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ID0214303600

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    2. Deutscher Bundestag — 143. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4.. Mai 1956 7479 143. Sitzung Bonn, Freitag, den 4. Mai 1956. Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfrage 243 (Drucksachen 2304, 2354) . . 7480 A Erste Beratung des Entwurfs eines Wehrpflichtgesetzes (Drucksache 2303) . . . . 7480 A Blank, Bundesminister für Verteidigung 7480 A, 7548 A, 7553 D, 7554 D Dr. Kliesing (CDU/CSU). . . . . 7484 D, 7486 C, D, 7487 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 7486 C, 7538 B, C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : als Abgeordneter . . . . 7486 D, 7487 A als Vizepräsident 7516 D, 7531 A, 7537 D, 7538 B, C, 7540 D, 7548 B Vizepräsident Dr. Schneider . . . . 7488 A Erler (SPD). 7493 A, 7499 B, 7530 D, 7533 D, 7535 B, C, D, 7537 B, 7552 C, D, 7554 C Kiesinger (CDU/CSU) 7499 A Dr. Vogel (CDU/CSU) 7499 B von Manteuffel (Neuß) (DA) . . . 7504 D Dr. Reif (FDP): zur Geschäftsordnung 7516 C zur Sache 7551 B Rasner (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 7516 C Dr. Mende (FDP) . 7516 D, 7531 A, 7534 B, 7536 D, 7537 D, 7541 A Feller (GB/BHE) 7526 C Dr. Jaeger (CDU/CSU) . 7530 C, 7531 A, D, 7533 D, 7534 B, 7535 C, D, 7536 D, 7537 B, D, 7538 A, D Mellies (SPD) 7531 D, 7537 C, D Schneider (Bremerhaven) (DP). . .7539 A, 7540 D., 7541 A Eickhoff (DP) 7543 B Merten (SPD) 7543 C Wehner (SPD) 7548 B Frau Hütter (FDP) 7548 B Nellen (CDU/CSU) 7549 B Berendsen (CDU/CSU) 7552 B, D Dr. Bucher (FDP) 7554 B Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung und an den Rechtsausschuß 7555 A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Organisation der militärischen Landesverteidigung (Drucksache 2341) 7555 A Blank, Bundesminister für Verteidigung . . 7555 A, 7558 B, 7562 C Dr. Reichstein (GB/BHE) 7555 D Dr. Mende (FDP) 7557 B Schmidt (Hamburg) (SPD) 7558 C Berendsen (CDU/CSU) 7562 D Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung, an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung 7563 C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (Rentenversicherungsgesetz) (Drucksache 2314) . . 7563 D Dr. Schellenberg (SPD), Antragsteller 7563 D, 7571 D Storch, Bundesminister für Arbeit . 7570 C Horn (CDU/CSU) 7571 C Frau Finselberger (GB/BHE) . . 7572 B Dr. Hammer (FDP) 7573 A Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik 7573 C Dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Wohnungsbaugesetzes (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz) (Drucksachen 2353, 2270, 722, 601, 5; Umdrucke 596, 597, 598) 7573 C Lücke (CDU/CSU) . . . . 7573 D, 7576 D Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau 7574 D Jacobi (SPD) 7576 B, 7579 B Vizepräsident Dr. Schneider 7576 D, 7578 B Dr. Will (FDP) 7577 A Frau Heise (SPD) 7578 B Körner (DA) 7578 C, 7581 B Graaff (Elze) (FDP) 7580 B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 7580 D Stierle (SPD) 7581 A Abstimmungen 7581 B, D Nächste Sitzung 7582 C Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 7582 B Anlage 2: Änderungsantrag der Fraktion der FDP, GB/BHE, DP zum Entwurf eines Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes (Umdruck 596) 7583 A Anlage 3: Änderungsantrag der Fraktion der FDP zum Entwurf eines Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes (Umdruck 597) 7583 B Anlage 4: Änderungsantrag der Fraktionen der DA, DP zum Entwurf eines Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes (Umdruck 598) 7583 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider eröffnet.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordneter beurlaubt bis einschließlich Dr. Starke 31. 7. Peters 15. 7. Meitmann 15. 7. Blachstein 30. 6. Gedat 30. 6. Dr. Atzenroth 16. 6. Dr. Brühler 16. 6. Dr. Hellwig 16. 6. Runge 16. 6. Frau Geisendörfer 9. 6. Altmaier 2. 6. Jahn (Frankfurt) 2. 6. Müller-Hermann 2. 6. Kahn 1. 6. Dr. Bartram 31. 5. Neuburger 31. 5. Frau Dr. Steinbiß 19. 5. Frau Friese-Korn 12. 5. D. Dr. Gerstenmaier 12. 5. Moll 12. 5. Pusch 12. 5. Frau Kalinke 10. 5. Dr. Moerchel 10. 5. Frau Niggemeyer 10. 5. Rehs 10. 5. Dewald 9. 5. Karpf 9. 5. Ollenhauer 8. 5. Dr. Orth 6. 5. Albers 5. 5. Frau Albertz 5. 5. Dr. Franz 5. 5. Dr. Greve 5. 5. Klingelhöfer 5. 5. Lemmer 5. 5. Lenz (Brühl) 5. 5. Dr. Maier (Stuttgart) 5. 5. Morgenthaler 5. 5. Pelster 5. 5. Schneider (Hamburg) 5. 5. Bauer (Wasserburg) 4. 5. Bender 4. 5. Fürst von Bismarck 4. 5. Brandt (Berlin) 4. 5. Dr. Bucerius 4. 5. Dr. Deist 4. 5. Frau Döhring 4. 5. Ehren 4. 5. Gerns 4. 5. Glüsing 4. 5. Heiland 4. 5. Dr. Graf Henckel 4. 5. Jacobs 4. 5. Dr. Keller 4. 5. Knobloch 4. 5. Kramel 4. 5. Leibfried 4. 5. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 4. 5. Schill (Freiburg) 4. 5. Schmitt (Vockenhausen) 4. 5. Schoettle 4. 5. Schrader 4. 5. Dr. Strosche 4. 5. Frau Wolff (Berlin) 4. 5. Ziegler 4. 5. b) Urlaubsanträge Abgeordnete bis einschließlich Dr. Gille 16. 6. Dr. Köhler 19. 5. Anlage 2 Umdruck 596 (Vgl. S. 7580 B, 7581 B) Änderungsantrag der Fraktionen der FDP, GB/BHE, DP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Wohnungsbaugesetzes (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz) (Drucksachen 2353, 2270, zu 2270, 5, 601, 722, 2279 [neu]). Der Bundestag wolle beschließen: In § 18 a) erhält Abs. 1 Satz 2 folgende Fassung: Vom Rechnungsjahr 1957 ab stellt der Bund hierfür einen Betrag von mindestens 700 Millionen Deutsche Mark im Bundeshaushalt zur Verfügung. b) werden folgende neue Absätze 1 a und 1 b eingefügt: (1 a) Von dem in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Betrag werden im Rechnungsjahr 1958 10 vom Hundert, im Rechnungsjahr 1959 20 vom Hundert und im Rechnungsjahr 1960 30 vom Hundert für Zins- oder Annuitätszuschüsse zur zusätzlichen Förderung des Baues von Familienheimen bereitgestellt. Die nach Satz 1 gewährten Zins- oder Annuitätszuschüsse werden jeweils auf die Dauer von 20 Jahren gegeben. (1 b) Vom Rechnungsjahr 1961 ab stellt der Bund jährlich einen Betrag im Bundeshaushalt zur Verfügung, der sich gegenüber dem in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Betrag je Rechnungsjahr um 70 Millionen Deutsche Mark verringert, soweit er nicht für die in Absatz 2 genannten Zins- oder Annuitätszuschüsse benötigt wird. Bonn, den 4. Mai 1956 Dr. Dehler und Fraktion Feller und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion Anlage 3 Umdruck 597 (Vgl. S. 7582 A) Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Wohnungsbaugesetzes (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz) (Drucksachen 2353, 2270, zu 2270,1 5, 601, 722, 2279 [neu]). Der Bundestag wolle beschließen: in § 110 a) die 'Überschrift wie folgt zu ergänzen: Überleitungsvorschriften für öffentlich geförderte Eigenheime, Kleinsiedlungen, Kaufeigenheime und Eigentumswohnungen; b) in Abs. 1 zwischen Satz 1 und 2 folgenden neuen Satz einzufügen: Öffentlich geförderte Eigentumswohnungen, auf die die Vorschriften des Ersten Wohnungsbaugesetzes anzuwenden sind, sind auf Antrag als eigengenutzte Eigentumswohnungen anzuerkennen, wenn sie den in § 12 Abs. 1 Satz 2 bestimmten Voraussetzungen entsprechen. Bonn, den 4. Mai 1956 Graaff (Elze) Dr. Dehler und Fraktion Anlage 4 Umdruck 598 (Vgl. S. 7581 B, D) Änderungsantrag der Fraktionen der DA, DP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Wohnungsbaugesetzes (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz) (Drucksachen 2353, 2270, zu 2270, 5, 601, 722, 2279 [neu]). Der Bundestag wolle beschließen: In § 32 Abs. 1 erhält Buchstabe b die folgende Fassung: b) über die Anzahl der nachweislich noch unzumutbar untergebrachten Wohnungsuchenden, insbesondere solcher, die in Lagern, Baracken, Bunkern, Nissenhütten oder ähnlichen nicht dauernd für Wohnzwecke geeigneten Unterkünften untergebracht sind. Bonn, ,den 4. Mai 1956 Körner von Manteuffel (Neuß) und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion
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    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Dr. Vogel, wenn Sie vorher zugehört hätten, wüßten Sie, daß ich ganz klar gesagt habe, daß der politische und soziale Trennungsprozeß immer drüben vorangegangen ist, daß aber die juristischen Konsequenzen von der anderen Seite nach uns gezogen worden sind,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    und das ist für die Frage der Wehrpflicht etwas ganz Entscheidendes.

    (Beifall bei der SPD.)

    Da nützt es nichts, wenn Sie die Hände heben!

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Hände gegenüber einem Argument hilflos heben zeigt, daß man sich der Beweiskraft dieses Arguments eben nicht entziehen kann.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Ich sprach soeben von dem Gewissenskonflikt, in dem ein großer Teil unserer jungen Generation sich befindet — ob Sie die Gefühle der jungen Menschen teilen oder nicht, sie sind eine Realität — angesichts der möglichen Aussicht eines Bruderkrieges. Und da habe ich einmal gehört, daß ein Kollege dieses Hauses gesagt hat: Na ja, wenn der Bruder zum Verbrecher wird, dann müßte man sich eben doch auch dieses verbrecherisch gewordenen Bruders erwehren. Meine Damen und Herren, es handelt sich dabei nicht um den verbrecherischen Bruder, sondern um den Bruder, der unter Umständen von anderen, von den wirklichen Übeltätern gezwungen wird, sich so zu verhalten.

    (Abg. Wienand: Das ist der Unterschied! — Weiterer Zuruf von der SPD: Siehe „Drittes Reich"!)

    Ich warne davor, diese Dinge allzu leicht zu nehmen. Wo kommt die Bundesrepublik hin, wenn wir allzu leicht über die Gewissensbedenken des einzelnen Staatsbürgers hinweggehen und glauben, nur die Staatsräson, nur die militärischen Notwendigkeiten seien es, die unser gesamtes Handeln im wesentlichen beeinflussen und gestalten dürften. Ich frage mit großer Sorge: Wohin geht unsere Bundesregierung? Wir haben heute hier noch keine Debatte über das Vierte Strafrechtsänderungsgesetz. Aber ich finde, daß der Geist dieses Gesetzes, so wie es nach der Regierungsvorlage gestaltet werden soll, nicht frühzeitig genug im Zusammenhang mit der Einführung der Wehrpflicht hier zur Aussprache gestellt werden kann.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt beim GB/BHE.)

    Darin heißt es:
    Wer unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, um andere vom Wehrdienst abzuhalten oder die Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu behindern, wird mit Gefängnis bestraft.
    Die Vorschrift habe, wie es heißt, im früheren deutschen Strafrecht kein Vorbild. In den USA, England, Italien usw. sei sie auf Kriegs- oder Krisenzeiten beschränkt. Sie solle in erster Linie dazu dienen, den modernen Methoden des sogenannten kalten Krieges entgegenzuwirken; denn — so heißt es weiter — es müsse damit gerechnet werden, daß die verfassungsfeindlichen Elemente versuchen würden, durch Aufstellen unwahrer oder gröblich entstellter Behauptungen die Bereitschaft der Bevölkerung zum Wehrdienst zu untergraben.


    (Erler)

    Man will damit auch der gefährlichen Flüsterpropaganda entgegenwirken.

    (Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, warum führe ich das hier an? Weil damit gezeigt wird, auf welchen Gleisen von der freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung weg wir uns begeben würden, wenn wir in dieser Weise versuchten, die aus lauteren Motiven geborene Kritik an einer bestimmten konkreten Ausprägung der Politik mit strafrechtlichen Mitteln zu bekämpfen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD sowie vereinzelt beim GB/BHE und rechts.)

    Über den notwendigen Schutz militärischer Institutionen — wenn Sie schon die Bundeswehr haben — vor klaren Fällen von Sabotage und dergleichen besteht gar keine Meinungsverschiedenheit.

    (Abg. Pelster: Na also!)

    Aber die Meinungsverschiedenheiten setzen dort ein, wo mit Gummiparagraphen, mit Gummiartikeln in Wirklichkeit die Meinungsäußerung getötet werden soll.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD sowie vereinzelt beim GB/BHE und rechts.)

    Meine Damen und Herren, sowohl in den Ausführungen des Verteidigungsministers als auch in denen des Kollegen Kliesing ist ein Blick auf die strategische Situation in der Welt geworfen worden. Am Anfang dieser Debatte steht ja eigentlich noch unvergessen das gelassene Wort des Bundeskanzlers: Wenn die Bundesrepublik in den Atlantikpakt eintritt, dann wird sie nicht Kriegsschauplatz,

    (Abg. Wienand: Woher weiß er das?)

    während sie sonst Kriegsschauplatz wird. Meine Damen und Herren, wenn es zu einem großen Konflikt — den es hoffentlich nie geben wird — zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, zu einem Zusammenprall der beiden Blöcke kommt, wird ganz Deutschland Kriegsschauplatz, gleichgültig, wie groß die Armee ist, die sich in diesem Lande befindet.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die wirkliche Abschreckung eines solchen großen Angriffs, an den heute in der Welt niemand mehr glaubt, ist das Bewußtsein der beiden Seiten, daß der große Konflikt nur mit der nahezu völligen Zerstörung

    (Abg. Hilbert: Aller!)

    der beiden Hauptbeteiligten, hüben wie drüben, enden könnte. Und da wollen wir doch jetzt hier nicht so tun, als ob wir morgen oder übermorgen mit einer Aggression durch die Sowjetunion als unmittelbar bevorstehender militärischer Bedrohung zu rechnen hätten.
    Herr Kollege Kliesing hat, ich glaube, zu Recht, darauf aufmerksam gemacht, daß es immerhin noch eine andere Seite der Betrachtung dieses Problems gibt, nämlich die gegebene Notwendigkeit für den Fall, daß einmal die beiden großen Weltblöcke ihre physische Anwesenheit hier im Herzen des Kontinents — und solange sie da sind, beißen sie sich auch nicht — verändern werden. Er hat gemeint, man müsse — wohl für den Fall, daß sich bis dahin die Wiedervereinigung nicht unter dem Schutz der vier Mächte bereits friedlich und in Freiheit vollzogen habe — ein Gegengewicht haben gegen das, was in der sowjetischen Besatzungszone aufgebaut sei. Wenn Sie diesem Gedanken des Kollegen Kliesing folgen, sollten Sie sich darüber im klaren sein, daß Sie dafür nun_ weiß Gott weder eine Armee von einer halben Million Mann noch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht brauchen,

    (Zustimmung bei der SPD)

    zumal da Sie selbst immer wieder darauf hinweisen, in welchem Umfang sich die Armee der sowjetischen Besatzungszone innerlich durch Abwanderung in die Bundesrepublik Deutschland schwächt und zersetzt.
    Ich bin der Überzeugung, daß die paar Bemerkungen, die der Herr Verteidigungsminister hier gemacht hat und die wir für heute zum Anlaß nehmen konnten, etwas auf die strategische Lage in der Welt einzugehen, nicht ausreichend sind zur Beurteilung der Notwendigkeit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.

    (Abg. Mellies: Sehr richtig! — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Das kann man wohl sagen!)

    Die wirkliche Aufgabe der Bundeswehr, die sich nur aus einer gründlichen weltpolitischen und strategischen Analyse ergeben könnte, ist seit Jahren im Ausschuß nicht zur Diskussion gestellt worden. Ich bin daher der Meiung, daß wir, da sich immerhin seit den Jahren 1950 bis 1952, als die Pläne ausgearbeitet wurden, etwas verändert hat, den Vorschlag aufgreifen sollten und verlangen müssen, daß eine unabhängige Sachverständigenkommission alles erreichbare Material zusammenträgt, um mit großer Sachkunde und großem Freimut und in wirklicher Unabhängigkeit von denen, die natürlicherweise nur ihre Politik durchzusetzen entschlossen sind, oder von denen, die die Politik der anderen bekämpfen, wie das bei der Opposition der Fall ist, das Problem der Sicherheit zu erörtern. Ein Mann, der etwas davon versteht — man kann sonst zu ihm stehen, wie man will —, der frühere Generalfeldmarschall von Manstein, hat dazu geschrieben, daß „die Frage ,Wehrpflicht oder Berufsheer` mit anderen Problemen verknüpft ist, deren Lösung kein Politiker oder Journalist aus dem Ärmel schütteln kann". Er schreibt weiter:
    Welcher Art ist die Kampfführung im atomaren Zeitalter, durch die die Form künftiger Streitkräfte bestimmt wird? Wie muß neben den aktiven der NATO unterstehenden Streitkräften die „Heimatverteidigung" organisiert werden? Wie findet die Abgrenzung dieser beiden Aufgaben gegeneinander statt, und welchen Kräfteaufwand erfordern sie?
    Schließlich:
    Wie soll nach Art und Dauer ein etwaiger Wehrdienst beschaffen sein unter Berücksichtigung der militärischen Erfordernisse sowie der finanziellen und wirtschaftlichen Folgen?
    Daher empfiehlt Herr von Manstein gleichfalls die Schaffung eines solchen Organs. Wir haben das mehrfach von dieser Tribüne her gefordert, und ich möchte Ihnen sagen: wenn die Bundesregierung keine Anstalten trifft, diesem Wunsche in vertretbarer Weise zu entsprechen, werden wir eben notfalls von den Möglichkeiten Gebrauch machen müssen, die dem Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß zur Verfügung stehen, um auf diese Weise einmal eine Klärung dieser Grund-


    (Erler)

    probleme zu erreichen, bevor wir die Frage der Wehrpflicht endgültig mit Ja oder Nein beantworten.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Bundesregierung hat sich in ihrer Denkschrift einige Bemerkungen gestattet, die nicht ohne weiteres unwidersprochen bleiben können. Da heißt es z. B., daß die Sowjetunion nach ihren letzten Erklärungen auch vor der Anwendung von Atomwaffen nicht zurückschrecken wird. Das ist sicher richtig. Aber eines möchte ich dem Kollegen Kliesing hier zu seinem strategischen Gemälde noch mit auf den Weg geben: aus den Erklärungen gerade des Oberkommandierenden der Atlantikorganisation, General Gruenther, geht seit geraumer Zeit eindeutig hervor, daß er der Meinung ist, auch für den Fall der Bereitstellung einer deutschen Armee von einer halben Million Mann sei die numerische Unterlegenheit der Atlantikmächte in Europa gegenüber dem sowjetischen Aufgebot so groß, daß im Falle eines Angriffs auf jeden Fall sofort mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen geantwortet würde. Es ist also nicht so, daß man sagen kann: Wer die halbe Million will, der sichert uns vor dem Einsatz von Atomwaffen, und wer statt dessen eine kleinere Armee — da es nun eine geben wird — für erträglicher hält, der beschwört den Einsatz von Atomwaffen herbei.

    (Vizepräsident Dr. S c h m i d übernimmt den Vorsitz.)

    So ist es gar nicht. Die Erklärungen Gruenthers sagen eindeutig, daß auf jeden Fall — und so ist es auch beschlossen — die Planung der Atlantikpaktorganisation zum Ausgleich der sowjetischen Zahlenüberlegenheit den sofortigen Einsatz von taktischen Atomwaffen vorsieht. Und darauf haben die Russen nun ihre Erklärung gesetzt: Wer taktische Atomwaffen einsetzt, muß eben wissen, daß es damit den allgemeinen Atomkrieg gibt.
    Meine Damen und Herren, ich weiß, derart schauerliche Gedankengänge zu erörtern ist unangenehm, auf allen Seiten des Hauses. Aber wir müssen nun einmal die Realitäten ins Auge fassen. Wir können doch nicht so tun, als gäbe es dieses böse Problem nicht.
    An einer anderen Stelle heißt es in der Denkschrift, daß die Basen für eine Vergeltung mit Atomwaffen nicht geräumt werden dürften und man aus diesem Grunde hier in der Bundesrepublik die Armee in der geplanten Größe haben müsse. Aber diese Basen für die Vergeltung befinden sich gar nicht in der Bundesrepublik!

    (Zurufe von der SPD: Eben! Sehr wahr!)

    Die hat man nämlich dem mutmaßlichen Gegner zu Recht nicht so nahe vor die Haustür gesetzt, daß er sie mit einem Prankenhieb auslöschen könnte. So selbstmörderisch ist die Atlantikpaktorganisation gar nicht gewesen. Deshalb ist mir dieser Satz in der Denkschrift schlechthin unverständlich.
    Ich könnte noch sehr vieles zu der Denkschrift im einzelnen bemerken. Ich glaube, die bisherigen Beispiele haben schon völlig ausgereicht, den unvollkommenen Charakter dieser Schrift darzutun.

    (Abg. Mellies: Das ist aber sehr freundlich ausgedrückt!)

    Aber eine Frage möchte ich an die Regierung richten; denn sie bedarf dringend der Klärung. Auf Seite 7 der Denkschrift heißt es:
    Dabei muß mit zivilen Organisationen eng zusammengearbeitet werden. Für diese bodenständigen Streitkräfte sind rund 50 000 Mann als aktiver Stamm nötig. Dieser muß stets verwendungsfähig sein.
    Wenn Worte einen Sinn haben, dann heißt das, daß die 50 000 Mann, die man aus den aktiven Streitkräften entnimmt, als aktiver Stamm für eine bodenständige Verteidigung doch nur den Kern einer größeren Organisation darstellen. Vielleicht ist die Bundesregierung so freundlich und erklärt uns einmal, was dieser Satz bedeutet und welche Gesamtplanung sie auf diesem Gebiet eigentlich hat, weil ich nämlich der Meinung bin, daß dann manches, was wir hier vom Minister an vernichtenden Urteilen über die Miliz gehört haben, zum Schluß dadurch widerlegt wird, daß für diesen Zweck die Bundesregierung die Einführung einer Miliz beabsichtigt.

    (Zurufe von der SPD.)

    Hier ist — um kurz das innenpolitische Problem zu berühren — davon gesprochen worden, daß Wehrpflicht und Demokratie untrennbar miteinander verbunden seien. Wenn wir von freundschaftlichen Gefühlen innerhalb der im Atlantikpakt zusammengeschlossenen Staaten füreinander ausgehen wollen, dann meine ich, daß man keine so harten, verdammenden Urteile über die angelsächsischen Völker hätte fällen dürfen. Das haben sie nicht verdient, daß wir ihnen in dieser Weise den demokratischen Charakter ihrer mehrhundertjährigen Geschichte deshalb absprechen, weil sie sich zu den Gegnern der Wehrpflicht gezählt haben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Weiterhin ist gesagt worden, ein Freiwilligenheer stelle eine größere Gefahr als ein auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht gebildetes Heer dar, zum Staat im Staate zu werden. Meine Damen und Herren, der Anteil der Berufssoldaten wächst in allen Armeen der Welt, in Großbritannien und in den USA ganz besonders, wie wir — in dem Punkt wenigstens zutreffend — der Denkschrift der Regierung entnehmen können. Auch bei uns ist ein hoher Anteil an derartigen länger dienenden Freiwilligen und Berufssoldaten beabsichtigt. Der Geist der Gesamtarmee hängt — auch wenn Sie die Wehrpflicht einführen — nicht von der Gesinnung der Wehrpflichtigen, sondern von der Gesinnung des Kerns und der Vorgesetzten ab,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    denn der ist in beiden Fällen identisch. Wer sich als demokratisch gewählte Regierung — die es gegeben hat, bevor mit dem Aufbau der Streitkräfte begonnen worden ist — nicht zutraut, jedes Offiziers- und Unteroffizierskorps, gleich, bei welcher Wehrverfassung, zu einem zuverlässigen Träger dieser Demokratie zu machen, der ist für sein Amt nicht tauglich, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Nach den früheren mannhaften Worten des Kollegen Blank möchte ich annehmen, daß er sich das durchaus zutraut, und er hat lediglich aus propagandistischen Gründen das Argument gebraucht, daß jedes Berufsheer Gefahr laufe, ein Staat im Staate zu werden, und daß in einem Berufsheer nur schwer jener Typ des Offiziers herangebildet werden könne, der sich der demokratischen Verfassung verpflichtet wisse und die Achtung genieße, die ihm zukommt. Wenn hier verantwortliche Männer das


    (Erler)

    Steuer der Personalpolitik fest in Händen halten, muß es in jeder Form der Heeresverfassung möglich sein, einen Typ von Offizieren heranzubilden, der sich der demokratischen Verfassung verpflichtet weiß. Wer das nicht mit einer Freiwilligenarmee schafft, der schafft es mit denselben Leuten auch dann nicht, wenn Sie ihnen noch ein paar hunderttausend Wehrpflichtige zur Ausbildung überantworten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine neue Lage erfordert neue Mittel. Wir können die Lage, in der sich das deutsche Volk durch die Spaltung befindet, nicht einfach mit der Lage irgendwelcher anderer Staaten und Völker, die sich im Zustande der freien Einheit befinden und von daher für ihre Sicherheit zu sorgen sich bemühen, vergleichen. Wir haben ein Interesse daran — das ist die Hauptsorge unserer Politik —, alles zu tun, damit die Wege, die zur Wiedervereinigung Deutschlands führen können, offengehalten werden, alles zu tun, damit nicht durch eigenes Verschulden neue Hindernisse auf diesem Weg getürmt werden.
    Früher hat der Herr Bundeskanzler mit Recht auf den inneren Zusammenhang aufmerksam gemacht, den es zwischen dem großen Problem der Abrüstung in der Welt, dem Problem der europäischen Sicherheit und der Wiederherstellung der deutschen Einheit gibt. Wir wissen alle, daß wir die Welt davor warnen müssen, der Illusion nachzujagen, als könnte man ein wirksames Abrüstungsabkommen auf der Grundlage der deutschen Spaltung erreichen. Es wird keine Liquidierung des Kalten Krieges geben können und infolgedessen auch kein auf Abbau des Mißtrauens gegründetes Ende des Wettrüstens, solange hier im Herzen Europas das deutsche Volk gegen seinen Willen in zwei verschiedene Teile zerrissen ist und diese Teile aneinander rütteln. Es gibt keine dauerhafte Friedensordnung in Europa und vermutlich also auch kein wirksam funktionierendes Abrüstungsabkommen, ohne daß die deutsche Wiedervereinigung in Freiheit in dieses System von Vereinbarungen eingebaut wird.
    Aber auf der anderen Seite wissen wir, daß ohne einen merklichen Abbau der Spannungen zwischen Ost und West, ohne eine Beendigung des Wettrüstens beide Teile nicht daran denken, ihre militärischen Positionen im Vorfeld ihrer Verteidigung irgendwie in Mitleidenschaft ziehen zu lassen. Deutschland bleibt also automatisch zerrissen, solange dieser Zustand der internationalen Spannungen und des Wettrüstens andauert. Daher besteht ein deutsches Interesse daran, daß Fortschritte bei den Abrüstungsverhandlungen erzielt werden. Wir haben keinen Grund, etwa schadenfroh zur Kenntnis zu nehmen: Man ist wieder einmal ohne Einigung auseinandergegangen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dr. Kliesing: Wer ist denn schadenfroh?)

    — Nein, ich habe nur gesagt, daß wir keinen Grund haben; und ich freue mich, daß Sie dieselbe Auffassung haben, Herr Kollege Kliesing.
    Ist es denn nicht gestattet, daß in diesem Hause einmal ein Mann zu einer solchen Frage seine Sorge ausdrückt und dabei für das ganze deutsche Volk spricht, auch wenn er einmal aus den Reihen der Opposition kommt?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir alle haben kein Interesse daran — Sie auch
    nicht —, schadenfroh darauf zu blicken. Wir alle
    wären froh gewesen, wenn man viele Fortschritte ermöglicht hätte, um auch in der Deutschlandfrage, die nach unserer festen Überzeugung politisch untrennbar mit dem Problem der Entspannung und der Abrüstung verbunden ist, weitere Fortschritte zu erzielen. Insofern ist es bitter zu beklagen, wenn an die Stelle von Vereinbarungen lediglich ein Kommuniqué getreten ist, daß man sich in bestimmten Punkten nähergekommen sei, aber eben doch in Wahrheit der Zustand der Spannungen und des Wettrüstens weiter andauert. Ich jedenfalls beklage dieses Karussell, das seit einigen Jahren im Gange ist, in dem die Position der einen Seite heute die der anderen von gestern ist und die der anderen von gestern die der einen von heute.
    Wie ist denn das z. B. bei den konventionellen und den Atomwaffen? Da hat man auf sowjetischer Seite erst gesagt: Man muß mit dem Atom anfangen! Die Amerikaner haben - mit Recht — gesagt: Es wäre Selbstmord, wenn wir unsere Überlegenheit bei den Atomwaffen wegwerfen würden und die russische Überlegenheit bei den konventionellen Waffen übrig bliebe. Jetzt kommen die Russen mit Vorschlägen über die Beschränkung und Kontrolle der konventionellen Waffen, und sofort kommt die Kritik der Westmächte: Ja, und wo bleibt die Atomkontrolle? — Die Fronten sind also jetzt völlig verschoben. Ich will gar nicht untersuchen, auf wessen Verhalten das im einzelnen zurückzuführen ist. Das Entscheidende, worauf es ankommt, ist, daß sich angesichts dieses Karussells in den letzten Jahren keine Einigung abzeichnet. Ähnlich sieht es mit dem Hin und Her auf dem Gebiet der Bodenkontrolle aus, die die Russen zuerst nicht wollten und jetzt zugegeben haben, und auf dem Gebiet der Luftinspektion, die nun von der andern Seite als wesentliche Forderung bezeichnet worden ist.
    Aber der Grund, weshalb ich eigentlich diese Frage hier anschneide, ist der innere Zusammenhang zwischen der Aufstellung einer deutschen Armee von einer halben Million Mann und einer weiteren Erschwerung der internationalen Abrüstungsdiskussion. Die Vereinigten Staaten hatten ursprünglich vorgeschlagen, man sollte eine Obergrenze für die Truppenstärke der Länder festlegen. Die Sowjetunion hat diesen Vorschlag ursprünglich nicht akzeptiert. Dann ist die Sowjetunion auf den Vorschlag eingegangen. Nun ergab sich, da von beiden Seiten bis zu diesem Zeitpunkt annähernd gleiche Zahlen in die Debatte geworfen worden waren, daß diese Festlegung der international eventuell geplanten Grenzen die Armee von einer halben Million Mann der Bundesrepublik Deutschland als unproportioniert groß erscheinen ließ. Plötzlich ist auch diese sich abzeichnende Einigung wieder in die Brüche gegangen. Ich darf Ihnen vorlesen, was heute von dem dpa-Korrespondenten aus London zu diesem Thema gemeldet wird:
    Als Höchststärken für die Streitkräfte wurden von beiden Seiten Ziffern genannt, die zwar nicht miteinander übereinstimmen, aber nach der Meinung von Sachverständigen Raum für Verhandlungen bieten. Für die USA und die Sowjetunion sollten nach dem amerikanischen Vorschlag je 2,5 Millionen Mann, nach dem sowjetischen Vorschlag je 1,5 Millionen, für Großbritannien und Frankreich je 750- bzw. 650 000 und für andere Mächte je 500 000 bzw. 200 000 festgelegt werden.


    (Erler)

    Nun kommt der entscheidende Satz:
    Die russischen Zahlen waren im vorigen Jahr aus einem anglo-französischen Plan übernommen worden. Deshalb wird den Westmächten jetzt von der Sowjetunion vorgehalten, daß sie ihre eigenen Pläne in demselben Augenblick ablehnen, in dem die Sowjetunion sie sich zu eigen macht.
    Das heißt, daß man den Kommunisten in dieser Abrüstungsdiskussion noch einen Propagandapunkt hingespielt hat. Warum eigentlich? Der Zusammenhang ist leider so klar, daß wir uns ein bißchen an die eigene Brust schlagen müssen. In Washington wurde in einer Pressekonferenz der amerikanische Außenminister gefragt: „Wenn es zu einer so beabsichtigten Festlegung der Höchststärken der Armeen käme, hätte das irgendwelche Einwirkungen auf das Ausmaß des deutschen Verteidigungsbeitrags?" Darauf hat der amerikanische Außenminister Dulles gesagt: „Wenn es zu einer solchen Einigung kommt, dann ja." Damit wurde klar, daß in einem solchen Fall die Halbmillionen-armee eben zu groß wäre. Alsdann hat das Interesse an der Aufstellung der Halbmillionenarmee das Interesse daran, sich auf der Grundlage einer Maximalgrenze für die Weltmächte von 1,5 Millionen Mann zu einigen, überwunden. Damit wir eine halbe Million aufstellen dürfen, fordern die Vereinigten Staaten jetzt 21/2 Millionen für sich und die Sowjetunion.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, deutlicher kann man, glaube ich, nicht zeigen, wie das starre Festhalten an einer unter völlig anderen Umständen geborenen Zahl die Lösung jener Frage erschwert, mit der zusammen auch Fortschritte in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands erreicht werden können. Wir sind schlecht beraten, wenn wir sagen: Wir bestehen wie Shylock auf unserem Pfund Fleisch, wir haben die Erlaubnis, eine halbe Million Mann aufzustellen, und nun muß das auch bis zum letzten Grenadier ausgeschöpft werden. Ich finde, auch das Argument sticht eigentlich nicht, daß man, um zu einer Abrüstung zu kommen, erst einmal aufrüsten müsse. Man kann sich unter Umständen auch gleich auf der vorgesehenen mittleren Linie treffen.
    Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen diesen Zusammenhang deswegen klargemacht, weil wir begreifen müssen, daß Rüstungsbeschränkung und -kontrolle, ganz gleich, was wir tun, aus objektiven Gründen im internationalen Gespräch bleiben werden. Die tödliche Gefahr der Wasserstoffwaffen ist es, die beide Teile immer wieder an den Tisch zwingt, an dem über diese Frage geredet wird. Wir müssen dafür sorgen, daß dann die deutsche Frage so mit Vorschlägen in die Weltdiskussion um Rüstungsbegrenzung und -kontrolle hineingepaßt wird, daß wir das Zustandekommen einer Regelung auf beiden Gebieten erleichtern und nicht erschweren.
    Ich möchte mich noch kurz zu einigen Einzelfragen äußern. Zum Problem der Kriegsdienstverweigerung wird mein Kollege Merten noch Ausführungen machen. Wir finden, daß die Regelung, die das Gesetz vorsieht, dem Geist und Buchstaben des Art. 4 des Grundgesetzes nicht gerecht wird.

    (Sehr richtig! bei der SPD.) Gestatten Sie mir eine Bemerkung hierzu. Sie berufen sich darauf, Politik aus christlicher Verantwortung zu treiben. Wer das tut, der sollte sich nicht dazu hergeben, bei der Erörterung der Kriegsdienstverweigerung den Grundsatz aufzustellen, man könne Politik und Gewissen trennen Das geht gar nicht.


    (Beifall bei der SPD.)

    Noch einige Probleme minderer Bedeutung. Ich habe es für eine sehr verunglückte Sache gehalten, daß der Herr Verteidigungsminister sich bemüßigt gefühlt hat, in seiner Verteidigung der Wehrpflicht ein paar Argumente mit ins Feld zu führen, die man eigentlich nur mit der linken Hand behandeln kann. Da heißt es, daß mancher Jugendliche eine Freundschaft fürs Leben finden wird. Gibt es keine anderen Möglichkeiten, Jugendlichen zu Freundschaften zu verhelfen?

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Oder es heißt, daß die allgemeine Wehrpflicht die Volksgesundheit verbessern wird.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich finde, mit dem Bau von Turnhallen wäre
    auch ein ganz schätzenswerter Beitrag geleistet.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Es gibt in Ihren Reihen eine ganze Reihe von Gründen für die Wehrpflicht, die nicht die unseren sind. Aber auf diese Gründe sollten Sie, meine Damen und Herren, in Ihrem eigenen Interesse besser verzichten.

    (Abg. Kiesinger: Es gehen nicht alle in die Turnhallen!)

    — Doch, es liegt auch an den Turnhallen. Allein in Baden-Württemberg fehlen noch über 1000, wie Ihnen wahrscheinlich aus unseren Wahlprogrammen bekannt sein dürfte.

    (Abg. Kiesinger: Trotzdem nicht genug!)

    — Ich hoffe, daß die neue Landesregierung in Baden-Württemberg sich unverzüglich an die Erfüllung ihrer Zusage macht, in den nächsten vier Jahren tausend Turnhallen zu bauen.
    Die Denkschrift, die ich damit jetzt auf die Seite legen möchte

    (Abg. Berendsen: Nur zunächst!)

    — nein, nicht zunächst, ganz und gar! —, wird in dieser Form nicht die Grundlage der Beratungen des Ausschusses über die Frage sein können, ob Wehrpflicht oder nicht. Dazu erwarte ich, daß die Denkschrift erst einmal zu einer wirklichen Denkschrift mit der Darlegung aller wesentlichen Gründe des Für und Wider ausgeweitet wird und sich nicht auf eine mitunter etwas volkstümlich gehaltene reine Apologetik beschränkt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.) Ich will hier mildernde Umstände geben


    (Heiterkeit)

    und, als Überschrift ein Wort des Kollegen Horn von gestern aufgreifend, der Denkschrift den Titel verleihen: Eine rein agitatorische Denkschrift der Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Erler)

    Dabei ist noch eines fraglich. Vielleicht äußert sich einmal der Herr Bundeskanzler dazu. Ich habe den Eindruck, daß es sich nicht einmal um eine Denkschrift der Bundesregierung handelt. Sie müßte dann jedenfalls in einem sehr späten Stadium noch so beschlossen worden sein. Vielleicht kann uns der Herr Bundeskanzler einmal sagen, wann diese Denkschrift in dieser Form vom Verteidigungskabinett gebilligt, dem Kabinett zugeleitet und von diesem beschlossen worden ist,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    damit wir einmal prüfen können, wie weit wirklich das Gewicht der Bundesregierung hinter dieser Denkschrift steht oder wie weit sich die Bundesregierung nicht vielleicht doch entschließt, für die Beratungen des Ausschusses ein etwas besser abgerundetes und zuverlässigeres Dokument zur Verfügung zu stellen.
    Das Wehrpflichtgesetz entspringt dem Denken, die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus vorwiegend als ein rein militärisches Problem anzusehen. Auch der Kollege Kliesing hat sich hier bemüht, es so darzutun, daß die Verteidigung von Freiheit und Menschenwürde untrennbar mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verbunden sei, also im wesentlichen ein militärisches Problem sei.
    In der gleichen Zeit, in der der Westen wie gebannt auf die Zahl der Divisionen hüben und drüben gestarrt hat, hat die Sowjetunion politischen Erfolg auf Erfolg eingeheimst, obwohl das eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre. Welche Chance hätten die Entthronung Stalins und die damit im Gefolge eintretende Erschütterung des sowjetischen Systems in der Sowjetunion und in den Satellitenstaaten einer wirklich konstruktiven Politik der Westmächte geboten! Statt dessen ist der Sowjeteinfluß gestärkt worden im Nahen, Mittleren und Fernen Osten, auch in Nordafrika. Wir haben die Auseinandersetzung also meist am falschen Ort, zur falschen Zeit und mit den falschen Mitteln geführt. Wettrüsten allein ist kein Ersatz für Politik. Wie heißt es dazu in der Osterbotschaft des Papstes?
    Festes Vertrauen ist unerläßliche Voraussetzung für den Triumph des Friedens. Deshalb sind sicherlich nicht die seine Verteidiger, die sich beugen lassen vorn Wind des Pessimismus, der, absichtlich verbreitet, seinen Ausdruck findet in dem entmutigenden Wort: Es nutzt ja doch nichts ...
    Jeder Tag bedeutet einen traurigen Schritt voran auf dem unheilvollen Weg in ein Rennen, um allein, um zuerst, um besser zum Ziel zu kommen. Und die Menschheit verliert beinahe die Hoffnung, daß es möglich sein werde, diesen menschen- und selbstmörderischen Wahnsinn
    — der Papst spricht vom Atomwettrüsten — aufzuhalten.
    Damit wandte er sich an alle Seiten, das ist selbstverständlich. Solche Worte darf man nie nur einer Seite sagen, denn dann bleiben sie sinnlos.
    Es wird jetzt gelegentlich so getan, als ob eine neue Initiative zur Ausweitung oder Inkraftsetzung des Art. 2 des Atlantikpaktes dem Westen hier ein neues Feld der Betätigung geben würde. Damit verändern Sie doch den Charakter der Blockbildung und der Militärallianzen nicht! Wenn wir die Initiative zurückgewinnen wollen, wir aus der besonderen Lage des deutschen Volkes heraus, dann nicht durch Beharren auf jedem Buchstaben alter militärischer Pläne, sondern durch ernsthafte politische Vorschläge, welche die Wiedervereinigung Deutschlands mit einem System der Rüstungsbegrenzung und -kontrolle verbinden. Dann sollen wir aber nicht nur fordern, daß es die andern tun, sondern dann sollen wir durch eigene Gedanken, von der Bundesregierung unseren Partnern vorgetragen, vorschlagen, wie man diese Verbindung herstellen kann. Für unser Volk, ob mit oder ohne Wehrpflicht, gibt es keine wirkliche Sicherheit, bevor es nicht in Frieden und Freiheit wiedervereinigt ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Bis dahin handelt es sich nur um Notlösungen, und dann sollte der Inhalt dieser Lösung auch dem Charakter der Notlösung entsprechen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Ich fasse zusammen: Wir sind völkerrechtlich nicht zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht gezwungen. Meine politischen Freunde halten unter den heutigen Bedingungen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für schädlich. Deshalb werden wir der Überweisung der Vorlage an die Ausschüsse des Bundestags nicht zustimmen.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete von Manteuffel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hasso von Manteuffel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde haben mich beauftragt, nur zu zwei Fragen heute Stellung zu nehmen, die jetzt zur Entscheidung stehen, und zwar zu der Frage nach dem Wehrsystem und danach kurz auch noch zur Frage der Dienstzeitdauer, weil wir die anderen Fragen ja im Ausschuß besprechen können.
    Die Frage des Wehrsystems ist nach meiner Auffassung nur aus der Schau zu beantworten: Wie kann unter Berücksichtigung aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verhältnisse die Wehrkraft des Volkes am wirkungsvollsten eingesetzt werden? Hierbei sind dann die Lage innerhalb der Gemeinschaft, in der wir leben, die Lage, die durch die zersetzende Zweiteilung Deuschlands entstanden ist, die personellen, psychologischen, gegesetzgeberischen und finanziellen Schwierigkeiten — um nur einige zu nennen — gleichfalls in Rechnung zu stellen. Ich stelle das voran, weil in der Debatte in der Öffentlichkeit und in dem, was man darüber liest und hört, die Grundzüge sehr verschwommen dargestellt werden. Ich meine, die gesamte Frage sollte, wie es soeben bei meinen beiden Vorrednern geschehen ist, nur unter rein sachlichen Gesichtspunkten der staatspolitischen Notwendigkeiten und nicht etwa unter wahltaktischen Berechnungen, erst recht nicht mit einem spekulativen Blick auf die nächste Bundestagswahl erörtert werden. Das ist herauszustellen, weil ein Teil der Sprecher in der Öffentlichkeit im Grundsatz einer allgemeinen Wehrpflicht zustimmt, aber mit den merkwürdigsten Verklausulierungen sich in der Gegenwart der unangenehmen Pflicht entledigen will, klar Stellung zu nehmen. Ich bin der Auf-


    (von Manteuffel [Neuß])

    Fassung, daß Wehrprobleme keine Wahlschlager sind,

    (Abg. Kiesinger: Sehr richtig!) jetzt nicht, 1957 nicht — und nicht so!


    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Bei dem politischen Aspekt, unter den die ganze Problematik zu stellen ist, sollten wir nicht vergessen, daß es heute keine einzelnen Völkerschicksale mehr gibt, sondern daß auch wir einer Gemeinschaft von Völkern angehören, die, wie Herr Erler früher mehrfach gesagt hat, entweder gemeinsam weiterlebt oder in der Umwelt, in der wir nun einmal leben müssen, gemeinsam untergeht. In diesem Sinne wird eben viel zu oft vergessen, daß die gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen in der Gemeinschaft, in der wir leben, kein Selbstzweck sind, sondern daß es darauf ankommt, aus politischen wie aus militärischen Gründen das Gleichgewicht zwischen militärischer Stärke und wirtschaftlichen, sozialen und politischen Notwendigkeiten zu wahren und diese Dinge miteinander in Einklang zu bringen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch im Verhältnis zu unseren Verbündeten. Ich meine, wir sollten bei dieser Schau auch nicht vergessen, daß wir nicht der freie souveräne Staat wären, der wir heute sind, wenn nicht die äußerst kostspieligen Verteidigungsanstrengungen unserer jetzigen Verbündeten nach dem Kriege gewesen wären.
    Der deutsche Verteidigungsbeitrag hat nur einen Sinn im Rahmen der Gemeinschaft, und die Bundeswehr kann nur ein Teil der westlichen Verteidigungsmacht sein. Die Verträge verpflichten uns — wie Herr Erler soeben sehr ausführlich dargelegt hat — zu einem angemessenen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung, wobei jedes Mitglied — das ist richtig — über das Ausmaß seiner politischen und militärischen Vertragsverpflichtungen selbständig zu entscheiden hat. Ich bin aber der Auffassung, daß die Aufstellung eines nach Zahl, Art, Bewaffnung und Ausrüstung nicht wirksamen Verteidigungsinstrumentes einer solchen Verpflichtung nicht gerecht wird.
    Ich schicke dies voraus, weil teilweise die politische und strategische Folgerung gezogen wird, daß die Streitkräfte der Bundeswehr keine andere Funktion haben als die, das militärische Gleichgewicht zu dem Potential der sogenannten DDR herzustellen. Ich glaube, dieser Definition liegt — das ist jedenfalls meine und die Auffassung meiner politischen Freunde — der Wunsch zugrunde, die Bundesrepublik zu einem regionalen Sondergebiet innerhalb der NATO zu machen. Ich halte das für falsch und für gefährlich. Erstens sind die militärischen Leistungen der einzelnen Staaten nicht auf deren jeweilige Nachbarn zugeschnitten, sondern sie werden als Teilbeträge für die Aufgaben innerhalb des Gesamtorganismus verstanden und gewertet werden müssen. Man kann zweitens auch nicht übersehen, wie stark die Sowjets militärisch unter Einschluß der Armeen ihrer Einflußgebiete und unter Einbeziehung der vormilitärischen Ausbildung beider Geschlechter auf breitester Grundlage im Zusammenhalt mit den sogenannten Werkschutzeinheiten, Werkschutzabteilungen und vielem anderen in ihrem Lande und in den Ländern ihres Einflußbereiches — auch in der DDR — tatsächlich sind.
    Nun wird gesagt, wir sollten nicht auf der uns durch die Verträge zugebilligten Stärke bis zu
    500 000 Mann bestehen. Deshalb erhebt sich die Frage, ob sich die Verpflichtung zu gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen mit einer geringeren Stärke erfüllen läßt. Diese Folgerung ist in Deutschland — nach meiner Auffassung fälschlicherweise — gezogen worden. Sie wird damit begründet, daß die Sicherheit gegenüber der sowjetischen militärischen Bedrohung jetzt verhältnismäßig unwichtig sei und daß die Wiedervereinigung am besten durch die Preisgabe der Sicherheit, die die NATO bietet, erreicht werden könne.
    Ein Sprecher im Bundesrat hat dem mit den Worten Ausdruck gegeben: „Militärisch kommt es in Westeuropa auf ein paar westdeutsche Divisionen mehr oder weniger nicht an. Der schmale Gebietsstreifen Resteuropas genügt nicht für die Raumanforderung eines modernen Krieges. Deutschland kann im besten Fall immer nur Vorfeld sein, dessen Schicksal aus der Erfahrung heraus bekannt ist."
    Nun erlauben Sie mir, auch ein paar Worte von General Gruenther anzuführen, den mein Kollege Erler vorhin angezogen hat. Er hat so formuliert: „Wir können unsere Pläne nicht aus der Tagespolitik herleiten. Die Verteidigungsplanung ist eine Funktion der Beurteilung des militärischen Potentials eines eventuellen Gegners. Ich stelle fest, daß dieses nach wie vor im steten Anwachsen begriffen ist", und ich meine, die zahlenmäßige Schwäche der Streitkräfte der NATO in bezug auf konventionelle Waffen muß beseitigt werden, um den Gegner eben nicht zu kleinen Kriegen wie z. B. in Korea unter Vermeidung von Atomwaffen zu verleiten. Diesetwegen ist nach meiner Auffassung die deutsche Beteiligung an der gemeinsamen Verteidigung Europas militärisch dringlich. Die Einbeziehung der Bundesrepublik in die NATO hat damit ihren Wert für sich, indem sie eben die Grenzen des NATO-Inspektionsgebietes weiter nach Osten vorgeschoben und damit den allgemeinen Sicherheitskoeffizienten erhöht hat. Deutsche Truppen haben dabei die Aufgabe, mitzuhelfen, ganz Europa so weit vorwärts wie möglich im Osten zu verteidigen.
    Ich meine: Wenn wir eben nicht wollen, daß der Raum zwischen Rhein und Elbe nur als Vorfeld betrachtet wird, das man nach Belieben verteidigen oder auch aufgeben kann, ist die Erfüllung der Verpflichtung in der Stärke notwendig, die in den eingegangenen Verträgen vereinbart worden ist und die — das darf doch nicht übersehen und auch nicht verschwiegen werden — der jährlichen Überprüfung durch die politischen Gremien der Atlantikpaktorganisation unterliegt.
    Man löst militärische Probleme — und von denen wird hier im Augenblick gesprochen — nicht durch ausgleichende politische Kompromisse. Die strategische Planung mag wohl von einem Kompromiß zwischen den gegeneinanderstehenden Risiken ausgehen; aber ihr Wert steht und fällt mit der richtigen Entscheidung über die vordringlichen Aufgaben auf dem militärischen Sektor. Ein kleineres deutsches Kontingent aufzustellen, als es beabsichtigt ist, heißt eben, der Verteidigungskraft der westlichen Gemeinschaft einen Stoß zu versetzen.
    Im Zeitalter der atomaren Waffenführung kann der Sinn eines größeren Kontingents zweifelhaft sein. Das ist heute schon mehrfach berührt worden und wird auch noch von mir eingehend beleuchtet werden. Aber dann werden wir eben mit


    (von Manteuffel [Neuß])

    den anderen Atlantikpaktstaaten gemeinsam einen Entschluß über die Umstellung der Wehrorganisation auf eine andere gemeinsame Organisationsform fassen müssen. Solange aber die UdSSR trotz der Entwicklung neuartiger Waffen — ich denke dabei an die transkontinentalen Raketen usw. — ihre zahlenmäßig sehr starken herkömmlichen Streitkräfte nicht abschafft, sollte man dies im Westen auch nicht tun.
    Die 'Unterstellung dabei, es handle sich bei der Aufrüstung unsererseits um eine Maßnahme „um jeden Preis", wie, wenn nicht schon gesagt, so doch sicher geschrieben wurde, ist nach meiner Auffassung falsch. Sie ist deshalb nicht richtig, weil der Deutsche Bundestag durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in Art. 87 a selbst festgelegt hat, daß sich „die zahlenmäßige Stärke der vom Bund aufgestellten Streitkräfte und die Grundzüge ihrer Organisation aus dem jährlichen Haushaltsplan ergeben müssen."
    Ich komme daher von diesem außenpolitischen Aspekt zu dem Schluß, daß eine Stärke des Beitrags bis zu 500 000 Mann militärisch erforderlich erscheint, auch im Zeitalter der neuesten Waffen. Diese Stärke würde selbst bis zur vollen Höhe von 500 000 Mann, wie ja auch gesagt wurde, nur 1 % der Bevölkerung der Bundesrepublik darstellen und liegt infolgedessen zum großen Teil unter den Leistungen anderer Partner in der Gemeinschaft, in der wir leben. Ich bin der Auffassung, daß man ansonsten nicht von einem „angemessenen" Beitrag sprechen kann und daß diese Verpflichtung ohne die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht erfüllt werden kann.
    Nun ist aber der Einwand sehr sorgsam und sorgfältig zu prüfen, ob und gegebenenfalls weshalb die Aufstellung eines deutschen Kontingents in der beabsichtigten Höhe und durch die allgemeine Wehrpflicht die Abrüstungsverhandlungen stört. Die Gegner der allgemeinen Wehrpflicht sagen, daß es unsinnig sei, jetzt, wo die Abrüstungsgespräche noch laufen, die Bundesrepublik auf eine Stärke aufzurüsten, die nachher wieder abgebaut werden müßte. Dieses Argument stützt sich, glaube ich jedenfalls, mehr auf die Hoffnung, daß die Bereitschaft zu dieser Abrüstung im Westen auch von den Sowjets geteilt wird. Aber abgesehen von der Frage, ob es für die Sowjets nicht viel entscheidender ist, inwieweit sie die USA mit ihrem riesigen Potential zu einem Abrüstungsabkommen bringen können, weil das dann für sämtliche NATO-Staaten militärisch ganz erhebliche und bedeutsame Folgen hätte, abgesehen davon, daß es für die Abrüstungswilligkeit der Sowjets nicht übermäßig interessant, wenn auch nicht uninteressant ist, ob 250-, 350- oder 500 000 Soldaten der Bundesrepublik existieren, — abgesehen von alledem wird man sich fragen, ob man unsererseits ein mögliches Abrüstungsabkommen nicht dadurch geradezu verschenkt, daß man sich von vornherein freiwillig in einer Weise beschränkt, ohne daß die andere Seite, die Sowjets nämlich, bisher irgend etwas dazu getan hat;

    (Sehr gut! in der Mitte)

    denn die kürzlich vorgenommene Verminderung ihrer Landstreitkräfte hat doch bei den riesigen dahinterstehenden Reserven ausschließlich taktische Bedeutung. Dieses Verschenken birgt ein Risiko, vielleicht sogar ein allzugroßes Risiko in sich.
    Ich pflichte daher der Bundesregierung bei, die erklärt, Deutschlands Forderung nach Einheit in Freiheit solle den Abrüstungsverhandlungen nicht im Wege sein, nur solle sie auch nicht ausgeklammert und nicht isoliert behandelt werden. Denn niemand kann stärker hoffen — da unterstreiche ich das, was auch der von mir geschätzte Kollege Erler so deutlich gesagt hat —, daß die Bemühungen um Abrüstung in der Welt zu einem Erfolg führen, als gerade wir, die wir zwischen diesen beiden großen Weltblöcken geradezu eingeklemmt sind. Aber diese Abrüstung darf eben nicht auf Kosten der Lebensinteressen des deutschen Volkes zustande kommen, muß also die Wiedervereinigung einschließen. Diese Frage wiederum kann nicht gewaltsam gelöst und behandelt werden, sondern auch im deutschen Interesse nur bedächtig und vorsichtig. Nur wenn die Bundesrepublik ihre militärische Planung mit Entschlossenheit verwirklicht, hat sie Aussicht, daß sie bei Abrüstungsverhandlungen ihren Einfluß in die Waagschale werfen kann, wobei auch zu berücksichtigen und zu werten ist, daß die Bundesrepublik bereits freiwillig Beschränkungen in militärischer Hinsicht auf sich genommen hat. Diese Beschränkungen liegen in der beabsichtigten Stärke, in der Nichtherstellung der sogenannten ABC-Waffen, in dem Verzicht auf die operative Luftwaffe und auch in der Absicht des Gesetzgebers, für bestimmte Jahrgänge eine verkürzte Grundwehrausbildung zuzulassen, Beschränkungen, die vom Standpunkt der militärischen Wirksamkeit der Landesverteidigung einigen vielleicht sogar bedenklich erscheinen mögen. Die Beschränkungen liegen weiterhin in den Festsetzungen der Marinestreitkräfte.
    Erschrecken Sie nicht, meine Damen und Herren, aber ich glaube: wie weit die völkerrechtliche Bindung reicht, die uns Herr Erler hier sehr eingehend dargestellt hat, mag vielleicht die wesentliche Frage einer Doktorarbeit sein, denn es ist sicher, daß die Verbindlichkeit nicht bestritten werden kann. Wenn das deutsche Kontingent seinem Umfang nach beschränkt werden soll, muß es eben mit den anderen Vertragspartnern ausgehandelt werden.
    Von der Außenpolitik her verbinden sich die Überlegungen auch mit der Frage, ob die Aufstellung der Bundeswehr in dem von der Bundesregierung im Endziel beabsichtigten Rahmen eine Wiedervereinigung fördert oder ihr womöglich abträglich ist. In diesem Sinne wird gesagt, wenn die Bundesrepublik die allgemeine Wehrpflicht einführe, werde die sogenannte DDR das gleiche tun, wodurch viele junge Deutsche in schwere Gewissenskonflikte kommen würden, zumal sich in der Welt das Bild einer Entspannung ergebe, damit also auch einer Abkehr von der rein militärischen Denkkategorie, und somit auch eines Bedeutungswandels der deutschen Aufrüstung.
    So verständlich und so notwendig es ist, diesen Überlegungen nachzugehen, so bedeuten sie doch in gewissem Sinne nach meiner Auffassung eine einseitige Betrachtung, die meines Erachtens nicht genügt, die außenpolitische Bedeutung der Existenz deutscher Streitkräfte zu erkennen. Denn die Tatsache des Bestehens deutscher Streitkräfte wird das Schwergewicht der Bundesrepublik innerhalb der westlichen Bündnisse zunächst einmal wesentlich verstärken. Auch große neutrale Staaten wissen genau, daß sie ihre Existenz auf Grund starker militärischer Streitkräfte aufrechterhalten können.


    (von Manteuffel [Neuß])

    Aber eine Tatsache, die zur Grundlage der Beurteilung der Wehrpolitik gemacht werden muß, ist die jedem vernünftigen Beobachter erkennbare Tatsache, daß der Bolschewismus ja doch nicht nur revolutionär, sondern auch im höchsten Grade aggressiv ist. Wer diese Erkenntnis nicht hat und wer in seiner Politik dem militanten Charakter des Bolschewismus nicht Rechnung trägt, wer aus ihm nicht die meiner Auffassung nach notwendigen Konsequenzen zu ziehen bereit ist, handelt nicht der Wirklichkeit entsprechend. Der Kreml selber hat ja früher die Wiedervereinigung Deutschlands als eine Frage der Sicherheit hingestellt. Eine effektive allgemeine Abrüstung ist in der Tat nur denkbar, wenn die Ursachen der Spannung beseitigt und Voraussetzungen der allgemeinen Sicherheit vorhanden sind. Die Abrüstung aber vor der Errichtung eines Sicherheitssystems und vor der deutschen Wiedervereinigung wäre eine Vorleistung des Westens, nach der dieser meiner Auffassung nach kein Mittel mehr hat, die Sowjets zu Zugeständnissen in der deutschen Frage zu veranlassen. Wenn den Sowjets so sehr an dem Gedanken einer militärisch verdünnten Zone liegt und er ihnen so sehr gefällt, sollten sie doch einmal auf die Probe gestellt werden, welche Gegenleistung sie zu geben bereit sind. Denn kollektive Sicherheit kann für Europa nach meiner Auffassung nur dann verwirklicht werden, wenn die Bedrohung — als deren Gegengewicht die NATO geschaffen wurde — aufhört zu bestehen. Diese Bedrohung durch die Sowjetunion — daran muß erinnert werden, weil Herr Erler vorhin bezüglich der Reihenfolge sagte, die Sowjets hätten immer nachgezogen nach gewissen Maßnahmen, die wir getroffen hätten —, entsprang dem besonderen Verhältnis, in dem die 1 UdSSR zu den osteuropäischen Ländern steht. Man darf dabei also nicht allein die UdSSR betrachten; bei jeder Diskussion über kollektive Sicherheit ist nach meiner Auffassung das interne Regime in den Satellitenstaaten und deren Abhängigkeitsverhältnis zur UdSSR von ausschlaggebender Bedeutung. Solange die Satellitenstaaten Moskau unterworfen bleiben, ist es für die westlichen Länder notwendig, untereinander ein ähnliches — allerdings, das ist der Unterschied, freiwilliges — Verhältnis aufrechtzuerhalten.
    Deshalb drängt sich mir die Schlußfolgerung auf, daß die wahre Probe auf die Bereitschaft der UdSSR, über eine allseitige Entspannung zu verhandeln, ihre Bereitschaft ist, ihre eigene Vormachtstellung in der einen Hälfte Europas zur Diskussion zu stellen mit dem Ziel, diese Abhängigkeit zu lösen und das durch Taten dann wirklich glaubhaft zu machen.
    Man wird der „Welt der Arbeit" zustimmen können, wenn sie vor einiger Zeit die Erhaltung des Friedens als vor allem von den Sowjets abhängig bezeichnete und schrieb — erlauben Sie, Herr Präsident, das ich das kurz vorlese —:
    Wenn sie,
    — die Sowjets —
    statt aufzurüsten, Frieden schließen, ihre Truppen aus Europa abziehen, sich und ihre Satelliten abrüsten und damit die Räumung Deutschlands von allen Besatzungsmächten ermöglichen, dann gibt es keine Gefahr eines Zusammenstoßes auf unserem Kontinent, dann bedarf es keines Verteidigungssystems, dann ist die Frage der deutschen Einheit gelöst. An die Adresse des Kremls also, der alle Abrüstungsverhandlungen sabotiert und überall in der Welt Unruhe stiftet, muß daher jeder Protest in erster Linie gerichtet sein.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich meine, der enge Zusammenhang der Probleme um die deutsche Wiedervereinigung mit einem europäischen Sicherheitssystem hat eine gewisse Abhängigkeit geschaffen — wie heute hier schon erwähnt —, die parallele Fortschritte bei der Lösung beider Fragen erforderlich macht. Deren Lösung würde erleichtert werden, wenn auch bei der Vorbereitung eines allgemeinen Abrüstungsabkommens Fortschritte in dem hiermit zusammenhängenden Problem der Wiedervereinigung erzielt würden.
    Es erscheint mir aber ebenso einseitig, meine Damen und Herren, die außenpolitische Bedeutung der deutschen Streitkräfte für die Wiedervereinigung nur aus dem Gesichtswinkel sehen zu wollen, auf welche Sympathien oder Antipathien ihre Existenz bei der Pankower Regierung beispielsweise stößt, wie ich neulich gelesen habe. Ich meine, überragend und entscheidend ist doch die Überlegung, ob und inwieweit die gesamte Politik der UdSSR als der wirklichen Machthaberin in dieser Zone durch die Existenz der Bundeswehr beeinflußt wird oder nicht. Das Bekenntnis zu den eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft sichert der außenpolitischen Entwicklung der Politik der Bundesregierung eine Stetigkeit, die auf die Dauer die einzige Möglichkeit garantiert, ein langsames Zurückweichen des sowjetischen militärischen Machtbereichs zu bewirken und damit auch der Wiedervereinigung näherzukommen. In diesem Sinne vermag der deutsche Beitrag zu der gemeinsamen Verteidigungsanstrengung auch eine militärische Klammer zu der Schicksalsgemeinschaft darzustellen dadurch, daß mit jedem Verband, der in der Bundesrepublik aufgestellt wird, auch die politische Front des Westens gestärkt wird und damit die sowjetische Strategie des divide et impera Erfolgschancen verliert. Deshalb sind wir der Auffassung, daß auch das mit der Freiheit unvermeidlich verbundene Risiko und auch die Opfer getragen werden müssen, die zur Erhaltung der persönlichen Freiheit für jeden Mitbürger in der Bundesrepublik hiermit verbunden sind.
    Im übrigen bleibt festzuhalten, daß Freiheit ja nur dann ein Dauerwert ist, wenn sie erlebt und erfahren ist, d. h. die Frage verteidigungswerter Werte kann nach unserer Auffassung befriedigend und überzeugend nur aus dem Gewissen des Einzelnen und vor einer höheren Instanz als der des politischen Zweckmäßigkeitsdenkens gegeben werden. Daß die Freiheit des Menschen in erster Linie aber zu den Werten gehört, die es wert sind, verteidigt zu werden, daß sie damit Voraussetzung und ständige Aufgabe jeder demokratischen Rechts- und Staatsordnung ist, ist der Ausgangspunkt dieser Betrachtung für jeden Einzelnen oder sollte es zumindest sein. Uns sind diese Werte verteidigungswert, und wir sind daher bereit, hierfür Opfer auf uns zu nehmen, die diese Gewissenskonflikte lösen helfen.
    Die Wurzel der gegenwärtigen Auseinandersetzungen ist ja gar nicht so sehr strategischer oder militärischer Art, sondern im wesentlichen politischer Art, weil die atomare Überlegenheit im Konfliktsfalle manche Politiker hier im Westen zu der Auffassung verleitet, daß es genügt, wenn man lediglich mehr oder weniger kleine Heere aufstellt. Dieser Gedanke spielt auch bei den Befürwortern


    (von Manteuffel Neuß])

    eines verhältnismäßig kleinen Berufsheeres in der Bundesrepublik eine nicht unerhebliche Rolle. Die politische Kehrseite davon ist jedoch, daß dies eine Entspannung auf der Grundlage des Status quo voraussetzt, auch wenn dies nicht ausgesprochen oder nicht beabsichtigt ist. Dies wird leider oft übersehen. Es bedeutet eine Einigung der Großmächte über das geteilte Deutschland hinweg, und dieser Gedanke liegt wahrscheinlich auch — ich möchte es annehmen — dem letzten sowjetischen Abrüstungsplan zugrunde, der eine Entspannungszone in einem geteilten Deutschland vorsieht. Der Status quo bleibt aber nach unserer Auffassung eher bestehen, wenn die Bundesrepublik ihre Politik auf eine unrealistische und widerspruchsvolle Konzeption versteift. Die politische Frage, wie die Bundeswehr mit der NATO verklammert werden soll, darf doch, weil sie dies soll und weil man darin einen Ausdruck der Außenpolitik der Bundesregierung sieht und deshalb ablehnt, sicher nicht zu Lasten der Verteidigungsbereitschaft und Wirksamkeit des zu schaffenden Verteidigungsinstruments ausgefochten werden, die beide darunter ganz entscheidend leiden müssen. Der Schlüssel für diese Abrüstung liegt nach unserer Auffassung im Plan einer qualitativen Abrüstung in Verbindung mit einem geeigneten Verfahren der technischen Überwachung, und der gemeinsame Nenner ist die Erkenntnis, daß eine Abrüstung ohne ein gewisses Maß an Inspektion und, wie ich glaube, erzwingbarer Kontrolle vorläufig eine Illusion ist und bleibt; denn die Kernfrage ist nicht die Durchführbarkeit, sondern die Annahme von seiten der Großmächte.
    Dazu gehört, wie es von beiden Herren Vorrednern auch gesagt worden ist, wiederum Vertrauen zwischen der UdSSR und den Westmächten. Aber man kann sich des Eindrucks, jedenfalls auf Grund des bisherigen Verhaltens der UdSSR auch in den Abrüstungsverhandlungen, nicht ganz erwehren, daß der Kreml eben keine Verständigung, sondern nur eine Entspannung sucht. Nun kann man zwar sagen, daß die Entspannung die Vorstufe zur Verständigung sein könnte. Sie muß es aber nicht sein; denn nur die Verständigung löst Probleme, während die Entspannung ein Vorbeisehen an den Tatsachen und Zudecken von Gegensätzen bedeutet. Auch die Abrüstungspolitik kann also, wie überhaupt die Politik, nicht von einer Situation der Schwäche ausgehen.
    Es ist richtig, wenn gesagt wird: Ein Denken in militärischen Stützpunkten und Verteidigungsgürteln, in Divisionsstärken und mehr allein ist sicherlich falsch. Darüber kann, glaube ich, kein Zweifel bestehen. Aber ich meine, militärische Sicherungen sind in der Umwelt, in der wir, wenn Sie so wollen, verdammt sind zu leben, notwendig und unerläßlich.

    (Abg. Berendsen: Sehr richtig!)

    Es ist ein Irrtum, zu glauben, für die Abwehr des militanten Bolschewismus genüge es allein, wirtschaftliche und soziale Zustände zu schaffen, die eine Infizierung durch die kommunistische Ideologie unmöglich machen. Jawohl, meine Damen und Herren, sie sind notwendig, bitter notwendig, gerade auch in unserer noch nicht gefestigten Ordnung. Aber die Abwehr gegen diesen militanten Bolschewismus ist eben auf allen Gebieten zu führen, d. h. neben die Schaffung gesunder wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse muß der Aufbau einer wirksamen militärischen Abwehr treten.
    Ich komme deshalb in diesem Sinne zu dem Schluß: das rein politische Argument, die allgemeine Wehrpflicht würde die Spaltung vertiefen, ist sowieso nicht durchschlagend, weil die politische Entscheidung durch die Annahme der Verträge gefallen ist, und man würde, wenn man ihm nachgäbe, unseren Verteidigungswillen in Frage stellen. Über die Stärke kann man sich nachher unterhalten. Ich meine: gerade von der Plattform einer festgefugten und auch militärisch abgesicherten Bundesrepublik haben wir zwecks Wiedervereinigung eine bessere Verhandlungsposition, wenn diese keine Selbstaufgabe, sondern eine freie Entfaltung der Nation sein soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Bevor man aber über die wirksamste Verteidigungsorganisation und damit auch über die Stärke und die zweckmäßigste Wehrform entscheiden kann, muß noch Stellung dazu genommen werden, ob nicht im Lichte der Entwicklung und Weiterentwicklung neuartiger Waffen — ich meine sowohl die Atomwaffen wie Wasserstoffbomben wie nun auch die transkontinentalen Raketen — ein militärisches Umdenken notwendig ist, und zwar im besonderen hinsichtlich der sogenannten herkömmlichen Waffen. Das ist, worüber wir zunächst zu entscheiden haben.
    Wir haben dabei die Frage zu beantworten, ob sie überhaupt noch in der Stärke notwendig sind, wie sie hier bisher alle militärischen Staaten als erforderlich bezeichnet haben. Ich darf an den Anfang stellen, daß der Präsident der USA kürzlich gesagt hat, „daß die Abrüstung in erster Linie in der Beschränkung der Waffen, statt in der von Soldaten gesucht werden muß". „Die Personalstärken", sagte er, „beginnen mit der Vervollkommnung der Fernvernichtungswaffen uninteressanter zu werden." Hierzu ist zu sagen — erlauben Sie mir einen kleinen Abstecher in dieses operativ-strategische Gebiet —: Auf allen Landkriegsschauplätzen der Vergangenheit war jeweils das Heer der Hauptträger des Kampfes. Es hatte hierbei sofort beim Ausbruch der Feindseligkeiten durch Vernichtung des feindlichen Landheeres und seiner Helfer bei gleichzeitiger Besetzung des feindlichen Territoriums die Entscheidung herbeizuführen. Dies trifft heute nicht mehr in dieser Weise zu, weil leider bezweifelt werden muß, ob durch Vernichtung aller Atom- und Wasserstoffbomben infolge eines internationalen Abkommens nun endlich der Alpdruck behoben werden kann, unter dem die gesamte Menschheit jetzt leidet und schon seit einem Jahrzehnt lebt. Aber gegen die Gefahr — das muß allerdings hier eingeflochten werden —, daß nukleare Waffen und Kampfgeräte im geheimen doch erzeugt und gestapelt werden können, gibt es jedenfalls vorerst anscheinend keine Garantie. Ich glaube sogar, daß diese Garantie, daß diese Waffen nicht eingesetzt werden, so grotesk es klingt, wahrscheinlich eher in dem Vorhandensein, nämlich in der abschreckenden Wirkung des Risikos bei gegenseitigem Einsatz liegt. Das heißt, ihr Vorhandensein in entschlossener Hand garantiert, daß der weltrevolutionäre Osten, der zwar von Zeit zu Zeit seine Taktiken ändert, nicht aber sein strategisch weitgestecktes Ziel der Welteroberung, nicht angreift. Und so scheinen vorerst jedenfalls — das Bild hat uns Herr Erler, wenn ich so sagen darf, richtig ausgemalt — Atom-und Wasserstoffbomben zum Mittel der Abschrekkung geworden zu sein.


    (von Manteuffel [Neuß])

    Und doch ist es falsch, meine Damen und Herren, die Verteidigung des Westens allein auf diese Waffen abzustellen. Denn seitdem die Atomwaffen und weiteren Zerstörungsmittel — ich denke dabei gerade an die transkontinentalen Raketen, die ja Herr Chruschtschow in London noch kürzlich erwähnt hat und die die Sowjetunion nun auch besitzt — im Besitz der beiden Großmächte sind, und je mehr die Sowjetunion den anfänglichen Vorsprung auf diesem Gebiet aufholen wird, desto sicherer ist es vielleicht — ich habe die Hoffnung —, daß eine uneingeschränkte Verwendung dieser Waffen für beide Teile nunmehr dem absoluten Selbstmord gleichkommen würde, wie Herr Erler das sagte.
    Wollten sich daher die freien Völker Europas im wesentlichen auf den Schutz durch die Atomwaffen der NATO verlassen, würden sie wahrscheinlich selbst dazu beitragen, das Unheil des Kampfes mit diesen neuartigen Waffen heraufzubeschwören. Es kommt hinzu, daß diese Abschreckungstheorie bisher im wesentlichen auf dem Vorhandensein der strategischen Luftwaffen der NATO-Staaten beruhte, die in der Lage sind, alle Teile des sowjetischen Machtbereichs mit Atomwaffen zu erreichen.
    Entscheidend verändert hat sich nun diese militärische Lagebeurteilung durch die allerneueste waffentechnische und daraus auch folgend die strategische Entwicklung insofern, als eben diese strategischen Luftwaffen durch die transkontinentalen Raketen in gewissem Sinne abgelöst wurden, zumindest in manchen Gebieten. Diese Raketen werden heute — das wissen wir — von beiden Großmächten mit Nachdruck entwickelt und ausprobiert. Ich glaube, es ist noch gar nicht abzusehen, wohin die technische Entwicklung dieser Waffen führt. Damit werden auch die Grundlagen der Strategie, nicht nur die politischen Grundlagen übrigens, verändert. Daraus folgt, daß die sogenannten herkömmlichen Waffen im weiteren Fortschritt der technischen Vervollkommnung dieser neuen von mir eben genannten Waffen wieder an Bedeutung gewinnen. Warum? Konnte man bisher glauben, daß ein atomarer Überraschungsangriff bei Beginn der Feindseligkeiten die Entscheidung auf militärischem Gebiet bringen könnte, so fällt dieses Merkmal mit der Entwicklung und der weiteren Vervollkommnung der transkontinentalen Raketen fort. Sie können nämlich von jeder beliebigen Stelle ohne den zeitraubenden Bau von Anlagen abgeschossen werden. Da sie weiterhin durch die Luftbildaufklärung kaum zu entdecken sein werden, kann man ihre Abschußbasen nicht in gleicher Weise zerstören, wie dies bei den sonstigen Anlagen möglich war und ist. Die Sowjets sollten wissen - und ich glaube, sie wissen es auch, ich habe darüber keinen Zweifel —, daß ihnen dieser entscheidende erste Schlag nicht mehr gelingen kann, d. h. mit anderen Worten, daß der Erfolg eines sowjetischen Überraschungsangriffs mit atomaren Waffen keineswegs mehr so hundertprozentig gesichert ist, daß durch ihn ein entscheidender Sieg errungen werden könnte.
    Die entscheidende Folgerung daraus ist, daß es dem Gegner infolgedessen nicht mehr gelingen wird, die Möglichkeiten eines für ihn im wahrsten Sinne des Wortes katastrophalen Gegenschlages auszuschalten. Der Angreifer — beiderseits, wer es sein sollte — muß damit rechnen, daß ein erheblicher Teil dieser Abschußbasen intakt und diese furchtbare Waffe lange anhaltend wirksam bleibt, woraus folgt, daß der Angreifer damit zu rechnen hat, daß ihn diese neuartigen Waffen genauso schwer treffen und seine für die Gesamtkriegführung lebensnotwendigen und militärisch notwendigen Anlagen, wenn nicht sogar erhebliche Teile des Landes und der Industrie zerstören könnten. Deshalb werden die herkömmlichen Waffen gerade auch im Zuge der Weiterentwicklung dieser Zerstörungswaffen wieder an Bedeutung gewinnen. Damit wächst dann die Gefahr lokaler, d. h. begrenzter Konflikte, wozu die herkömmlichen Waffen lebensnotwendig geworden sind.
    Dies ist nach meiner Auffassung auch der Grund, daß sich bei den sich gegenwärtig so hinschleppenden Abrüstungsgesprächen der Schwerpunkt der Verhandlungen in London um die Lösung einer brauchbaren ersten Stufe einer allgemeinen Abrüstung wieder weg von den atomaren Waffen mehr den konventionellen Waffen zuwendet, wie es Herr Kollege Erler auch sagte, wobei der sowjetische Plan sich und dem Ostblock eben seine bisherige zahlenmäßige Überlegenheit in diesen herkömmlichen Waffen sichern und sie bei den westlichen Ländern sehr stark begrenzen will.
    Es besteht also durchaus die Möglichkeit, daß infolge der Gefahr der unmittelbaren Vernichtung die Weltmächte veranlaßt werden könnten, Konflikte, die irgendwo in der Welt ausbrechen, zu lokalisieren und sich möglichst selber herauszuhalten, um dem Zwang zu entgehen, diese für sie tödlichen und vernichtenden Waffen einzusetzen. Derartige lokalisierte Konflikte dürften dann aller Wahrscheinlichkeit nach nur mit den herkömmlichen Waffen ausgetragen werden, - ein Fall, der nach meiner Auffassung auch von der Bundesregierung nicht ohne weiteres übersehen und als ausgeschlossen angesehen werden sollte.
    Deshalb müssen sich Rüstung und Strategie — leider, kann man nur immer wieder hinzufügen — auf beide Fälle einstellen. Sie stehen unter dem Zwang, sich auf beide Möglichkeiten in der Abwehr vorzubereiten, d. h. gewissermaßen zweigleisig zu denken und zu planen, weil eben niemand voraussehen kann, welcher von den gegebenen Möglichkeiten die Zukunft gehört.
    Diese Folgerung muß nach meiner Auffassung auch für die deutsche Aufrüstung gezogen werden. Aber eine Aufrüstung im Rahmen des sowjetischen Abrüstungsvorschlags — 200 000 Mann in der ersten Stufe — würde der Bundesrepublik nicht die Sicherheit geben, die sie in ihrer geographischen Lage im Verhältnis zu dem vermutlichen potentiellen Gegner braucht.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Sowjetunion 21/2 Millionen Mann in sofortiger Einsatzbereitschaft hat, ohne den Einschluß der Armeen ihrer Einflußzone, der Satellitenstaaten, der vormilitärischen Ausbildung usw. Ich brauche das nicht alles zu wiederholen. Es ist den Damen und Herren auch durchaus geläufig.
    Nun wird das Abrüstungsgespräch meines Erachtens auch deshalb nicht gestört, weil selbst bei Verabschiedung dieses Gesetzes in naher Zukunft ja doch nicht sofort 500 000 Mann eingezogen werden. Die Aufstellung wird sich vielmehr über einen längeren Zeitraum hinausziehen, und — deswegen sage ich das — im Verlauf dieser Aufbauzeit liegt es an den Sowjets, ihre ehrliche Bereitschaft zu


    (von Manteuffel [Neuß])

    einer kontrollierbaren allgemeinen Abrüstung zu zeigen und durch Taten zu beweisen.

    (Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Sowenig man theoretisch die denkbare Wirkung der atomaren Kriegführung bestreiten kann, so eindeutig zeigt doch die bisherige Praxis, daß bisher kein Land, das die herkömmlichen Streitkräfte besitzt, diese konventionellen Waffen abschafft. Diese Tatsache dürfte wohl kaum allein darauf zurückzuführen sein, daß etwa die Militärs zu zäh und allzulange am Überkommenen festhalten. Ich glaube, sie beruht vielmehr darauf, daß eben kein Land auf Streitkräfte herkömmlicher Art verzichten zu können glaubt, solange andere Mächte, die es etwa angreifen könnten, über derartige Streitkräfte in großer Zahl verfügen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es ist nun falsch, glaube ich, die Diskussion so zu führen, als ob die einzige Möglichkeit bewaffneter Auseinandersetzung, in welche die Bundesrepublik einbezogen werden könnte, der nukleare Weltkrieg wäre. Wer so argumentiert, muß doch zuvörderst erst einmal klären, warum der Ostblock neben der nuklearen Rüstung noch die herkömmlichen Waffen in dieser ungeheuren Zahl besitzt. Ich meine, der Einsatz — der strategische, operative oder taktische Einsatz — von Atomwaffen kann auch für sich allein Entscheidungschlachten nicht schlagen, so wie keine Waffe und kein Waffensystem jemals eine Kampftruppe voll ersetzen können. „Ein Krieg ohne Menschen" oder „ein Krieg durch Druck auf den Knopf" etwa, all das sind falsche Lehren. Die These, man könne ohne die lebendige Kraft des Menschen Krieg führen, wird durch die Atomtaktik und all das, was unsere Militärexperten auf diesem Gebiet wissen — ich meine die Herren des Bundesverteidigungsministeriums, die das zu prüfen haben —, nicht bestätigt.
    Wie immer die Erfindung und vor allen Dingen die Weiterentwicklung dieser neuartigen Waffen aussehen wird, wohin sie führen wird, auch wenn man dazu übergeht, die herkömmlichen Waffen anders zu organisieren, auszurüsten, zu gliedern und zu verwenden, — entbehrlich werden sie so lange nicht sein, solange die UdSSR und ihre Satelliten derartige Streitkräfte in einer überwältigenden Zahl bereithalten. Dabei bleibt auch zu berücksichtigen, daß die bolschewistische Ideologie genauso wie der jahrhundertealte Expansionsdrang der russischen Nation auch dann eine latente Gefahr für die freien Völker im Westen bleibt, wenn eine Periode der friedlichen Koexistenz die derzeitige Spannung vorübergehend in den Hintergrund treten ließe.
    Ich komme deshalb aus diesem Aspekt zu der Schlußfolgerung: es ist nicht darüber zu entscheiden, meine verehrten Damen und Herren, welches System einer Wehrpflicht uns das angenehmste oder welches dasjenige ist, das uns die wenigste Mühe macht und die geringsten Opfer an Einsatzbereitschaft erfordert. Wir müssen die Armeen jener Macht betrachten, die uns bedroht, und die Art der Abwehr hat sich — das ist das, was mein Kollege Kliesing sagte — nach dem mutmaßlichen operativen und technischen Verhalten des möglichen Angreifers zu richten. Nur nach dem Wert, den wir den Soldaten des möglichen Gegners beimessen, haben wir unsere Anstrengungen zu berechnen. Es gibt nach meiner Auffassung keinen anderen und keinen besseren Maßstab für das, was wir zu tun haben. Der ausreichende, d. h. der wirksame Schutz durch herkömmliche Waffen vermindert die Gefahr, daß die westliche Verteidigungsgemeinschaft selber zu Atomwaffen greifen muß, um sich zu schützen.
    Aber noch eines dazu! Sicherlich müssen im Zeitalter der atomaren Waffenführung Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung einen gleich wichtigen Anteil an der Landesverteidigung ausmachen wie die Aufstellung der Verteidigungskräfte selbst. Sie können aber durch diese Maßnahmen niemals alles ersetzen. Alle Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung können doch bestenfalls das Überleben ermöglichen; die Freiheit sichern sie allein nicht. Aber es kommt darauf an, nicht nur das Leben, sondern auch die Freiheit, so wie wir sie westlich verstanden wissen wollen, zu bewahren. Das ist das Entscheidende.

    (Beifall bei der DA und der CDU/CSU.)

    Sie kann gegenüber einem Angreifer eben nur durch aktive Verteidigung behauptet werden.
    Nun zu der Stärke dieses angemessenen, wie mir scheint, militärisch notwendigen Beitrages. Diese Stärke macht einen angemessenen deutschen Beitrag politisch und militärisch in etwa der beabsichtigten Höhe erforderlich. Er kann auch nach unserer Auffassung nur durch die allgemeine Wehrpflicht, wenn sie eingeführt werden soll, in dem vorgesehenen Ausmaß erreicht werden. Denn eines der ewigen und unabänderlichen Gesetze, welche die Wirklichkeit, d. h. das Leben der einzelnen Völker beherrschen, setzt das Recht und für den normalen Menschen die Pflicht zur Notwehr und Selbstverteidigung voraus. Wer die Souveränität will — das haben wir früher ausgesprochen —, muß auch die Landesverteidigung bejahen. Das ist auch von keiner Seite bestritten worden. Vor dieser Frage gibt es kein Ausweichen. Sie muß von jedem Bürger, auch von dem jüngeren Bürger gestellt und beantwortet werden, der heute — aber nicht nur heute — in dem sich immer mehr zuspitzenden Meinungsstreit über die zweckmäßigste Wehrform sein Urteil beisteuern muß. Das müssen wir auch von denjenigen fordern, die politischen Einfluß geltend machen wollen. Das Hoheitsrecht der Selbstverteidigung ist ein Naturrecht des Staates,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    und es ist unverlierbar. Wenn der Staat es nicht
    hätte oder nicht in Anspruch nehmen würde, hätte
    ' er nach meiner Auffassung überhaupt keine Staatsqualität und könnte sie auch niemals aus einem unabdingbaren Recht heraus gewinnen. Es entspringt allem anderen als militaristischem Denken, wenn man eine Wehrmacht als ein natürliches konstitutionelles Organ jeder staatlichen Gemeinschaft anerkennt. Die Wehrhaftmachung ist damit zugleich eine Frage der Weiterentwicklung und der weiteren Vervollkommnung unserer demokratischen Volks- und Staatsordnung.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Wehner: Am vollkommensten war die bekanntlich, als wir die größte Wehrmacht hatten!)



    (von Manteuffel [Neuß])

    — Wenn wir damals schon die Sicherungen eingebaut hätten, die wir jetzt glauben geschaffen zu haben, würde ich Ihnen recht geben.
    Die Umwandlung des stehenden Heeres in ein Volksheer war bekanntlich eine alte bürgerlichliberale Forderung, die später von der Sozialdemokratie aufgenommen wurde und auch in allen Programmen dieser Partei bis 1914 wiederkehrte. Ihr entsprach die Forderung nach einer strengen vormilitärischen Ausbildung der Jugend und nach wirklich allgemeiner Erfassung aller Wehrpflichtigen. August Bebel wollte sogar die männliche Schuljugend durch altgediente Unteroffiziere an Waffennachahmungen, durch Marsch- und Erkundungsübungen ausbilden lassen. Er hat in seiner berühmt gewordenen Rede — ich sage es, um es allen Herren, die es vergessen haben sollten, ins Gedächtnis zurückzurufen — am 13. Dezember 1892 über eine Militärvorlage gesagt — der Herr Präsident erlaube, daß ich einen kurzen Auszug vorlese —.
    Will also Deutschland einen wirklichen Vorsprung vor den übrigen Staaten, insbesondere vor seinen zukünftigen Feinden haben, so bleibt nichts anderes übrig, als daß es den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht in vollster Wirksamkeit zur Ausführung bringt, indem es die allgemeine Volkswehr, die Volksbewaffnung Hand in Hand mit der militärischen Jugenderziehung durchführt.
    Weiter hat Bebel zu den Rüstungsvorlagen 1913
    — das war bekanntlich die Heeresvermehrung um etwa zwei Armeekorps — gesagt:
    Die Sozialdemokratische Partei hat niemals verkannt, daß die geographische und politische Lage des Reiches die Vorbereitung einer starken Schutzwehr notwendig macht. Infolgedessen rechtfertigt sich nicht nur die Wehrhaftmachung des letzten Mannes bei uns, sondern sie ist eine notwendige Folgerung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ausgezeichnet!)

    Der ehemalige Reichswehrminister Noske, unter dem auch ich gedient habe, brachte 1920 zum Ausdruck — wörtlich —:
    ... sich in aller Zukunft für den Bestand eines Heeres einzusetzen, in dem auch der letzte Mann seiner Pflicht zu genügen habe.
    Die auf dem Parteitag 1929 zu Magdeburg beschlossenen Richtlinien der Sozialdemokratischen Partei zur Wehrpolitik lauten:
    Die Abrüstung wird nur dann dem Frieden dienen, wenn sie nicht eine einseitige Verpflichtung ist, wie sie dem Besiegten des Weltkriegs durch die Sieger auferlegt wurde. Nur zwischen gleichberechtigten Nationen ist dauernder Friede zu erreichen.

    (Abg. Schmidt [Hamburg] : Sie übersehen bloß, Herr von Manteuffel, daß zu all den Zeiten, aus denen Sie Zitate hervorholen, Deutschland nicht gespalten war und daß das eine ganz andere Situation gewesen ist!)

    — Herr Schmidt, ich habe das ja vorhin schon vorausgeschickt; ich komme ,dann zu der Schlußfolgerung.
    Der Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes sagt in seiner Entschließung vom November 1950:
    Den inneren und äußeren Feinden dieser Idee gegenüber kann es keine Neutralität geben, denn sie bedrohen nicht nur die Existenz der freiheitlichen Gewerkschaftsbewegung, sondern den sozialen Fortschritt und den kulturellen Aufstieg der arbeitenden Menschen.
    Ich meine, an diesem Kampf sollten sich wirklich alle Staatsbürger beteiligen.
    Die Forderung, daß das Volk zur allgemeinen Wehrpflicht erzogen werden müsse, wie ich sie mit einigen Zitaten der Sozialdemokratischen Partei vorgetragen habe, wird jeder selbstverständlich unterschreiben, der aus der Geschichte gelernt hat, daß nur das Volk ein Recht auf nationale Existenz und politische Selbständigkeit besitzt, in dem auch der letzte Staatsbürger jederzeit bereit ist, mit der Waffe in der Hand das Vaterland gegen äußere Feinde zu verteidigen, wenn diese Freiheiten bedroht sind.
    Damit geht es im Grunde auch darum, wieweit jeder die Verantwortung für diesen Staat zu übernehmen hat und übernehmen will. Jedenfalls wird nach unserer Auffassung keine Lösung annehmbar sein, bei der ein Teil des Volkes im Stillen glaubt, daß der andere ja gut oder lediglich gut genug ist, die Pflichten dieser Art allein zu übernehmen, und man diesen anderen Teil gegebenenfalls dafür finanziell entschädigen kann. Man kann auf dieser Welt nichts umsonst haben — das wissen wir —, am wenigsten einen freiheitlichen Staat. Will man ihn in den Herzen und Gemütern verwurzeln, braucht man ein staatsbürgerliches Bewußtsein; das muß auch hier erwähnt werden. Aber gerade ein solches Bewußtsein setzt ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten voraus. Aus dem Recht zur Freiheit — wie wir sie westlich verstanden wissen wollen, füge ich allerdings immer hinzu — erwächst die Pflicht zu ihrer Erhaltung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Wirklichkeit diesen idealen Gedanken allzuoft mißbraucht hat, vor allem im zweiten Teil des zwanzigsten Jahrhunderts, der unter der Diktatur militärischer Erwägungen steht; denn die Politik ist mehr oder weniger, das wissen wir, eine Militärpolitik geworden. Daß im übrigen — das muß hier in Parenthese gesagt werden — die strategischen Probleme den Vorrang vor allen anderen erhalten haben, ist eine Folge der sowjetischen Politik.


    (Abg. Dr. Seffrin: Sehr richtig!)

    Es handelt sich damit zugleich um ein sehr bedeutsames sozial-ethisches Anliegen erster Ordnung, weil die Zumutung persönlicher Wehrdienstleistung für die Massen nur tragbar ist, wenn sie absolut gerecht verwirklicht wird. Nur dann kann sie zu einem echten Gemeinschaftsopfer werden. Aus diesen Gründen ist nach unserer Auffassung der allgemeinen Wehrpflicht der Vorzug zu geben, weil jeder Bürger auch diese staatsbürgerliche Verpflichtung zu übernehmen hat. Er kann gegenüber der Gemeinschaft nicht nur Grundrechte für sich und seine Angehörigen in Anspruch nehmen; er muß auch bereit sein, ein gewisses Maß an Grundpflichten auf sich zu nehmen, wenn er Rechte von der Gemeinschaft fordert oder in Anspruch nehmen will. Hieraus folgt auch, daß man das Opfer einer militärischen Ausbildung zu bringen bereit ist und es eben nicht nur denen überläßt, die sich freiwillig hierzu melden. Gerade die Last der Ver-


    (von Manteuffel [Neuß])

    teidigung muß auf möglichst viele Schultern verteilt werden als eine Verpflichtung für alle, denen der Schutz der Freiheit und Sicherheit erst ihre eigene Freiheit und Sicherheit ermöglicht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es muß in diesem Zusammenhang festgehalten werden, was die „Welt der Arbeit" vor Jahren schrieb. Der Herr Präsident erlaube noch einmal, daß ich diesen kurzen Auszug verlese.