Rede von
Ferdinand
Breidbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Apel, haben Sie Verständnis dafür: Ich möchte meine Rede halten. Beim nächsten Mal können wir debattieren.
— Ach, Herr Kollege Apel, ich weiß, daß Ihnen das wehtut.
Aber das gehört mit zu den inneren Reformen. Sie waren es doch, die versprochen haben —(Abg. Dr. Apel: Sie haben doch Angst, eine
Zwischenfrage entgegenzunehmen!)
— Herr Kollege Apel, Sie waren es doch, die stabile Preise
als Voraussetzung für innere Reformen versprochen haben, und damit müssen Sie sich nun hier oben auseinandersetzen.
Herr Kollege Apel, Sie können auch nicht bestreiten, daß wir uns hier in einem Teufelskreis befinden, wenn diese Entwicklung so weitergeht, nämlich in dem Teufelskreis, daß auf der einen Seite der Zwang bei den autonomen Tarifpartnern steht, die Möglichkeit des Ausgleichs für die Preissteigerungen zu schaffen, und auf der anderen Seite das ' Wollen einer Bundesregierung verbaler Art, darauf zu drücken, daß es nicht zu ganz bestimmten Gefährdungen in diesem Bereich kommt. Aber wo führte denn dieser Teufelskreis hin, weil es Ihnen nicht gelungen ist — ich darf das hier sagen —, diese Situation in den Griff zu bekommen? Er führte doch zu einer Verschlechterung der Absatzlage und zu weniger gesicherten Arbeitsplätzen.
Gestatten Sie an dieser Stelle eine Bemerkung. Ich habe mich darüber gewundert, daß immer von der Sicherheit des Arbeitsplatzes gesprochen wird. Ich bin bisher davon ausgegangen, daß wir seit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes im Jahre 1968 endlich das Recht auf Arbeit realisieren
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können und nicht die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die wir nicht garantieren können, wenn die wirtschaftliche und technologische Entwicklung so weiterläuft. Mir scheint doch, daß die These von der Sicherheit des Arbeitsplatzes in dem Zusammenhang Ihrer Aussagen zumindest auf einem rückschrittlichen Hintergrund zu sehen ist.
Die Rentenerhöhung von 6,3 %, die Sie, Herr Minister Arendt, hier angekündigt haben — auch darüber läßt sich nicht hinwegdiskutieren —, wird durch die Preissteigerungsraten, die vorliegen, aufgefressen, bevor sie überhaupt eintritt. Wenn Sie das Sachverständigengutachten einmal genau durchlesen, finden Sie genau die Aussage. Und wenn der Bundesarbeitsminister oder Sie, Herr Hermsdorf, hier vorn in diesem Zusammenhang erklären, Sie hätten schon dreimal die Renten erhöht, dann gehört dazu, daß Sie diese dreimalige Rentenerhöhung nur deshalb vornehmen konnten, weil die Christlich-Demokratische Union 1957 dieses Rentengesetz geschaffen hat, das eine Dynamisierung pro Jahr vorschreibt.
— Entschuldigen Sie, die dreimalige Rentenerhöhung ist doch kein Verdienst, sondern die Zwangsläufigkeit einer gesellschaftspolitischen Konzeption der Christlichen Demokraten.
Das negative Gegenwartsbild — ich darf es so bezeichnen — ist im Grunde genommen ebenso traurig wie das Zukunftsbild. Als Ausgangsbasis für ein wie immer geartetes Reformprogramm müssen wir doch — das steht im Sachverständigengutachten, das können Sie nicht hinwegdiskutieren — annehmen: 1. Die Preissteigerungsrate wird im Jahresdurchschnitt 1972 bei günstiger Kalkulation der Sachverständigen bei 4,5 % liegen. 2. Das reale Wachstum wird 1972 gleich null sein. 3. Sie werden damit rechnen müssen, daß die Vollbeschäftigungsgarantie oder eine Überbeschäftigungsgarantie, die Sie gegeben haben, im nächsten Jahr nicht mehr voll aufrechtzuerhalten ist; die Zahlen zeigen das ebenso wie die Entwicklung.
Mit anderen Worten, wir stehen halt an einer Schwelle, die eine Stagflation vorhersehen läßt. Ernst zu nehmende Persönlichkeiten im Wirtschaftsleben weisen sogar darauf hin, daß die Schwelle zur Rezession sehr nahegerückt ist, eben weil die Bundesregierung konjunkturpolitisch versagt hat.
— Herr Kollege Geiger, ich bin gern bereit, mit Ihnen über 1966 zu diskutieren. Dann werden Sie feststellen müssen, daß die Situation von 1966 sich aus zwei Positionen zusammengesetzt hat, nämlich einmal aus bestimmten Schwierigkeiten auf dem Binnenmarkt und zum zweiten aus bestimmten Schwierigkeiten im Bereich des Bergbaus wegen der
Strukturkrise. Heute haben wir auch Schwierigkeiten im Binnenmarkt. Wir haben Schwierigkeiten beim Export, wir haben Schwierigkeiten des Weltwährungssystems. Darum dürfen Sie nicht mit dem Argument kommen — das diese Situation verniedlichen soll —, heute sei das gar nicht so schlimm wie 1966. Jeder Kundige in diesem Raum weiß, daß es in der Tat viel schlimmer und viel schwieriger ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe der Bundesregierung den Vorwurf des konjunkturpolitischen Versagens gemacht. Hier hat es — ich spreche vom konjunkturpolitischen Versagen, und das unterstelle ich Herrn Kollegen Schiller — nicht an der Einsicht, freilich auch nicht an Instrumenten, aber doch entscheidend an einem bestimmten Mut zur Unpopularität und an Durchsetzungsvermögen gefehlt, insbesondere wenn ich an die verlorene Schlacht von Skagerrak im Frühjahr vergangenen Jahres denke.
Sie sind 1969 falsch angetreten und haben bis heute nicht richtig Tritt gefaßt. Nur so kann ich das Geheimnis Ihrer verfahrenen Konjunktur- und damit auch Reformpolitik deuten. Eine andere Deutung gibt es für mich nicht. Oftmals — das darf man sagen — haben wir in letzter Zeit den Eindruck, daß Sie die wirtschaftspolitische Situation so beurteilen: Was sollen wir denn tun, wir sind ja im Moment auf Grund aller möglichen Einflüsse machtlos. Ein neustes Argument in diesem Bereich kennen wir seit einigen Wochen: Die Manager sind an der ganzen Geschichte auch nicht schuldlos. Ich warne vor dieser Argumentation, sie schmeckt mir etwas zu sehr nach einem Buch, das James Burnham 1941 geschrieben hat, nämlich nach dem „Regime der Manager", in dem der Verfasser die Politiker als Marionettenfiguren der Wirtschaft hinstellte. Wir sollten aufpassen, daß dies nicht der Fall ist und daß Ihre Resignation nicht zu einer solchen Sicht führt, weil dann in der Bevölkerung mehr in Frage gestellt wäre als nur die Bundesregierung mit ihrer Politik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht nun die Reihenfolge der von Ihnen propagierten Reformen aus? Ich darf hier feststellen, daß weder die erste noch die zweite Antwort auf die Großen Anfragen der Opposition betreffend innere Reformen hierüber die klare und eindeutige Auskunft gegeben hat, die wir uns gewünscht haben. Sie können so viel herumreden, wie Sie wollen, uns reicht das nicht.
Darum gestatten Sie mir, daß ich die Frage I unserer Großen Anfrage hier noch einmal zitiere. Vielleicht hilft das etwas, damit wir eine Basis zu einer weiteren Diskussion finden. Wir haben gefragt:
Ist die Bundesregierung jetzt bereit, dem Deutschen Bundestag den Inhalt ihres in zeitlicher, sachlicher und finanzieller Hinsicht überprüften und fortgeschriebenen Arbeitsprogramms be-
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kanntzugeben und dabei insbesondere folgende Fragen zu beantworten:
1. Welche Teile der Sachplanung der Bundesregierung sollen nach dem revidierten Arbeitsprogramm in dieser Legislaturperiode erreicht werden?
2. Welche Teile des bisherigen Arbeitsprogramms kann die Bundesregierung auf Grund der inzwischen notwendig gewordenen Konsolidierung der Finanzplanung in dieser Legislaturperiode nicht mehr realisieren?
3. Welchen Stand haben die Planungen und Vorarbeiten der Bundesregierung bei denjenigen Zielsetzungen und Vorhaben erreicht,
a) deren Verwirklichung bis zum Ende dieser Legislaturperiode eingeleitet werden soll,
b) deren längerfristige Lösung sie in dieser Legislaturperiode voranbringen will,
c) deren längerfristige Lösung sie in dieser Legislaturperiode vorbereiten will,
d) für die sie bis zum-Ende der Legislaturperiode zunächst Konzeptionen entwikkeln will?
Mehr sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen Ihre Pläne als Antwort auf unsere Große Anfrage schon deutlicher auf den Tisch legen, was die Reihenfolge und die Aussage angeht, wenn die Öffentlichkeit endlich erfahren soll, wohin die Reise I im letzten gehen soll.
— Herr Kollege Geiger, offensichtlich hat doch auch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Wählerinitiative, Herr Graß, diese Schwierigkeiten erkannt
— ich darf es einmal vorsichtig ausdrücken —, als er im Frühjahr in einer Rede vor Ihrer Fraktion den Versuch unternommen hat, Ihnen die Leviten zu lesen, weil selbst er die Prioritäten dieser Reformpolitik noch nicht erkannt hat. Er hat Ihnen dann auch eine Reihe von Vorschlägen dazu gemacht.
Die in der Beantwortung unserer Anfrage sichtbare Konzeptionslosigkeit — teilweise vermuten wir ganz bestimmte Einsichten —, aber auch die Widersprüchlichkeit zeigt sich doch auf mehreren Gebieten. Im Bereich der Bildung wurden gegenüber der vorjährigen Finanzplanung 3,7 Milliarden DM gestrichen. Ebenfalls entfallen die von Minister Leussink geforderten 3,8 Milliarden DM Planungsreserve. Insgesamt ist das in diesem Bereich eine Kürzung von 7,5 Milliarden DM. Damit erreichen doch --auch das können Sie nicht verschweigen — die Bildungsaufgaben bis 1975 lediglich einen Anteil der Gesamtausgaben von 7,3 %. Dieser Satz sollte doch nach der alten mittelfristigen Finanzplanung schon bis 1973 erreicht sein. Obwohl Sie im Schulbau 40,1 % und beim Hochschulbau 50,8 % mehr zur Verfügung stellten, konnten doch real nur 16,8 % bzw. 25,7 °/o verbucht werden. Mit viel Geld wurde also wenig, viel zuwenig erreicht. Wir müssen deshalb heute sagen: Die Zeit der unverbindlichen Ankündigungen und der vieldeutigen Versprechungen, der klugen Aufsätze und schönen Reden zur Bildungspolitik muß zu Ende sein. Es kommt nur noch auf Tatsachen an. Dies sagen wir in wörtlicher Übereinstimmung mit dem doch nicht unserer Fraktion, sondern Ihrer Fraktion nahestehenden Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Er hat genau dies unter dem 1. November 1971 in der „Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung" bei der Betrachtung Ihres Haushalts und Ihrer Reformen im Bereich der Bildung geschrieben.
— Er hat noch mehr geschrieben. Man muß das einmal wahrhaben wollen. Das sind doch gutgemeinte Ratschläge aus dem eigenen Lager; sie kommen doch nicht von der böswilligen Opposition.
Zur Vermögensbildung steht in Ihrer Antwort lapidar:
Die Bundesregierung bereitet einen Gesetzentwurf zur überbetrieblichen Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Zuwachs des Produktivvermögens vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Ankündigung kennen wir schon. Allerdings hieß es in der Antwort auf unsere erste Große Anfrage in dieser Hinsicht, daß noch bis zum Sommer dieses Jahres dieser Vorschlag betreffend den Beteiligungslohn oder aber ein Vorschlag zur Beteiligung am Zuwachs des Produktivitätsvermögens vorliegen solle. Er liegt nicht vor. Die Antwort ist nur reduziert worden. Die Ankündigungen, die jetzt wieder gemacht worden sind, reichen nicht aus. Hier müssen Sie präzise Stellung beziehen.
Diese Ankündigung, die jetzt wieder gemacht worden ist, hilft doch auch nicht darüber hinweg, daß die Sparer im letzten Jahr — und das im Zeichen innerer Reformen -- 23 Milliarden DM verloren haben. Herr Kollege Buschfort, auch das ist keine Behauptung der bösen Opposition. Das können Sie in den neuesten Stellungnahmen der Sparerschutzgemeinschaft lesen. Dort steht das. Wir wollen Ihnen dies hier einmal vor Augen führen. Ich habe zwar nicht den Verdacht, daß Sie das nicht gelesen haben, aber ich habe den Verdacht, daß Sie — vielleicht ist das aus Ihrer Sicht sogar legitim — über diese Zahlen nicht sprechen wollen, daß sie diese Situation schamhaft verschweigen wollen.
Sie verschweigen, obwohl wir in unserer Großen Anfrage explizit danach gefragt haben, auch, daß Sie zwar 7,3 % mehr Mittel für den Straßenbau zur Verfügung gestellt haben, daß aber nach Abzug der Preissteigerungsraten in diesem Jahr ein Minus von 8,8 % zu verzeichnen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht es denn konkret mit den Reformvorstellungen der Bundesregierung im
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Bereich des Straßenbaus für die Jahre 1972 und folgende aus? Wie wollen Sie das durch die Preissteigerungsraten Versäumte nachholen? Oder bestehen Sie immer noch auf den Versprechungen, die Sie in der Regierungserklärung für cien Bereich der Verkehrspolitik gegeben haben?
Herr Kollege Müller-Hermann hat schon erwähnt, daß Sie mittels dieser Großen Anfrage die Gelegenheit erhalten sollten, detailliert auszubreiten, was der Kanzler am 2. Februar 1971 in diesem Hause ausgeführt hat. Sie können doch, wenn ich Ihnen dieses Zitat vorhalte, nicht sagen, daß wir hier böswillig fragen. Wir wollen nur wissen, ob Sie Konsequenzen daraus gezogen haben. Der Kanzler hat gesagt:
Aber ich vergebe mir gar nichts, meine Damen und Herren, wenn ich in allem Freimut hinzufüge: wenn ich die Regierungserklärung heute neu vorzulegen hätte, würde ich sie natürlich, gestützt auf die Erfahrung zu manchen Punkten, was den zeitlichen Ablauf angeht, und auch, was die finanziellen Möglichkeiten angeht, konkreter und präziser formulieren.
Wo ist nun in Ihrer Antwort die konkretere und präzisere Formulierung Ihrer Vorstellungen zu einzelnen Punkten geblieben? Warum geben Sie keine ausreichende Antwort, und warum weichen Sie aus? Das ist in dieser Antwort an einer Reihe von Stellen nachzuweisen, wie wir im Laufe der Debatte noch sichtbar machen werden.
Ein Reformwerk -- das wissen Sie genausogut wie wir setzt sich doch immer aus Reformwerken der Einzelhaushalte zusammen. Immer dann, wenn es in den einzelnen Haushalten nicht mehr stimmt, gerät doch das ganze Bild ins Wanken. So auch hier. Reformen, die Sie auf Grund von Preissteigerungen nicht voll durchziehen können, müssen doch aufgeschoben werden. Das bedeutet eine Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung. Schon allein diese Korrektur könnte doch nicht ohne Bedenken hingenommen werden.
Etwas anderes geschieht jedoch, und das scheint uns viel schwerwiegender zu sein. Im Laufe der Zeit, wenn Sie über zwei, drei Jahre einiges aufschieben müssen, weil Sie keine Stabilitätspolitik betreiben konnten, schieben Sie doch auch die Probleme vor sich her, deren nominalen Finanzbedarf Sie aber falsch eingeschätzt haben.
Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich davor warnen, irgendwann einmal die Flucht in die Verschuldung zu suchen. Wir haben grundsätzlich nichts gegen die Verschuldung. Aber sie wird gefährlich, wenn sie überhöht ist und wenn die Schuldenaufnahme des Staates nicht auf der Grundlage einer abgesicherten und soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik erfolgt.
Wir können es uns nicht leisten, den Finanzspielraum für zukünftige Generationen einzuengen; denn auch zukünftige Generationen haben ein Recht darauf, aus ihrer Manövriermasse das zu finanzieren, was sie finanzieren müssen, um den Spielraum für eine Gestaltung von Staat und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu erhalten.
Die Länder und Gemeinden, die in weiten Bereichen, vor allem beim Verkehr, bei der Bildung, beim Wohnungsbau und beim Umweltschutz, nicht nur die Mittel für die Finanzierung der Investitionen aufzubringen haben, sondern auch die Folgekosten allein tragen müssen, sind doch wegen der Preis-und Kostensteigerung der letzten zwei Jahre und wegen ihres hohen Personal- und Investitionsanteils arg in Bedrängnis geraten. Der Hinweis darauf, Herr Kollege Hermsdorf, daß Sie nun schnell den Finanzausgleich finden wollen, reicht nicht aus. Sie müssen ihn finden. Die Situation war für die Länder und Gemeinden noch nie so ernst wie zum jetzigen Zeitpunkt. Sie stehen unter dem Zwang, unter den Sie sie selber gebracht haben. Das ist doch kein Erfolg, sondern das ist der Zugzwang, in den Sie sich hier selbst gebracht haben.
Nach der derzeit noch gültigen Steuerverteilung - es soll ja eine neue kommen, wie vage vorhergesagt worden ist — werden die Länder und Gemeinden Mehrausgaben nur mit 4,5 % aus Steuereinnahmen finanzieren können, der Bund jedoch mit 6,8%. Die Gesamtverschuldung der Länder und Gemeinden wird darum wesentlich schneller wachsen als die des Bundes. Gewaltige Deckungslücken werden unausweichlich. Wie sollen die Deckungslücken der Länder verringert werden? Etwa auf Kosten des Bundeshaushalts? Wollen Sie das mit weiteren Steuererhöhungen machen? Darauf hätten Sie eine präzisere Antwort geben müssen. Sie müssen Auskunft geben, wie die Finanzierung dieser Deckungslücken erfolgen soll, damit die Opposition klar sehen kann, welche Manövriermasse Sie in den nächsten zwei Jahren oder im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung noch zur Verfügung haben. Das ist doch ein entscheidender Punkt. Die Opposition hätte deshalb von der Regierung erwartet, daß sie bei der Beantwortung der Frage 2 etwas deutlicher auf die Situation eingegangen wäre. Wenn man die Antwort auf diese Frage 2 liest, muß man doch annehmen, daß es das Problem „Länder und Gemeinden" zumindest beim Niederschreiben Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage betreffend Arbeitsprogramm der Bundesregierung für Sie praktisch nicht gegeben hat. Überhaupt habe ich das Gefühl, daß Ihnen einige konkrete Fragen weniger am Herzen liegen die Äußerungen, die hier von den Sprechern der Regierungsparteien gemacht worden sind, beweisen das als eine in weiten Bereichen abstrakte Reformargumentation.
An dieser Stelle darf ich einmal darauf hinweisen -- ich halte das einfach für notwendig, weil die Diskussion immer wieder aufgekocht wird —, daß auch bei uns früher das Wort „Reform" gebraucht wurde, aber mit einem völlig anderen Augenmaß. In 20 Jahren CDU 'CSU-Regierung haben wir damit — der Kollege Müller-Hermann hat das heute schon ausgeführt — politische Grundsatzentscheidungen bezeichnet. Dazu gehören: Die soziale Marktwirtschaft, die Einführung der Mitbestimmung in der Montanindustrie, Lastenausgleich, das Wohnungsbaugesetz, die Rentenreform, auf die Sie sich heute berufen und die Sie weiterzuentwickeln versuchen
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— wir werden uns daran beteiligen; wir müssen nur die richtige Konzeption gemeinsam finden —, die Ansätze der Sparförderung, der Bausparförderung und vieles mehr. Das waren Reformen nach unserer Vorstellung von dem Begriff „Reform". Nur diese bedeutsamen Schritte haben wir mit dem Etikett „Reform" versehen. Sie haben diesem Wort
— das ist nicht nur unser Eindruck, sondern auch der in der Öffentlichkeit — einen völlig anderen Sinn gegeben. Ich behaupte, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie taten dies in voller Absicht. Sie taten dies doch nicht zuletzt in der Absicht des Public-Relations-Effekts, den Sie mit der Etikettierung „innere Reformen" erhofften; denn was Sie mit diesem Begriff wollen, ist doch eine Bewußtseinsbeeinflussung oder vielleicht noch besser eine Unterbewußtseinsbeeinflussung. Das Wort „Reform" und der Zusatz „innere Reform" soll doch unlösbar mit der SPD/FDP-Regierung verbunden werden; der offizielle Sprachgebrauch soll nicht mehr „Bundesregierung", sondern „Regierung der inneren Reformen" lauten. Sie wollen damit das Positiv-Attribut in das Unterbewußtsein hineinbringen und damit verhindern, daß es vielleicht im letzten auf der Grundlage von Leistung noch reflektiert wird. Und dabei spekulieren Sie doch — auch das ist zu vermuten — auf die Neigung des Bürgers, so gut über die Lippen gehende Zusätze sogleich zu assimilieren. Ich habe die Hoffnung, daß dies erkannt wird, erkannt wird deshalb, weil Sie nicht vom Tisch weisen können, daß mit diesem Begriff der inneren Reformen, mit dieser Unterbewußtseinsbeeinflussung der Wahlkampf 1973 vorbereitet werden soll, und zwar dergestalt, daß die Regierungsparteien sich von Anfang an auf einem erhöhten Podest der inneren Reformen befinden und dort stehen, während die gewöhnlichen Parteien als antireformerisch verschrien werden sollen oder in die antireformerische Ecke gebracht werden sollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gleichzeitig mit der eigenen Aufwertung durch den Begriff der „inneren Reformen" haben Sie — ich unterstelle Ihnen nichts, ob gewollt oder ungewollt — die Opposition — lesen Sie sich die Rede des Bundeskanzlers zur ersten Großen Anfrage einmal durch! — doch in eine reaktionäre bzw. konservative Ecke drängen wollen. Sie haben hier in diesem Hause die Alternative zwischen Reform und Reaktion konstruiert, die schlicht und einfach nicht existiert.
Diese Polarisierungsformel stammt nicht von uns, auch wenn der Versuch insbesondere draußen im Lande unternommen werden soll, sie uns anzuhängen. Mit aller Deutlichkeit sagen wir darum hier, daß es nicht um Reformer oder um Reformunwillige geht. Es geht einfach um das richtige Augenmaß und um das Machbare und das Mögliche. Sie verbinden angebliche Reformunwilligkeit mit dem Propagandaargument von der Alternativlosigkeit der Opposition, wie dies ja hier heute wieder geschehen ist. Dabei verschweigen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesem Hause zahlreiche Alternativgesetze vorgelegt hat, über 70 an der Zahl, und mir scheint, daß
Sie sich diese Zahl auch einmal einprägen sollten. Wer hier in diesem Parlament sitzt und durch unsere Initiativen zum Teil — auch das können Sie nicht verschweigen — selbst gezwungen wurde, tätig zu werden, konkrete Verbesserungsvorschläge gleichzeitig auch noch niedergestimmt hat, Gesetzentwürfe der CDU/CSU-Fraktion auf Eis legte und wer selbst kein Konzept hat, das den eigenen Ansprüchen gerecht wird, der betreibt doch, wenn er uns Alternativlosigkeit vorwirft, eine Irreführung und unternimmt damit den Versuch einer Konfrontation und nicht der von uns gewünschten Kooperation.
Sie können doch auch nicht den Eindruck erwekken — und hier gibt es in der letzten Zeit so manche Äußerungen, als sollten wir mit in die Ecke hineinkommen; das klang heute einige Male wieder an —, als ob die Opposition an den Umständen Verantwortung und Schuld trägt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diese Ecke können Sie uns nicht hineinbekommen, denn für uns hat es Zielkonflikte wie etwa den zwischen Vollbeschäftigung und Stabilität im Grunde genommen nie gegeben. Aber Sie haben doch den Zielkonflikt gefahrvoll verschärft. Das können Sie heute nicht mehr bestreiten. Wir haben auf diesen Zielkonflikt im Rahmen der früheren Debatten über innere Reformen frühzeitig hingewiesen. Wir haben aber im letzten nur den Erfolg verzeichnen können, daß unsere Warnungen zunächst einmal als Panikmache abgetan wurden. Der Bundeskanzler hat im Frühjahr dieses Jahres die Formulierung übernommen, daß — wie ich hier schon ausgeführt habe — Stabilität Voraussetzung für Reformen ist. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, vom Sprechen wird diese Situation und die Grundlage, auf der sich Ihr sogenanntes Reformprogramm entwickeln kann, nicht besser. Darum müssen Sie sich überlegen, ob es nicht eine echte und wichtige Reform wäre, das zu tun, was der Bundeskanzler im Frühjahr angedeutet hat: nämlich Ihr Programm der inneren Reform zu reformieren.
Was Sie uns in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage alles als Reformwerke verkaufen wollen
— entschuldigen Sie vielmals, Herr Kollege Dr. Schäfer —, wirkt in manchen Punkten doch nahezu peinlich. Herr Kollege Müller-Hermann hat heute morgen schon einige aufgezählt. Ich tue es ebenfalls, weil es so schön ist: das Bundeszentralregistergesetz, das Zustimmungsgesetz zur Gaszentrifugenzusammenarbeit, das Gesetz über eine Bundesstatistik für das Hochschulwesen. Ferner sind die vom Kabinett beschlossenen Gesetze zu nennen, z. B. das Gesetz über die Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens über Detergentien. Dann gibt es noch weitere „Reformwerke", und zwar unter den Ziffern 8, 12, 14, 15 und 18 Ihrer Antwort. Sie können sich das ja selbst durchlesen. Ich will den Wert dieser Gesetze nicht mindern; das steht mir nicht an. Aber ich glaube, daß die Aufforderung legitim ist, völlig normale Vorgänge im Regierungsapparat, in der Regierungsarbeit nicht gleich zu Reformwerken
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zu machen. Herr Kollege Müller-Hermann hat davon gesprochen, daß Sie sonst neben anderen Inflationen auch noch eine Inflationierung des Reformbegriffs erhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht Ihre Maßstäbe zugrunde legen. Es wäre sonst für uns sehr einfach, darauf hinzuweisen, daß wir auf der Grundlage Ihrer Maßstäbe 1914 Reformwerke — das hat jemand einmal ausgezählt — verabschiedet haben. Weil wir das aber nicht mit dem Etikett „Reformwerke" versehen haben, ist es nicht zu einer Reformverwirrung und zu einer verwirrenden Diskussion über innere Reformen gekommen, wie sich z. B. bei der Diskussion über das Debakel der Steuerreform sehr deutlich gezeigt hat.
Ich möchte Ihnen einmal am Beispiel der Steuerreform zeigen, wohin Ihre Überlegungen führen. In der Regierungserklärung war noch angekündigt worden, daß die Steuerlastquote des Jahres 1969 nicht erhöht werde, sondern daß zwei Steuersenkungen durchgeführt werden sollten. Man ist aber schnell von den Steuersenkungen abgegangen, und man begann auch in Ihren Reihen Steuererhöhungen zu diskutieren. Die Vorlage eines geschlossenen und endgültigen Konzepts hätte die Wirtschaft — weil Steuerreform notwendig ist — sicherlich nicht durcheinandergebracht, wenn auch an der einen oder anderen Stelle — das ist eine Frage der politischen Initiativen — mehr oder weniger stark belastet. Man hätte sich dann darüber unterhalten müssen, ob Belastungen in bestimmten Bereichen unausweichlich sind und ob man in anderen Bereichen Belastungen vornehmen kann; das gebe ich zu. Aber dieses Hickhack und Durcheinander, das Sie gerade in der Steuerreformdiskussion produzierten, mußte doch einfach zu Unsicherheiten führen. Wir hatten in dieser Diskussion zunächst einmal das Votum der Mehrheit und dann das Votum der Minderheit der Steuerreformkommission. Dazu kamen die Vorstellungen des früheren Bundesfinanzministers Alex Möller, z. B. in seinem Vortrag vor dem Steuerkongreß am 10. Mai 1971, wenige Tage vor seinem symptomatischen Rücktritt. Dann kamen die Beschlüsse des Kabinetts vom 11. Juli 1971, dann die Beschlüsse vom 28./29. Oktober 1971. Hinzu kommt die Flut der Vorstellungen für Ihren Außerordentlichen Parteitag.
Wenn Sie sich diese Entwicklung einmal näher anschauen, können Sie nicht davon ausgehen, daß in der Frage der Steuerreform noch mit rationalen Argumenten diskutiert wird. Aber wir wollen in diesem Bereich die rationale Argumentation, damit wir eine vernünftige Basis erhalten, um nach vorn zu kommen, damit wir nicht eine Basis bekommen, die uns in Schwierigkeiten bringen kann, die im letzten Verunsicherung bedeutet
und die auch zu Verwischungen der Grenzen führt; und Sie haben doch Grenzen verwischt, z. B. die Grenze zwischen dem Wünschbaren und dem Realisierbaren.