Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für notwendig, noch auf einige der Ausführungen des Herrn Kollegen Erler einzugehen. Ich will nicht, Herr Kollege Erler, auf die massiven Unfreundlichkeiten eingehen, mit denen Ihre Rede reichlich versehen war. Aber ich halte es einfach nicht für möglich, daß wir die unrichtige Darstellung des Herrn Kollegen Erler unwidersprochen lassen.
Er hat eine Darstellung der Genfer Konferenz
gegeben, die objektiv unrichtig ist. Er hat eine
Darstellung gegeben, von der ich nur sagen kann, sie klang ungefähr so, als sei es die politische Pflicht und das moralische Recht der Sowjetunion gewesen, die unannehmbaren Vorschläge der Alliierten abzulehnen.
So war es nicht, meine Damen und Herren. — Es ist genau gesagt worden: Diese Vorschläge bedeuteten doch letztlich — das hat Herr Kollege Erler ausgeführt — die Beibehaltung der NATO-Mitgliedschaft für das wiedervereinigte Deutschland, und das ist doch für die Sowjetunion unannehmbar.
Auf den Zwischenruf, daß Garantien gegeben werden sollten, antwortete Herr Kollege Erler: Nun ja, aber die gelten ja nicht gleichermaßen für alle Fälle.
Darf ich an folgendes erinnern, meine Damen und Herren — ich bin es auch den drei Alliierten schuldig, die weiß Gott auf beiden Genfer Konferenzen das deutsche Anliegen mit einer Eindringlichkeit, mit einer Sorgfalt und mit einer Hingabe vertreten haben, daß man sie heute nicht dafür schelten, sondern ihnen auch heute noch dafür danken soll —:
Für den Fall der Wiedervereinigung lautete der Vorschlag — und es ist nicht ganz uninteressant, daß er sich recht weitgehend mit den Vorschlägen deckt, die Herr Kollege Erler gemacht hat —: Verzicht auf Anwendung von Gewalt, Versagung einer Unterstützung für den Angreifer, Begrenzung von Streitkräften und Rüstungen, Inspektion und Kontrolle, besonderes Warnsystem, Konsultation, individuelle und kollektive Selbstverteidigung, Verpflichtung, gegen einen jeden Angriff einzuschreiten. Und die Antwort der Sowjetunion war: Nein!
Darum ist es auch nicht so, wie es der Herr Kollege Erler darstellt — ,und ich widerspreche dieser Darstellung, weil sie einfach zu simpel ist —, es gebe eine russische Hypothek: die Russen wollten aus uns Kommunisten machen, und es gebe eine westliche Hypothek: die anderen wollten uns in die NATO pressen. — So sind die Dinge nicht. Darf ich daran erinnern, daß auf der Berliner Konferenz der französische Außenminister Bidault dem russischen Verhandlungspartner, Herrn Molotow, die klare Frage gestellt hat: „Werdet ihr die deutsche Wiedervereinigung konzedieren, wenn Deutschland aus der EVG austritt?" Die Antwort lautete: „Nein". Darf ich daran erinnern, daß nach der Ablehnung aller dieser Vorschläge die Sowjetunion nicht einmal, sondern zu wiederholten Malen sagte: „Freie Wahlen werden wir nicht zulassen."
Freie Wahlen wurden ja als eine undemokratische Methode bezeichnet. Darf ich daran erinnern, daß die Sowjetunion wiederholt erklärt hat: „Der Weg zur Wiedervereinigung führt nur über die Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow", daß die Sowjetunion wiederholt erklärt hat: „Die sozialen Errungenschaften müssen nicht nur in der DDR beibehalten, sondern auf das wiedervereinigte Deutschland ausgedehnt werden." Meine Damen und Herren, haben Sie vergessen, was Herr Chruschtschow dem französischen Ministerpräsidenten Guy Mollet und dem französischen Außenminister Pineau auf die Frage antwortete: „Werdet ihr die Wiedervereinigung zulassen, wenn Deutschland
neutralisiert wird"? Die Antwort lautete: „Nein, auch dann nicht. Dann muß Deutschland in unserem Machtbereich sein."
Deswegen ist es eine Darstellung, von der ich bloß sagen kann: Ich bedauere, daß sie in dieser Weise hier vorgetragen wird. Ich widerspreche ihr, weil es eine objektive Unwahrheit ist, die Herr Kollege Erler hier vertreten wollte. Er wollte darlegen, daß Deutschland und seine Verbündeten es an der nötigen Sorgfalt in der Wahrung der deutschen Interessen hätten fehlen lassen. Er wollte darlegen und er hat gesagt: Die deutsche Bundesregierung hat nichts getan, weil sie nichts tun wollte, und sie wird nichts tun, weil sie nichts tun will. Meine Damen und Herren, das ist eine objektive, ja sogar eine subjektive Unwahrheit.