Rede von
Dr.
Henning
Schierholz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir GRÜNEN halten die heute vorgelegten Pläne der Bundesregierung zur Verlängerung des Grundwehrdienstes und erst recht zur Verlängerung des zivilen Ersatzdienstes von der Sache her für nicht geboten, wir halten sie für abrüstungsuntauglich, und wir halten sie für jugendfeindlich.
Gegenwärtig stehen diejenigen Jahrgänge zur Einberufung an, die mehr als 1 Million junge Menschen umfassen. 1961 bis 1966 sind mehr als 1 Million junge Leute geboren. Sie können nach den Kriterien des Wehrpflichtgesetzes bis 1994 einberufen werden. Warum also wird ein solches Gesetz jetzt zum 1. Juli 1989 beschlossen? — Weil die Regierung Angst hat, daß sie 1987 nicht mehr die Mehrheit hat. Das ist der wahre Grund.
Bereits jetzt besteht der Grundwehrdienst nach der intensiven Phase der Grundausbildung in der Einübung militärischer Rituale, der Gewöhnung an das Prinzip von Befehl und Gehorsam und der schlichten Ausfüllung von Zeit — „Gammeldienst" wird das unter den Soldaten genannt.
In einer Zeit, in der die Zahl der Soldaten sogar abschreckungspolitisch unwichtig wird, ist ein längerer Grundwehrdienst nicht zu rechtfertigen. Die Bundesregierung vertraut offensichtlich selbst ihren eigenen Abrüstungsversprechungen nicht. Weshalb verhandelt sie eigentlich noch in Wien mit dem Ziel, zu einer Reduzierung der Zahl der Soldaten zu kommen, wenn sie jetzt gleichzeitig das Signal gibt, zum 1. Juli 1989 den Grundwehrdienst verlängern zu wollen? Ich kann dazu nur sagen: Das ist völlig unsinnig.
Wir werden von seiten der GRÜNEN diesem Parlament in den nächsten Tagen einen Antrag vorlegen, der aus vier Komponenten besteht.
— Hören Sie ruhig zu, Herr Meyer zu Bentrup.
Erstens. Grundwehrdienst und Zivildienst werden zum 1. Juli 1989 drastisch verringert.
Zweitens. Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 — das ist für mich das eigentliche Problem — hat uneingeschränkt Vorrang vor dem Personalbedarf der Bundeswehr und der Realisierung militärpolitischer Zwecke;
denn Art. 87 a des Grundgesetzes markiert aus unserer Sicht lediglich eine organisationspolitische Kompetenz, die den Bund und nicht etwa die Länder zur Aufstellung militärischer Verbände ermächtigt und damit keineswegs verpflichtet.
Drittens. Das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer
sowohl nach dem Bundesamt-Schnellprüfungsverfahren als auch in den Ausschüssen und Kammern ist ersatzlos zu streichen und durch ein Feststellungsverfahren zu ersetzen.
Herr Jungmann hat darauf hingewiesen: Im letzten Jahr liefen vor dem Bundesamt ungefähr 28 000 Verfahren, fast das Doppelte nach wie vor vor Ausschüssen und Kammern des Verteidigungsministeriums. Diese unerträgliche Inquisition muß wegfallen.
Viertens. Der gegenwärtige Ersatzdienst — so muß man ihn leider nennen — ist zu einem sozialen Friedensdienst umzugestalten. Das bedeutet, daß er ausschließlich im sozialen Bereich, in der Jugend- und Friedensarbeit abgeleistet wird.
Wir wollen darüber hinaus, daß ein Friedensdienstgesetz verabschiedet wird, in dem die Möglichkeit eines 12monatigen Einsatzes in der Friedensarbeit im In- und Ausland eröffnet wird.
Diesen Antrag werden wir demnächst vorlegen. Wir würden uns freuen, wenn das Parlament diesem Antrag seine Zustimmung geben würde.