Rede von
Ferdinand
Breidbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu dem, was der Kollege Arendt in seiner Rede gerade gesagt hat, nur einige wenige Bemerkungen; wir werden sicher im Laufe der Debatte noch Gelegenheit haben, näher darauf einzugehen.
Herr Kollege Arendt, ich hätte Ihnen und auch mir gerne erspart, etwas über in diesem Hause und in der Öffentlichkeit erweckte Hoffnungen zu sagen. ich glaube, es ist noch gar nicht allzu lange her — ein Zeitpunkt, der diesem gleichkommt —, daß Sie auch in der Öffentlichkeit ganz bestimmte Hoffnungen erweckt haben. Ich denke hier an die 50 DM Rentnerweihnachtsgeld.
Ich weiß nicht, Herr Kollege Arendt, ob es legitim ist und ob es im letzten glaubwürdig ist, wenn man heute der Opposition Vorwürfe macht, sie operiere mit Zahlen, die Hoffnungen erweckten, wenn 15 Jahre Sozialpolitik auch auf dieser Seite aus dem Wecken von Hoffnungen und Ankündigungen bis zum Punkt der 50 DM Weihnachtsgeld bestanden haben.
Gestatten Sie mir eine weitere Vorbemerkung! Sie haben auf die Regierungserklärung hingewiesen. Ich weiß nicht, ob es für die CDU/CSU nicht recht empfehlenswert ist, den nächsten Bundestagswahlkampf mit Ihrer Regierungserklärung zu bestreiten. Denn wenn Sie heute selber einmal nachlesen, was in dieser Regierungserklärung alles daringestanden hat, dann werden Sie, ähnlich wie der Kanzler es vor gut einem halben Jahr gemacht hat, bereit sein, Einschränkungen vorzunehmen, weil hier einige Peinlichkeiten Ihrer Ankündigungen, die Sie nicht mehr realisieren können — zu denen noch einiges gesagt wird —, sichtbar werden.
Herr Kollege Kirst, Sie haben davon gesprochen
— und irgendwo muß das ja innerhalb der Koalition in Einklang gebracht werden —, wir könnten uns diese Debatte voll ersparen. Herr Kollege Kirst, wenn man dieser Auffassung ist und wenn dann die Koalition die ganze Redezeit für sich beansprucht
— es ist legitim, aber trotzdem sollte man darüber nachdenken , sehe ich den ersten Widerspruch.
Ich sehe den zweiten Widerspruch in dem, was der Kollege Arendt gesagt hat, der diese Debatte begrüßt. Vielleicht können Sie sich im weiteren Verlauf der Debatte über diese Termini etwas einigen, damit wir hier zu einer klaren Position Ihrer Seite auch bezüglich des weiteren Verlaufs der Debatte kommen.
Herr Kollege Hermsdorf macht uns zum Vorwurf, wir hätten zum Tagesordnungspunkt nur an den seltensten Ecken etwas gesagt. Herr Kollege Hermsdorf, man kann die Frage der inneren Reformen von mehreren Seiten sehen. Sie sehen sie — aber er ist gar nicht mehr da — von Ihrer Seite. Die Frage der inneren Reformen hat doch zwei Hintergründe. Das ist einmal der geistige Hintergrund, und das sind die Realitäten in der Realisierung, aber auch dier Hintergrund der Wirtschaftspolitik, die nämlich
— wie ich nachher beweisen werde — im Eigentlichen das schwierigste Problem bei der Realisierung Ihrer inneren Reformen darstellt.
Wenn Sie, Herr Kollege Hermsdorf, nun darum bitten, auf dem Hintergrund der Wirtschaftspolitik hier keine Debatte über Wirtschaftspolitik oder über Konjunkturpolitik zu führen, dann haben Sie, so kann ich nur sagen, den Hintergrund Ihres eigenen Reformprogramms nicht erkannt, oder Sie wollen nicht über Wirtschaftspolitik diskutieren, weil dies der schwierigste Punkt bei der Realisierung Ihrer „Reformen" ist, oder Sie sind im Moment nicht dazu in der Lage, weil Herr Schiller sich einen neuen Staatssekretär suchen muß und wegen seiner Überbelastung nicht anwesend ist.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1971 8801
Breidbach
-- Ich habe doch gesagt: weil er nicht anwesend ist. Herr Apel, ich bin doch noch fair dabei!
Herr Hermsdorf, Sie haben in Ihrer Rede von Fakten gesprochen. Diese Wirtschaftspolitik und das, was hinter Ihren inneren Reformen steckt, sind auch reale Fakten. Ich möchte Ihnen — und damit möchte ich einige Passagen meiner Rede beginnen
einmal ein Zitat aus der Regierungserklärung über die Fakten vorhalten, in dem es heißt:
In der Bundesrepublik stehen wir vor der Notwendigkeit umfassender Reformen.
Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Die Durchführung der notwendigen Reformen und ein weiteres Steigen des Wohlstandes sind nur möglich bei wachsender Wirtschaft und gesunden Finanzen.
Mit diesem Satz stimmt die CDU/CSU voll überein. Denn diese Maxime bestimmte unsere Beschlüsse und bestimmte auch unsere Entscheidungen. Wenn Sie uns heute vorhalten, wir seien mit überhöhten Forderungen gekommen, und nicht zum gleichen Zeitpunkt sagen, daß wir schon Anfang 1970 die Bereitschaft erklärt haben, im Rahmen der Stabilität bei uns Abstriche zu machen, im Rahmen einer kooperativen Zusammenarbeit, dann fehlt eben etwas, was Sie hier hätten ausführen müssen. Das ist auch eine Frage der Redlichkeit.
Wir haben unsere ausgabenwirksamen Entscheidungen unter dieser Maxime gesehen und auch unsere Bereitschaft erklärt, den Versuch zu unternehmen, wenn notwendig Streichungen vorzunehmen, weil für uns nach wie vor Stabilität die Basis für Reformen ist.
Wenn wir diese Binsenwahrheit in den letzten zwei Jahren formuliert haben, wurde uns sehr oft — das ist unbestreitbar — von dieser Seite des Hauses vorgeworfen, wir wollten in Panik machen oder unter Umständen verteufeln oder anderes mehr. Es wurden angebliche Alternativen aufgestellt zwischen Stabilität und Vollbeschäftigung, die es für die Union, wie wir nur immer wieder betonen können, niemals gegeben hat, auch wenn Sie versuchen, irgendwo Gegenbeweise zu führen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir sehen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und inneren Reformen und ebenso einen Zusammenhang zwischen inneren Reformen und der wirtschaftlichen Entwicklung. Wer dies bestreiten will mit dem Argument, hier solle keine Debatte auf der Grundlage der Wirtschaftpolitik geführt werden, dessen Auffassung unterscheidet sich eben fundamental von unserer Auffassung. Die Interdependenz ist vorhanden, und wir wissen auch, daß ähnliche Aussagen von Mitgliedern der Bundesregierung gemacht worden sind. Gestalten Sie mir in Anbetracht der Situation, vor der wir uns befinden, darauf hinzuweisen, daß doch der Eindruck entstehen muß, als handle es sich bei
Ihnen nur um Beteuerungsformeln. Das ist doch
auch eine Realität, die Sie berücksichtigen müssen.
Ich darf in diesem Zusammenhang fragen — auch das scheint ein wesentlicher Punkt in der neuen Argumentation der Bundesregierung zu sein, und das ist auch heute morgen hier wieder behauptet worden — wo wir gesagt haben, daß alle Reformen Geld kosten. Herr Kollege Kirst, die Auslegung unserer Großen Anfrage haben Sie nach Ihren Vorstellungen vorgenommen. Wir haben niemals behauptet — das wäre im übrigen auch Unsinn --, daß alle Reformen Geld kosten, sondern uns haben im Zusammenhang mit dieser Großen Anfrage speziell Ihre Positionen interessiert, die wir auf der Grundlage der Wirtschafts- und Konjunkturentwicklung zu betrachten haben. Das ist doch der Hintergrund dieser Anfrage und nicht mehr.
Das Fundament einer wohlverstandenen Reformpolitik ist, so meine ich, im Moment wackeliger denn je in der Geschichte der Bundesrepublik. Ob es Ihnen paßt oder nicht, die Preissteigerungen im Bereich der Lebenshaltungskosten haben die Grenze von 6 % erreicht oder auch überschritten, und wir dürfen davon ausgehen, daß eine Jahresdurchschnittsrate von 5 % zu erwarten ist. Beim Straßenbau, beim Wohnungsbau, bei den Universitäten, im Investitionsgüterbereich, überall laufen doch die Preise davon. Sie können doch statistische Auswertungen nicht in der Weise vornehmen, daß Sie sagen: Die Statistiken stimmen nicht. Da gibt es ganz klare Positionen.
Hinzu kommen — um einmal den anderen Bereich zu nehmen — der Abbau von Überstunden, die Kurzarbeit, die wir in weitesten Bereichen haben,
verbunden mit einer zunehmenden Arbeitslosigkeit. Auch das müssen wir feststellen. Daß Ihnen das nicht paßt, ist klar.
— Sie müssen einmal durchlesen, Herr Kollege Apel, was Sie 1965/66 alles gesagt haben ich habe meinen Zettelkasten hier oben —; Sie würden staunen, welche Aussagen Sie bei Preissteigerungsraten von 2,8 % gemacht haben.
Sie unternehmen doch heute den Versuch, so zu tun, als habe es Preissteigerungen schon immer gegeben, und zu sagen, man müsse sich an bestimmte Preissteigerungsraten gewöhnen. Offensichtlich wollen Sie damit vertuschen, welche Stabilität der Preise in 20 Jahren CDU/CSU-Politik bestanden hat. Das können Sie nur nicht vertuschen. Ich gebe zu, Herr Kollege Apel — Sie mögen da lachen —, bei uns hat es auch Preissteigerungen gegeben. Selbstverständlich haben wir auch Fehler gemacht. Es stünde uns in Anbetracht des Fehlerkatalogs, den Sie hier für zwei Jahre vorlegen müssen, schlecht an,
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Breidbach
zu behaupten, wir hätten in den 20 Jahren keine Fehler gemacht. Aber die Preissteigerungsraten in den 20 Jahren Regierungstätigkeit der CDU/CSU nehmen sich doch nahezu als Kinderspiel aus gegenüber dem, was wir in diesen Jahren zu verzeichnen haben.
Sie können nicht darüber hinwegdiskutieren, daß wir in den Preissteigerungsraten bei Wohngebäuden bei 15,9% stehen, daß wir im Straßenbau bei 15 % stehen, daß die Erhöhung der Erzeugerpreise für industrielle Produkte bei 6 %, die der Investitionsgüterpreise bei 9,5 % steht und daß, wie ich schon sagte, die Steigerung der Lebenshaltungskosten sich um 6 % herum bewegt. Wer dies bestreiten will, der redet doch wider besseres Wissen. Das ist auch Grundlage einer Reformpolitik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Zeit, da die Preise weglaufen — und das wissen wir alle in diesem Hause gemeinsam —, muß es den Arbeitnehmern natürlich besonders schwerfallen, lohnpolitisch Zurückhaltung zu üben. Dafür haben wir, die CDU/CSU, volles Verständnis, wenn wir auf der anderen Seite auch die Gefahren und die negativen Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft mit zu berücksichtigen haben. Was die Regierung aber in dieser Hinsicht — und hier ist von den Rentenerhöhungen gesprochen worden — den Rentnern zumutet, nämlich keine Möglichkeit der Teilnahme am Wachstum des Bruttosozialprodukts in diesem Jahr wegen der Preissteigerungsraten, kann sie den Arbeitnehmern wegen vorhandener Tarifautonomie in dieser Härte natürlich nicht zumuten. Aber wir auf dieser Seite des Hauses sind einmal gespannt darauf, wie denn — und hier ist auch noch kein Wort dazu gesagt worden — die Verhandlungen im öffentlichen Dienst ausgehen werden. Hier haben Sie nur irgendwo mehr oder weniger vorsichtig 3 °/o an Lohnerhöhungen für den gesamten öffentlichen Dienst eingeplant. Wie Sie mit dieser Marge in Anbetracht einer sechsprozentigen Preissteigerungsrate hinkommen wollen, ist mir im Moment noch völlig unerklärlich.
Wenn Sie nun den Versuch unternehmen — und wenn Sie den Jahreswirtschaftsbericht lesen, stellen Sie fest, daß Schiller mit dem Aufzeigen seiner Alternative schon begonnen hat —, die Folgen dieser Preissteigerungen und dieser Lohnerhöhungen, die nachziehen, einzig und allein auf andere abzuwälzen, dann möchte ich darauf hinweisen, daß die Folgen dieser Situation laut Professor Schiller die Bundesregierung selbst zu tragen hat. Denn Schiller war es, der 1965 erklärt hat: Der Bundeswirtschaftsminister ist verantwortlich für die Konjunktur und- die Preise, er hat keine Instrumente, warum gibt man ihm nicht das Instrument Konjunkturrat usw.? — Heute hat Professor Schiller diese Instrumente: das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, die Konzertierte Aktion, den Finanzplanungsrat, den Konjunkturrat, die Konjunkturausgleichsrücklage, Abschreibungs- und Steuervariationen usw. Mit Hilfe von Wirtschaftsprojektion und Wirtschaftsprognose, mittelfristiger Finanzplanung und Sozialbudget wurde die enge Verzahnung und Abstimmung zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik entwickelt und von Bundesarbeitsminister Katzer hier in die Überlegung einer Regierungsarbeit Mitte der sechziger Jahre eingeführt. Heute stimmt es darum einfach nicht, wenn man ein mangelhaftes Instrumentarium für Ihre mangelhafte Politik verantwortlich macht. Macht und Mittel liegen also laut Schiller aus dem Jahre 1965 bei Ihnen. Nur haben wir den Eindruck, daß Sie mit diesem Instrumentarium nichts Rechtes anfangen können.