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ID0615305600

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    Deutscher Bundestag 153. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Hallstein und Schulhoff . . . 8777 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 8777 B Benutzung der Abstimmungsanlage . . . 8777 D Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 8777 D Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu den inneren Reformen in der 6. Legislaturperiode (Drucksachen VI /2604, VI /2709) Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 8779 C Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 8783 B Kirst (FDP) 8788 A Seidel (SPD) . . . . . . . . 8792 C Arendt, Bundesminister 8794 C Breidbach (CDU/CSU) 8800 B Dr. Nölling (SPD). . . . . . 8808 A Vogt (CDU/CSU). . . . . . 8815 C Dr. Farthmann (SPD) . . . . . 8821 C Fragestunde (Drucksache VI /2861) Fragen des Abg. Wohlrabe (CDU/CSU) : Fluglinienverkehr alliierter Gesellschaften von und nach Berlin Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . 8822 D, 8823 A, B, C, D, 8824 A, B, C Wohlrabe (CDU/CSU) . . . 8823 A, B, C Brück (Holz) (SPD) . . . . . . . 8823 D von Thadden (CDU/CSU) . . . . 8823 D Heyen (SPD) 8824 A Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . 8824 B Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 8824 B Fragen des Abg. Dr. Evers (CDU/CSU) : Benutzung der Intercity-Züge mit Zeitkarten Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . 8824 C, D, 8825 A, B Dr. Evers (CDU/CSU) . 8824 D, 8825 A, B Dr. Schmid, Vizepräsident . . . . 8825 C II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 Frage des Abg. Lemmrich (CDU /CSU): Äußerung des Bundesverkehrsministers über die Finanzsituation der Bundesbahn Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 8825 C, D, 8826 A, B, C, D Lemmrich (CDU/CSU) . . . . . . 8825 D Dr. Jobst (CDU/CSU) 8826 B Dr Riedl (München) (CDU/CSU) 8826 C Hansen (SPD) . . . . . . . . 8826 D Fragen des Abg. Dr. Apel (SPD) : Teilnahme aller Autofahrer an einem Erste-Hilfe-Kursus bzw. einem Kursus über Sofortmaßnahmen am Unfallort Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . 8826 D, 8827 A, C, D, 8828 A, B Dr. Apel (SPD) . . 8827 A, B, D, 8828 A Dr. Schmid, Vizepräsident . . . . 8828 B Frage des Abg. Becker (Nienberge) (SPD) : Erfahrungen der Bundesbahn in bezug auf das Intercity-Netz Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 8828 B, C, D, 8829 A, B, C Becker (Nienberge) (SPD). . 8828 C, D Lemmrich (CDU/CSU) . . . . . 8829 A Wende (SPD) 8829 A Brück (Köln) (CDU/CSU) 8829 B Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 8829 C Frage des Abg. Wende (SPD) : Maßnahmen gegen das Laufenlassen der Kraftfahrzeugmotoren im Leerlauf Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . 8829 D, 8830 A, B, C Wende (SPD) . . . . . 8829 D, 8830 A Dr. Apel (SPD) . . .. 8830 B Schirmer (SPD) 8830 B Frage des Abg. Dr. Jobst (CDU/CSU): Unzureichende Versorgung neuer Betriebe im ostbayerischen Zonenrandgebiet mit Fernmeldeeinrichtungen Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . 8830 C, D, 8831 A, B Dr. Jobst (CDU/CSU) . . 8830 D, 8831 A Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . . 8831 B Fragen des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Pressemeldung über die Reise des SED- Propagandachefs Norden zum DKP-Parteitag mit einem Sonderwagen der Deutschen Reichsbahn Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . 8831 C, D, 8832 A, B, C Niegel (CDU/CSU) . 8831 C, D, 8832 B, C Lemmrich (CDU/CSU) 8832 A Frau Kalinke (CDU/CSU) . . 8832 B Frage des Abg. Spillecke (SPD): Pressemeldung über die Herstellung von Betriebszeitungen der DKP in der Druckerei der Universität Bochum Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 8832 D, 8833 A Spillecke (SPD) 8833 A Fragen des Abg. Schirmer (SPD) : Ausbildung von Sportpädagogen im Fernstudium Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär 8833 B, C, D Schirmer (SPD) 8833 C, D Fragen des Abg. Dr. Probst (CDU/CSU) : Mittel für die Gutachten über Methoden der Prioritätenbestimmung auf dem Gebiet der Forschungspolitik — Folgerungen der Bundesregierung aus diesen Gutachten für die praktische Gestaltung der Forschungspolitik Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . 8833 D, 8834 A, B, C, D Dr. Probst (CDU/CSU) . . . . 8834 A, C, D Fragen des Abg. Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Einrichtung eines Ausschusses zur Koordinierung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit innerhalb der EWG — Erschwerung der europäischen Zusammenarbeit durch diesen Ausschuß Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . 8834 D, 8835 A, B, C Dr. Hubrig (CDU/CSU) 8835 B Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 8835 B Hansen (SPD) . . . . . . . . . 8835 C Frage des Abg. Hansen (SPD) : Brief des stellvertretenden griechischen Ministerpräsidenten Pattakos betr. griechische Schulen in Westdeutschland Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 8835 D, 8836 A, B Hansen (SPD) . . . . 8835 D, 8836 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 III Frage des Abg. Hansen (SPD) : Rundschreiben des Erziehungsattachés Emanouilidis betr. Mitglieder der Klassenpflegschaften Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär 8836 B, C, D Hansen (SPD) 8836 C Hussing (CDU/CSU) . . 8836 D Nächste Sitzung 8837 A Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 8839 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 8777 153. Sitzung Bonn, den 1. Dezember 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigungen Es ist zu lesen: 150. Sitzung, Seite 8638, Zeile 17, statt „250": „249". 150. Sitzung, Seite 8674: Bei den Ja-Stimmen der SPD ist zwischen den Abgeordneten Dr. Haack und Haase (Kellinghusen) der Abgeordnete Haar (Stuttgart) einzutragen. 150. Sitzung, Seite 8677, Anlage 1 (Liste der beurlaubten Abgeordneten) : Zwischen den Abgeordneten Dr. Beermann und Dasch ist der Abgeordnete „Behrendt*" und zwischen den Abgeordneten Lükker (München) und Dr. Prassler der Abgeordnete „Müller" (Aachen-Land) *" einzutragen. Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens *** 3. 12. Dr. Aigner * 3. 12. Alber *** 3. 12. Amrehn ** 3. 12. Bals *** 3. 12. Bartsch. 3. 12. Dr. Barzel 3. 12. Bauer (Würzburg) *** 3. 12. Dr. Beermann 15.1. 1972 Behrendt * 10. 12. Blank 18. 12. Blumenfeld *** 3. 12. Dr. Burgbacher 3. 12. Dasch 18. 12. Frau Dr. Diemer-Nicolaus *** 2. 12. Dr. Dittrich * 3. 12. Draeger *** 13. 12. Dr. Enders *** 3. 12. Dr. Erhard 3. 12. Erpenbeck 1. 12. Faller * 12. 12. Fritsch *** 3. 12. Dr. Furler 10. 12. Dr. Giulini 3. 12. Freiherr von und zu Guttenberg 18. 12. Dr. Hallstein 3. 12. Dr. Heck 1. 12. Helms 4. 12. Frau Herklotz 4. 12. Dr. Hermesdorf (Sehleiden) *** 3. 12. Hösl *** 3. 12. Frau Jacobi (Marl) 18. 12. Dr. Jahn (Braunschweig) * 2. 12. Jung *** 3. 12. Kahn-Ackermann *** 3. 12. Dr. Kempfler *** 3. 12. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Frau Klee *** 3. 12. Dr. Klepsch *** 3. 12. Kriedemann * 3. 12. Lemmrich *** 3. 12. Lenze (Attendorn) *** 3. 12. Liedtke 3. 12. Looft 17. 12. Lücker (München) * 3. 12. Memmel * 3. 12. Müller (Aachen-Land) * 10. 12. Dr. Müller (München) ** 3. 12. Frau Dr. Orth ' 1. 12. Ott 3. 12. Peters (Norden) 3. 12. Pöhler *** 3. 12. Richarts * 3. 12. Richter '** 3. 12. Dr. Rinderspacher *** 3. 12. Rollmann 6. 12. Schmidt (Würgendorf) *** 3. 12. Dr. h. c. Schmücker *** 3. 12. Schneider (Königswinter) 3. 12. Schoettle 17. 12. Dr. Schulz (Berlin) 1.12. Schwabe * 3. 12. Sieglerschmidt *** 1.12. Dr. Slotta 3. 12. Stein (Honrath) 1.12. Frau Dr. Walz *** 3. 12. Dr. Warnke 3. 12. Weber (Heidelberg) 3. 12. Wehner 10. 12. Wiefel 3. 12. Baron von Wrangel 4. 12. Zander 3. 12. *Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ferdinand Breidbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu dem, was der Kollege Arendt in seiner Rede gerade gesagt hat, nur einige wenige Bemerkungen; wir werden sicher im Laufe der Debatte noch Gelegenheit haben, näher darauf einzugehen.
    Herr Kollege Arendt, ich hätte Ihnen und auch mir gerne erspart, etwas über in diesem Hause und in der Öffentlichkeit erweckte Hoffnungen zu sagen. ich glaube, es ist noch gar nicht allzu lange her — ein Zeitpunkt, der diesem gleichkommt —, daß Sie auch in der Öffentlichkeit ganz bestimmte Hoffnungen erweckt haben. Ich denke hier an die 50 DM Rentnerweihnachtsgeld.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch von der SPD.)

    Ich weiß nicht, Herr Kollege Arendt, ob es legitim ist und ob es im letzten glaubwürdig ist, wenn man heute der Opposition Vorwürfe macht, sie operiere mit Zahlen, die Hoffnungen erweckten, wenn 15 Jahre Sozialpolitik auch auf dieser Seite aus dem Wecken von Hoffnungen und Ankündigungen bis zum Punkt der 50 DM Weihnachtsgeld bestanden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Sie haben geschlafen in den letzten beiden Jahren, Herr Breidbach!)

    Gestatten Sie mir eine weitere Vorbemerkung! Sie haben auf die Regierungserklärung hingewiesen. Ich weiß nicht, ob es für die CDU/CSU nicht recht empfehlenswert ist, den nächsten Bundestagswahlkampf mit Ihrer Regierungserklärung zu bestreiten. Denn wenn Sie heute selber einmal nachlesen, was in dieser Regierungserklärung alles daringestanden hat, dann werden Sie, ähnlich wie der Kanzler es vor gut einem halben Jahr gemacht hat, bereit sein, Einschränkungen vorzunehmen, weil hier einige Peinlichkeiten Ihrer Ankündigungen, die Sie nicht mehr realisieren können — zu denen noch einiges gesagt wird —, sichtbar werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Aber 90 % erfüllt!)

    Herr Kollege Kirst, Sie haben davon gesprochen
    — und irgendwo muß das ja innerhalb der Koalition in Einklang gebracht werden —, wir könnten uns diese Debatte voll ersparen. Herr Kollege Kirst, wenn man dieser Auffassung ist und wenn dann die Koalition die ganze Redezeit für sich beansprucht
    — es ist legitim, aber trotzdem sollte man darüber nachdenken , sehe ich den ersten Widerspruch.

    (Abg. Dr. Apel: Aber Sie reden doch! Wie können Sie das in Frage stellen!?)

    Ich sehe den zweiten Widerspruch in dem, was der Kollege Arendt gesagt hat, der diese Debatte begrüßt. Vielleicht können Sie sich im weiteren Verlauf der Debatte über diese Termini etwas einigen, damit wir hier zu einer klaren Position Ihrer Seite auch bezüglich des weiteren Verlaufs der Debatte kommen.
    Herr Kollege Hermsdorf macht uns zum Vorwurf, wir hätten zum Tagesordnungspunkt nur an den seltensten Ecken etwas gesagt. Herr Kollege Hermsdorf, man kann die Frage der inneren Reformen von mehreren Seiten sehen. Sie sehen sie — aber er ist gar nicht mehr da — von Ihrer Seite. Die Frage der inneren Reformen hat doch zwei Hintergründe. Das ist einmal der geistige Hintergrund, und das sind die Realitäten in der Realisierung, aber auch dier Hintergrund der Wirtschaftspolitik, die nämlich
    — wie ich nachher beweisen werde — im Eigentlichen das schwierigste Problem bei der Realisierung Ihrer inneren Reformen darstellt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wenn Sie, Herr Kollege Hermsdorf, nun darum bitten, auf dem Hintergrund der Wirtschaftspolitik hier keine Debatte über Wirtschaftspolitik oder über Konjunkturpolitik zu führen, dann haben Sie, so kann ich nur sagen, den Hintergrund Ihres eigenen Reformprogramms nicht erkannt, oder Sie wollen nicht über Wirtschaftspolitik diskutieren, weil dies der schwierigste Punkt bei der Realisierung Ihrer „Reformen" ist, oder Sie sind im Moment nicht dazu in der Lage, weil Herr Schiller sich einen neuen Staatssekretär suchen muß und wegen seiner Überbelastung nicht anwesend ist.

    (Abg. Dr. Apel: Das ist doch das Letzte! Sie wissen doch, wo Herr Schiller ist! Das ist doch Unsinn!)

    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 8801
    Breidbach
    -- Ich habe doch gesagt: weil er nicht anwesend ist. Herr Apel, ich bin doch noch fair dabei!
    Herr Hermsdorf, Sie haben in Ihrer Rede von Fakten gesprochen. Diese Wirtschaftspolitik und das, was hinter Ihren inneren Reformen steckt, sind auch reale Fakten. Ich möchte Ihnen — und damit möchte ich einige Passagen meiner Rede beginnen
    einmal ein Zitat aus der Regierungserklärung über die Fakten vorhalten, in dem es heißt:
    In der Bundesrepublik stehen wir vor der Notwendigkeit umfassender Reformen.
    Jetzt kommt der entscheidende Satz:
    Die Durchführung der notwendigen Reformen und ein weiteres Steigen des Wohlstandes sind nur möglich bei wachsender Wirtschaft und gesunden Finanzen.
    Mit diesem Satz stimmt die CDU/CSU voll überein. Denn diese Maxime bestimmte unsere Beschlüsse und bestimmte auch unsere Entscheidungen. Wenn Sie uns heute vorhalten, wir seien mit überhöhten Forderungen gekommen, und nicht zum gleichen Zeitpunkt sagen, daß wir schon Anfang 1970 die Bereitschaft erklärt haben, im Rahmen der Stabilität bei uns Abstriche zu machen, im Rahmen einer kooperativen Zusammenarbeit, dann fehlt eben etwas, was Sie hier hätten ausführen müssen. Das ist auch eine Frage der Redlichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben unsere ausgabenwirksamen Entscheidungen unter dieser Maxime gesehen und auch unsere Bereitschaft erklärt, den Versuch zu unternehmen, wenn notwendig Streichungen vorzunehmen, weil für uns nach wie vor Stabilität die Basis für Reformen ist.
    Wenn wir diese Binsenwahrheit in den letzten zwei Jahren formuliert haben, wurde uns sehr oft — das ist unbestreitbar — von dieser Seite des Hauses vorgeworfen, wir wollten in Panik machen oder unter Umständen verteufeln oder anderes mehr. Es wurden angebliche Alternativen aufgestellt zwischen Stabilität und Vollbeschäftigung, die es für die Union, wie wir nur immer wieder betonen können, niemals gegeben hat, auch wenn Sie versuchen, irgendwo Gegenbeweise zu führen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sehen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und inneren Reformen und ebenso einen Zusammenhang zwischen inneren Reformen und der wirtschaftlichen Entwicklung. Wer dies bestreiten will mit dem Argument, hier solle keine Debatte auf der Grundlage der Wirtschaftpolitik geführt werden, dessen Auffassung unterscheidet sich eben fundamental von unserer Auffassung. Die Interdependenz ist vorhanden, und wir wissen auch, daß ähnliche Aussagen von Mitgliedern der Bundesregierung gemacht worden sind. Gestalten Sie mir in Anbetracht der Situation, vor der wir uns befinden, darauf hinzuweisen, daß doch der Eindruck entstehen muß, als handle es sich bei
    Ihnen nur um Beteuerungsformeln. Das ist doch
    auch eine Realität, die Sie berücksichtigen müssen.
    Ich darf in diesem Zusammenhang fragen — auch das scheint ein wesentlicher Punkt in der neuen Argumentation der Bundesregierung zu sein, und das ist auch heute morgen hier wieder behauptet worden — wo wir gesagt haben, daß alle Reformen Geld kosten. Herr Kollege Kirst, die Auslegung unserer Großen Anfrage haben Sie nach Ihren Vorstellungen vorgenommen. Wir haben niemals behauptet — das wäre im übrigen auch Unsinn --, daß alle Reformen Geld kosten, sondern uns haben im Zusammenhang mit dieser Großen Anfrage speziell Ihre Positionen interessiert, die wir auf der Grundlage der Wirtschafts- und Konjunkturentwicklung zu betrachten haben. Das ist doch der Hintergrund dieser Anfrage und nicht mehr.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Fundament einer wohlverstandenen Reformpolitik ist, so meine ich, im Moment wackeliger denn je in der Geschichte der Bundesrepublik. Ob es Ihnen paßt oder nicht, die Preissteigerungen im Bereich der Lebenshaltungskosten haben die Grenze von 6 % erreicht oder auch überschritten, und wir dürfen davon ausgehen, daß eine Jahresdurchschnittsrate von 5 % zu erwarten ist. Beim Straßenbau, beim Wohnungsbau, bei den Universitäten, im Investitionsgüterbereich, überall laufen doch die Preise davon. Sie können doch statistische Auswertungen nicht in der Weise vornehmen, daß Sie sagen: Die Statistiken stimmen nicht. Da gibt es ganz klare Positionen.
    Hinzu kommen — um einmal den anderen Bereich zu nehmen — der Abbau von Überstunden, die Kurzarbeit, die wir in weitesten Bereichen haben,

    (Abg. Dr. Apel: Übertreiben Sie doch nicht so maßlos: „in weitesten Bereichen"! Was ist das wieder für ein Unsinn!)

    verbunden mit einer zunehmenden Arbeitslosigkeit. Auch das müssen wir feststellen. Daß Ihnen das nicht paßt, ist klar.

    (Abg. Dr. Apel: Machen Sie jetzt Panik oder Politik?)

    — Sie müssen einmal durchlesen, Herr Kollege Apel, was Sie 1965/66 alles gesagt haben ich habe meinen Zettelkasten hier oben —; Sie würden staunen, welche Aussagen Sie bei Preissteigerungsraten von 2,8 % gemacht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie unternehmen doch heute den Versuch, so zu tun, als habe es Preissteigerungen schon immer gegeben, und zu sagen, man müsse sich an bestimmte Preissteigerungsraten gewöhnen. Offensichtlich wollen Sie damit vertuschen, welche Stabilität der Preise in 20 Jahren CDU/CSU-Politik bestanden hat. Das können Sie nur nicht vertuschen. Ich gebe zu, Herr Kollege Apel — Sie mögen da lachen —, bei uns hat es auch Preissteigerungen gegeben. Selbstverständlich haben wir auch Fehler gemacht. Es stünde uns in Anbetracht des Fehlerkatalogs, den Sie hier für zwei Jahre vorlegen müssen, schlecht an,
    8802 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971
    Breidbach
    zu behaupten, wir hätten in den 20 Jahren keine Fehler gemacht. Aber die Preissteigerungsraten in den 20 Jahren Regierungstätigkeit der CDU/CSU nehmen sich doch nahezu als Kinderspiel aus gegenüber dem, was wir in diesen Jahren zu verzeichnen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie können nicht darüber hinwegdiskutieren, daß wir in den Preissteigerungsraten bei Wohngebäuden bei 15,9% stehen, daß wir im Straßenbau bei 15 % stehen, daß die Erhöhung der Erzeugerpreise für industrielle Produkte bei 6 %, die der Investitionsgüterpreise bei 9,5 % steht und daß, wie ich schon sagte, die Steigerung der Lebenshaltungskosten sich um 6 % herum bewegt. Wer dies bestreiten will, der redet doch wider besseres Wissen. Das ist auch Grundlage einer Reformpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Zeit, da die Preise weglaufen — und das wissen wir alle in diesem Hause gemeinsam —, muß es den Arbeitnehmern natürlich besonders schwerfallen, lohnpolitisch Zurückhaltung zu üben. Dafür haben wir, die CDU/CSU, volles Verständnis, wenn wir auf der anderen Seite auch die Gefahren und die negativen Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft mit zu berücksichtigen haben. Was die Regierung aber in dieser Hinsicht — und hier ist von den Rentenerhöhungen gesprochen worden — den Rentnern zumutet, nämlich keine Möglichkeit der Teilnahme am Wachstum des Bruttosozialprodukts in diesem Jahr wegen der Preissteigerungsraten, kann sie den Arbeitnehmern wegen vorhandener Tarifautonomie in dieser Härte natürlich nicht zumuten. Aber wir auf dieser Seite des Hauses sind einmal gespannt darauf, wie denn — und hier ist auch noch kein Wort dazu gesagt worden — die Verhandlungen im öffentlichen Dienst ausgehen werden. Hier haben Sie nur irgendwo mehr oder weniger vorsichtig 3 °/o an Lohnerhöhungen für den gesamten öffentlichen Dienst eingeplant. Wie Sie mit dieser Marge in Anbetracht einer sechsprozentigen Preissteigerungsrate hinkommen wollen, ist mir im Moment noch völlig unerklärlich.
    Wenn Sie nun den Versuch unternehmen — und wenn Sie den Jahreswirtschaftsbericht lesen, stellen Sie fest, daß Schiller mit dem Aufzeigen seiner Alternative schon begonnen hat —, die Folgen dieser Preissteigerungen und dieser Lohnerhöhungen, die nachziehen, einzig und allein auf andere abzuwälzen, dann möchte ich darauf hinweisen, daß die Folgen dieser Situation laut Professor Schiller die Bundesregierung selbst zu tragen hat. Denn Schiller war es, der 1965 erklärt hat: Der Bundeswirtschaftsminister ist verantwortlich für die Konjunktur und- die Preise, er hat keine Instrumente, warum gibt man ihm nicht das Instrument Konjunkturrat usw.? — Heute hat Professor Schiller diese Instrumente: das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, die Konzertierte Aktion, den Finanzplanungsrat, den Konjunkturrat, die Konjunkturausgleichsrücklage, Abschreibungs- und Steuervariationen usw. Mit Hilfe von Wirtschaftsprojektion und Wirtschaftsprognose, mittelfristiger Finanzplanung und Sozialbudget wurde die enge Verzahnung und Abstimmung zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik entwickelt und von Bundesarbeitsminister Katzer hier in die Überlegung einer Regierungsarbeit Mitte der sechziger Jahre eingeführt. Heute stimmt es darum einfach nicht, wenn man ein mangelhaftes Instrumentarium für Ihre mangelhafte Politik verantwortlich macht. Macht und Mittel liegen also laut Schiller aus dem Jahre 1965 bei Ihnen. Nur haben wir den Eindruck, daß Sie mit diesem Instrumentarium nichts Rechtes anfangen können.


Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ferdinand Breidbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Apel, haben Sie Verständnis dafür: Ich möchte meine Rede halten. Beim nächsten Mal können wir debattieren.

    (Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Apel: Vielleicht kommen Sie dann endlich zum Thema! Das Thema heißt nämlich innere Reformen!)

    — Ach, Herr Kollege Apel, ich weiß, daß Ihnen das wehtut.

    (Abg. Dr. Apel: Ach was, Sie sind doch feige!)

    Aber das gehört mit zu den inneren Reformen. Sie waren es doch, die versprochen haben —(Abg. Dr. Apel: Sie haben doch Angst, eine
    Zwischenfrage entgegenzunehmen!)
    — Herr Kollege Apel, Sie waren es doch, die stabile Preise

    (Abg. Dr. Apel: Ach was, Angst haben Sie, weiter nichts!)

    als Voraussetzung für innere Reformen versprochen haben, und damit müssen Sie sich nun hier oben auseinandersetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Apel, Sie können auch nicht bestreiten, daß wir uns hier in einem Teufelskreis befinden, wenn diese Entwicklung so weitergeht, nämlich in dem Teufelskreis, daß auf der einen Seite der Zwang bei den autonomen Tarifpartnern steht, die Möglichkeit des Ausgleichs für die Preissteigerungen zu schaffen, und auf der anderen Seite das ' Wollen einer Bundesregierung verbaler Art, darauf zu drücken, daß es nicht zu ganz bestimmten Gefährdungen in diesem Bereich kommt. Aber wo führte denn dieser Teufelskreis hin, weil es Ihnen nicht gelungen ist — ich darf das hier sagen —, diese Situation in den Griff zu bekommen? Er führte doch zu einer Verschlechterung der Absatzlage und zu weniger gesicherten Arbeitsplätzen.
    Gestatten Sie an dieser Stelle eine Bemerkung. Ich habe mich darüber gewundert, daß immer von der Sicherheit des Arbeitsplatzes gesprochen wird. Ich bin bisher davon ausgegangen, daß wir seit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes im Jahre 1968 endlich das Recht auf Arbeit realisieren
    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 8803
    Breidbach
    können und nicht die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die wir nicht garantieren können, wenn die wirtschaftliche und technologische Entwicklung so weiterläuft. Mir scheint doch, daß die These von der Sicherheit des Arbeitsplatzes in dem Zusammenhang Ihrer Aussagen zumindest auf einem rückschrittlichen Hintergrund zu sehen ist.
    Die Rentenerhöhung von 6,3 %, die Sie, Herr Minister Arendt, hier angekündigt haben — auch darüber läßt sich nicht hinwegdiskutieren —, wird durch die Preissteigerungsraten, die vorliegen, aufgefressen, bevor sie überhaupt eintritt. Wenn Sie das Sachverständigengutachten einmal genau durchlesen, finden Sie genau die Aussage. Und wenn der Bundesarbeitsminister oder Sie, Herr Hermsdorf, hier vorn in diesem Zusammenhang erklären, Sie hätten schon dreimal die Renten erhöht, dann gehört dazu, daß Sie diese dreimalige Rentenerhöhung nur deshalb vornehmen konnten, weil die Christlich-Demokratische Union 1957 dieses Rentengesetz geschaffen hat, das eine Dynamisierung pro Jahr vorschreibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

    — Entschuldigen Sie, die dreimalige Rentenerhöhung ist doch kein Verdienst, sondern die Zwangsläufigkeit einer gesellschaftspolitischen Konzeption der Christlichen Demokraten.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Wissen Sie, daß die SPD den ersten Gesetzentwurf eingebracht hat? — Zuruf des Abg. Stücklen.)

    Das negative Gegenwartsbild — ich darf es so bezeichnen — ist im Grunde genommen ebenso traurig wie das Zukunftsbild. Als Ausgangsbasis für ein wie immer geartetes Reformprogramm müssen wir doch — das steht im Sachverständigengutachten, das können Sie nicht hinwegdiskutieren — annehmen: 1. Die Preissteigerungsrate wird im Jahresdurchschnitt 1972 bei günstiger Kalkulation der Sachverständigen bei 4,5 % liegen. 2. Das reale Wachstum wird 1972 gleich null sein. 3. Sie werden damit rechnen müssen, daß die Vollbeschäftigungsgarantie oder eine Überbeschäftigungsgarantie, die Sie gegeben haben, im nächsten Jahr nicht mehr voll aufrechtzuerhalten ist; die Zahlen zeigen das ebenso wie die Entwicklung.
    Mit anderen Worten, wir stehen halt an einer Schwelle, die eine Stagflation vorhersehen läßt. Ernst zu nehmende Persönlichkeiten im Wirtschaftsleben weisen sogar darauf hin, daß die Schwelle zur Rezession sehr nahegerückt ist, eben weil die Bundesregierung konjunkturpolitisch versagt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Geiger.)

    — Herr Kollege Geiger, ich bin gern bereit, mit Ihnen über 1966 zu diskutieren. Dann werden Sie feststellen müssen, daß die Situation von 1966 sich aus zwei Positionen zusammengesetzt hat, nämlich einmal aus bestimmten Schwierigkeiten auf dem Binnenmarkt und zum zweiten aus bestimmten Schwierigkeiten im Bereich des Bergbaus wegen der
    Strukturkrise. Heute haben wir auch Schwierigkeiten im Binnenmarkt. Wir haben Schwierigkeiten beim Export, wir haben Schwierigkeiten des Weltwährungssystems. Darum dürfen Sie nicht mit dem Argument kommen — das diese Situation verniedlichen soll —, heute sei das gar nicht so schlimm wie 1966. Jeder Kundige in diesem Raum weiß, daß es in der Tat viel schlimmer und viel schwieriger ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe der Bundesregierung den Vorwurf des konjunkturpolitischen Versagens gemacht. Hier hat es — ich spreche vom konjunkturpolitischen Versagen, und das unterstelle ich Herrn Kollegen Schiller — nicht an der Einsicht, freilich auch nicht an Instrumenten, aber doch entscheidend an einem bestimmten Mut zur Unpopularität und an Durchsetzungsvermögen gefehlt, insbesondere wenn ich an die verlorene Schlacht von Skagerrak im Frühjahr vergangenen Jahres denke.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie sind 1969 falsch angetreten und haben bis heute nicht richtig Tritt gefaßt. Nur so kann ich das Geheimnis Ihrer verfahrenen Konjunktur- und damit auch Reformpolitik deuten. Eine andere Deutung gibt es für mich nicht. Oftmals — das darf man sagen — haben wir in letzter Zeit den Eindruck, daß Sie die wirtschaftspolitische Situation so beurteilen: Was sollen wir denn tun, wir sind ja im Moment auf Grund aller möglichen Einflüsse machtlos. Ein neustes Argument in diesem Bereich kennen wir seit einigen Wochen: Die Manager sind an der ganzen Geschichte auch nicht schuldlos. Ich warne vor dieser Argumentation, sie schmeckt mir etwas zu sehr nach einem Buch, das James Burnham 1941 geschrieben hat, nämlich nach dem „Regime der Manager", in dem der Verfasser die Politiker als Marionettenfiguren der Wirtschaft hinstellte. Wir sollten aufpassen, daß dies nicht der Fall ist und daß Ihre Resignation nicht zu einer solchen Sicht führt, weil dann in der Bevölkerung mehr in Frage gestellt wäre als nur die Bundesregierung mit ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht nun die Reihenfolge der von Ihnen propagierten Reformen aus? Ich darf hier feststellen, daß weder die erste noch die zweite Antwort auf die Großen Anfragen der Opposition betreffend innere Reformen hierüber die klare und eindeutige Auskunft gegeben hat, die wir uns gewünscht haben. Sie können so viel herumreden, wie Sie wollen, uns reicht das nicht.

    (Zuruf von der SPD: Was wollen Sie denn hören?)

    Darum gestatten Sie mir, daß ich die Frage I unserer Großen Anfrage hier noch einmal zitiere. Vielleicht hilft das etwas, damit wir eine Basis zu einer weiteren Diskussion finden. Wir haben gefragt:
    Ist die Bundesregierung jetzt bereit, dem Deutschen Bundestag den Inhalt ihres in zeitlicher, sachlicher und finanzieller Hinsicht überprüften und fortgeschriebenen Arbeitsprogramms be-
    8804 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971
    Breidbach
    kanntzugeben und dabei insbesondere folgende Fragen zu beantworten:
    1. Welche Teile der Sachplanung der Bundesregierung sollen nach dem revidierten Arbeitsprogramm in dieser Legislaturperiode erreicht werden?
    2. Welche Teile des bisherigen Arbeitsprogramms kann die Bundesregierung auf Grund der inzwischen notwendig gewordenen Konsolidierung der Finanzplanung in dieser Legislaturperiode nicht mehr realisieren?
    3. Welchen Stand haben die Planungen und Vorarbeiten der Bundesregierung bei denjenigen Zielsetzungen und Vorhaben erreicht,
    a) deren Verwirklichung bis zum Ende dieser Legislaturperiode eingeleitet werden soll,
    b) deren längerfristige Lösung sie in dieser Legislaturperiode voranbringen will,
    c) deren längerfristige Lösung sie in dieser Legislaturperiode vorbereiten will,
    d) für die sie bis zum-Ende der Legislaturperiode zunächst Konzeptionen entwikkeln will?
    Mehr sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen Ihre Pläne als Antwort auf unsere Große Anfrage schon deutlicher auf den Tisch legen, was die Reihenfolge und die Aussage angeht, wenn die Öffentlichkeit endlich erfahren soll, wohin die Reise I im letzten gehen soll.

    (Abg. Geiger: Was sollen diese Formulierungen?)

    — Herr Kollege Geiger, offensichtlich hat doch auch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Wählerinitiative, Herr Graß, diese Schwierigkeiten erkannt
    — ich darf es einmal vorsichtig ausdrücken —, als er im Frühjahr in einer Rede vor Ihrer Fraktion den Versuch unternommen hat, Ihnen die Leviten zu lesen, weil selbst er die Prioritäten dieser Reformpolitik noch nicht erkannt hat. Er hat Ihnen dann auch eine Reihe von Vorschlägen dazu gemacht.
    Die in der Beantwortung unserer Anfrage sichtbare Konzeptionslosigkeit — teilweise vermuten wir ganz bestimmte Einsichten —, aber auch die Widersprüchlichkeit zeigt sich doch auf mehreren Gebieten. Im Bereich der Bildung wurden gegenüber der vorjährigen Finanzplanung 3,7 Milliarden DM gestrichen. Ebenfalls entfallen die von Minister Leussink geforderten 3,8 Milliarden DM Planungsreserve. Insgesamt ist das in diesem Bereich eine Kürzung von 7,5 Milliarden DM. Damit erreichen doch --auch das können Sie nicht verschweigen — die Bildungsaufgaben bis 1975 lediglich einen Anteil der Gesamtausgaben von 7,3 %. Dieser Satz sollte doch nach der alten mittelfristigen Finanzplanung schon bis 1973 erreicht sein. Obwohl Sie im Schulbau 40,1 % und beim Hochschulbau 50,8 % mehr zur Verfügung stellten, konnten doch real nur 16,8 % bzw. 25,7 °/o verbucht werden. Mit viel Geld wurde also wenig, viel zuwenig erreicht. Wir müssen deshalb heute sagen: Die Zeit der unverbindlichen Ankündigungen und der vieldeutigen Versprechungen, der klugen Aufsätze und schönen Reden zur Bildungspolitik muß zu Ende sein. Es kommt nur noch auf Tatsachen an. Dies sagen wir in wörtlicher Übereinstimmung mit dem doch nicht unserer Fraktion, sondern Ihrer Fraktion nahestehenden Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Er hat genau dies unter dem 1. November 1971 in der „Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung" bei der Betrachtung Ihres Haushalts und Ihrer Reformen im Bereich der Bildung geschrieben.

    (Abg. Stücklen: Laßt alle Hoffnung fahren!" hat er geschrieben!)

    — Er hat noch mehr geschrieben. Man muß das einmal wahrhaben wollen. Das sind doch gutgemeinte Ratschläge aus dem eigenen Lager; sie kommen doch nicht von der böswilligen Opposition.

    (Abg. Stücklen: Sehr richtig!)

    Zur Vermögensbildung steht in Ihrer Antwort lapidar:
    Die Bundesregierung bereitet einen Gesetzentwurf zur überbetrieblichen Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Zuwachs des Produktivvermögens vor.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Ankündigung kennen wir schon. Allerdings hieß es in der Antwort auf unsere erste Große Anfrage in dieser Hinsicht, daß noch bis zum Sommer dieses Jahres dieser Vorschlag betreffend den Beteiligungslohn oder aber ein Vorschlag zur Beteiligung am Zuwachs des Produktivitätsvermögens vorliegen solle. Er liegt nicht vor. Die Antwort ist nur reduziert worden. Die Ankündigungen, die jetzt wieder gemacht worden sind, reichen nicht aus. Hier müssen Sie präzise Stellung beziehen.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Aber Rosenthal liegt darnieder!)

    Diese Ankündigung, die jetzt wieder gemacht worden ist, hilft doch auch nicht darüber hinweg, daß die Sparer im letzten Jahr — und das im Zeichen innerer Reformen -- 23 Milliarden DM verloren haben. Herr Kollege Buschfort, auch das ist keine Behauptung der bösen Opposition. Das können Sie in den neuesten Stellungnahmen der Sparerschutzgemeinschaft lesen. Dort steht das. Wir wollen Ihnen dies hier einmal vor Augen führen. Ich habe zwar nicht den Verdacht, daß Sie das nicht gelesen haben, aber ich habe den Verdacht, daß Sie — vielleicht ist das aus Ihrer Sicht sogar legitim — über diese Zahlen nicht sprechen wollen, daß sie diese Situation schamhaft verschweigen wollen.

    (Abg. Buschfort: Sagen Sie mal etwas über die Gewinne!)

    Sie verschweigen, obwohl wir in unserer Großen Anfrage explizit danach gefragt haben, auch, daß Sie zwar 7,3 % mehr Mittel für den Straßenbau zur Verfügung gestellt haben, daß aber nach Abzug der Preissteigerungsraten in diesem Jahr ein Minus von 8,8 % zu verzeichnen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht es denn konkret mit den Reformvorstellungen der Bundesregierung im
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    Breidbach
    Bereich des Straßenbaus für die Jahre 1972 und folgende aus? Wie wollen Sie das durch die Preissteigerungsraten Versäumte nachholen? Oder bestehen Sie immer noch auf den Versprechungen, die Sie in der Regierungserklärung für cien Bereich der Verkehrspolitik gegeben haben?
    Herr Kollege Müller-Hermann hat schon erwähnt, daß Sie mittels dieser Großen Anfrage die Gelegenheit erhalten sollten, detailliert auszubreiten, was der Kanzler am 2. Februar 1971 in diesem Hause ausgeführt hat. Sie können doch, wenn ich Ihnen dieses Zitat vorhalte, nicht sagen, daß wir hier böswillig fragen. Wir wollen nur wissen, ob Sie Konsequenzen daraus gezogen haben. Der Kanzler hat gesagt:
    Aber ich vergebe mir gar nichts, meine Damen und Herren, wenn ich in allem Freimut hinzufüge: wenn ich die Regierungserklärung heute neu vorzulegen hätte, würde ich sie natürlich, gestützt auf die Erfahrung zu manchen Punkten, was den zeitlichen Ablauf angeht, und auch, was die finanziellen Möglichkeiten angeht, konkreter und präziser formulieren.
    Wo ist nun in Ihrer Antwort die konkretere und präzisere Formulierung Ihrer Vorstellungen zu einzelnen Punkten geblieben? Warum geben Sie keine ausreichende Antwort, und warum weichen Sie aus? Das ist in dieser Antwort an einer Reihe von Stellen nachzuweisen, wie wir im Laufe der Debatte noch sichtbar machen werden.
    Ein Reformwerk -- das wissen Sie genausogut wie wir setzt sich doch immer aus Reformwerken der Einzelhaushalte zusammen. Immer dann, wenn es in den einzelnen Haushalten nicht mehr stimmt, gerät doch das ganze Bild ins Wanken. So auch hier. Reformen, die Sie auf Grund von Preissteigerungen nicht voll durchziehen können, müssen doch aufgeschoben werden. Das bedeutet eine Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung. Schon allein diese Korrektur könnte doch nicht ohne Bedenken hingenommen werden.
    Etwas anderes geschieht jedoch, und das scheint uns viel schwerwiegender zu sein. Im Laufe der Zeit, wenn Sie über zwei, drei Jahre einiges aufschieben müssen, weil Sie keine Stabilitätspolitik betreiben konnten, schieben Sie doch auch die Probleme vor sich her, deren nominalen Finanzbedarf Sie aber falsch eingeschätzt haben.
    Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich davor warnen, irgendwann einmal die Flucht in die Verschuldung zu suchen. Wir haben grundsätzlich nichts gegen die Verschuldung. Aber sie wird gefährlich, wenn sie überhöht ist und wenn die Schuldenaufnahme des Staates nicht auf der Grundlage einer abgesicherten und soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik erfolgt.
    Wir können es uns nicht leisten, den Finanzspielraum für zukünftige Generationen einzuengen; denn auch zukünftige Generationen haben ein Recht darauf, aus ihrer Manövriermasse das zu finanzieren, was sie finanzieren müssen, um den Spielraum für eine Gestaltung von Staat und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu erhalten.
    Die Länder und Gemeinden, die in weiten Bereichen, vor allem beim Verkehr, bei der Bildung, beim Wohnungsbau und beim Umweltschutz, nicht nur die Mittel für die Finanzierung der Investitionen aufzubringen haben, sondern auch die Folgekosten allein tragen müssen, sind doch wegen der Preis-und Kostensteigerung der letzten zwei Jahre und wegen ihres hohen Personal- und Investitionsanteils arg in Bedrängnis geraten. Der Hinweis darauf, Herr Kollege Hermsdorf, daß Sie nun schnell den Finanzausgleich finden wollen, reicht nicht aus. Sie müssen ihn finden. Die Situation war für die Länder und Gemeinden noch nie so ernst wie zum jetzigen Zeitpunkt. Sie stehen unter dem Zwang, unter den Sie sie selber gebracht haben. Das ist doch kein Erfolg, sondern das ist der Zugzwang, in den Sie sich hier selbst gebracht haben.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr richtig!)

    Nach der derzeit noch gültigen Steuerverteilung - es soll ja eine neue kommen, wie vage vorhergesagt worden ist — werden die Länder und Gemeinden Mehrausgaben nur mit 4,5 % aus Steuereinnahmen finanzieren können, der Bund jedoch mit 6,8%. Die Gesamtverschuldung der Länder und Gemeinden wird darum wesentlich schneller wachsen als die des Bundes. Gewaltige Deckungslücken werden unausweichlich. Wie sollen die Deckungslücken der Länder verringert werden? Etwa auf Kosten des Bundeshaushalts? Wollen Sie das mit weiteren Steuererhöhungen machen? Darauf hätten Sie eine präzisere Antwort geben müssen. Sie müssen Auskunft geben, wie die Finanzierung dieser Deckungslücken erfolgen soll, damit die Opposition klar sehen kann, welche Manövriermasse Sie in den nächsten zwei Jahren oder im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung noch zur Verfügung haben. Das ist doch ein entscheidender Punkt. Die Opposition hätte deshalb von der Regierung erwartet, daß sie bei der Beantwortung der Frage 2 etwas deutlicher auf die Situation eingegangen wäre. Wenn man die Antwort auf diese Frage 2 liest, muß man doch annehmen, daß es das Problem „Länder und Gemeinden" zumindest beim Niederschreiben Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage betreffend Arbeitsprogramm der Bundesregierung für Sie praktisch nicht gegeben hat. Überhaupt habe ich das Gefühl, daß Ihnen einige konkrete Fragen weniger am Herzen liegen die Äußerungen, die hier von den Sprechern der Regierungsparteien gemacht worden sind, beweisen das als eine in weiten Bereichen abstrakte Reformargumentation.
    An dieser Stelle darf ich einmal darauf hinweisen -- ich halte das einfach für notwendig, weil die Diskussion immer wieder aufgekocht wird —, daß auch bei uns früher das Wort „Reform" gebraucht wurde, aber mit einem völlig anderen Augenmaß. In 20 Jahren CDU 'CSU-Regierung haben wir damit — der Kollege Müller-Hermann hat das heute schon ausgeführt — politische Grundsatzentscheidungen bezeichnet. Dazu gehören: Die soziale Marktwirtschaft, die Einführung der Mitbestimmung in der Montanindustrie, Lastenausgleich, das Wohnungsbaugesetz, die Rentenreform, auf die Sie sich heute berufen und die Sie weiterzuentwickeln versuchen
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    — wir werden uns daran beteiligen; wir müssen nur die richtige Konzeption gemeinsam finden —, die Ansätze der Sparförderung, der Bausparförderung und vieles mehr. Das waren Reformen nach unserer Vorstellung von dem Begriff „Reform". Nur diese bedeutsamen Schritte haben wir mit dem Etikett „Reform" versehen. Sie haben diesem Wort
    — das ist nicht nur unser Eindruck, sondern auch der in der Öffentlichkeit — einen völlig anderen Sinn gegeben. Ich behaupte, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie taten dies in voller Absicht. Sie taten dies doch nicht zuletzt in der Absicht des Public-Relations-Effekts, den Sie mit der Etikettierung „innere Reformen" erhofften; denn was Sie mit diesem Begriff wollen, ist doch eine Bewußtseinsbeeinflussung oder vielleicht noch besser eine Unterbewußtseinsbeeinflussung. Das Wort „Reform" und der Zusatz „innere Reform" soll doch unlösbar mit der SPD/FDP-Regierung verbunden werden; der offizielle Sprachgebrauch soll nicht mehr „Bundesregierung", sondern „Regierung der inneren Reformen" lauten. Sie wollen damit das Positiv-Attribut in das Unterbewußtsein hineinbringen und damit verhindern, daß es vielleicht im letzten auf der Grundlage von Leistung noch reflektiert wird. Und dabei spekulieren Sie doch — auch das ist zu vermuten — auf die Neigung des Bürgers, so gut über die Lippen gehende Zusätze sogleich zu assimilieren. Ich habe die Hoffnung, daß dies erkannt wird, erkannt wird deshalb, weil Sie nicht vom Tisch weisen können, daß mit diesem Begriff der inneren Reformen, mit dieser Unterbewußtseinsbeeinflussung der Wahlkampf 1973 vorbereitet werden soll, und zwar dergestalt, daß die Regierungsparteien sich von Anfang an auf einem erhöhten Podest der inneren Reformen befinden und dort stehen, während die gewöhnlichen Parteien als antireformerisch verschrien werden sollen oder in die antireformerische Ecke gebracht werden sollen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, gleichzeitig mit der eigenen Aufwertung durch den Begriff der „inneren Reformen" haben Sie — ich unterstelle Ihnen nichts, ob gewollt oder ungewollt — die Opposition — lesen Sie sich die Rede des Bundeskanzlers zur ersten Großen Anfrage einmal durch! — doch in eine reaktionäre bzw. konservative Ecke drängen wollen. Sie haben hier in diesem Hause die Alternative zwischen Reform und Reaktion konstruiert, die schlicht und einfach nicht existiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Polarisierungsformel stammt nicht von uns, auch wenn der Versuch insbesondere draußen im Lande unternommen werden soll, sie uns anzuhängen. Mit aller Deutlichkeit sagen wir darum hier, daß es nicht um Reformer oder um Reformunwillige geht. Es geht einfach um das richtige Augenmaß und um das Machbare und das Mögliche. Sie verbinden angebliche Reformunwilligkeit mit dem Propagandaargument von der Alternativlosigkeit der Opposition, wie dies ja hier heute wieder geschehen ist. Dabei verschweigen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesem Hause zahlreiche Alternativgesetze vorgelegt hat, über 70 an der Zahl, und mir scheint, daß
    Sie sich diese Zahl auch einmal einprägen sollten. Wer hier in diesem Parlament sitzt und durch unsere Initiativen zum Teil — auch das können Sie nicht verschweigen — selbst gezwungen wurde, tätig zu werden, konkrete Verbesserungsvorschläge gleichzeitig auch noch niedergestimmt hat, Gesetzentwürfe der CDU/CSU-Fraktion auf Eis legte und wer selbst kein Konzept hat, das den eigenen Ansprüchen gerecht wird, der betreibt doch, wenn er uns Alternativlosigkeit vorwirft, eine Irreführung und unternimmt damit den Versuch einer Konfrontation und nicht der von uns gewünschten Kooperation.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie können doch auch nicht den Eindruck erwekken — und hier gibt es in der letzten Zeit so manche Äußerungen, als sollten wir mit in die Ecke hineinkommen; das klang heute einige Male wieder an —, als ob die Opposition an den Umständen Verantwortung und Schuld trägt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diese Ecke können Sie uns nicht hineinbekommen, denn für uns hat es Zielkonflikte wie etwa den zwischen Vollbeschäftigung und Stabilität im Grunde genommen nie gegeben. Aber Sie haben doch den Zielkonflikt gefahrvoll verschärft. Das können Sie heute nicht mehr bestreiten. Wir haben auf diesen Zielkonflikt im Rahmen der früheren Debatten über innere Reformen frühzeitig hingewiesen. Wir haben aber im letzten nur den Erfolg verzeichnen können, daß unsere Warnungen zunächst einmal als Panikmache abgetan wurden. Der Bundeskanzler hat im Frühjahr dieses Jahres die Formulierung übernommen, daß — wie ich hier schon ausgeführt habe — Stabilität Voraussetzung für Reformen ist. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, vom Sprechen wird diese Situation und die Grundlage, auf der sich Ihr sogenanntes Reformprogramm entwickeln kann, nicht besser. Darum müssen Sie sich überlegen, ob es nicht eine echte und wichtige Reform wäre, das zu tun, was der Bundeskanzler im Frühjahr angedeutet hat: nämlich Ihr Programm der inneren Reform zu reformieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was Sie uns in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage alles als Reformwerke verkaufen wollen

    (Zuruf des Abg. Dr. Schäfer)

    — entschuldigen Sie vielmals, Herr Kollege Dr. Schäfer —, wirkt in manchen Punkten doch nahezu peinlich. Herr Kollege Müller-Hermann hat heute morgen schon einige aufgezählt. Ich tue es ebenfalls, weil es so schön ist: das Bundeszentralregistergesetz, das Zustimmungsgesetz zur Gaszentrifugenzusammenarbeit, das Gesetz über eine Bundesstatistik für das Hochschulwesen. Ferner sind die vom Kabinett beschlossenen Gesetze zu nennen, z. B. das Gesetz über die Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens über Detergentien. Dann gibt es noch weitere „Reformwerke", und zwar unter den Ziffern 8, 12, 14, 15 und 18 Ihrer Antwort. Sie können sich das ja selbst durchlesen. Ich will den Wert dieser Gesetze nicht mindern; das steht mir nicht an. Aber ich glaube, daß die Aufforderung legitim ist, völlig normale Vorgänge im Regierungsapparat, in der Regierungsarbeit nicht gleich zu Reformwerken
    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 8807
    Breidbach
    zu machen. Herr Kollege Müller-Hermann hat davon gesprochen, daß Sie sonst neben anderen Inflationen auch noch eine Inflationierung des Reformbegriffs erhalten.

    (Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/ CSU. Abg. Katzer: So ist es!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht Ihre Maßstäbe zugrunde legen. Es wäre sonst für uns sehr einfach, darauf hinzuweisen, daß wir auf der Grundlage Ihrer Maßstäbe 1914 Reformwerke — das hat jemand einmal ausgezählt — verabschiedet haben. Weil wir das aber nicht mit dem Etikett „Reformwerke" versehen haben, ist es nicht zu einer Reformverwirrung und zu einer verwirrenden Diskussion über innere Reformen gekommen, wie sich z. B. bei der Diskussion über das Debakel der Steuerreform sehr deutlich gezeigt hat.
    Ich möchte Ihnen einmal am Beispiel der Steuerreform zeigen, wohin Ihre Überlegungen führen. In der Regierungserklärung war noch angekündigt worden, daß die Steuerlastquote des Jahres 1969 nicht erhöht werde, sondern daß zwei Steuersenkungen durchgeführt werden sollten. Man ist aber schnell von den Steuersenkungen abgegangen, und man begann auch in Ihren Reihen Steuererhöhungen zu diskutieren. Die Vorlage eines geschlossenen und endgültigen Konzepts hätte die Wirtschaft — weil Steuerreform notwendig ist — sicherlich nicht durcheinandergebracht, wenn auch an der einen oder anderen Stelle — das ist eine Frage der politischen Initiativen — mehr oder weniger stark belastet. Man hätte sich dann darüber unterhalten müssen, ob Belastungen in bestimmten Bereichen unausweichlich sind und ob man in anderen Bereichen Belastungen vornehmen kann; das gebe ich zu. Aber dieses Hickhack und Durcheinander, das Sie gerade in der Steuerreformdiskussion produzierten, mußte doch einfach zu Unsicherheiten führen. Wir hatten in dieser Diskussion zunächst einmal das Votum der Mehrheit und dann das Votum der Minderheit der Steuerreformkommission. Dazu kamen die Vorstellungen des früheren Bundesfinanzministers Alex Möller, z. B. in seinem Vortrag vor dem Steuerkongreß am 10. Mai 1971, wenige Tage vor seinem symptomatischen Rücktritt. Dann kamen die Beschlüsse des Kabinetts vom 11. Juli 1971, dann die Beschlüsse vom 28./29. Oktober 1971. Hinzu kommt die Flut der Vorstellungen für Ihren Außerordentlichen Parteitag.
    Wenn Sie sich diese Entwicklung einmal näher anschauen, können Sie nicht davon ausgehen, daß in der Frage der Steuerreform noch mit rationalen Argumenten diskutiert wird. Aber wir wollen in diesem Bereich die rationale Argumentation, damit wir eine vernünftige Basis erhalten, um nach vorn zu kommen, damit wir nicht eine Basis bekommen, die uns in Schwierigkeiten bringen kann, die im letzten Verunsicherung bedeutet

    (Abg. Dr. Schellenberg: Die Redezeit ist abgelaufen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    und die auch zu Verwischungen der Grenzen führt; und Sie haben doch Grenzen verwischt, z. B. die Grenze zwischen dem Wünschbaren und dem Realisierbaren.