflikte handelt, auf die von außen nur sehr begrenzt eingewirkt werden kann und die niemand in Europa und auch anderswo alleine zu lösen vermag. Sie wissen genauso gut wie wir, daß es auf dieser Welt leider Konflikte gibt, die nicht zu lösen sind.
    Weil wir das wissen, machen wir eine Politik, in der sich Bundesregierung und Koalition mit ihrer Außen- und Sicherheitspolitik aus guten Gründen im Konsens mit unseren Partnern und Freunden bewegen. Da wissen wir, daß wir gut aufgehoben sind. Da haben wir auch entgegen dem, was heute morgen gesagt wurde, etwas zu sagen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Da bei uns in der Innenpolitik gerade außenpolitische Konflikte immer wieder aus nachvollziehbaren Gründen hochgezogen werden, möchte ich gerne einmal sagen, daß es sehr hilfreich sein kann, wenn man sich ansieht, wie im europäischen Ausland und anderswo außenpolitische Ereignisse aufgenommen werden und wie auf sie reagiert wird. Ich muß sagen: Es wird damit gelassener, ausgewogener, damit auch klüger und nicht immer mit dem innenpolitischen Touch im Vordergrund umgegangen.

    (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Da sind wir uns einig!)

    - Ja, wenn wir uns einig sein könnten, daß uns Menschenrechte gemeinsam sehr wichtig sind - mir sind sie sehr wichtig -, dann würde ich dem gern hinzufügen, daß wir als Deutsche unwahrscheinlich aufpassen müssen, damit wir nicht langsam zu den Obermoralisierern dieser Welt werden und dann nicht mehr ganz ernst genommen werden.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    In der Opposition ist es einfach, die Backen aufzublasen. Wenn man Verantwortung in der Regierung trägt, muß man sich schon gut überlegen, wie man mit der Regierung eines befreundeten und wichtigen Partners - ich weiß, wovon ich spreche - umgeht. Da zählt nicht das Feldgeschrei innenpolitischer Art und der öffentlich wirksame Einzelaspekt, sondern die Gesamtbetrachtung unserer Interessen und Wertvorstellungen.
    Dem müssen wir uns verpflichtet fühlen. Das tue ich als Außenminister. Deshalb darf ich mich manchmal von dem, was an innenpolitischem Feldgeschrei passiert, nicht ablenken lassen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich möchte der Opposition gern sagen: Vergessen Sie nicht, daß auch Sie außenpolitische Mitverantwortung tragen! Für mich ist ganz wichtig - ich bin jetzt seit drei Jahren Außenminister -, daß wir uns in den meisten wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen im Grunde einig sind. Das ist gut so. Gerade Außen- und Sicherheitspolitik muß sich weitestgehend, wenn es irgendwie geht, im Konsens abspielen.
    Ich möchte Ihnen klar und deutlich sagen: Die gemeinsame Suche gerade mit Ihnen zusammen nach dem besten Lösungsweg bei den Krisenherden, die uns im Augenblick in der Welt so sehr belasten, biete ich Ihnen erneut an. Dabei sollten wir, wie ich es in den vergangenen drei Jahren versucht habe, bemüht

    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    sein, ruhig und gelassen und nicht aufgeblasen einen gemeinsamen Weg zu finden, der für unser Land und die Menschen in diesem Land gut ist und nicht nur der innenpolitischen Profilierung dient.
    Meine Damen und Herren, wir Deutsche haben aus unserer Geschichte eine Lehre gezogen: Als Mannschaftsspieler sind unsere Interessen am besten aufgehoben. Damit komme ich gleich zu dem Punkt, der uns nach wie vor am meisten in der Außenpolitik interessieren muß. Das ist die europäische Integration.
    Seit dem 1. Januar dieses Jahres haben wir vom Nordkap bis Sizilien, von Lissabon bis Athen einen Wirtschaftsraum 370 Millionen gut ausgebildeter und zahlungskräftiger europäischer Bürger. Weitere 100 Millionen Menschen in den assoziierten Staaten Mittel- und Osteuropas sollen hinzukommen, vielleicht - ich füge hinzu: hoffentlich - schon um die Jahrhundertwende.
    Allerdings steht die Europäische Union vor einem Scheideweg. Entweder gewinnt dieser Raum auch politisch Statur, oder wir laufen Gefahr, das bisher Erreichte wieder zu verspielen. Um diese Frage geht es im Grunde auf der Regierungskonferenz 1996, die für uns so außerordentlich wichtig ist, die wir mit unseren Partnern und Freunden intensiv vorbereiten.
    Die Europäische Union muß sich so ausstatten, daß sie auch mit 20 oder mehr Mitgliedern handlungsfähig bleibt. Wir wollen ein Europa, das bürgernäher, demokratischer und entscheidungsfähiger ist.
    Das heißt erstens mehr Bürgernähe. Wir haben bei Maastricht, glaube ich, einen Fehler gemacht, und zwar gemeinsam. Dort lief mehr oder weniger eine Technokratendebatte ab. Es ist uns nicht gelungen, die Menschen auf dem Weg nach Europa wirklich mitzunehmen, Europa wirklich in den Herzen und Köpfen der Menschen zu verankern. Diesmal müssen wir versuchen, es anders zu machen und die Bürger auf dem weiteren Integrationsweg nach Europa wirklich mitzunehmen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Zweitens. Wer Arbeitsplätze von heute erhalten und die von morgen schaffen will, muß zwangsläufig europäisch denken. Kein anderes großes Wirtschafts- und Industrieland auf dieser Erde ist so einseitig von einer Region abhängig wie Deutschland von Europa; eine Tatsache, die schnell vergessen wird, wenn über Europamüdigkeit gesprochen und geklagt wird. In Europa liegen die Arbeitsplätze der Zukunft.
    Drittens. Kein Wohlstand ohne Frieden.

    (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Richtig!)

    Europa steht vor der Wahl: Entweder organisiert es seine Außen- und Sicherheitspolitik so, daß es in seinem Haus Ordnung schaffen und seine globalen Interessen wahren kann, oder es werden andere für Europa und über Europa hinweg Politik machen. Wir können, wenn es darauf ankommt, auch nicht immer
    die USA um Hilfe bitten. Deshalb braucht die Union auch einen Verteidigungsarm. Dazu müssen Westeuropäische und Europäische Union zusammengeführt werden.
    Was genauso wichtig ist: Wir brauchen Amerika, Amerika braucht uns, auch in Zukunft. Das transatlantische Verhältnis bleibt für uns von genauso zentraler Bedeutung wie Europa. Die Regierungskonferenz 1996 macht im übrigen die Zeit für eine Festigung unseres Handschlags über den Atlantik hinweg reif, und zwar nicht durch neue Deklarationen, sondern nüchterner durch noch engere Vernetzung, wo möglich und nötig.
    Viertens. Wir wollen ein Europa der Bürger, d. h. vor allem ein Europa der inneren Sicherheit. Seit Sonntag besteht volle Freizügigkeit im Personenverkehr zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal und Spanien - ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einem modernen, offenen Europa ohne Schlagbäume und Grenzkontrollen im Innern.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir sollten uns darüber klar sein - das sage ich mit großem Nachdruck, aber auch mit der notwendigen Ruhe -, daß wir gerade auf dem Gebiet der Innen- und Rechtspolitik 20, 30 Jahre hinterherhinken, daß aber die Menschen in Europa gerade von uns Politikern erwarten, daß wir auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und des Rechts Europa grenzüberschreitend schaffen. Deshalb müssen wir uns auf diesem Gebiet ganz besonders anstrengen; denn die Menschen werden nicht mehr mitspielen, wenn das neue Europa freie Fahrt für das organisierte Verbrechen heißen würde. Der Aufbau von Europol kann deshalb nur ein erster Schritt sein.
    Fünftens schließlich: Der Brüsseler Tisch, der für sechs gebaut war, ist zu klein geworden. Er ist für 15 viel zu klein. Eine Union mit 20 und mehr Mitgliedstaaten muß sich also anders organisieren, sonst wird dieser Tanker - das sind wir als Europa inzwischen geworden - bewegungsunfähig. Deshalb führt kein Weg an qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in klar definierbaren und definierten Einzel- und Teilbereichen vorbei.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich möchte auch deutlich und klar sagen: Der Theologenstreit über variable Geometrie, konzentrische Kreise oder Kerne führt im Grunde nicht weiter. Entscheidend ist die Offenheit der Entwicklung. Ob Schengen oder Währungsunion, nicht alle müssen zum gleichen Zeitpunkt oder im gleichen Tempo losmarschieren. Aber alle müssen für ein gemeinsames Ziel sein und auf dem Weg dorthin mitgehen können.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich möchte gerne alle dazu einladen mitzugehen, auch - ich sage es mit besonderem Nachdruck - und gerade unsere britischen Freunde. Heute abend wird die 45. Königswinterer Konferenz eröffnet. Europa braucht Großbritannien, und zwar dort, wo es nach den Worten von Premierminister Major seinen Platz

    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    hat: im Herzen und nicht an der Peripherie. Ohne aktive britische Mitwirkung gibt es keine europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die diesen Namen wirklich verdient.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich komme zu einem weniger erfreulichen Thema, den Krisenherden auf dieser Welt. Wir haben davon zu viele. Wir hatten alle gemeinsam geglaubt, daß diese Welt nach dem Wegfall der Ost-West-Auseinandersetzung friedlicher würde. Sie ist es leider nicht geworden. Der Waffenstillstand für Bosnien läuft in vier Wochen aus. Bereits jetzt wird leider wieder an zu vielen Orten gekämpft. Es muß alles unternommen werden, um ein Aufflammen der Kämpfe in ganz Bosnien zu verhindern. Darum bemühen wir uns wirklich intensiv in der Kontaktgruppe.
    Dabei besteht Einigkeit: Erstens. Die bosnischen Serben müssen den Friedensplan als Grundlage von Verhandlungen akzeptieren. Zweitens. Die Abriegelung der serbisch-bosnischen Grenze muß wirksam sichergestellt werden. Drittens. Milosevic muß alle Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien in ihren internationalen Grenzen anerkennen. Das würde den Weg freimachen für ein Aussetzen der Sanktionen und einen Friedensgipfel. Das müssen wir anstreben, gerade in den nächsten vier Wochen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Dabei ist eine Grundvoraussetzung, daß wir uns in der Kontaktgruppe nicht auseinanderdividieren lassen. Kein Mitglied ist im übrigen - ich sage das ganz bewußt auch mit Nachdruck von hier aus - allein in der Lage, wirklich entscheidenden Einfluß auf die drei Konfliktparteien zu nehmen.
    Wichtig für die weitere Entwicklung war die Stärkung der bosniakisch-kroatischen Föderation. Das zwischen Präsident Zubak und Vizepräsident Ganic auf dem Petersberg vor kurzem getroffene Abkommen hat einen weiteren Meilenstein auf dem schwierigen Weg gebracht. Ich habe Präsident Izetbegovic hier in Bonn - der Bundeskanzler hat es getan, das Parlament hat es getan, die Fraktionen und der Bundespräsident haben es getan - zugesagt, daß die schwächste Seite in diesem schrecklichen Konflikt weiter auf deutsche Unterstützung bauen kann.
    Aber unser Appell an die Konfliktparteien, alles zu tun, damit es zu einer Verlängerung des Waffenstillstands kommt, gilt auch - ich beziehe mich auf die Ereignisse der letzten Tage - für die Bosniaken, und zwar genauso wie für alle anderen.
    Nach dem Einlenken der kroatischen Seite in der Frage des Verbleibs von 5 000 UNO-Blauhelmen geht es nun um die Einzelheiten des Mandats. Da sind wir jetzt als Mitglied im Sicherheitsrat aktiv beteiligt. Ich gehe davon aus, daß das in den nächsten Tagen kommen wird.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist nicht falsch, gerade heute darauf hinzuwirken, daß die UNO-Luftbrücke nach Sarajevo, Herr Kollege Rühe, heute ein Jubiläum hat. Sie besteht nämlich - so etwas wird wahnsinnig schnell vergessen - genau tausend Tage. In fast drei Jahren haben unsere Bundeswehrpiloten in mutigem Einsatz zusammen mit ihren französischen, britischen, amerikanischen und kanadischen Kollegen in über 12 000 Flügen insgesamt 136 Tonnen Lebensmittel und über 15 000 Tonnen medizinische Hilfsgüter in diese eingeschlossene Stadt eingeflogen.

    (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Was das bedeutet, kann wirklich nur der ermessen, der in letzter Zeit in Sarajevo war. Ich war dort; ich weiß es. Ich kann nur sagen, daß das, was da täglich bzw. nächtlich - oft unter Lebensgefahr - geschieht, eine beeindruckende Leistung ist. Ich möchte gern bei dieser Gelegenheit einmal allen, die sich dort unwahrscheinlich einsetzen, aber vor allem unseren Soldaten sehr, sehr herzlich für diesen mutigen und wirkungsvollen Einsatz danken.

    (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ich habe auch allen Grund, Hans Koschnick zu danken; denn seine Arbeit in Mostar ist nicht leicht. Er hat sich damals bei Ihnen verabschiedet. Ich habe ihn dort eingeführt. Wir haben uns mehrfach in der Zwischenzeit gesehen. Er vollzieht dort eine sehr, sehr schwierige Aufgabe, und er erfüllt sie vorbildlich. Dank und Gruß von hier aus an Hans Koschnick.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Meine Damen und Herren, nach dem Wegfall des Ost-West-Konflikts müssen wir in Europa eine neue politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Architektur schaffen. Seit dem NATO-Gipfel vom 10. Januar 1994 ist die Ost-Erweiterung der NATO im Grundsatz beschlossene Sache. Über das Wann und das Wie muß jedoch mit Bedacht entschieden werden. Wir wollen keine neuen Frontstellungen. Wir wollen keine neuen Gräben in Europa.
    Die NATO war ein Kind des Kalten Krieges. Aber sie ist längst zum Sicherheitspartner aller Europäer geworden, mit dem Nordatlantischen Kooperationsrat, mit der Partnerschaft für den Frieden. 25 mittel- und osteuropäische Staaten sehen dies genauso. Sie sind diese Partnerschaft wohlüberlegt und wohlabgewogen eingegangen.
    In der vorletzten Woche haben die EU-Außenminister in Carcassonne versucht, Rußland mit dem Vorschlag einer besonderen Beziehung zwischen Rußland und der NATO eine Brücke zu bauen. Nach den deutschen Vorstellungen ist eine Art Charta denkbar, mit einem Konsultationsmechanismus, gegenseitigem Gewaltverzicht und Rüstungskontrollvereinbarungen auf breiter Basis. Rußland kommt nun einmal in dieser neu zu schaffenden europäischen Architektur, vor allen Dingen bei der neu zu schaffenden Sicherheitsarchitektur, ein wichtiger Platz zu. Das heißt aber nicht, daß es in irgendeiner Form Sonderrechte geltend machen kann, die dem widersprechen, was sich die Europäer seit 1989 in der OSZE gemeinsam geschaffen haben.

    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ein Veto Rußlands gegen die Aufnahme mittel- und osteuropäischer Staaten in die NATO, gegen die Aufnahme dieser Länder in die Europäische Union oder später in die WEU kann es nicht geben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir tun allerdings gut daran, die große, wichtige Dimension Rußland in unsere Gespräche einzubeziehen, und ich sage noch einmal: Wir tun gut daran, keine neuen Gräben zu schaffen. Als erster wichtiger Schritt ist es jetzt natürlich notwendig, daß Rußland auch akzeptiert, was in Sachen Partnerschaft für den Frieden zwischen der NATO und Rußland ausgehandelt worden ist. Leider wird dies bisher verweigert. Wenn wir zu einer solchen Charta in einer auf lange Zeit angelegten Partnerschaft kommen wollen, ist natürlich als zweiter Schritt auch wichtig, daß Rußland deutlich und klar sieht und auch weiß, daß wir zwar mit ihm über die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten in die NATO reden, daß es diese Aufnahmen aber letztlich akzeptieren muß.
    Vor kurzem hat es hier in der Tschetschenien-Debatte eine Rolle gespielt - ich sage es noch einmal -: Wir wollen eine dauerhafte und verläßliche Partnerschaft mit Rußland. Aber unsere Rußlandpolitik muß über den Tag hinaus denken, trotz oder gerade wegen Tschetschenien. Ich wiederhole nochmals: Für uns kann es keinen Zweifel geben: Was in Tschetschenien geschah und noch geschieht, ist schlimm. Wir dürfen bei den dort begangenen Verletzungen des Völkerrechts, der Menschenrechte und der OSZE-Prinzipien nicht - wie man dies nach einigen Wochen manchmal bereits den Fernsehnachrichten entnehmen kann - schon wieder zur Tagesordnung übergehen.

    (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Nein, wir müssen die Russen schon weiter massiv drängen, diesen Konflikt möglichst sofort, und zwar friedlich, zu beenden.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wir müssen Rußland mit den Mitteln, die wir haben, auch deutlich sagen: So geht es nicht. - Das haben wir, was das EU-Kooperationsabkommen anbelangt, getan. Die Troika war in Moskau und hat gesagt: Nein, das unterzeichnen wir jetzt nicht. Wir wollen erst einmal die weitere Entwicklung abwarten.
    Die Zustimmung Präsident Jelzins zu einer Beobachtermission in Tschetschenien ist ein wichtiger Schritt. Es darf aber nicht dabei bleiben. Wir haben versucht, in den Troika-Gesprächen zu sagen, daß wir davon ausgehen, daß dies natürlich nicht eine reine Beobachtermission ist, sondern eine Mission, die beispielsweise hilft, Wahlen vorzubereiten, neue Strukturen aufzubauen und die Gesamtsituation dort in den Griff zu bekommen.
    Unser Ziel muß es sein, die OSZE weiter zu stärken und vorbeugende Brandverhütungspolitik zu betreiben. Dazu ist die OSZE geeignet, und sie hat in der Vergangenheit bereits mehrfach bewiesen, daß sie das kann.
    Meine Damen und Herren, das wichtige, aber oftmals sehr schwierige Verhältnis zu unserem NATO-und WEU-Assoziierungspartner Türkei wird gegenwärtig durch die Militäraktion im Nordirak schwer belastet. Bei den Gesprächen, die wir in der letzten Woche hatten, haben wir als Europäer für die 15 Mitgliedstaaten der EU und habe ich als deutscher Außenminister noch einmal deutlich gemacht, daß uns an einem partnerschaftlich-freundschaftlichen Verhältnis zur Türkei liegt, die uns seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden ist.
    In bezug auf das Vorgehen der türkischen Armee im Nordirak haben wir gemeinsam kein Blatt vor den Mund genommen. Ich bitte noch einmal zu sehen und auch anzuerkennen, daß die Gespräche, die dort zu führen waren und die weiter zu führen sind, sich in einem Kontext bewegen müssen, der durch die 14 anderen europäischen Partner mitbestimmt wird. Ich bitte, ein wenig das zu beachten, was ich eingangs zu sagen versucht habe.
    Das Völkerrecht, die Menschenrechte, die den Schutz unschuldiger Zivilisten vorsehen, dürfen nicht mißachtet werden, auch nicht im Kampf gegen eine terroristische PKK.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Diese Aktion im Nordirak, über die wir vorher nicht unterrichtet waren und die wir nicht verhindern konnten - manchmal wird der Eindruck erweckt, als ob wir das hätten verhindern können -, muß sofort beendet werden. Ich nehme dabei meinen alten und jetzigen neuen türkischen Amtskollegen beim Wort, wonach entgegen zuvor gemachten, besorgniserregenden Äußerungen nicht, wie er sagt, an ein längeres Verbleiben und an die Einrichtung einer Sicherheitszone im Nordirak gedacht ist. Ankara muß klar wissen, gerade von einem Freund und Partner: Jeder Tag, an dem die Militärpräsenz dort andauert, vergrößert den politischen Schaden für die Türkei, für die NATO, für uns alle, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Zollunion. Wir haben so sehr gehofft, daß uns in bezug auf die Zollunion eine Ratifizierung im Europäischen Parlament gelingt. Jetzt sehe ich sie leider in weite Ferne gerückt.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich nehme die türkische Regierung ebenfalls bei ihrem Wort, daß sie im Kampf gegen die PKK keine von Deutschland gelieferten Waffen einsetzt. Ich bin jedem einzelnen Hinweis nachgegangen; ich kann nur immer wieder sagen: Es gibt bisher Verdachtsmomente, aber es gibt keinen eindeutigen Beweis. Als Außenminister kann ich nicht zu einem Partner sagen: Ich glaube deinen offiziellen Beteuerungen nicht. - Ich habe mehrfach die Ministerpräsidentin

    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    und den Außenminister gefragt; ich habe die Generale fragen lassen, die den Einsatz dort führen.

    (Lachen der Abg. Heidemarie WieczorekZeul [SPD])

    - Lachen Sie nicht so hämisch! Ich würde gern einmal wissen, was Sie machen würden, wenn Sie Verantwortung tragen würden. Statt dessen geben Sie dem „General-Anzeiger" Interviews.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich kann nur sagen: Ich habe die Frage gestellt. Sie ist mir so beantwortet worden, wie ich sagte.
    Ich jedenfalls habe bisher keine Beweise. Wenn sich Fachleute auf derartige Beweiswürdigungen festlegen, wie das jetzt geschehen ist, kann ich als Außenminister offiziell daran nicht zweifeln.
    Gleichwohl haben wir gehandelt, wie die letzten Male auch. Die deutschen Zuschüsse für den Bau von zwei türkischen Fregatten bleiben vorerst gesperrt. Außerdem wird die Bundesregierung die noch anstehenden Restlieferungen aus der Materialhilfe vorläufig aussetzen. Im übrigen werden wir jedem Hinweis - ich sage es noch einmal - sorgfältig nachgehen.
    Vielleicht haben Sie zwischen Ihren hämischen Bemerkungen zur Kenntnis genommen, wie die Türkei im Hinblick auf unsere NATO-Verpflichtungen gestern und heute reagiert hat. Es wäre für mich sehr wichtig, daß Sie das tun, weil dann das Gesamtbild und die Gesamtverantwortung etwas deutlicher werden. Ich wäre ferner sehr erfreut, wenn Sie an der Küste dieselben Auffassungen vertreten würden wie hier im Parlament und in der Presse, wenn es um die Frage geht, ob der Bau von Schiffen und anderen Rüstungsgütern gestoppt wird oder weitergehen soll. Da scheint mir eine komische Diskrepanz vorzuliegen.