Rede von
Christa
Nickels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Anwesende! „Die Todesstrafe ist abgeschafft. " Knapp, kurz und ganz eindeutig ist das in Art. 102 des Grundgesetzes niedergelegt. Damit hat sich die Bundesrepublik Deutschland angesichts des barbarischen Umgangs mit menschlichem Leben, den die Staatsorgane des NS-Regimes auch mit Mitteln des Strafrechts praktizierten, aus guten historischen Gründen ohne jede Einschränkung für die Abschaffung der Todesstrafe entschieden.
Art. 102 des Grundgesetzes ist aber nicht nur eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung, sondern gleichzeitig auch Ausdruck dafür, daß hier eine besondere „verfassungsrechtliche Schutzpflicht für jedermanns Leben" besteht; so das Bundesverfassungsgericht. Das bedeutet, daß die grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe in allen Bereichen der Strafrechtspflege und, was ganz wichtig ist, auch in den dabei entstehenden Beziehungen zu anderen Staaten ihren Niederschlag finden muß.
Eine solche klare Entscheidung für das Ächten und Zurückdrängen der Todesstrafe ist allerdings im NATO-Truppenstatut nicht enthalten. Die Vorschriften des NATO-Truppenstatuts und seiner Zusatzvereinbarungen erlauben es nämlich den Militärgerichten der in der Bundesrepublik stationierten verbündeten Streitkräfte, gegen ihre Angehörigen hier in der Bundesrepublik die Todesstrafe zu verhängen. Von dieser Befugnis haben US-Militärgerichte in der Bundesrepublik in der Vergangenheit, selbst noch dieses Jahr, auch Gebrauch gemacht. In Rheinland-Pfalz ist ein Verfahren anhängig. Diese Situation ist unserer Meinung nach mit dem Geist von Art. 102 des Grundgesetzes unvereinbar.
Um dem abzuhelfen, haben wir den heute zur Beratung anstehenden Antrag am 30. Januar dieses Jahres eingebracht. Wir bitten darin den Bundestag, daß er „das in Artikel 102 GG ausgesprochene Verbot der Todesstrafe" bekräftigt, daß er weiterhin „für die weltweite Ächtung der Todesstrafe eintritt" und daß er die Bundesregierung auffordert, „insbesondere die Verbündeten zu ersuchen, die Todesstrafe aus ihren Rechtssystemen zu tilgen, und darauf hinzuwirken, daß auf deutschem Territorium die Todesstrafe nicht mehr verhängt werden darf " .
In diesem Sinne hat sich seit Jahren die Gefangenenhilfeorganisation „amnesty international" eingesetzt. Daß der Antrag von uns überhaupt eingebracht werden konnte, hat damit zu tun, daß sich „amnesty" schon 1985 an die Justizsenatorinnen und -senatoren der Länder und auch an die Fraktionen gewandt hat. Wir haben in dieser Debatte auch selber sehr viel gelernt und Erfahrungen gewonnen, die wir jetzt einbringen konnten.
In den Landesjustizministerien, im Bundesjustizministerium und in den rechtspolitischen Arbeitskreisen der Fraktionen und Parteien ist diese Problematik in den letzten Jahren ausführlich beraten worden, und es ist nach Möglichkeiten der Abhilfe gesucht worden. Die Art und Weise, wie beraten wurde, und auch der Verlauf der Beratungen haben jedenfalls mir ganz große Hoffnungen darauf gemacht, daß wir hier im Deutschen Bundestag in zweiter Lesung eine überfraktionelle Beschlußempfehlung vorlegen können. Es gibt dafür ganz klare Anzeichen, auch aus diesem Jahre. So haben sich z. B. das Justizministerium von Bremen und das Justizministerium von Hessen in dieser Absicht an den Bundesjustizminister mit der Bitte gewandt, hier Abhilfe zu schaffen und etwas zu tun. Der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Herr Caesar, hat erst im August dieses Jahres in einem spektakulären Einzelfall auf Ausübung deutscher Gerichtsbarkeit bestanden, weil US-amerikanische Militärdienststellen nicht förmlich ausschließen konnten, daß in einem Verfahren gegen zwei US-Soldaten auf bundesdeutschem Boden die im Grundgesetz abgeschaffte Todesstrafe verhängt werden könnte.
Abschließend will ich den Justizminister zu Wort kommen lassen. Auch seine Äußerung hat mich in der Hoffnung ermutigt, daß wir hier einen gemeinsamen Antrag hinkriegen. Herr Justizminister Engelhard hat anläßlich der Aktionswoche von „amnesty international" gegen die Todesstrafe am 20. September 1989 gesagt — ich zitiere — , die Abschaffung der Todesstrafe sei ein Bekenntnis zum Wert des Menschenlebens und damit letztlich zur Würde des Menschen, die als Eckstein des Systems der Menschenrechte Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt sei. Damit stimme ich überein. Ich hoffe, daß wir hier schnell und zügig eine vernünftige Entscheidung hinbekommen, die vom ganzen Haus getragen werden kann.
Danke schön.