Rede von
Hasso
von
Manteuffel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde haben mich beauftragt, nur zu zwei Fragen heute Stellung zu nehmen, die jetzt zur Entscheidung stehen, und zwar zu der Frage nach dem Wehrsystem und danach kurz auch noch zur Frage der Dienstzeitdauer, weil wir die anderen Fragen ja im Ausschuß besprechen können.
Die Frage des Wehrsystems ist nach meiner Auffassung nur aus der Schau zu beantworten: Wie kann unter Berücksichtigung aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verhältnisse die Wehrkraft des Volkes am wirkungsvollsten eingesetzt werden? Hierbei sind dann die Lage innerhalb der Gemeinschaft, in der wir leben, die Lage, die durch die zersetzende Zweiteilung Deuschlands entstanden ist, die personellen, psychologischen, gegesetzgeberischen und finanziellen Schwierigkeiten — um nur einige zu nennen — gleichfalls in Rechnung zu stellen. Ich stelle das voran, weil in der Debatte in der Öffentlichkeit und in dem, was man darüber liest und hört, die Grundzüge sehr verschwommen dargestellt werden. Ich meine, die gesamte Frage sollte, wie es soeben bei meinen beiden Vorrednern geschehen ist, nur unter rein sachlichen Gesichtspunkten der staatspolitischen Notwendigkeiten und nicht etwa unter wahltaktischen Berechnungen, erst recht nicht mit einem spekulativen Blick auf die nächste Bundestagswahl erörtert werden. Das ist herauszustellen, weil ein Teil der Sprecher in der Öffentlichkeit im Grundsatz einer allgemeinen Wehrpflicht zustimmt, aber mit den merkwürdigsten Verklausulierungen sich in der Gegenwart der unangenehmen Pflicht entledigen will, klar Stellung zu nehmen. Ich bin der Auf-
Fassung, daß Wehrprobleme keine Wahlschlager sind,
jetzt nicht, 1957 nicht — und nicht so!
Bei dem politischen Aspekt, unter den die ganze Problematik zu stellen ist, sollten wir nicht vergessen, daß es heute keine einzelnen Völkerschicksale mehr gibt, sondern daß auch wir einer Gemeinschaft von Völkern angehören, die, wie Herr Erler früher mehrfach gesagt hat, entweder gemeinsam weiterlebt oder in der Umwelt, in der wir nun einmal leben müssen, gemeinsam untergeht. In diesem Sinne wird eben viel zu oft vergessen, daß die gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen in der Gemeinschaft, in der wir leben, kein Selbstzweck sind, sondern daß es darauf ankommt, aus politischen wie aus militärischen Gründen das Gleichgewicht zwischen militärischer Stärke und wirtschaftlichen, sozialen und politischen Notwendigkeiten zu wahren und diese Dinge miteinander in Einklang zu bringen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch im Verhältnis zu unseren Verbündeten. Ich meine, wir sollten bei dieser Schau auch nicht vergessen, daß wir nicht der freie souveräne Staat wären, der wir heute sind, wenn nicht die äußerst kostspieligen Verteidigungsanstrengungen unserer jetzigen Verbündeten nach dem Kriege gewesen wären.
Der deutsche Verteidigungsbeitrag hat nur einen Sinn im Rahmen der Gemeinschaft, und die Bundeswehr kann nur ein Teil der westlichen Verteidigungsmacht sein. Die Verträge verpflichten uns — wie Herr Erler soeben sehr ausführlich dargelegt hat — zu einem angemessenen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung, wobei jedes Mitglied — das ist richtig — über das Ausmaß seiner politischen und militärischen Vertragsverpflichtungen selbständig zu entscheiden hat. Ich bin aber der Auffassung, daß die Aufstellung eines nach Zahl, Art, Bewaffnung und Ausrüstung nicht wirksamen Verteidigungsinstrumentes einer solchen Verpflichtung nicht gerecht wird.
Ich schicke dies voraus, weil teilweise die politische und strategische Folgerung gezogen wird, daß die Streitkräfte der Bundeswehr keine andere Funktion haben als die, das militärische Gleichgewicht zu dem Potential der sogenannten DDR herzustellen. Ich glaube, dieser Definition liegt — das ist jedenfalls meine und die Auffassung meiner politischen Freunde — der Wunsch zugrunde, die Bundesrepublik zu einem regionalen Sondergebiet innerhalb der NATO zu machen. Ich halte das für falsch und für gefährlich. Erstens sind die militärischen Leistungen der einzelnen Staaten nicht auf deren jeweilige Nachbarn zugeschnitten, sondern sie werden als Teilbeträge für die Aufgaben innerhalb des Gesamtorganismus verstanden und gewertet werden müssen. Man kann zweitens auch nicht übersehen, wie stark die Sowjets militärisch unter Einschluß der Armeen ihrer Einflußgebiete und unter Einbeziehung der vormilitärischen Ausbildung beider Geschlechter auf breitester Grundlage im Zusammenhalt mit den sogenannten Werkschutzeinheiten, Werkschutzabteilungen und vielem anderen in ihrem Lande und in den Ländern ihres Einflußbereiches — auch in der DDR — tatsächlich sind.
Nun wird gesagt, wir sollten nicht auf der uns durch die Verträge zugebilligten Stärke bis zu
500 000 Mann bestehen. Deshalb erhebt sich die Frage, ob sich die Verpflichtung zu gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen mit einer geringeren Stärke erfüllen läßt. Diese Folgerung ist in Deutschland — nach meiner Auffassung fälschlicherweise — gezogen worden. Sie wird damit begründet, daß die Sicherheit gegenüber der sowjetischen militärischen Bedrohung jetzt verhältnismäßig unwichtig sei und daß die Wiedervereinigung am besten durch die Preisgabe der Sicherheit, die die NATO bietet, erreicht werden könne.
Ein Sprecher im Bundesrat hat dem mit den Worten Ausdruck gegeben: „Militärisch kommt es in Westeuropa auf ein paar westdeutsche Divisionen mehr oder weniger nicht an. Der schmale Gebietsstreifen Resteuropas genügt nicht für die Raumanforderung eines modernen Krieges. Deutschland kann im besten Fall immer nur Vorfeld sein, dessen Schicksal aus der Erfahrung heraus bekannt ist."
Nun erlauben Sie mir, auch ein paar Worte von General Gruenther anzuführen, den mein Kollege Erler vorhin angezogen hat. Er hat so formuliert: „Wir können unsere Pläne nicht aus der Tagespolitik herleiten. Die Verteidigungsplanung ist eine Funktion der Beurteilung des militärischen Potentials eines eventuellen Gegners. Ich stelle fest, daß dieses nach wie vor im steten Anwachsen begriffen ist", und ich meine, die zahlenmäßige Schwäche der Streitkräfte der NATO in bezug auf konventionelle Waffen muß beseitigt werden, um den Gegner eben nicht zu kleinen Kriegen wie z. B. in Korea unter Vermeidung von Atomwaffen zu verleiten. Diesetwegen ist nach meiner Auffassung die deutsche Beteiligung an der gemeinsamen Verteidigung Europas militärisch dringlich. Die Einbeziehung der Bundesrepublik in die NATO hat damit ihren Wert für sich, indem sie eben die Grenzen des NATO-Inspektionsgebietes weiter nach Osten vorgeschoben und damit den allgemeinen Sicherheitskoeffizienten erhöht hat. Deutsche Truppen haben dabei die Aufgabe, mitzuhelfen, ganz Europa so weit vorwärts wie möglich im Osten zu verteidigen.
Ich meine: Wenn wir eben nicht wollen, daß der Raum zwischen Rhein und Elbe nur als Vorfeld betrachtet wird, das man nach Belieben verteidigen oder auch aufgeben kann, ist die Erfüllung der Verpflichtung in der Stärke notwendig, die in den eingegangenen Verträgen vereinbart worden ist und die — das darf doch nicht übersehen und auch nicht verschwiegen werden — der jährlichen Überprüfung durch die politischen Gremien der Atlantikpaktorganisation unterliegt.
Man löst militärische Probleme — und von denen wird hier im Augenblick gesprochen — nicht durch ausgleichende politische Kompromisse. Die strategische Planung mag wohl von einem Kompromiß zwischen den gegeneinanderstehenden Risiken ausgehen; aber ihr Wert steht und fällt mit der richtigen Entscheidung über die vordringlichen Aufgaben auf dem militärischen Sektor. Ein kleineres deutsches Kontingent aufzustellen, als es beabsichtigt ist, heißt eben, der Verteidigungskraft der westlichen Gemeinschaft einen Stoß zu versetzen.
Im Zeitalter der atomaren Waffenführung kann der Sinn eines größeren Kontingents zweifelhaft sein. Das ist heute schon mehrfach berührt worden und wird auch noch von mir eingehend beleuchtet werden. Aber dann werden wir eben mit
den anderen Atlantikpaktstaaten gemeinsam einen Entschluß über die Umstellung der Wehrorganisation auf eine andere gemeinsame Organisationsform fassen müssen. Solange aber die UdSSR trotz der Entwicklung neuartiger Waffen — ich denke dabei an die transkontinentalen Raketen usw. — ihre zahlenmäßig sehr starken herkömmlichen Streitkräfte nicht abschafft, sollte man dies im Westen auch nicht tun.
Die 'Unterstellung dabei, es handle sich bei der Aufrüstung unsererseits um eine Maßnahme „um jeden Preis", wie, wenn nicht schon gesagt, so doch sicher geschrieben wurde, ist nach meiner Auffassung falsch. Sie ist deshalb nicht richtig, weil der Deutsche Bundestag durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in Art. 87 a selbst festgelegt hat, daß sich „die zahlenmäßige Stärke der vom Bund aufgestellten Streitkräfte und die Grundzüge ihrer Organisation aus dem jährlichen Haushaltsplan ergeben müssen."
Ich komme daher von diesem außenpolitischen Aspekt zu dem Schluß, daß eine Stärke des Beitrags bis zu 500 000 Mann militärisch erforderlich erscheint, auch im Zeitalter der neuesten Waffen. Diese Stärke würde selbst bis zur vollen Höhe von 500 000 Mann, wie ja auch gesagt wurde, nur 1 % der Bevölkerung der Bundesrepublik darstellen und liegt infolgedessen zum großen Teil unter den Leistungen anderer Partner in der Gemeinschaft, in der wir leben. Ich bin der Auffassung, daß man ansonsten nicht von einem „angemessenen" Beitrag sprechen kann und daß diese Verpflichtung ohne die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht erfüllt werden kann.
Nun ist aber der Einwand sehr sorgsam und sorgfältig zu prüfen, ob und gegebenenfalls weshalb die Aufstellung eines deutschen Kontingents in der beabsichtigten Höhe und durch die allgemeine Wehrpflicht die Abrüstungsverhandlungen stört. Die Gegner der allgemeinen Wehrpflicht sagen, daß es unsinnig sei, jetzt, wo die Abrüstungsgespräche noch laufen, die Bundesrepublik auf eine Stärke aufzurüsten, die nachher wieder abgebaut werden müßte. Dieses Argument stützt sich, glaube ich jedenfalls, mehr auf die Hoffnung, daß die Bereitschaft zu dieser Abrüstung im Westen auch von den Sowjets geteilt wird. Aber abgesehen von der Frage, ob es für die Sowjets nicht viel entscheidender ist, inwieweit sie die USA mit ihrem riesigen Potential zu einem Abrüstungsabkommen bringen können, weil das dann für sämtliche NATO-Staaten militärisch ganz erhebliche und bedeutsame Folgen hätte, abgesehen davon, daß es für die Abrüstungswilligkeit der Sowjets nicht übermäßig interessant, wenn auch nicht uninteressant ist, ob 250-, 350- oder 500 000 Soldaten der Bundesrepublik existieren, — abgesehen von alledem wird man sich fragen, ob man unsererseits ein mögliches Abrüstungsabkommen nicht dadurch geradezu verschenkt, daß man sich von vornherein freiwillig in einer Weise beschränkt, ohne daß die andere Seite, die Sowjets nämlich, bisher irgend etwas dazu getan hat;
denn die kürzlich vorgenommene Verminderung ihrer Landstreitkräfte hat doch bei den riesigen dahinterstehenden Reserven ausschließlich taktische Bedeutung. Dieses Verschenken birgt ein Risiko, vielleicht sogar ein allzugroßes Risiko in sich.
Ich pflichte daher der Bundesregierung bei, die erklärt, Deutschlands Forderung nach Einheit in Freiheit solle den Abrüstungsverhandlungen nicht im Wege sein, nur solle sie auch nicht ausgeklammert und nicht isoliert behandelt werden. Denn niemand kann stärker hoffen — da unterstreiche ich das, was auch der von mir geschätzte Kollege Erler so deutlich gesagt hat —, daß die Bemühungen um Abrüstung in der Welt zu einem Erfolg führen, als gerade wir, die wir zwischen diesen beiden großen Weltblöcken geradezu eingeklemmt sind. Aber diese Abrüstung darf eben nicht auf Kosten der Lebensinteressen des deutschen Volkes zustande kommen, muß also die Wiedervereinigung einschließen. Diese Frage wiederum kann nicht gewaltsam gelöst und behandelt werden, sondern auch im deutschen Interesse nur bedächtig und vorsichtig. Nur wenn die Bundesrepublik ihre militärische Planung mit Entschlossenheit verwirklicht, hat sie Aussicht, daß sie bei Abrüstungsverhandlungen ihren Einfluß in die Waagschale werfen kann, wobei auch zu berücksichtigen und zu werten ist, daß die Bundesrepublik bereits freiwillig Beschränkungen in militärischer Hinsicht auf sich genommen hat. Diese Beschränkungen liegen in der beabsichtigten Stärke, in der Nichtherstellung der sogenannten ABC-Waffen, in dem Verzicht auf die operative Luftwaffe und auch in der Absicht des Gesetzgebers, für bestimmte Jahrgänge eine verkürzte Grundwehrausbildung zuzulassen, Beschränkungen, die vom Standpunkt der militärischen Wirksamkeit der Landesverteidigung einigen vielleicht sogar bedenklich erscheinen mögen. Die Beschränkungen liegen weiterhin in den Festsetzungen der Marinestreitkräfte.
Erschrecken Sie nicht, meine Damen und Herren, aber ich glaube: wie weit die völkerrechtliche Bindung reicht, die uns Herr Erler hier sehr eingehend dargestellt hat, mag vielleicht die wesentliche Frage einer Doktorarbeit sein, denn es ist sicher, daß die Verbindlichkeit nicht bestritten werden kann. Wenn das deutsche Kontingent seinem Umfang nach beschränkt werden soll, muß es eben mit den anderen Vertragspartnern ausgehandelt werden.
Von der Außenpolitik her verbinden sich die Überlegungen auch mit der Frage, ob die Aufstellung der Bundeswehr in dem von der Bundesregierung im Endziel beabsichtigten Rahmen eine Wiedervereinigung fördert oder ihr womöglich abträglich ist. In diesem Sinne wird gesagt, wenn die Bundesrepublik die allgemeine Wehrpflicht einführe, werde die sogenannte DDR das gleiche tun, wodurch viele junge Deutsche in schwere Gewissenskonflikte kommen würden, zumal sich in der Welt das Bild einer Entspannung ergebe, damit also auch einer Abkehr von der rein militärischen Denkkategorie, und somit auch eines Bedeutungswandels der deutschen Aufrüstung.
So verständlich und so notwendig es ist, diesen Überlegungen nachzugehen, so bedeuten sie doch in gewissem Sinne nach meiner Auffassung eine einseitige Betrachtung, die meines Erachtens nicht genügt, die außenpolitische Bedeutung der Existenz deutscher Streitkräfte zu erkennen. Denn die Tatsache des Bestehens deutscher Streitkräfte wird das Schwergewicht der Bundesrepublik innerhalb der westlichen Bündnisse zunächst einmal wesentlich verstärken. Auch große neutrale Staaten wissen genau, daß sie ihre Existenz auf Grund starker militärischer Streitkräfte aufrechterhalten können.
Aber eine Tatsache, die zur Grundlage der Beurteilung der Wehrpolitik gemacht werden muß, ist die jedem vernünftigen Beobachter erkennbare Tatsache, daß der Bolschewismus ja doch nicht nur revolutionär, sondern auch im höchsten Grade aggressiv ist. Wer diese Erkenntnis nicht hat und wer in seiner Politik dem militanten Charakter des Bolschewismus nicht Rechnung trägt, wer aus ihm nicht die meiner Auffassung nach notwendigen Konsequenzen zu ziehen bereit ist, handelt nicht der Wirklichkeit entsprechend. Der Kreml selber hat ja früher die Wiedervereinigung Deutschlands als eine Frage der Sicherheit hingestellt. Eine effektive allgemeine Abrüstung ist in der Tat nur denkbar, wenn die Ursachen der Spannung beseitigt und Voraussetzungen der allgemeinen Sicherheit vorhanden sind. Die Abrüstung aber vor der Errichtung eines Sicherheitssystems und vor der deutschen Wiedervereinigung wäre eine Vorleistung des Westens, nach der dieser meiner Auffassung nach kein Mittel mehr hat, die Sowjets zu Zugeständnissen in der deutschen Frage zu veranlassen. Wenn den Sowjets so sehr an dem Gedanken einer militärisch verdünnten Zone liegt und er ihnen so sehr gefällt, sollten sie doch einmal auf die Probe gestellt werden, welche Gegenleistung sie zu geben bereit sind. Denn kollektive Sicherheit kann für Europa nach meiner Auffassung nur dann verwirklicht werden, wenn die Bedrohung — als deren Gegengewicht die NATO geschaffen wurde — aufhört zu bestehen. Diese Bedrohung durch die Sowjetunion — daran muß erinnert werden, weil Herr Erler vorhin bezüglich der Reihenfolge sagte, die Sowjets hätten immer nachgezogen nach gewissen Maßnahmen, die wir getroffen hätten —, entsprang dem besonderen Verhältnis, in dem die 1 UdSSR zu den osteuropäischen Ländern steht. Man darf dabei also nicht allein die UdSSR betrachten; bei jeder Diskussion über kollektive Sicherheit ist nach meiner Auffassung das interne Regime in den Satellitenstaaten und deren Abhängigkeitsverhältnis zur UdSSR von ausschlaggebender Bedeutung. Solange die Satellitenstaaten Moskau unterworfen bleiben, ist es für die westlichen Länder notwendig, untereinander ein ähnliches — allerdings, das ist der Unterschied, freiwilliges — Verhältnis aufrechtzuerhalten.
Deshalb drängt sich mir die Schlußfolgerung auf, daß die wahre Probe auf die Bereitschaft der UdSSR, über eine allseitige Entspannung zu verhandeln, ihre Bereitschaft ist, ihre eigene Vormachtstellung in der einen Hälfte Europas zur Diskussion zu stellen mit dem Ziel, diese Abhängigkeit zu lösen und das durch Taten dann wirklich glaubhaft zu machen.
Man wird der „Welt der Arbeit" zustimmen können, wenn sie vor einiger Zeit die Erhaltung des Friedens als vor allem von den Sowjets abhängig bezeichnete und schrieb — erlauben Sie, Herr Präsident, das ich das kurz vorlese —:
Wenn sie,
— die Sowjets —
statt aufzurüsten, Frieden schließen, ihre Truppen aus Europa abziehen, sich und ihre Satelliten abrüsten und damit die Räumung Deutschlands von allen Besatzungsmächten ermöglichen, dann gibt es keine Gefahr eines Zusammenstoßes auf unserem Kontinent, dann bedarf es keines Verteidigungssystems, dann ist die Frage der deutschen Einheit gelöst. An die Adresse des Kremls also, der alle Abrüstungsverhandlungen sabotiert und überall in der Welt Unruhe stiftet, muß daher jeder Protest in erster Linie gerichtet sein.
Ich meine, der enge Zusammenhang der Probleme um die deutsche Wiedervereinigung mit einem europäischen Sicherheitssystem hat eine gewisse Abhängigkeit geschaffen — wie heute hier schon erwähnt —, die parallele Fortschritte bei der Lösung beider Fragen erforderlich macht. Deren Lösung würde erleichtert werden, wenn auch bei der Vorbereitung eines allgemeinen Abrüstungsabkommens Fortschritte in dem hiermit zusammenhängenden Problem der Wiedervereinigung erzielt würden.
Es erscheint mir aber ebenso einseitig, meine Damen und Herren, die außenpolitische Bedeutung der deutschen Streitkräfte für die Wiedervereinigung nur aus dem Gesichtswinkel sehen zu wollen, auf welche Sympathien oder Antipathien ihre Existenz bei der Pankower Regierung beispielsweise stößt, wie ich neulich gelesen habe. Ich meine, überragend und entscheidend ist doch die Überlegung, ob und inwieweit die gesamte Politik der UdSSR als der wirklichen Machthaberin in dieser Zone durch die Existenz der Bundeswehr beeinflußt wird oder nicht. Das Bekenntnis zu den eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft sichert der außenpolitischen Entwicklung der Politik der Bundesregierung eine Stetigkeit, die auf die Dauer die einzige Möglichkeit garantiert, ein langsames Zurückweichen des sowjetischen militärischen Machtbereichs zu bewirken und damit auch der Wiedervereinigung näherzukommen. In diesem Sinne vermag der deutsche Beitrag zu der gemeinsamen Verteidigungsanstrengung auch eine militärische Klammer zu der Schicksalsgemeinschaft darzustellen dadurch, daß mit jedem Verband, der in der Bundesrepublik aufgestellt wird, auch die politische Front des Westens gestärkt wird und damit die sowjetische Strategie des divide et impera Erfolgschancen verliert. Deshalb sind wir der Auffassung, daß auch das mit der Freiheit unvermeidlich verbundene Risiko und auch die Opfer getragen werden müssen, die zur Erhaltung der persönlichen Freiheit für jeden Mitbürger in der Bundesrepublik hiermit verbunden sind.
Im übrigen bleibt festzuhalten, daß Freiheit ja nur dann ein Dauerwert ist, wenn sie erlebt und erfahren ist, d. h. die Frage verteidigungswerter Werte kann nach unserer Auffassung befriedigend und überzeugend nur aus dem Gewissen des Einzelnen und vor einer höheren Instanz als der des politischen Zweckmäßigkeitsdenkens gegeben werden. Daß die Freiheit des Menschen in erster Linie aber zu den Werten gehört, die es wert sind, verteidigt zu werden, daß sie damit Voraussetzung und ständige Aufgabe jeder demokratischen Rechts- und Staatsordnung ist, ist der Ausgangspunkt dieser Betrachtung für jeden Einzelnen oder sollte es zumindest sein. Uns sind diese Werte verteidigungswert, und wir sind daher bereit, hierfür Opfer auf uns zu nehmen, die diese Gewissenskonflikte lösen helfen.
Die Wurzel der gegenwärtigen Auseinandersetzungen ist ja gar nicht so sehr strategischer oder militärischer Art, sondern im wesentlichen politischer Art, weil die atomare Überlegenheit im Konfliktsfalle manche Politiker hier im Westen zu der Auffassung verleitet, daß es genügt, wenn man lediglich mehr oder weniger kleine Heere aufstellt. Dieser Gedanke spielt auch bei den Befürwortern
eines verhältnismäßig kleinen Berufsheeres in der Bundesrepublik eine nicht unerhebliche Rolle. Die politische Kehrseite davon ist jedoch, daß dies eine Entspannung auf der Grundlage des Status quo voraussetzt, auch wenn dies nicht ausgesprochen oder nicht beabsichtigt ist. Dies wird leider oft übersehen. Es bedeutet eine Einigung der Großmächte über das geteilte Deutschland hinweg, und dieser Gedanke liegt wahrscheinlich auch — ich möchte es annehmen — dem letzten sowjetischen Abrüstungsplan zugrunde, der eine Entspannungszone in einem geteilten Deutschland vorsieht. Der Status quo bleibt aber nach unserer Auffassung eher bestehen, wenn die Bundesrepublik ihre Politik auf eine unrealistische und widerspruchsvolle Konzeption versteift. Die politische Frage, wie die Bundeswehr mit der NATO verklammert werden soll, darf doch, weil sie dies soll und weil man darin einen Ausdruck der Außenpolitik der Bundesregierung sieht und deshalb ablehnt, sicher nicht zu Lasten der Verteidigungsbereitschaft und Wirksamkeit des zu schaffenden Verteidigungsinstruments ausgefochten werden, die beide darunter ganz entscheidend leiden müssen. Der Schlüssel für diese Abrüstung liegt nach unserer Auffassung im Plan einer qualitativen Abrüstung in Verbindung mit einem geeigneten Verfahren der technischen Überwachung, und der gemeinsame Nenner ist die Erkenntnis, daß eine Abrüstung ohne ein gewisses Maß an Inspektion und, wie ich glaube, erzwingbarer Kontrolle vorläufig eine Illusion ist und bleibt; denn die Kernfrage ist nicht die Durchführbarkeit, sondern die Annahme von seiten der Großmächte.
Dazu gehört, wie es von beiden Herren Vorrednern auch gesagt worden ist, wiederum Vertrauen zwischen der UdSSR und den Westmächten. Aber man kann sich des Eindrucks, jedenfalls auf Grund des bisherigen Verhaltens der UdSSR auch in den Abrüstungsverhandlungen, nicht ganz erwehren, daß der Kreml eben keine Verständigung, sondern nur eine Entspannung sucht. Nun kann man zwar sagen, daß die Entspannung die Vorstufe zur Verständigung sein könnte. Sie muß es aber nicht sein; denn nur die Verständigung löst Probleme, während die Entspannung ein Vorbeisehen an den Tatsachen und Zudecken von Gegensätzen bedeutet. Auch die Abrüstungspolitik kann also, wie überhaupt die Politik, nicht von einer Situation der Schwäche ausgehen.
Es ist richtig, wenn gesagt wird: Ein Denken in militärischen Stützpunkten und Verteidigungsgürteln, in Divisionsstärken und mehr allein ist sicherlich falsch. Darüber kann, glaube ich, kein Zweifel bestehen. Aber ich meine, militärische Sicherungen sind in der Umwelt, in der wir, wenn Sie so wollen, verdammt sind zu leben, notwendig und unerläßlich.
Es ist ein Irrtum, zu glauben, für die Abwehr des militanten Bolschewismus genüge es allein, wirtschaftliche und soziale Zustände zu schaffen, die eine Infizierung durch die kommunistische Ideologie unmöglich machen. Jawohl, meine Damen und Herren, sie sind notwendig, bitter notwendig, gerade auch in unserer noch nicht gefestigten Ordnung. Aber die Abwehr gegen diesen militanten Bolschewismus ist eben auf allen Gebieten zu führen, d. h. neben die Schaffung gesunder wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse muß der Aufbau einer wirksamen militärischen Abwehr treten.
Ich komme deshalb in diesem Sinne zu dem Schluß: das rein politische Argument, die allgemeine Wehrpflicht würde die Spaltung vertiefen, ist sowieso nicht durchschlagend, weil die politische Entscheidung durch die Annahme der Verträge gefallen ist, und man würde, wenn man ihm nachgäbe, unseren Verteidigungswillen in Frage stellen. Über die Stärke kann man sich nachher unterhalten. Ich meine: gerade von der Plattform einer festgefugten und auch militärisch abgesicherten Bundesrepublik haben wir zwecks Wiedervereinigung eine bessere Verhandlungsposition, wenn diese keine Selbstaufgabe, sondern eine freie Entfaltung der Nation sein soll.
Bevor man aber über die wirksamste Verteidigungsorganisation und damit auch über die Stärke und die zweckmäßigste Wehrform entscheiden kann, muß noch Stellung dazu genommen werden, ob nicht im Lichte der Entwicklung und Weiterentwicklung neuartiger Waffen — ich meine sowohl die Atomwaffen wie Wasserstoffbomben wie nun auch die transkontinentalen Raketen — ein militärisches Umdenken notwendig ist, und zwar im besonderen hinsichtlich der sogenannten herkömmlichen Waffen. Das ist, worüber wir zunächst zu entscheiden haben.
Wir haben dabei die Frage zu beantworten, ob sie überhaupt noch in der Stärke notwendig sind, wie sie hier bisher alle militärischen Staaten als erforderlich bezeichnet haben. Ich darf an den Anfang stellen, daß der Präsident der USA kürzlich gesagt hat, „daß die Abrüstung in erster Linie in der Beschränkung der Waffen, statt in der von Soldaten gesucht werden muß". „Die Personalstärken", sagte er, „beginnen mit der Vervollkommnung der Fernvernichtungswaffen uninteressanter zu werden." Hierzu ist zu sagen — erlauben Sie mir einen kleinen Abstecher in dieses operativ-strategische Gebiet —: Auf allen Landkriegsschauplätzen der Vergangenheit war jeweils das Heer der Hauptträger des Kampfes. Es hatte hierbei sofort beim Ausbruch der Feindseligkeiten durch Vernichtung des feindlichen Landheeres und seiner Helfer bei gleichzeitiger Besetzung des feindlichen Territoriums die Entscheidung herbeizuführen. Dies trifft heute nicht mehr in dieser Weise zu, weil leider bezweifelt werden muß, ob durch Vernichtung aller Atom- und Wasserstoffbomben infolge eines internationalen Abkommens nun endlich der Alpdruck behoben werden kann, unter dem die gesamte Menschheit jetzt leidet und schon seit einem Jahrzehnt lebt. Aber gegen die Gefahr — das muß allerdings hier eingeflochten werden —, daß nukleare Waffen und Kampfgeräte im geheimen doch erzeugt und gestapelt werden können, gibt es jedenfalls vorerst anscheinend keine Garantie. Ich glaube sogar, daß diese Garantie, daß diese Waffen nicht eingesetzt werden, so grotesk es klingt, wahrscheinlich eher in dem Vorhandensein, nämlich in der abschreckenden Wirkung des Risikos bei gegenseitigem Einsatz liegt. Das heißt, ihr Vorhandensein in entschlossener Hand garantiert, daß der weltrevolutionäre Osten, der zwar von Zeit zu Zeit seine Taktiken ändert, nicht aber sein strategisch weitgestecktes Ziel der Welteroberung, nicht angreift. Und so scheinen vorerst jedenfalls — das Bild hat uns Herr Erler, wenn ich so sagen darf, richtig ausgemalt — Atom-und Wasserstoffbomben zum Mittel der Abschrekkung geworden zu sein.
Und doch ist es falsch, meine Damen und Herren, die Verteidigung des Westens allein auf diese Waffen abzustellen. Denn seitdem die Atomwaffen und weiteren Zerstörungsmittel — ich denke dabei gerade an die transkontinentalen Raketen, die ja Herr Chruschtschow in London noch kürzlich erwähnt hat und die die Sowjetunion nun auch besitzt — im Besitz der beiden Großmächte sind, und je mehr die Sowjetunion den anfänglichen Vorsprung auf diesem Gebiet aufholen wird, desto sicherer ist es vielleicht — ich habe die Hoffnung —, daß eine uneingeschränkte Verwendung dieser Waffen für beide Teile nunmehr dem absoluten Selbstmord gleichkommen würde, wie Herr Erler das sagte.
Wollten sich daher die freien Völker Europas im wesentlichen auf den Schutz durch die Atomwaffen der NATO verlassen, würden sie wahrscheinlich selbst dazu beitragen, das Unheil des Kampfes mit diesen neuartigen Waffen heraufzubeschwören. Es kommt hinzu, daß diese Abschreckungstheorie bisher im wesentlichen auf dem Vorhandensein der strategischen Luftwaffen der NATO-Staaten beruhte, die in der Lage sind, alle Teile des sowjetischen Machtbereichs mit Atomwaffen zu erreichen.
Entscheidend verändert hat sich nun diese militärische Lagebeurteilung durch die allerneueste waffentechnische und daraus auch folgend die strategische Entwicklung insofern, als eben diese strategischen Luftwaffen durch die transkontinentalen Raketen in gewissem Sinne abgelöst wurden, zumindest in manchen Gebieten. Diese Raketen werden heute — das wissen wir — von beiden Großmächten mit Nachdruck entwickelt und ausprobiert. Ich glaube, es ist noch gar nicht abzusehen, wohin die technische Entwicklung dieser Waffen führt. Damit werden auch die Grundlagen der Strategie, nicht nur die politischen Grundlagen übrigens, verändert. Daraus folgt, daß die sogenannten herkömmlichen Waffen im weiteren Fortschritt der technischen Vervollkommnung dieser neuen von mir eben genannten Waffen wieder an Bedeutung gewinnen. Warum? Konnte man bisher glauben, daß ein atomarer Überraschungsangriff bei Beginn der Feindseligkeiten die Entscheidung auf militärischem Gebiet bringen könnte, so fällt dieses Merkmal mit der Entwicklung und der weiteren Vervollkommnung der transkontinentalen Raketen fort. Sie können nämlich von jeder beliebigen Stelle ohne den zeitraubenden Bau von Anlagen abgeschossen werden. Da sie weiterhin durch die Luftbildaufklärung kaum zu entdecken sein werden, kann man ihre Abschußbasen nicht in gleicher Weise zerstören, wie dies bei den sonstigen Anlagen möglich war und ist. Die Sowjets sollten wissen - und ich glaube, sie wissen es auch, ich habe darüber keinen Zweifel —, daß ihnen dieser entscheidende erste Schlag nicht mehr gelingen kann, d. h. mit anderen Worten, daß der Erfolg eines sowjetischen Überraschungsangriffs mit atomaren Waffen keineswegs mehr so hundertprozentig gesichert ist, daß durch ihn ein entscheidender Sieg errungen werden könnte.
Die entscheidende Folgerung daraus ist, daß es dem Gegner infolgedessen nicht mehr gelingen wird, die Möglichkeiten eines für ihn im wahrsten Sinne des Wortes katastrophalen Gegenschlages auszuschalten. Der Angreifer — beiderseits, wer es sein sollte — muß damit rechnen, daß ein erheblicher Teil dieser Abschußbasen intakt und diese furchtbare Waffe lange anhaltend wirksam bleibt, woraus folgt, daß der Angreifer damit zu rechnen hat, daß ihn diese neuartigen Waffen genauso schwer treffen und seine für die Gesamtkriegführung lebensnotwendigen und militärisch notwendigen Anlagen, wenn nicht sogar erhebliche Teile des Landes und der Industrie zerstören könnten. Deshalb werden die herkömmlichen Waffen gerade auch im Zuge der Weiterentwicklung dieser Zerstörungswaffen wieder an Bedeutung gewinnen. Damit wächst dann die Gefahr lokaler, d. h. begrenzter Konflikte, wozu die herkömmlichen Waffen lebensnotwendig geworden sind.
Dies ist nach meiner Auffassung auch der Grund, daß sich bei den sich gegenwärtig so hinschleppenden Abrüstungsgesprächen der Schwerpunkt der Verhandlungen in London um die Lösung einer brauchbaren ersten Stufe einer allgemeinen Abrüstung wieder weg von den atomaren Waffen mehr den konventionellen Waffen zuwendet, wie es Herr Kollege Erler auch sagte, wobei der sowjetische Plan sich und dem Ostblock eben seine bisherige zahlenmäßige Überlegenheit in diesen herkömmlichen Waffen sichern und sie bei den westlichen Ländern sehr stark begrenzen will.
Es besteht also durchaus die Möglichkeit, daß infolge der Gefahr der unmittelbaren Vernichtung die Weltmächte veranlaßt werden könnten, Konflikte, die irgendwo in der Welt ausbrechen, zu lokalisieren und sich möglichst selber herauszuhalten, um dem Zwang zu entgehen, diese für sie tödlichen und vernichtenden Waffen einzusetzen. Derartige lokalisierte Konflikte dürften dann aller Wahrscheinlichkeit nach nur mit den herkömmlichen Waffen ausgetragen werden, - ein Fall, der nach meiner Auffassung auch von der Bundesregierung nicht ohne weiteres übersehen und als ausgeschlossen angesehen werden sollte.
Deshalb müssen sich Rüstung und Strategie — leider, kann man nur immer wieder hinzufügen — auf beide Fälle einstellen. Sie stehen unter dem Zwang, sich auf beide Möglichkeiten in der Abwehr vorzubereiten, d. h. gewissermaßen zweigleisig zu denken und zu planen, weil eben niemand voraussehen kann, welcher von den gegebenen Möglichkeiten die Zukunft gehört.
Diese Folgerung muß nach meiner Auffassung auch für die deutsche Aufrüstung gezogen werden. Aber eine Aufrüstung im Rahmen des sowjetischen Abrüstungsvorschlags — 200 000 Mann in der ersten Stufe — würde der Bundesrepublik nicht die Sicherheit geben, die sie in ihrer geographischen Lage im Verhältnis zu dem vermutlichen potentiellen Gegner braucht.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Sowjetunion 21/2 Millionen Mann in sofortiger Einsatzbereitschaft hat, ohne den Einschluß der Armeen ihrer Einflußzone, der Satellitenstaaten, der vormilitärischen Ausbildung usw. Ich brauche das nicht alles zu wiederholen. Es ist den Damen und Herren auch durchaus geläufig.
Nun wird das Abrüstungsgespräch meines Erachtens auch deshalb nicht gestört, weil selbst bei Verabschiedung dieses Gesetzes in naher Zukunft ja doch nicht sofort 500 000 Mann eingezogen werden. Die Aufstellung wird sich vielmehr über einen längeren Zeitraum hinausziehen, und — deswegen sage ich das — im Verlauf dieser Aufbauzeit liegt es an den Sowjets, ihre ehrliche Bereitschaft zu
einer kontrollierbaren allgemeinen Abrüstung zu zeigen und durch Taten zu beweisen.
Sowenig man theoretisch die denkbare Wirkung der atomaren Kriegführung bestreiten kann, so eindeutig zeigt doch die bisherige Praxis, daß bisher kein Land, das die herkömmlichen Streitkräfte besitzt, diese konventionellen Waffen abschafft. Diese Tatsache dürfte wohl kaum allein darauf zurückzuführen sein, daß etwa die Militärs zu zäh und allzulange am Überkommenen festhalten. Ich glaube, sie beruht vielmehr darauf, daß eben kein Land auf Streitkräfte herkömmlicher Art verzichten zu können glaubt, solange andere Mächte, die es etwa angreifen könnten, über derartige Streitkräfte in großer Zahl verfügen.
Es ist nun falsch, glaube ich, die Diskussion so zu führen, als ob die einzige Möglichkeit bewaffneter Auseinandersetzung, in welche die Bundesrepublik einbezogen werden könnte, der nukleare Weltkrieg wäre. Wer so argumentiert, muß doch zuvörderst erst einmal klären, warum der Ostblock neben der nuklearen Rüstung noch die herkömmlichen Waffen in dieser ungeheuren Zahl besitzt. Ich meine, der Einsatz — der strategische, operative oder taktische Einsatz — von Atomwaffen kann auch für sich allein Entscheidungschlachten nicht schlagen, so wie keine Waffe und kein Waffensystem jemals eine Kampftruppe voll ersetzen können. „Ein Krieg ohne Menschen" oder „ein Krieg durch Druck auf den Knopf" etwa, all das sind falsche Lehren. Die These, man könne ohne die lebendige Kraft des Menschen Krieg führen, wird durch die Atomtaktik und all das, was unsere Militärexperten auf diesem Gebiet wissen — ich meine die Herren des Bundesverteidigungsministeriums, die das zu prüfen haben —, nicht bestätigt.
Wie immer die Erfindung und vor allen Dingen die Weiterentwicklung dieser neuartigen Waffen aussehen wird, wohin sie führen wird, auch wenn man dazu übergeht, die herkömmlichen Waffen anders zu organisieren, auszurüsten, zu gliedern und zu verwenden, — entbehrlich werden sie so lange nicht sein, solange die UdSSR und ihre Satelliten derartige Streitkräfte in einer überwältigenden Zahl bereithalten. Dabei bleibt auch zu berücksichtigen, daß die bolschewistische Ideologie genauso wie der jahrhundertealte Expansionsdrang der russischen Nation auch dann eine latente Gefahr für die freien Völker im Westen bleibt, wenn eine Periode der friedlichen Koexistenz die derzeitige Spannung vorübergehend in den Hintergrund treten ließe.
Ich komme deshalb aus diesem Aspekt zu der Schlußfolgerung: es ist nicht darüber zu entscheiden, meine verehrten Damen und Herren, welches System einer Wehrpflicht uns das angenehmste oder welches dasjenige ist, das uns die wenigste Mühe macht und die geringsten Opfer an Einsatzbereitschaft erfordert. Wir müssen die Armeen jener Macht betrachten, die uns bedroht, und die Art der Abwehr hat sich — das ist das, was mein Kollege Kliesing sagte — nach dem mutmaßlichen operativen und technischen Verhalten des möglichen Angreifers zu richten. Nur nach dem Wert, den wir den Soldaten des möglichen Gegners beimessen, haben wir unsere Anstrengungen zu berechnen. Es gibt nach meiner Auffassung keinen anderen und keinen besseren Maßstab für das, was wir zu tun haben. Der ausreichende, d. h. der wirksame Schutz durch herkömmliche Waffen vermindert die Gefahr, daß die westliche Verteidigungsgemeinschaft selber zu Atomwaffen greifen muß, um sich zu schützen.
Aber noch eines dazu! Sicherlich müssen im Zeitalter der atomaren Waffenführung Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung einen gleich wichtigen Anteil an der Landesverteidigung ausmachen wie die Aufstellung der Verteidigungskräfte selbst. Sie können aber durch diese Maßnahmen niemals alles ersetzen. Alle Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung können doch bestenfalls das Überleben ermöglichen; die Freiheit sichern sie allein nicht. Aber es kommt darauf an, nicht nur das Leben, sondern auch die Freiheit, so wie wir sie westlich verstanden wissen wollen, zu bewahren. Das ist das Entscheidende.
Sie kann gegenüber einem Angreifer eben nur durch aktive Verteidigung behauptet werden.
Nun zu der Stärke dieses angemessenen, wie mir scheint, militärisch notwendigen Beitrages. Diese Stärke macht einen angemessenen deutschen Beitrag politisch und militärisch in etwa der beabsichtigten Höhe erforderlich. Er kann auch nach unserer Auffassung nur durch die allgemeine Wehrpflicht, wenn sie eingeführt werden soll, in dem vorgesehenen Ausmaß erreicht werden. Denn eines der ewigen und unabänderlichen Gesetze, welche die Wirklichkeit, d. h. das Leben der einzelnen Völker beherrschen, setzt das Recht und für den normalen Menschen die Pflicht zur Notwehr und Selbstverteidigung voraus. Wer die Souveränität will — das haben wir früher ausgesprochen —, muß auch die Landesverteidigung bejahen. Das ist auch von keiner Seite bestritten worden. Vor dieser Frage gibt es kein Ausweichen. Sie muß von jedem Bürger, auch von dem jüngeren Bürger gestellt und beantwortet werden, der heute — aber nicht nur heute — in dem sich immer mehr zuspitzenden Meinungsstreit über die zweckmäßigste Wehrform sein Urteil beisteuern muß. Das müssen wir auch von denjenigen fordern, die politischen Einfluß geltend machen wollen. Das Hoheitsrecht der Selbstverteidigung ist ein Naturrecht des Staates,
und es ist unverlierbar. Wenn der Staat es nicht
hätte oder nicht in Anspruch nehmen würde, hätte
' er nach meiner Auffassung überhaupt keine Staatsqualität und könnte sie auch niemals aus einem unabdingbaren Recht heraus gewinnen. Es entspringt allem anderen als militaristischem Denken, wenn man eine Wehrmacht als ein natürliches konstitutionelles Organ jeder staatlichen Gemeinschaft anerkennt. Die Wehrhaftmachung ist damit zugleich eine Frage der Weiterentwicklung und der weiteren Vervollkommnung unserer demokratischen Volks- und Staatsordnung.
— Wenn wir damals schon die Sicherungen eingebaut hätten, die wir jetzt glauben geschaffen zu haben, würde ich Ihnen recht geben.
Die Umwandlung des stehenden Heeres in ein Volksheer war bekanntlich eine alte bürgerlichliberale Forderung, die später von der Sozialdemokratie aufgenommen wurde und auch in allen Programmen dieser Partei bis 1914 wiederkehrte. Ihr entsprach die Forderung nach einer strengen vormilitärischen Ausbildung der Jugend und nach wirklich allgemeiner Erfassung aller Wehrpflichtigen. August Bebel wollte sogar die männliche Schuljugend durch altgediente Unteroffiziere an Waffennachahmungen, durch Marsch- und Erkundungsübungen ausbilden lassen. Er hat in seiner berühmt gewordenen Rede — ich sage es, um es allen Herren, die es vergessen haben sollten, ins Gedächtnis zurückzurufen — am 13. Dezember 1892 über eine Militärvorlage gesagt — der Herr Präsident erlaube, daß ich einen kurzen Auszug vorlese —.
Will also Deutschland einen wirklichen Vorsprung vor den übrigen Staaten, insbesondere vor seinen zukünftigen Feinden haben, so bleibt nichts anderes übrig, als daß es den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht in vollster Wirksamkeit zur Ausführung bringt, indem es die allgemeine Volkswehr, die Volksbewaffnung Hand in Hand mit der militärischen Jugenderziehung durchführt.
Weiter hat Bebel zu den Rüstungsvorlagen 1913
— das war bekanntlich die Heeresvermehrung um etwa zwei Armeekorps — gesagt:
Die Sozialdemokratische Partei hat niemals verkannt, daß die geographische und politische Lage des Reiches die Vorbereitung einer starken Schutzwehr notwendig macht. Infolgedessen rechtfertigt sich nicht nur die Wehrhaftmachung des letzten Mannes bei uns, sondern sie ist eine notwendige Folgerung.
Der ehemalige Reichswehrminister Noske, unter dem auch ich gedient habe, brachte 1920 zum Ausdruck — wörtlich —:
... sich in aller Zukunft für den Bestand eines Heeres einzusetzen, in dem auch der letzte Mann seiner Pflicht zu genügen habe.
Die auf dem Parteitag 1929 zu Magdeburg beschlossenen Richtlinien der Sozialdemokratischen Partei zur Wehrpolitik lauten:
Die Abrüstung wird nur dann dem Frieden dienen, wenn sie nicht eine einseitige Verpflichtung ist, wie sie dem Besiegten des Weltkriegs durch die Sieger auferlegt wurde. Nur zwischen gleichberechtigten Nationen ist dauernder Friede zu erreichen.
— Herr Schmidt, ich habe das ja vorhin schon vorausgeschickt; ich komme ,dann zu der Schlußfolgerung.
Der Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes sagt in seiner Entschließung vom November 1950:
Den inneren und äußeren Feinden dieser Idee gegenüber kann es keine Neutralität geben, denn sie bedrohen nicht nur die Existenz der freiheitlichen Gewerkschaftsbewegung, sondern den sozialen Fortschritt und den kulturellen Aufstieg der arbeitenden Menschen.
Ich meine, an diesem Kampf sollten sich wirklich alle Staatsbürger beteiligen.
Die Forderung, daß das Volk zur allgemeinen Wehrpflicht erzogen werden müsse, wie ich sie mit einigen Zitaten der Sozialdemokratischen Partei vorgetragen habe, wird jeder selbstverständlich unterschreiben, der aus der Geschichte gelernt hat, daß nur das Volk ein Recht auf nationale Existenz und politische Selbständigkeit besitzt, in dem auch der letzte Staatsbürger jederzeit bereit ist, mit der Waffe in der Hand das Vaterland gegen äußere Feinde zu verteidigen, wenn diese Freiheiten bedroht sind.
Damit geht es im Grunde auch darum, wieweit jeder die Verantwortung für diesen Staat zu übernehmen hat und übernehmen will. Jedenfalls wird nach unserer Auffassung keine Lösung annehmbar sein, bei der ein Teil des Volkes im Stillen glaubt, daß der andere ja gut oder lediglich gut genug ist, die Pflichten dieser Art allein zu übernehmen, und man diesen anderen Teil gegebenenfalls dafür finanziell entschädigen kann. Man kann auf dieser Welt nichts umsonst haben — das wissen wir —, am wenigsten einen freiheitlichen Staat. Will man ihn in den Herzen und Gemütern verwurzeln, braucht man ein staatsbürgerliches Bewußtsein; das muß auch hier erwähnt werden. Aber gerade ein solches Bewußtsein setzt ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten voraus. Aus dem Recht zur Freiheit — wie wir sie westlich verstanden wissen wollen, füge ich allerdings immer hinzu — erwächst die Pflicht zu ihrer Erhaltung.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Wirklichkeit diesen idealen Gedanken allzuoft mißbraucht hat, vor allem im zweiten Teil des zwanzigsten Jahrhunderts, der unter der Diktatur militärischer Erwägungen steht; denn die Politik ist mehr oder weniger, das wissen wir, eine Militärpolitik geworden. Daß im übrigen — das muß hier in Parenthese gesagt werden — die strategischen Probleme den Vorrang vor allen anderen erhalten haben, ist eine Folge der sowjetischen Politik.
Es handelt sich damit zugleich um ein sehr bedeutsames sozial-ethisches Anliegen erster Ordnung, weil die Zumutung persönlicher Wehrdienstleistung für die Massen nur tragbar ist, wenn sie absolut gerecht verwirklicht wird. Nur dann kann sie zu einem echten Gemeinschaftsopfer werden. Aus diesen Gründen ist nach unserer Auffassung der allgemeinen Wehrpflicht der Vorzug zu geben, weil jeder Bürger auch diese staatsbürgerliche Verpflichtung zu übernehmen hat. Er kann gegenüber der Gemeinschaft nicht nur Grundrechte für sich und seine Angehörigen in Anspruch nehmen; er muß auch bereit sein, ein gewisses Maß an Grundpflichten auf sich zu nehmen, wenn er Rechte von der Gemeinschaft fordert oder in Anspruch nehmen will. Hieraus folgt auch, daß man das Opfer einer militärischen Ausbildung zu bringen bereit ist und es eben nicht nur denen überläßt, die sich freiwillig hierzu melden. Gerade die Last der Ver-
teidigung muß auf möglichst viele Schultern verteilt werden als eine Verpflichtung für alle, denen der Schutz der Freiheit und Sicherheit erst ihre eigene Freiheit und Sicherheit ermöglicht.
Es muß in diesem Zusammenhang festgehalten werden, was die „Welt der Arbeit" vor Jahren schrieb. Der Herr Präsident erlaube noch einmal, daß ich diesen kurzen Auszug verlese.