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ID0302006400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 20. Sitzung Bonn, den 22. März 1958 Inhalt: Große Anfrage der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) 1015 B Große Anfrage der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) Fortsetzung der Aussprache — . 1015 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 1015 C Dr. von Brentano, Bundesminister 1028 A Kreitmeyer (FDP) 1031 A Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 1037 A Kiesinger (CDU/CSU) 1048 C Nächste Sitzung 1054 C Anlage . . . 1055 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1015 20. Sitzung Bonn, den 22. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr. Atzenroth 22. 3. Dr. Baade 22. 3. Bazille 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Blachstein 29. 3. Dr. Böhm 22. 3. Dr. Bucerius 22. 3. Conrad 18. 4. Diel (Horressen) 19. 4. Frau Diemer-Nicolaus 22. 3. Dr. Dittrich 22. 3. Dr. Dresbach 22. 3. Dr. Eckhardt 22. 3. Eilers (Oldenburg) 22. 3. Euler 22. 3. Felder 31. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 22. 3. Frau Dr. Gantenberg 22. 3. Glahn 22. 3. Gottesleben 8. 4. Graaff 22. 3. Dr. Greve 22. 3. Dr. Harm 22. 3. Häussler 22. 3. Heiland 31. 3. Hellenbrock 24. 3. Hilbert 22. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15. 4. Frau Dr. Hubert 12. 4. Illerhaus 22. 3. Jahn (Frankfurt) 29. 3. Jahn (Marburg) 22. 3. Jürgensen 31. 3. Frau Kipp-Kaule 29. 3. Anlage zum stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Köhler 22. 3. Dr. Kohut 22. 3. Kramel 22. 3. Kroll 22. 3. Kühlthau 22. 3. Kunze 15. 5, Lenz (Trossingen) 29. 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 22. 3. Mauk 22. 3. Mellies 25. 4. Mischnick 22. 3. Müller (Worms) 22. 3. Neumann 12. 4, Paul 30. 4. Pelster 1. 4. Pütz 22. 3. Rademacher 22. 3. Ramms 31. 3. Sander 22. 3. Scheel 22. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 22. 3. Dr. Schranz 22. 3. Stahl 22. 3. Dr. Stammberger 22. 3. Dr. Starke 22. 3. Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Struve 22. 3. Tobaben 22. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12. 4. Dr. Wahl 22. 3. Walter 22. 3. Wehr 31. 3. Weinkamm 29. 3. Frau Welter (Aachen) 22. 3. Dr. Will 22. 3. b) Urlaubsanträge Jacobs 20. 4.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Wenn ich die Reden des Herrn Dr. Jaeger höre, dann fühle ich mich veranlaßt, eine andere Stelle — und das ist das letzte Zitat heute — aus den Schriften des Psychologen Le Bon vorzulesen, wenn Sie gestatten, Herr Präsident. Es heißt dort:
    Hinter den eingestandenen Ursachen unserer Handlungen gibt es zweifellos geheime Gründe, die wir nicht eingestehen. Hinter diesen aber liegen noch geheimere, die wir nicht einmal kennen.
    Welche geheimen Gründe, Herr Dr. Jaeger, gibt es eigentlich, die Sie immer wieder bewegen, als Vorreiter für die „Abendländische Akademie" aufzutreten?

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ja, manches, was hier in den letzten 48 Stunden gebracht wurde, z. B. das Wort von den Hochverratsprozessen, die einige Ihrer Kollegen schon wieder gegen die Opposition herbeiwünschen, muß einen nachdenklich machen. Es muß einen nachdenklich machen, wenn man liest, daß die Verteidiger der Demokratie und der Freiheit, Herr Jaeger und soundso viele Bundesminister, in der „Abendländischen Akademie" Dokumente veröffentlichen, in denen es heißt: „Die Volkssouveränität mit ihrer Gewaltenteilung ist aus der Verfassung auszumerzen",

    (lebhafte Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

    und wenn man weiß, daß Journalisten, die das gelesen haben und die diese Bundesminister und den Abgeordneten Jaeger, der die Ehre hat, zeitweilig Vizepräsident dieses Hohen Hauses zu sein, der Schizophrenie bezichtigen, weil sie doch andererseits den Eid auf das Grundgesetz abgelegt haben, dann in der Bundesrepublik wegen Staatsgefährdung angeklagt werden.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Herr Bausch, von jener Anklage wegen Staatsgefährdung ist es nach Ihren Wünschen vielleicht gar nicht mehr so weit, bis Sie die Immunität des Herrn Wehner aufheben, habe ich den Eindruck. Das mag wohl bald so weit kommen, wenn es so weitergeht mit Ihrer Begeisterung.

    (Abg. Bausch: Ich leide nicht an politischer Hysterie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Es juckt mich in den Fingern,

    (lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    auch noch Fontane zu zitieren; aber ich möchte mir den Ordnungsruf nicht zuziehen, den das Wort vom Kattun mir einbringen würde. Ich kann es vielleicht in übertragener Form machen. • Wenn Sie vom Abendland reden, Herr Dr. Jaeger und seinesgleichen und die Bundesminister, die das auch tun, — wenn Sie vom Abendland reden, meinen Sie die NATO, nichts als die NATO, nur die NATO, wie der Herr Bundeskanzler vor seiner Fraktion gesagt hat. Und wenn Sie von der Einigkeit der NATO reden, meinen Sie Atombomben für die Bundeswehr. Und wenn Sie von Atomwaffen für Ihre
    1044 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958
    Schmidt (Hamburg)

    Bundeswehr sprechen, meinen Sie die militärische Macht, nichts als die Macht und die Macht um ihrer selbst willen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Entstellung, die verbitten wir uns! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Der Bundesverteidigungsminister hat sich selbst verraten, als er durch eine Fehlleistung am Rande einer seiner Reden vorgestern sagte, es sei doch nur legitim, sich ein subjektives moralisches Fundament für die Maßnahmen zu schaffen, die man beabsichtige. Am Anfang steht also der Wille zur Maßnahme, und dann schafft man sich legitimerweise ein moralisches Fundament. Wir leben in einem Maßnahmenstaat, meine Damen und Herren!

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir haben eine Reihe von Maßnahmenministern. Herr Strauß hat in seiner ersten Rede selbst von sich gesagt, er sei nicht einfach und er sei nicht primitiv. Insofern unterscheidet er sich offenbar vom Kanzler.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich würde sagen: wahrlich, er ist nicht einfach, er ist in seiner vielschichtigen Persönlichkeit durchaus eine beachtliche politische Potenz. Der Verteidigungsminister ist intelligent,

    (Bravo! bei der CDU/CSU)

    er hat ein hervorragendes Gedächtnis, eine rasche Auffassungsgabe, eine nicht unbeträchtliche Bildung, und er ist vital, jawohl. Aber das Wichtigste, meine Damen und Herren: bei all diesen vorzüglichen Eigenschaften ist dieser Mann ausschließlich vom Gefühl, vom Impuls gesteuert.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sein Gefühl für die Macht hat den Herrn Strauß schon nach atomarer Bewaffnung für die Bundeswehr streben lassen, als er noch gar nicht Verteidigungsminister war. Er weiß das und wird das nicht bestreiten.

    (Abg. Wehner: Leider wahr!)

    Herr Strauß, wenn Sie nicht so sehr vom Impuls und vom Gefühl, sondern ab und zu auch einmal von der kühlen und nüchternen Erwägung gesteuert wären, — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: So wie Sie! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU. — Abg. Dr. Kliesing: Ausgerechnet Sie!)

    — Ja, Herr Strauß, ich will Ihnen was sagen: Ihnen ging das nicht schnell genug mit Ihrer Atomrüstung. Die CDU-Fraktion wollte sich monatelang nicht offen bekennen. Noch am 23. Januar hat sie hier erklärt, die Atom-Rüstung sei noch gar nicht aktuell. Zwei Monate später ist sie dann plötzlich brandeilig. Damals war es nicht aktuell .Da wollte man erst das NATO-Gutachten der Generale abwarten. Ihnen ging das nicht schnell genug, Sie fuhren nach den Vereinigten Staaten und ergriffen eine Maßnahme.
    Die Maßnahme war ganz einfach. Sie, hatten, wie Sie behaupten, durch einen Kabinettsbeschluß gedeckt — ich bezweifle das nicht —, über „Matador"-Ankäufe — das sind also für Atomsprengköpfe bestimmte Träger zu verhandeln. Sie haben nur die Maßnahme ergriffen, dies in die Presse zu bringen. Das war die ganze Maßnahme, und dadurch haben Sie die ganze CDU/CSU-Fraktion in die Notwendigkeit versetzt, nunmehr schleunigst — obwohl es doch angeblich gar nicht aktuell war — in dieser Frage der atomaren Bewaffnung Farbe zu bekennen. Und 250 Männer und Frauen stimmen Ihnen zu, bekennen endlich Farbe und klatschen Beifall.
    Ich glaube, der Verteidigungsminister Strauß ist ein gefährlicher Mann, gerade wegen seiner überragenden Fähigkeiten, meine Damen und Herren, ein gefährlicher Minister!

    (Zuruf von der Mitte: Für die SPD?)

    — Nein, nicht für die SPD, für unser ganzes Volk ein gefährlicher Mann.

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das Wort haben wir schon öfter gehört! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ausgerechnet ein Mann, der hier von diesem Platze aus behauptet, er fühle sich unter Terror gesetzt, ausgerechnet Herr Strauß, der für sich beansprucht hat, in dieser Debatte allein 31/2 Stunden von diesem Pult aus zu reden, beklagt sich darüber, daß die Redefreiheit nicht mehr gewährleistet sei.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie halten eine Terrorrede, Herr Schmidt!)

    Von wem wird denn die Redefreiheit beeinträchtigt, Herr Strauß? Stimmt es denn nicht, daß hier 19 Sprecher des Regierungslagers und nur 8 Oppositionsredner gesprochen haben?

    (Abg. Wacher: Die etwas zu sagen hatten, zum Unterschied von Ihnen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Und da von der Freiheit die Rede ist, Herr Wacher, muß ich hier leider auch ein Wort an meinen Hamburger Kollegen Bucerius richten. Herr Bucerius hat gestern abend die Freiheit in der Demokratie gefeiert. Er meinte sie gegenüber dem Herrn Döring verteidigen zu müssen. Ich rief dem Herrn Bucerius dazwischen, daß die moralische Entrüstung ihm schlecht anstehe,

    (Abg. Majonica: Aber Ihnen, Ihnen steht sie sehr gut, Herr Schmidt!)

    — warten Sie es ab! —, zumal er gerade vorher, Herr Majonica, eine Bemerkung des Herrn Dr. Arndt in das genaue Gegenteil verkehrt hatte. Herr Dr. Arndt hatte gesagt, die Mehrheit dieses Hauses und die Regierung hätten von langer Hand die atomare Bewaffnung vorbereitet. Der Herr Bucerius drehte das einfach um — ganz primitiv und einfach — und sagte, auch der Herr Arndt habe ja zugegeben, daß die Regierung lange Jahre gezögert habe, die atomare Bewaffnung zu verwirklichen.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1045
    Schmidt (Hamburg)

    Aber das ist noch nicht alles. Ich würde sagen: solche primitiven Unwahrheiten sind hier in diesem Hause ja gängige Münze.

    (Zurufe von der SPD und von der Mitte.) Aber der Dr. Bucerius ist in einer besonders schlechten Position, für die Freiheit in der Demokratie zu kämpfen. Ich darf ihn fragen, ob es stimmt, daß die illustrierte Zeitschrift „Der Stern", die in seinem Verlag erscheint, in dieser Woche mit fünf Seiten eines illustrierten Berichts über das Thema „Atomtod — Atomnot" angedruckt wurde, und ob es stimmt, daß Herr Dr. Bucerius unter Umgehung seiner Redaktion in der Druckerei angerufen hat, um die Maschinen zu stoppen, damit diese fünf Seiten wieder herausgenommen würden.


    (Lebhafte Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Das ist Pressefreiheit! — Zuruf des Abg. Dr. Jaeger: Darf er das nicht?)

    — Ich habe bisher gemeint, daß wenigstens der Dr. Bucerius noch wirtschaftlich unabhängig sei, aber nachdem ich authentisch weiß, daß er bei dem Stoppen der Maschinen die Bemerkung gemacht hat: „Sonst ist das das Ende meiner politischen Karriere" , vermag ich an diese Unabhängigkeit und Freiheit nicht mehr zu glauben.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Mende: Deswegen hat er auch gestern so hysterisch übersteigert gesprochen! — Abg. Dr. Hellwig: Er ist schließlich der Verleger! — Zurufe von der Mitte.)

    — Ja, das können Sie natürlich im Augenblick nicht gebrauchen, daß illustrierte Zeitschriften dem Volke einmal sagen, was diese Atombomben wirklich bedeuten.

    (Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der Mitte.)

    Das Volk darf ja nicht wissen, was hier begonnen wird. Nein, dem Volk wird erzählt von den Bolschewisten und diesen ,,Halbbolschewisten", die da drüben bei der SPD sitzen, und diesen „Viertelbolschewisten" da drüben bei der FDP. Damit füttern Sie Ihre Wähler. Aber wenn eine illustrierte Zeitschrift oder wenn irgendwo jemand wagt, dem Volk die Wahrheit über die Gefahren der atomaren Rüstung zu sagen, dann stempeln Sie ihn zu einem Panikmacher und gleichzeitig werfen Sie sich zum Verteidiger der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit auf. Damit fängt es an, daß man den Redaktionen ihr Handwerk legt, und dann geht es so weiter, daß man Hochverratsprozesse anstrengt.

    (Abg. Dr. Hellwig: Wie verhält sich denn die SPD als Verleger? — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Ich frage mich, wie es enden wird.
    Ich sage hier ein offenes Wort an manche Menschen draußen im Lande, die sich bei der Unruhe, die sie über die Bonner Politik empfinden, der trügerischen Hoffnung hingeben, es würde eines Tages doch einmal ein anderer die Richtlinien der Politik bestimmen, es würde ein anderer die Geschäfte der Regierung führen, und dann würde einiges korrigiert werden können. Man kann sich hier leicht sehr trügerische Hoffnungen machen. Hüten wir uns vor solchen machtbesessenen Nachfolgern wie Franz-Josef Strauß!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Hüten wir unser Gemeinwesen vor solchen Demokraten wie dem Abendländer Dr. Jaeger!

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Abg. Müller-Hermann: Und vor solchen Demagogen wie Helmut Schmidt! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU. — Glocke des Präsidenten.)

    Herr Dr. Jaeger hat sich vorgestern gerühmt, daß er nie einer totalitären Partei angehört habe.

    (Abg. Ehren: Ich möchte einen Ordnungsruf haben! Ich nenne Sie den frechsten Lümmel in diesem Hause! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Loritz-Nachfolger! — Große Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

    Herr Dr. Jaeger hat sich vorgestern gerühmt, er habe niemals einer totalitären Partei angehört, sondern immer nur der CDU/CSU.

    (Anhaltende lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! Schluß!)

    Ich sage: das ist gerade das Bedenkliche an der Regierungspartei unseres zweiten Versuchs einer Demokratie in Deutschland, daß der Herr Dr. Jaeger für seine Tendenzen die Partei gar nicht erst zu wechseln braucht.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Kliesing: Wollen Sie den Satz einmal interpretieren?! —Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    -- Den will ich interpretieren, Herr Kliesing. Was soll man denn davon halten, daß der Dr. Jaeger hier vorgestern gesagt hat: Selbst wenn wir Deutschen kapitulierten, die Endauseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion käme in jedem Fall? Er hat wörtlich gesagt: „Die Auseinandersetzung kommt in jedem Falle." Wenn ich so etwas höre, dann muß ich tatsächlich annehmen, Herr Dr. Jaeger — um auf eine Ihrer Fragen zu antworten —, daß deutsche Atomwaffen in Ihren Händen jedenfalls nicht ungefährlicher wären als in der Hand irgendeiner anderen Macht;

    (Beifall bei der SPD — Abg. Dr. Jaeger: Auch der Sowjets?)

    zumal, Herr Dr. Jaeger, —(Abg. Dr. Jaeger meldet sich zu einer
    Zwischenfrage.)
    — Ich lasse keine Frage zu.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Jaeger: Aber Sie fragen uns! — Abg. Dr. Kliesing [Honnef]: Sie kneifen! — Weitere Zurufe von der Mitte: Feigling! Lümmel! — Demagogie! — Abg. Dr. Kliesing [Honnef]: Warum kneifen Sie? — Fortgesetzte Zurufe von der Mitte.)

    1046 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958


Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, wenn das Haus nicht ruhiger wird, unterbreche ich die Sitzung.

(Zurufe von der Mitte: Raus! — Das ist doch eine Beleidigung! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

Meine Damen und Herren, ich bitte — —

(Abg. Majonica ganze Haus! — Weiterer Zuruf von der Mitte: Das ist doch eine fortgesetzte Beleidigung gewesen, keine Rede! — Anhaltende Zurufe von der Mitte.)

Meine Herren, ich bitte dringend, sich zu beruhigen.

(Zurufe von der Mitte: Nein! -- Das lassen wir uns nicht bieten! — Das sind Frechheiten! — Verleumdung! — Das ist unmöglich! — Gegenruf von der SPD: Er hat wohl eine empfindliche Stelle getroffen!)

Meine Herren, — —

(Zurufe von der Mitte: Nein! — Große Unruhe.)

Herr Niederalt — --

(Abg. Dr. Seffrin Herr Niederalt, ich erwarte von Ihnen, daß Sie jetzt Ruhe geben. Hören Sie, lassen Sie den Redner jetzt weitersprechen. — Meine Herren, das, was der Redner sagt, verantwortet er selber. Der Präsident achtet darauf, daß keine Verbalinjurien — — — Lassen Sie mich endlich mal reden. Der Präsident hat darauf zu achten, daß der Artikel 46 des Grundgesetzes hier in diesem Hause gewährleistet wird. Das wird er unter allen Umständen tun. Der Präsident unterbricht oder sühnt nach den Vorschriften der Geschäftsordnung. Er kann das nur tun, wenn Verbalinjurien fallen. Im übrigen gibt es nur eine Ausnahme: das ist der Tatbestand der verleumderischen Beleidigung. Der ist auch in diesem Hause nicht freigestellt. Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß es gar nicht einfach ist und daß der Präsident nicht im Handumdrehen entscheiden kann, was ein Tatbestand der verleumderischen Beleidigung ist. Ich appelliere erstens an den Redner, sich so zu fassen, daß er seine Ausführungen zu Ende bringen kann, und ich appelliere zweitens an das Haus, ihn auch dann anzuhören, wenn es unbequem ist. Damit der Herr Präsident! und das Hohe Haus Gelegenheit bekommen, den Satz zu beurteilen, den ich soeben ausgesprochen habe und der Ihre Empörung hervorruft, darf ich diesen Satz in aller Ruhe wörtlich wiederholen, wie er hier aufgeschrieben steht: Wenn ich die Reden Dr. Jaegers höre, dann muß ich tatsächlich annehmen, daß deutsche Atombomben in Ihren Händen, Herr Dr. Jaeger, keinesfalls ungefährlicher wären als in der Hand irgendeiner anderen Macht. Wenn Sie darin eine verleumderische Beleidigung sehen wollen, — — (Zurufe von der Mitte: Jawohl! — Pfui! — Weitere Zurufe von der Mitte.)


(Erneute Zurufe von der Mitte.)


(Lebhafte Zurufe von der Mitte: Nein!)


(Erneute Zurufe von der Mitte.)


(Zurufe von der Mitte.)


(Erneute Zurufe von der Mitte.)


(Beifall bei der SPD.)

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    (lebhafte Zurufe von der Mitte: Schluß!)

    — Wenn Sie das als Beleidigung auffassen, Herr Dr. Jaeger, dann sind Sie also der Meinung, daß einzig und allein die Deutschen in der Lage wären, von den Atomwaffen den richtigen, friedlichen Gebrauch zu machen?

    (Zurufe von der Mitte: Eine Behauptung! — Wir wollen überhaupt keinen Gebrauch machen! Kapieren Sie das nicht? — Das hat er nicht kapiert!)

    — Ich habe sehr wohl kapiert, daß Herr Dr. Jaeger in seiner Rede zweimal der Frage ausgewichen ist, ob er seine Matadore auch auf Dresden schießen will. Zweimal hat er die Frage nicht beantwortet.

    (Abg. Dr. Jaeger: Zweimal habe ich die Frage verneint! — Weiterer Zuruf von der Mitte: Sie sind ein Mitglied des Verteidigungsausschusses, Sie müßten das wissen!)

    Ich will Ihnen sagen, was ich über Ihre Matadore weiß, Herr Jaeger. Die Matadore, die Herr Strauß kauft und an denen er seine Soldaten ausbilden läßt, haben eine Geschwindigkeit von 1000 km in der Stunde, eine Flughöhe von über 10 000 m und eine Reichweite von 1000 km. Innerhalb ihrer Reichweite liegen die Städte Königsberg, Warschau, Prag, Berlin und liegt Oberschlesien. Diese Matadore sind genauso eine blinde Vernichtungswaffe wie die V 2 des zweiten Weltkriegs.

    (Abg. Wehner: Leider wahr!)

    Jeder Militär weiß, daß die V 2 nicht in der Lage war, eine militärische Situation zu beeinflussen, ganz allein deshalb, weil sie viel zu sehr streut und irgendwo herunterfällt. Es verhält sich mit den Matadoren ganz genauso wie mit der V 2 des Herrn Hitler.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Die Matadore bekommen deshalb erst dann eine militärische Bedeutung, wenn die Atomsprengköpfe draufgeschraubt werden.

    (Unruhe.)

    Und manchmal habe ich das Gefühl, daß insbesondere die Militärexperten der CDU/CSU-Fraktion nicht daran denken wollen, wie es aussieht, wenn diese Atomsprengköpfe herniederfallen.
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1047
    Schmidt (Hamburg)

    Erinnern Sie sich an die NATO-Manöver Carte Blanche und Lion Noir? Zur Zeit gibt es ein neues Stabsmanöver, ein neues Planspiel — drüben in Siegburg, auf der andere Seite des Rheins, wird es zur Zeit gespielt —, ein Planspiel, von der NATO angelegt. Dieses Planspiel heißt heute Lion Bleu. Ich habe sagen hören: Diejenigen Offiziere, die dieses Planspiel vorbereiten mußten, haben dabei geweint.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Und mit Recht!)

    Ich wiederhole: Offiziere, deutsche Offiziere, die dieses Atombombenplanspiel mit vorbereiten mußten, haben dabei geweint. Sie mußten sich nämlich realistisch auf die Lagen einstellen, die in diesem Planspiel von Tag zu Tag auf sie einstürmen, darauf, daß sie der Hunderttausende von Flüchtlingen auf den Straßen im Planspiel nicht anders Herr werden können, als sie durch Panzer von den Straßen herunterzufegen.
    Und dann sagen Sie, wenn wir das alles nicht wollen, wenn wir das verhindern möchten: es gäbe nur die andere Möglichkeit, sich den Sowjets auszuliefern, zu kapitulieren. Sie behaupten sogar, wir würden die Sowjets damit zum Angriff herausfordern, daß wir die deutschen Divisionen nicht atomar bewaffnen. Wenn dieses Argument stichhaltig wäre, könnte man sich eigentlich nur darüber wundern, daß die Russen nicht längst zu einem Zeitpunkt angegriffen haben, wo die Divisionen des Herrn Strauß noch etwas harmloser gewesen sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir sind überzeugt, daß jede Regierung auf dieser Erde, jede Regierung, auch die der UdSSR, das Risiko eines Krieges sehr ernst abwägen würde. Aber könnte es nicht sein, daß manche Ihrer heutigen Handlungen und Reden in anderen Hauptstädten der Erde die sorgenvolle Frage auslösen müssen, wie lange man dem noch zusehen kann, was sich hier bei uns entwickelt?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Weil diese Sorgen so real sind, müssen wir danach streben, die militärischen Kräfte der Großmächte geographisch voneinander zu trennen. Und deshalb dürfen wir Deutsche auf niemanden in der Welt den Eindruck machen, als strebten wir selbst danach, eine militärische Großmacht zu werden.
    Wir wollen Deutschland sicherlich nicht schutzlos lassen

    (Zuruf von der Mitte: Das machen Sie aber!)

    und erst recht nicht — das bedarf gar keiner Antwort — den Sowjets ausliefern, wie das hier immer wieder gesagt wird. Nein, wir wollen, daß die Sicherheit Deutschlands, daß der Schutz Deutschlands erst hergestellt wird.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Kliesing: Aber Ihre Rede trägt nicht dazu bei!)

    Weswegen sind Sie denn nicht bereit, über die atomwaffenfreie Zone zu sprechen, damit in Polen,
    damit in der Tschechoslowakei, damit in der DDR, damit bei uns keine Atomwaffen stationiert werden? Warum machen Sie keine Vorschläge, wie man das machen kann, welche Kontrollmöglichkeiten man erarbeiten könnte, um die Innehaltung eines solchen Abkommens zu erzwingen? Weswegen machen Sie keine Ausarbeitungen darüber, daß man aus diesem Anfang eine weitere Stufe entwickeln könnte?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat denn Strauß gemacht?)

    Weswegen kann man nicht aus der atomwaffenfreien Zone eine Zone entwickeln, aus der Schritt für Schritt und in gleichen Prozentsätzen die stationierten Kräfte der Sowjets wie auch der Amerikaner abgezogen werden?

    (Abg. Dr. Kliesing: Das kann ich Ihnen genau sagen!)

    Weswegen ist das niemals zu erwägen für Sie?

    (Abg. Dr. Kliesing: Das kann ich Ihnen genau sagen: weil solche Reden wie die Ihre die Bereitschaft auf der Gegenseite sabotieren! — Zuruf von der SPD: Weil Sie das nicht wollen!)

    — Herr Dr. Kliesing, weswegen gibt es keine Vorschläge der deutschen Bundesregierung über Modalitäten, über Veränderungen und über neue Vorschläge, die Sie gegenüber dem Rapacki-Plan Ihrerseits vorzubringen hätten?
    Der Herr Strauß hat den Versuch gemacht, ich gebe das zu: aber der Kanzler hat ihn doch zurückgepfiffen! Das ist doch gar nicht mehr wahr! Der Strauß-Plan ist ja nur noch einer von den vielen Plänen, die die „Plänemacher" gemacht haben,

    (Zuruf von Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    ganz abgesehen davon, daß der Strauß-Plan keine zureichende Antwort war. Er war so abgefaßt, daß er den Rapacki-Plan torpedieren sollte.

    (Abg. Wehner: Ein Straußen-Windei! — Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie fordern ja selbst Modalitäten!)

    Wenn man von der atomwaffenfreien Zone ausgeht und sich vorstellt, daß sie dazu führt, daß aus derselben Zone die konventionellen Truppen und Waffen der Sowjets und der Amerikaner und aller Stationierungsmächte herausgezogen werden können, warum vermag man sich dann nicht auch vorzustellen, daß die zurückbleibenden nationalen Armeen dieser vier Staaten durch internationale Verabredung in einem angemessenen Verhältnis zueinander begrenzt werden? Warum wollen Sie über das alles nicht wenigstens reden? Weswegen reden Sie darüber nicht? Weswegen zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, wo Sie doch nur voller Bedenken den Schritt zu Ihrer atomaren Bewaffnung tun, der alle solche Möglichkeiten ausschließt?

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Kliesing: Das ist eben der Irrtum!)

    1048 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958
    Schmidt (Hamburg)

    Hier will ich Herrn Strauß noch eine Antwort geben. Er beschwerte sich, wir hätten seine Frage nicht beantwortet,

    (Abg. Höcherl: Vier Fragen waren das!)

    ob wir nicht wenigstens für die Luftabwehr Atomraketen zulassen wollten.

    (Abg. Höcherl: Vier Fragen waren es, Herr Schmidt!)

    Darauf können wir nur sagen: nein, kategorisch: nein, das wollen wir nicht.

    (Zurufe von der CDU/CSU: „Nein, nein, nein!")

    Wer mit Nike-Atomraketen, mit Atom-Flakraketen anfängt, der mag eines Tages mit Wasserstoffbomben aufhören, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Kliesing: Das ist ja Quatsch! — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen]: Sie wissen doch, daß das nicht stimmt! — Abg. Eschmann: Damit sind die Fronten klar: wir sagen nein!)

    Sie lehnen es ab, alles das zu durchdenken. Sie zitieren statt dessen einen Satz, den Erler in einem Aufsatz geschrieben hat, wo es hieß: „Ostpolitik und Verteidigung bedingen einander." Ein sehr richtiger Satz; nur der, der ihn zitiert hat, hat daraus die Konsequenz nicht gezogen. Er hat ihn nur zitiert, um zu polemisieren. Ihre Ostpolitik, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, besteht einzig und allein aus scharfmacherischen Reden,

    (Beifall bei der SPD — Abg. Wehner: Leider wahr! — Widerspruch bei der CDU/ CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Und Ihre!)

    — aus scharfmacherischen Reden. Und wenn es sonst noch ostpolitische Erwägungen bei Ihnen geben sollte, werden sie jedenfalls zur Zeit von Ihrer Militärpolitik vollständig überwuchert.
    Kein kontinentales Parlament, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, kein Parlament in Europa — ausgenommen die Briten — hat bisher beschlossen, sein Land mit eigenen Atombomben zu bewaffnen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Was heißt das, „mit eigenen"?)

    Aber Sie wollen das tun. Sie wollen als erste die-
    sen Schritt hier auf dem Kontinent tun, obwohl Sie
    von der NATO noch gar nicht gefragt worden sind.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben doch selber gefragt!)

    -- Wir haben Sie gefragt, jawohl; und wir hätten
    erwartet, daß Sie sich die Antwort ein wenig schwerer gemacht hätten, als Sie sie sich gemacht haben.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich schließe mit einem Wort des Kanzlers von vorgestern, das ich an Sie zurückgebe, meine Damen und Herren: Legen Sie endlich Ihren deutschen Größenwahn, Ihren deutschnationalen Größenwahn ab!

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit! —Anhaltende Unruhe.)