Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Wenn ich die Reden des Herrn Dr. Jaeger höre, dann fühle ich mich veranlaßt, eine andere Stelle — und das ist das letzte Zitat heute — aus den Schriften des Psychologen Le Bon vorzulesen, wenn Sie gestatten, Herr Präsident. Es heißt dort:
Hinter den eingestandenen Ursachen unserer Handlungen gibt es zweifellos geheime Gründe, die wir nicht eingestehen. Hinter diesen aber liegen noch geheimere, die wir nicht einmal kennen.
Welche geheimen Gründe, Herr Dr. Jaeger, gibt es eigentlich, die Sie immer wieder bewegen, als Vorreiter für die „Abendländische Akademie" aufzutreten?
Ja, manches, was hier in den letzten 48 Stunden gebracht wurde, z. B. das Wort von den Hochverratsprozessen, die einige Ihrer Kollegen schon wieder gegen die Opposition herbeiwünschen, muß einen nachdenklich machen. Es muß einen nachdenklich machen, wenn man liest, daß die Verteidiger der Demokratie und der Freiheit, Herr Jaeger und soundso viele Bundesminister, in der „Abendländischen Akademie" Dokumente veröffentlichen, in denen es heißt: „Die Volkssouveränität mit ihrer Gewaltenteilung ist aus der Verfassung auszumerzen",
und wenn man weiß, daß Journalisten, die das gelesen haben und die diese Bundesminister und den Abgeordneten Jaeger, der die Ehre hat, zeitweilig Vizepräsident dieses Hohen Hauses zu sein, der Schizophrenie bezichtigen, weil sie doch andererseits den Eid auf das Grundgesetz abgelegt haben, dann in der Bundesrepublik wegen Staatsgefährdung angeklagt werden.
Herr Bausch, von jener Anklage wegen Staatsgefährdung ist es nach Ihren Wünschen vielleicht gar nicht mehr so weit, bis Sie die Immunität des Herrn Wehner aufheben, habe ich den Eindruck. Das mag wohl bald so weit kommen, wenn es so weitergeht mit Ihrer Begeisterung.
Es juckt mich in den Fingern,
auch noch Fontane zu zitieren; aber ich möchte mir den Ordnungsruf nicht zuziehen, den das Wort vom Kattun mir einbringen würde. Ich kann es vielleicht in übertragener Form machen. • Wenn Sie vom Abendland reden, Herr Dr. Jaeger und seinesgleichen und die Bundesminister, die das auch tun, — wenn Sie vom Abendland reden, meinen Sie die NATO, nichts als die NATO, nur die NATO, wie der Herr Bundeskanzler vor seiner Fraktion gesagt hat. Und wenn Sie von der Einigkeit der NATO reden, meinen Sie Atombomben für die Bundeswehr. Und wenn Sie von Atomwaffen für Ihre
1044 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958
Schmidt
Bundeswehr sprechen, meinen Sie die militärische Macht, nichts als die Macht und die Macht um ihrer selbst willen.
Der Bundesverteidigungsminister hat sich selbst verraten, als er durch eine Fehlleistung am Rande einer seiner Reden vorgestern sagte, es sei doch nur legitim, sich ein subjektives moralisches Fundament für die Maßnahmen zu schaffen, die man beabsichtige. Am Anfang steht also der Wille zur Maßnahme, und dann schafft man sich legitimerweise ein moralisches Fundament. Wir leben in einem Maßnahmenstaat, meine Damen und Herren!
Wir haben eine Reihe von Maßnahmenministern. Herr Strauß hat in seiner ersten Rede selbst von sich gesagt, er sei nicht einfach und er sei nicht primitiv. Insofern unterscheidet er sich offenbar vom Kanzler.
Ich würde sagen: wahrlich, er ist nicht einfach, er ist in seiner vielschichtigen Persönlichkeit durchaus eine beachtliche politische Potenz. Der Verteidigungsminister ist intelligent,
er hat ein hervorragendes Gedächtnis, eine rasche Auffassungsgabe, eine nicht unbeträchtliche Bildung, und er ist vital, jawohl. Aber das Wichtigste, meine Damen und Herren: bei all diesen vorzüglichen Eigenschaften ist dieser Mann ausschließlich vom Gefühl, vom Impuls gesteuert.
Sein Gefühl für die Macht hat den Herrn Strauß schon nach atomarer Bewaffnung für die Bundeswehr streben lassen, als er noch gar nicht Verteidigungsminister war. Er weiß das und wird das nicht bestreiten.
Herr Strauß, wenn Sie nicht so sehr vom Impuls und vom Gefühl, sondern ab und zu auch einmal von der kühlen und nüchternen Erwägung gesteuert wären, — —
— Ja, Herr Strauß, ich will Ihnen was sagen: Ihnen ging das nicht schnell genug mit Ihrer Atomrüstung. Die CDU-Fraktion wollte sich monatelang nicht offen bekennen. Noch am 23. Januar hat sie hier erklärt, die Atom-Rüstung sei noch gar nicht aktuell. Zwei Monate später ist sie dann plötzlich brandeilig. Damals war es nicht aktuell .Da wollte man erst das NATO-Gutachten der Generale abwarten. Ihnen ging das nicht schnell genug, Sie fuhren nach den Vereinigten Staaten und ergriffen eine Maßnahme.
Die Maßnahme war ganz einfach. Sie, hatten, wie Sie behaupten, durch einen Kabinettsbeschluß gedeckt — ich bezweifle das nicht —, über „Matador"-Ankäufe — das sind also für Atomsprengköpfe bestimmte Träger zu verhandeln. Sie haben nur die Maßnahme ergriffen, dies in die Presse zu bringen. Das war die ganze Maßnahme, und dadurch haben Sie die ganze CDU/CSU-Fraktion in die Notwendigkeit versetzt, nunmehr schleunigst — obwohl es doch angeblich gar nicht aktuell war — in dieser Frage der atomaren Bewaffnung Farbe zu bekennen. Und 250 Männer und Frauen stimmen Ihnen zu, bekennen endlich Farbe und klatschen Beifall.
Ich glaube, der Verteidigungsminister Strauß ist ein gefährlicher Mann, gerade wegen seiner überragenden Fähigkeiten, meine Damen und Herren, ein gefährlicher Minister!
— Nein, nicht für die SPD, für unser ganzes Volk ein gefährlicher Mann.
Ausgerechnet ein Mann, der hier von diesem Platze aus behauptet, er fühle sich unter Terror gesetzt, ausgerechnet Herr Strauß, der für sich beansprucht hat, in dieser Debatte allein 31/2 Stunden von diesem Pult aus zu reden, beklagt sich darüber, daß die Redefreiheit nicht mehr gewährleistet sei.
Von wem wird denn die Redefreiheit beeinträchtigt, Herr Strauß? Stimmt es denn nicht, daß hier 19 Sprecher des Regierungslagers und nur 8 Oppositionsredner gesprochen haben?
— Und da von der Freiheit die Rede ist, Herr Wacher, muß ich hier leider auch ein Wort an meinen Hamburger Kollegen Bucerius richten. Herr Bucerius hat gestern abend die Freiheit in der Demokratie gefeiert. Er meinte sie gegenüber dem Herrn Döring verteidigen zu müssen. Ich rief dem Herrn Bucerius dazwischen, daß die moralische Entrüstung ihm schlecht anstehe,
— warten Sie es ab! —, zumal er gerade vorher, Herr Majonica, eine Bemerkung des Herrn Dr. Arndt in das genaue Gegenteil verkehrt hatte. Herr Dr. Arndt hatte gesagt, die Mehrheit dieses Hauses und die Regierung hätten von langer Hand die atomare Bewaffnung vorbereitet. Der Herr Bucerius drehte das einfach um — ganz primitiv und einfach — und sagte, auch der Herr Arndt habe ja zugegeben, daß die Regierung lange Jahre gezögert habe, die atomare Bewaffnung zu verwirklichen.
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Schmidt
Aber das ist noch nicht alles. Ich würde sagen: solche primitiven Unwahrheiten sind hier in diesem Hause ja gängige Münze.
Aber der Dr. Bucerius ist in einer besonders schlechten Position, für die Freiheit in der Demokratie zu kämpfen. Ich darf ihn fragen, ob es stimmt, daß die illustrierte Zeitschrift „Der Stern", die in seinem Verlag erscheint, in dieser Woche mit fünf Seiten eines illustrierten Berichts über das Thema „Atomtod — Atomnot" angedruckt wurde, und ob es stimmt, daß Herr Dr. Bucerius unter Umgehung seiner Redaktion in der Druckerei angerufen hat, um die Maschinen zu stoppen, damit diese fünf Seiten wieder herausgenommen würden.
— Ich habe bisher gemeint, daß wenigstens der Dr. Bucerius noch wirtschaftlich unabhängig sei, aber nachdem ich authentisch weiß, daß er bei dem Stoppen der Maschinen die Bemerkung gemacht hat: „Sonst ist das das Ende meiner politischen Karriere" , vermag ich an diese Unabhängigkeit und Freiheit nicht mehr zu glauben.
— Ja, das können Sie natürlich im Augenblick nicht gebrauchen, daß illustrierte Zeitschriften dem Volke einmal sagen, was diese Atombomben wirklich bedeuten.
Das Volk darf ja nicht wissen, was hier begonnen wird. Nein, dem Volk wird erzählt von den Bolschewisten und diesen ,,Halbbolschewisten", die da drüben bei der SPD sitzen, und diesen „Viertelbolschewisten" da drüben bei der FDP. Damit füttern Sie Ihre Wähler. Aber wenn eine illustrierte Zeitschrift oder wenn irgendwo jemand wagt, dem Volk die Wahrheit über die Gefahren der atomaren Rüstung zu sagen, dann stempeln Sie ihn zu einem Panikmacher und gleichzeitig werfen Sie sich zum Verteidiger der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit auf. Damit fängt es an, daß man den Redaktionen ihr Handwerk legt, und dann geht es so weiter, daß man Hochverratsprozesse anstrengt.
Ich frage mich, wie es enden wird.
Ich sage hier ein offenes Wort an manche Menschen draußen im Lande, die sich bei der Unruhe, die sie über die Bonner Politik empfinden, der trügerischen Hoffnung hingeben, es würde eines Tages doch einmal ein anderer die Richtlinien der Politik bestimmen, es würde ein anderer die Geschäfte der Regierung führen, und dann würde einiges korrigiert werden können. Man kann sich hier leicht sehr trügerische Hoffnungen machen. Hüten wir uns vor solchen machtbesessenen Nachfolgern wie Franz-Josef Strauß!
Hüten wir unser Gemeinwesen vor solchen Demokraten wie dem Abendländer Dr. Jaeger!
Herr Dr. Jaeger hat sich vorgestern gerühmt, daß er nie einer totalitären Partei angehört habe.
Herr Dr. Jaeger hat sich vorgestern gerühmt, er habe niemals einer totalitären Partei angehört, sondern immer nur der CDU/CSU.
Ich sage: das ist gerade das Bedenkliche an der Regierungspartei unseres zweiten Versuchs einer Demokratie in Deutschland, daß der Herr Dr. Jaeger für seine Tendenzen die Partei gar nicht erst zu wechseln braucht.
-- Den will ich interpretieren, Herr Kliesing. Was soll man denn davon halten, daß der Dr. Jaeger hier vorgestern gesagt hat: Selbst wenn wir Deutschen kapitulierten, die Endauseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion käme in jedem Fall? Er hat wörtlich gesagt: „Die Auseinandersetzung kommt in jedem Falle." Wenn ich so etwas höre, dann muß ich tatsächlich annehmen, Herr Dr. Jaeger — um auf eine Ihrer Fragen zu antworten —, daß deutsche Atomwaffen in Ihren Händen jedenfalls nicht ungefährlicher wären als in der Hand irgendeiner anderen Macht;
zumal, Herr Dr. Jaeger, —(Abg. Dr. Jaeger meldet sich zu einer
Zwischenfrage.)
— Ich lasse keine Frage zu.
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