Rede von
Heinrich
Fassbender
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, im Namen der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei den Entschließungsantrag Umdruck 962*) zu begründen. Dieser Antrag verlangt klar und eindeutig, daß die Bundesregierung verpflichtet wird, außer durch die notwendigen Subventionen mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen, daß in der Landwirtschaft
*) Siehe Anlage 3.
langsam wieder Zustände eintreten, die die Landarbeit überhaupt zu einer Freude machen.
Der rote Faden der heutigen Diskussion war die Feststellung, daß bei allen Bemühungen, der Landwirtschaft über den Weg der Subvention zu helfen, keine Möglichkeit besteht und auch in Zukunft nicht bestehen wird, die Landarbeit mit der Arbeit in der gewerblichen Wirtschaft gleichzubewerten. Heute wird in Deutschland immer wieder von dem Sozialcharakter dieser Volksrepublik gesprochen. Ich muß doch feststellen, daß die Angehörigen des Landvolks — und dazu gehören auch, Herr Kollege Frehsee, die Landarbeiter — anscheinend Parias in der Wirtschaft sind. Ich will nicht mit Ihnen darüber streiten, ob der Stundenlohnunterschied zwischen ländlicher Arbeit und gewerblicher Arbeit in der Wirtschaft 40, 60 oder 70 Pfennige beträgt, aber angesichts dieser Diskrepanz kommt man allerdings zu Unterschiedszahlen, die hoch in die Milliarden gehen. Ich sehe eigentlich nicht ein, warum die Arbeit auf dem flachen Land, die Erzeugung des täglichen Brots, schlechter bewertet werden soll als irgendeine andere Arbeit. Sie ist zumindest genauso schwer wie in anderen Berufen.
Wie ist denn hier die Entwicklung? Ich will ein paar Beispiele nennen. Betrachten Sie doch bitte einmal die Weizen- und Roggenpreise aus den Jahren 1911/13. Das sind die letzten Jahre gewesen, die überhaupt ein klares Bild bieten. Im Jahre 1938 — ich habe das schon einmal in diesem Hause gesagt — waren bereits große Teile der landwirtschaftlichen Produkte subventioniert. Darüber hinaus war die Freizügigkeit beschränkt. Bei dem Vergleich mit den Jahren 1911/13 werden Sie folgendes feststellen. Die Weizenpreise nach den Notierungen an sämtlichen westdeutschen Börsen betrugen in den Jahren 1911/13 im Durchschnitt 19 Mark je Doppelzentner, und heute betragen sie rund 40 DM. Ich frage Sie einmal ganz nüchtern: Gibt es in der ganzen Bundesrepublik überhaupt noch einen Berufsstand, dessen Produktpreise und dessen Entgelte bloß um 100 % höher liegen als in den Jahren 1911/13? Ich glaube, hier ist tatsächlich das Landvolk das Stiefkind der gesamten Wirtschaft geworden und bisher auch geblieben.
Der Milchpreis ist auch sehr interessant. Über ihn ist heute eingehend debattiert worden. Setzen Sie doch einmal den Milchpreis ab Stall aus den Jahren 1911/13 in Vergleich zum Kohlepreis — beides wirtschaftswichtige Grundstoffe! Sie werden feststellen, daß man in den Jahren 1911/13 rund 120 Liter Milch nötig hatte, um eine Tonne Förderkohle ab Zeche kaufen zu können. Ab-StallPreis, meine Damen und Herren! Wenn Sie heute die Tonne Förderkohle kaufen wollen, dann brauchen Sie — in Milchpreisen oder Milchlitern umgerechnet — das Dreifache. Das sind die effektiven Tatsachen, das sind die Gegebenheiten, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, wenn wir nicht Zustände in der Landwirtschaft einreißen lassen wollen, bei denen unsere Bauernsöhne und Landarbeiter nicht mehr bereit sind, in ihr tätig zu sein.
Ich will noch etwas sagen, was ich zur Begründung für notwendig halte. Herr Minister, ich bedauere sehr, feststellen zu müssen, daß die Bundesregierung von 1953 bis heute unser Volk nicht genügend darüber aufgeklärt hat — das ist nicht Ihre Schuld allein —, daß es so nicht geht, daß
alles bis in die Wolken klettert und man die Nahrungsmittelpreise unten hält. Das ist ein Zustand, der einfach unerträglich ist. Ich bin der Überzeugung, daß die vernünftigen Verbraucher, wenn man ihnen nüchtern die klaren Tatsachen vor Augen hält, damit einverstanden sein werden — ich spreche auch in städtischen Versammlungen und weiß, daß sie das bestimmt sein werden —, daß man dem Landvolk für seine Arbeit denselben Lohn in Form der Produktenpreise gewährt, wie es bei der gewerblichen Wirtschaft schlechthin der Fall ist.
Bevor ich unseren Antrag verlese, glaube ich, daß ich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht habe, darauf hinzuweisen, daß es in § 1 des Landwirtschaftsgesetzes ausdrücklich heißt:
ist die Landwirtschaft mit den Mitteln der allgemeinen Wirtschafts- und Agrarpolitik — insbesondere der Handels-, Steuer-, Kredit- und Preispolitik — in den Stand zu setzen ... ". Wir stehen allerdings auf dem Standpunkt, daß diese Möglichkeiten nicht alle ausgenutzt worden sind. Ich bedauere, das als Vertreter einer Koalitionspartei hier feststellen zu müssen.
In diesem Hause sollte das Wort des von mir hochverehrten Bundeskanzlers nicht verfälscht werden. Der Herr Bundeskanzler hat in Rhöndorf am 17. Februar 1951 mit aller Deutlichkeit erklärt:
Das landwirtschaftliche Preisniveau, das weitgehend durch innerwirtschaftliche und handelspolitische Maßnahmen beeinflußt werden kann, muß meiner Überzeugung nach in einer Parität zu den übrigen Preisen der deutschen Wirtschaft gehalten werden, insbesondere auch zu den Löhnen.
Das ist das Wort des Herrn Bundeskanzlers, das er vor fünf Jahren im Februar gesprochen hat.
— Sie wissen alles allein, Sie wissen auch in agrarpolitischen Dingen allein Bescheid. Trösten Sie sich, der Herr Bundeskanzler weiß von den Dingen wahrscheinlich mehr, als Sie ahnen.
— Weil er leider Gottes, Herr Kriedemann, auf anderen Gebieten gerade Ihren Forderungen viel zu viel nachgegeben hat.
Wir haben den Mut, unserem Volk zu sagen, daß wir es so nicht schaffen werden, daß allein mit Subventionspolitik dem Landvolk nicht zu helfen ist. Vergleichen Sie doch beispielsweise einmal, was man für einen Bergarbeiterstundenlohn in den Jahren 1911 bis 1913 an Grundnahrungsmitteln hat kaufen können und was man heute dafür erwerben kann. Wir wollen doch die Dinge einmal ganz nüchtern betrachten. Wir sind nicht gegen höhere Löhne, wir denken gar nicht daran. Aber wir sind sehr wohl dagegen, daß das Landvolk an der ganzen fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung absolut nicht beteiligt ist, daß es praktisch das Stiefkind der gesamten Wirtschaftspolitik geworden ist. Das sagen wir auch als Vertreter der Koalition unserer eigenen Regierung. Wir wünschen und hoffen, daß unsere Bundesregierung uns bald gesetzliche Maßnahmen vorschlägt, die neben dem Weg über die Subventionierungen andere Wege ebnen, um dem Landvolk seinen gerechten Lohn zu geben. Sollte sie es wider Erwarten nicht tun, würden wir uns gezwungen sehen, von uns aus die notwendigen Gesetzentwürfe einzubringen.
— Herr Kriedemann, wir kennen uns ja lange genug.
— Sie wundert so manches. Mich wundert z. B. bei Ihnen folgendes: daß Sie immer hier in großen globalen Betrachtungen drumherumreden, aber nicht auf das Kernproblem eingehen. Sie wissen so gut wie ich, daß ohne eine Preiserhöhung für gewisse landwirtschaftliche Produkte dem Landvolk einfach nicht zu helfen ist.
— Verzeihen Sie, Herr Kriedemann, Sie sprechen von soundso viel Landwirten. Ich will Sie mal an etwas erinnern.
Sie wissen sehr genau, daß wir im Wirtschaftsrat die Getreidepreise — wir waren das — festgehalten haben, und zwar um der gesamten Volkswirtschaft willen. Wir haben einen Weizenpreis von 12 Mark gehabt, amerikanischer Weizen frei Hafen Bremen kostete damals 62 Mark. Wir haben damals der Landwirtschaft im Interesse der gesamten Volkswirtschaft dieses Opfer zugemutet. Sie hat es ohne Murren getragen. Sie hat ihre Arbeit getan. Heute glauben wir den Anspruch darauf erheben zu können, daß die Forderungen der Landwirtschaft, die sie heute mit Recht stellt, auch erfüllt werden.
— Sie werden die Vorschläge von uns noch bekommen.
Wir bitten Sie, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird verpflichtet, in Anwendung der ihr nach § 1 des Landwirtschaftsgesetzes vorgeschriebenen Mittel der Landwirtschaft für ihre Erzeugnisse kostendeckende Preise zu sichern.
Wir halten diesen kostendeckenden Preis für notwendig, weil wir nicht das gesamte Gefüge unserer Volkswirtschaft auf die Dauer in die Brüche gehen sehen wollen. Ohne ein gesundes Landvolk kann ein Staat nicht existieren. Oder aber man soll den Mut haben und sagen: Wir schreiben die Landwirtschaft ab.