Rede von
Hansgeorg
Hauser
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Liebe Frau Kollegin, Herr Deimer ist Oberbürgermeister von Landshut. Wenn Sie sich, wie ich, mit diesem Thema schon längere Zeit beschäftigt hätten, dann wüßten Sie, daß es eine Fülle von Vorschlägen des Städtetages gibt , der sich sehr wohl für eine Beteiligung an der Umsatzsteuer erwärmen kann. Es gibt auch andere Vorschläge. Diese Vorschläge müssen wir gemeinsam diskutieren. Wir haben es als Konzept festgelegt, daß wir die Gewerbesteuer und in einem ersten Schritt die Gewerbekapitalsteuer abschaffen wollen. Es macht keinen Sinn, daß ein Betrieb, der Verluste produziert, dafür noch Steuern zahlen muß. Das ist eine Wettbewerbsbehinderung ohnegleichen. Diese Verbesserung der Rahmenbedingungen müssen wir erreichen.
Zentrales Thema ist, wie schon erwähnt, das Jahressteuergesetz 1996 mit den vier Hauptelementen:
356 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
Hansgeorg Hauser
Freistellung des Existenzminimums, Fortsetzung der Unternehmensteuerreform, weitere Verbesserung des Familienleistungsausgleichs und die Steuervereinfachung.
— Ich weiß nicht, ob Sie sich überhaupt schon einmal mit Gesetzen beschäftigt haben. Das ist der Inhalt des Jahressteuergesetzes mit den vier Teilen. So ist das vorgesehen. Daran werden Sie auch mit Ihren Zwischenrufen nichts ändern.
Mit dem vorliegenden Entwurf ist es Finanzminister Waigel gelungen, die vielschichtige Problematik der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums trotz des vorgegebenen engen Finanzrahmens umfassend und gerecht zu lösen. Die Kritik aus den Reihen der SPD ist offensichtlich ein Ausdruck ihrer Hilflosigkeit. Der Finanzminister hat nicht nur der SPD den Wind aus den Segeln genommen, sondern auch viele Pessimisten überrascht. Mit seinem Konzept ist es ihm gelungen, die Vorgaben des Verfassungsgerichtes voll umzusetzen, die unteren Einkommen freizustellen, ohne den Mittelstand zusätzlich zu belasten, wie es das SPD-Modell vorsieht.
Hauptkritikpunkt ist die angeblich zu hohe Progressionssteigerung bei den unteren Einkommen, die als „Geringverdienerbauch" bezeichnet wird. Für mich ist es ein durchsichtiges Manöver, weil man hier auf den Mittelstandsbauch des früheren Tarifs anspielen und unterstellen will, daß eine leistungsfeindliche Besteuerung stattfindet.
Ein Blick auf die Tatsachen entlarvt diese Kritik allerdings schnell als pure Vernebelungstaktik. Auch der neue Tarif bleibt linear progressiv und leistungsfreundlich, denn die Freistellung des Existenzminimums erfolgt durch eine außertarifliche Steuerentlastung, eine Grundentlastung, die mit steigendem Einkommen abgeschmolzen wird und bei 30 000 bzw. 60 000 DM ausläuft. Diese außertarifliche Regelung hat keinen Einfluß auf den linear-progressiven Tarifverlauf.
Es gibt innerhalb und außerhalb des Steuerrechts zahlreiche entlastende Regelungen, die mit steigendem Einkommen reduziert werden bzw. bei Überschreiten von Einkommensgrenzen völlig entfallen. Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, in diesem Zusammenhang von einer Progressionsverschärfung zu reden. Es ist deshalb willkürlich und an den Haaren herbeigezogen, in eine graphische Darstellung der Grenzbelastung des Tarifs den außertariflich geregelten Abbau der Grundentlastung hineinzurechnen und den so entstehenden kleinen Bauch in einer völlig überzogenen Weise als Mangel des Tarifs anzuprangern. Es ist schon bezeichnend, daß man Schaubilder zeigt, auf denen diese Entwicklung überdimensional dargestellt wird, um zu suggerieren, daß es sich hier um eine riesige Benachteiligung handelt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzbeschluß vom September 1992 ausdrücklich festgestellt, daß die steuerliche Freistellung des Existenzminimums nicht bedeutet, daß jeder Steuerpflichtige vorweg in Höhe eines nach dem Existenzminimum bemessenen Freibetrags verschont werden muß, sondern es dem Gesetzgeber freigestellt ist, in
welcher Weise er der verfassungsrechtlichen Vorgabe Rechnung trägt. Erforderlich ist lediglich, daß von den das Existenzminimum übersteigenden Einkommensteilen dem Steuerpflichtigen jeweils angemessene Beträge verbleiben und kein Progressionssprung stattfindet, der die vertikale Gleichheit geringerer Einkommen im Verhältnis zu höheren außer acht läßt. Das können Sie in dem Beschluß ausführlich nachlesen.
Angesichts dieser klaren gerichtlichen Äußerung kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Vorschlag zur Freistellung des Existenzminimums verfassungskonform ist.
Denn die Entlastungsbeträge vermeiden im wirtschaftlichen Ergebnis einen Progressionssprung und stellen auch unter Berücksichtigung des Abbaus der Grundentlastung sicher, daß den Steuerpflichtigen jeweils angemessene Beträge im Sinne der Entscheidung des Gerichtes verbleiben. Ebenso wird die vertikale Gleichheit beachtet, da die durchschnittliche Belastung auch unter Einschluß der Steuerfreistellung kontinuierlich wächst.
Niedrige Einkommen — das ist heute in einer Art und Weise vom Tisch gewischt worden, die unbeschreiblich ist — bis zum Existenzminimum von rund 12 000/24 000 DM werden zu 100 % entlastet.
Man konnte hier den Eindruck bekommen, als würden die niedrigen Einkommen jetzt noch zusätzlich mit Steuern belastet. Das stimmt doch alles nicht.
Mit steigendem Einkommen nimmt dann die Entlastung ab und sinkt bei Spitzeneinkommen auf unter 2%.
So beträgt beispielsweise die Entlastung bei einem zu versteuernden Einkommen von 13 000 DM 74,5 %, bei 20 000 DM sind es immer noch 26 %,
bei 50 000 DM sind es 2,4 %, und bei 122 364 DM sind es 1,8 %.
— Frau Matthäus-Maier, Sie hatten ausführlich Gelegenheit, sich darzustellen, zu produzieren und eine Schau abzuziehen. Wir haben die Zahlen auf den Tisch gelegt. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 122 364 DM — das ist der Beginn des Spitzensteuersatzes für Ledige — beträgt die Entlastung gerade noch 1,8 %.
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Hansgeorg Hauser
Die soziale Ausgewogenheit der Regelung zeigt sich auch darin, daß der weit überwiegende Teil der Gesamtentlastung den unteren Einkommen zugute kommt. So erhalten die unteren 50 % der Steuerzahler 70 % des Entlastungsvolumens. Die Kritik der SPD wegen einer angeblich sozialen Unausgewogenheit der Vorschläge kann angesichts dieser Fakten nur als heuchlerisch bezeichnet werden.
Der für 1996 vorgesehene Betrag von 12 095 DM bzw. 24 191 DM bleibt über dem Existenzminimum. Hierfür spricht auch, daß für 1995 ein Freistellungsbetrag in einer Größenordnung von 11 000 DM statt des gesetzlich festgesetzten Freistellungsbetrages von 11 500 DM ausreichend wäre.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß wir bereits 1993 mit der Übergangsregelung das Existenzminimum von der Steuer freigestellt haben. Es ist deshalb unzutreffend, wenn immer wieder gesagt wird, wir hätten den Beschluß des Verfassungsgerichtes nicht rechtzeitig umgesetzt.
Die Neuregelung des Existenzminimums bedeutet, daß 1,5 Millionen Haushalte völlig aus der Steuerpflicht herausfallen. Die Kritik an einer angeblichen Leistungsfeindlichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen ist deshalb nicht nachvollziehbar. Es ist gerade die SPD, die mit ihren Vorstellungen, z. B. dem Schleußer-Modell, Steuerpflichtige bereits mit einem zu versteuernden Einkommen vom 50 000 DM bei Ledigen stärker zur Kasse bitten will.
Die SPD zeigt auch damit wieder ihren Charakter als Steuererhöhungspartei; denn sie will, daß alle, die mehr als 50 000 DM verdienen, mit höheren Steuerabzügen belastet werden. Gerade das ist für den Mittelstand Gift, denn dadurch wird jeglicher Leistungsanreiz genommen.
Alle Kritiker müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie ihre weitergehenden Vorschläge mit den daraus resultierenden weitaus größeren Steuerausfällen angesichts der engen haushalts- und finanzpolitischen Spielräume finanzieren wollen. Das gilt auch für manche Wissenschaftler, die vergessen, daß zur Umsetzung ihrer Vorschläge parlamentarische Mehrheiten erforderlich sind. Dabei könnten die Vorschläge der sogenannten Bareis-Kommission durchaus bedacht werden, um Spielräume für weitergehende Entlastungen zu gewinnen.
Ich darf noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, daß der Finanzminister nicht die Bareis-Kommission in irgendwelchen kritischen Äußerungen verdammt hat. Vielmehr hat er gesagt: Die gemachten Vorschläge sind in der zur Verfügung stehenden Zeit absolut nicht umsetzbar. Das Problem dabei ist, daß wir einen Gegenfinanzierungsbedarf haben, der in dieser kurzen Zeit nicht zu decken ist. Die Einzelvorschläge sind schon gar nicht in allen Punkten umsetzbar.
Mein Problem ist, daß wir für die Umsetzung solcher Vorschläge die Bereitschaft aller Betroffenen einschließlich der Wirtschaft und der Gewerkschaften brauchen. Leider herrscht überall das Sankt-FloriansPrinzip vor, so daß wir hier nicht zurechtkommen können.
Ein Problem möchte ich noch ganz kurz ansprechen: Das ist die Entwicklung, daß eine immer kleinere Gruppe von Steuerzahlern einen immer größeren Anteil am Steueraufkommen erbringen muß. Mittelfristig müssen wir daher auch die Steuern im mittleren und höheren Bereich wieder senken, wenn wir die Leistungsbereitschaft der Bürger nicht behindern wollen.