Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Unseren Segen haben Sie" — so lautete ein Slogan der F.D.P. im letzten Wahlkampf. Wenn ich mir Ihre Koalitionsvereinbarungen zur Rechtspolitik anschaue, kann ich nur sagen: Unseren Segen bekommen Sie dafür nicht.
Bisher funktionierte Ihr Rollenspiel noch halbwegs: Die F.D.P. diente als liberales Feigenblatt dieser Regierung und gleichzeitig als Sparringspartner der CSU. Das haben wir ja gerade erlebt. Jetzt ist sie kurz vor dem K. o.
Das ZDF-Programm hat es am Montag auf den Punkt gebracht. Es zeigte ein Lehrstück an liberaler Rat- und Profillosigkeit in der Sendung „Was nun, Herr Kinkel?"; gleich im Anschluß folgte der Film „Glück im Grünen". Meine Damen und Herren von der F.D.P., das sehen die Wählerinnen und Wähler inzwischen genauso.
Die Reden von Herrn Geis und Herrn Kanther zeigen: Sie, Frau Ministerin, und Ihre Partei stehen offensichtlich mit dem Rücken zur Wand. „Bürgerrechte" tauchen im Koalitionsvertrag gerade noch in der Überschrift auf. Dann kracht gleich die erste Salve in die Reihe derjenigen, die den starken Staat ablehnen und statt dessen nach den Ursachen für Mißstände fragen. Man kommt sich vor wie in Alexandervon-Stahl-Gewittern.
„Kriminalität bekämpfen" heißt es da. Dies soll durch einen „nationalen Kriminalitätsbekämpfungsplan" geschehen. Solche nationalen Bekämpfungs-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 393
Volker Beck
pläne kennen wir von dieser Bundesregierung schon. Vor gut vier Jahren wurde der „nationale Rauschgiftbekämpfungsplan" geboren. Der „Erfolg" des Rauschgiftbekämpfungsplans: Immer mehr junge Menschen greifen zu allen möglichen Drogen. Der Gesetzgeber kommt beim Verbieten der neuen Giftcocktails in der Szene kaum noch nach. Ihre ideologisch verblendete Drogenpolitik der totalen Prohibition gefährdet das Leben und die Gesundheit nicht nur der Abhängigen, sondern auch aller anderen Bürgerinnen und Bürger, nämlich durch die zwangsläufige Beschaffungskriminalität.
Für die organisierten Händlerbanden ist Ihre Drogenpolitik eine willkommene Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Herr Geis, Ihre Drogenpolitik ist das eigentliche Sicherheitsrisiko in dieser Gesellschaft.
Aber Sie halten wider alle Vernunft an dem fossilen Rauschgiftbekämpfungsplan fest. Jetzt muß endlich Schluß sein mit dieser bankrotten Planwirtschaft. Ich fordere Sie auf: Beginnen Sie endlich eine intelligente Kriminalpolitik. Hören Sie auf, Augenwischerei durch den Abbau von Bürgerrechten zu betreiben, wie Sie es kürzlich in Ihrem Verbrechensbekämpfungsgesetz vorexerziert haben!
Meine Damen und Herren, Sie beklagen hohe Eigentumskriminalität, wachsende Gewaltbereitschaft und internationale Kriminalität, und das seit nunmehr zwölf Jahren, seitdem Union und F.D.P. regieren. Sie behaupten, Sie wollen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat stärken; gleichzeitig richten Sie diesen Rechtsstaat scheibchenweise zugrunde, indem Sie den vergilbten Wunschzettel der Sicherheitsstrategen, Polizeitaktiker und von Herrn Beckstein abarbeiten.
Mit dem Holzhammer schlugen Sie den sinnvollen und moderaten Vorschlag des Deutschen Anwaltsvereins platt, Ladendiebstahl, Schwarzfahren und andere Bagatelldelikte nach dem Grundsatz „Schadensersatz vor Strafe" zu entkriminalisieren bzw. vom Strafrecht in das Ordnungswidrigkeitenrecht zu überführen.
Ich sehe da auch eine deutliche Gerechtigkeitslücke: Wenn Wirtschaftsverbrechen wie im Fall Schneider begangen werden, Existenzen von Unternehmen und Beschäftigten gefährdet werden, dann wird das als „Peanuts" abgetan. Wer aber tatsächlich ein Päckchen Erdnüsse oder einen Lippenstift einsteckt, bekommt die ganze Härte des Gesetzes zu spüren. Da wird doch mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Dieser Vorschlag der Anwälte und eine Wende in der Drogenpolitik wären auch ein wichtiger Beitrag zur Justizentlastung — auf jeden Fall erfolgversprechender als Ihr gescheitertes Justizentlastungsgesetz. Aber Sie haben einfach nicht mehr die Kraft, nach solchen Erkenntnissen zu handeln.
Zum Schluß: „Unseren Segen haben Sie" — mit diesen Worten haben Sie von der F.D.P. im Wahlkampf behauptet, sich für Gleichberechtigung schwuler und lesbischer Lebensgemeinschaften einzusetzen. Und dann stimmt in der Verfassungsdebatte ein Großteil Ihrer Fraktion gegen den eigenen Antrag, auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften in Art. 6 des Grundgesetzes wenigstens „achten" zu wollen. Das ist echt F.D.P. ... Ja, auf Ihrer Partei ruht wirklich kein Segen mehr.
Vielen Dank.