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ID0210201000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1955 5653 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 23. September 1955. Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr von Buchka 5653 B Beurlaubte Abgeordnete (Anlage 1) . . 5671 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 22. September 1955 (Moskauer Besprechungen) (Drucksachen 1685, 1693, 1694) 5653 B Ollenhauer (SPD) 5653 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 5659 C Dr. Krone (CDU/CSU) 5659 C Dr. Dehler (FDP) 5663 B Dr. Brühler (DP) 5665 C Dr. Mocker (GB/BHE) 5668 A Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 5670 C Abstimmungen 5670 D, 5671 C Geschäftliche Mitteilungen 5671 C Nächste Sitzung 5671 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5671 B Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Albers 5. November Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Bauer (Wasserburg) 17. Oktober Altmaier 15. Oktober Pelster 15. Oktober Dr. Pferdmenges 15. Oktober Kühn (Bonn) 10. Oktober Dr. Horlacher 8. Oktober Wehking 29. September Höfler 28. September Gleisner (Unna) 24. September Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 24. September Dr. Starke 24. September Bauer (Würzburg) 23. September Brese 23. September Dr. Dollinger 23. September Erler 23. September Euler 23. September Frühwald 23. September Günther 23. September Dr. Hammer 23. September Jaksch 23. September Dr. Kopf 23. September Merten 23. September Dr. Pohle (Düsseldorf) 23. September Rademacher 23. September Raestrup 23. September Ruhnke 23. September Schill (Freiburg) 23. September Stierle 23. September Frau Dr. Steinbiß 23. September Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 23. September Dr. Weber (Koblenz) 23. September Dr. Wellhausen 23. September
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich gestatte dem Herrn Jaeger keine Frage,

    (Heiterkeit)

    die Zeit ist vorbei.

    (Erneute Heiterkeit. — Beifall bei der FDP.)

    Ich zitiere, was Bulganin — das geht uns wirklich mehr an als das, was der Herr Jaeger sagt — gesagt hat:
    Das jetzige Deutschland ist nicht mehr das Deutschland vor zehn Jahren. Zwei deutsche Staaten, von anderen als souveräne Staaten anerkannt, sind entstanden, mit verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen. In der Deutschen Demokratischen Republik sind die Arbeiter und ihre Verbündeten, die Bauern und die Intelligenz. an der Macht. Sie haben den Weg des wirtschaftlichen Aufbaus beschritten und sind von der Gerechtigkeit des von ihnen gewählten Weges völlig überzeugt. Sie wollen ihre Errungenschaften nicht in Gefahr bringen. Ohne Beteiligung der Deutschen läßt sich die Frage der Wiedervereinigung nicht lösen. Es wird keine mechanische Verbindung beider Teile geben, sondern Zusammenarbeit der beiden Staaten. Annäherung Schritt für Schritt.
    Das ist das russische Programm, das haben sie in Moskau wieder deutlich gemacht. Es sind bitterböse Feststellungen.
    Wir können nur sagen: Pankow ist für uns kein Kontrahent. Wir können uns nicht vorstellen, daß in den Verhandlungen über das deutsche Schicksal Menschen beteiligt werden, die nicht durch freie Wahlen ermächtigt sind, für Deutsche zu sprechen, die — der 17. Juni 1953 hat es erwiesen — nur durch russische Panzer an der Macht gehalten worden sind. Es ist ohne Sinn, mit den Todfeinden der deutschen Freiheit über die deutsche Einheit, die doch nur in Freiheit entstehen kann, handeln zu wollen.
    Und nochmals — meine Damen und Herren, das ist unser Anliegen —: es gibt keine Gesellschaft und es gibt keine Wirtschaft, die zur Hälfte sozialistisch-planwirtschaftlich und zur Hälfte eigenverantwortlich-marktwirtschaftlich geordnet werden kann. Herr Ollenhauer, Sie merken — wenn Sie zuhören —, daß ich die Grenze anders ziehe, als Sie sie gezogen haben. Jede Volksfrontregierung trägt den Keim des Verderbens in sich.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Darum jede nur mögliche Fühlung mit den deutschen Menschen in der Zone, denen gerade in diesen Tagen schwerer seelischer Belastung unser warmes Gedenken gilt, aber keine Gemeinschaft mit ihren Gewalthabern, auch wenn sie jetzt mit dem trügerischen Schein einer Souveränität umkleidet werden.
    Wir halten es mit der Bundesregierung für nicht möglich, daß die Staaten, die mit uns diplomatisch verkehren, Pankow anerkennen.
    Wir haben Anlaß, tief besorgt zu sein um das große geschichtliche Ziel, das unserer Generation als Aufgabe gesetzt ist: die Einheit unseres Vaterlandes. Moskau hat nichts verschlimmert, hat uns nur in greller Helle unsere Lage sichtbar gemacht. Es ist billig, über die Politik der Stärke zu spotten. Es war für uns in Wirklichkeit eine Politik der Abwehr, des Versuchs, zusammen mit dem bedrohten Teil der Welt Stärke gegen die russische aggressive Überstärke zu setzen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Herr Ollenhauer, ich meine, es ist ein Trugschluß, annehmen zu wollen, die Sowjetunion wäre bereit, ihren Machtbereich zurückzuziehen, wenn die Pariser Verträge nicht bestünden.

    (Erneuter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Meine Partei hat die Verträge mit beschlossen. Wir
    wollen sie halten, das heißt: wir wollen sie nur mit
    der Billigung unserer Vertragskontrahenten ändern.

    (Zurufe von der SPD: Selbstverständlich! — Haben wir nie anders verlangt!)

    — Ich habe Ihnen auch nichts Gegenteiliges vorgehalten!
    In Moskau ist es bei abweisenden Feststellungen der Gegenseite geblieben. Es wurde nicht verhandelt, es wurde nicht versucht, zu klären, ob und unter welchen Bedingungen die Sowjetunion bereit sein könnte, freie deutsche Wahlen zuzugestehen. Das Recht zu solchen Verhandlungen kann der Bundesregierung nicht bestritten werden. Wenngleich es die auch von der Sowjetunion in Moskau anerkannte Verpflichtung der vier Siegermächte


    (Dr. Dehler)

    ist, die staatliche deutsche Einheit herzustellen, ist es unsere Angelegenheit — es geht um unsere, die deutsche Sache, es ist unser Recht und unsere Pflicht, uns darum zu bemühen.
    Ich halte für richtig, was der Herr Bundeskanzler bei seiner Presseerklärung in Moskau am 14. September erklärt hat, als er davon sprach, daß von nun an auf zwei Ebenen, auf der Ebene Moskau—Bonn und auf der Ebene der Genfer Konferenz, auf zwei Gleisen, wie er sagte, einmal zwischen Moskau und uns und einmal in Genf, über die Herstellung der deutschen Einheit verhandelt werden könnte. Wenn die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion einen Sinn hat, dann doch gerade den, dieses neue Instrument zu nützen, in unmittelbarer Verhandlung mit der Sowjetunion die Voraussetzungen für eine Verständigung in der deutschen Frage zwischen den vier Mächten zu klären. Es ist richtig: die Bundesrepublik Deutschland kann nicht entscheiden, was das wiedervereinigte Deutschland tun soll. Aber wir können doch feststellen, für welche Lösungen wir, der größere Teil Deutschlands, in Übereinstimmung mit den von dem Herrn Bundeskanzler gestern erwähnten 90 % der Deutschen in der Zone, uns in einem wiedervereinigten Deutschland einsetzen wollen. Die Frage der gesamtdeutschen Wahlen wird niemals am Anfang, sondern am Ende von Verhandlungen mit allen vier Mächten stehen.
    Es darf nicht weiterhin so sein, daß nur die anderen Deutschlandpläne entwerfen, daß sie sich für uns den Kopf zerbrechen. Nostra res agitur.

    (Beifall rechts.)

    Nur bei dieser Haltung wird es möglich sein, daß die Moskauer Verhandlungen unserem Volke einen Impuls für die deutsche Sache geben. Oft haben wir das Gefühl, dieser Impuls tut bitter not.
    Das Bild der zwei deutschen Botschafter in Moskau darf sich nicht in unserem Volke einprägen. Es darf im Kreml nur einen deutschen Botschafter, nur ein en Botschafter des deutschen Volkes geben, der die Stimme für Deutschland erhebt.

    (Beifall rechts. — Zustimmung in der Mitte. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Aber auch einen Partner, der nur einen hört!)

    Das deutsche Volk kann keine leeren Formeln und keine blutlosen Versicherungen mehr hören. Es will begreifen können, was geschieht. Es will den Weg sehen. Das ist nötig, wenn nicht das deutsche Bewußtsein in unserem Volke verkümmern soll.
    Das Schicksal Berlins, in dem sich das deutsche Leid sinnhaft darstellt, ist uns in diesen Tagen wieder besonders bewußt gewesen. Wir können es nur hoffen heißen, wenn wir das Äußerste tun, Deutschland zu einen.
    Moskau wird auf die bevorstehende Außenministerkonferenz in Genf einen Schatten werfen. Die deutsche Frage muß dort so wie bei der JuliKonferenz der Regierungschefs den Vorrang haben. Es ist unser Postulat und muß es bleiben, daß es keine - europäische Sicherheit gibt, wenn die unselige deutsche Spaltung währt.
    Die Moskauer Vereinbarungen öffnen vielen Tausenden von deutschen Soldaten und Internierten den Weg in die Heimat. Jeden von uns erfüllt dieser Erfolg mit aufrichtiger Dankbarkeit. Wir hoffen, daß jedem dieser gequälten Menschen die freie Entscheidung über das Heimatziel zugestanden wird und daß es möglichst vielen vergönnt ist, die freie Luft unserer staatlichen Gemeinschaft zu atmen. Unserer tatkräftigen Hilfe sollen sie gewiß sein.
    Ist es vermessen, zu erwarten, daß die Oststaaten, erst recht aber unsere westlichen Vertragspartner in der Westeuropäischen Union und in der NATO die Moskauer Vereinbarung über die Gefangenen als eigene Verpflichtung fühlen und ein Ende machen mit Strafverfolgung und Strafvollstreckung wegen der Irrungen und Wirrungen einer schlimmen Zeit?
    Moskau ist eine Station auf dem deutschen Wege aus tiefer Not, eine Leidensstation auf einem Leidenswege. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen, zäh und geduldig weiterschreiten zu dem Ziele der Einheit und Freiheit unseres Vaterlandes.

    (Beifall von rechts, in der Mitte und beim GB/BHE.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Brühler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst-Christoph Brühler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Redner der kleinsten Fraktion des Hauses, der ja nach der Rangordnung eigentlich ,als letzter sprechen müßte, hat es am leichtesten bei solchen großen Debatten. Vieles, was er sagen wollte, ist schon und vielleicht viel besser gesagt. Er kann sich darum kurz fassen.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Von wem ist es besser gesagt?)

    — Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. (Heiterkeit.)

    Er hat auch die Möglichkeit, auf manches einzugehen, was vorher geredet wurde.
    Meine Damen und Herren, da gestehe ich Ihnen nun ganz offen, daß ich den Tag im Bundestag eigentlich sehr hoffnungsfroh begrüßt habe, als der Herr Kollege Ollenhauer erst so friedliche Worte fand, und daß ich mich da dem Traum hingab, daß es nun endlich in der Außenpolitik dahin kommen würde

    (Zurufe von der SPD)

    — ich sage nichts gegen die Sozialdemokratie, meine Damen und Herren; lassen Sie mich aussprechen, machen Sie bitte nachher Ihre Zwischenrufe —, wohin es in England schon lange gekommen ist, daß nämlich Opposition und Regierung wenigstens in der großen Linie — mit Nuancen — in der Außenpolitik einig zusammenarbeiten würden.

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

    — Ich würde auch in der CDU mit Zwischenrufen noch etwas sparen; das, was ich jetzt hinzuzufügen habe, behagt Ihnen vielleicht nicht so ganz. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, dahin ist es bisher in beiden Bundestagen noch nicht gekommen. Wir leben nun in einer wirklich so ungemein ernsten Zeit. Wir sind an einer Wegegabelangekommen. Vielleicht lockt zu neuen Ufern ein neuer Tag, vielleicht haben wir auch noch sehr schwere Schläge hinzunehmen. Aber, meine Damen und Herren, ich darf nun wirklich an den ganzen Bundestag appellieren und darf auch der CDU


    (Dr. Brühler)

    sagen: Wir sind allzumal Sünder. Auch auf seiten der Regierung ist sicher manches geschehen, was der Sozialdemokratie das Leben nicht erleichtert hat.
    Also wir müssen auf diesem Gebiet endlich zusammenkommen, und wenn uns das Herz nicht zusammenführt, dann müßte uns wenigstens der Verstand zusammenführen. Es ist vielleicht ein bißchen anmaßend, wenn ich als der neue Fraktionsvorsitzende der DP gleich solche Worte sage, aber ich habe dieses Bedürfnis schon lange, es im Bundestag einmal auszusprechen. Wir singen „Einigkeit und Recht und Freiheit" und sind vielfach so grauenhaft uneinig und schlagen uns die Köpfe blutig — figürlich gemeint natürlich — über Dinge, die an sich ja zweit- und ,drittrangig sind.
    Meine Damen und Herren, die Rede, die ich nun in aller Kürze zu halten habe, ist in ,absoluter Kontinuität mit meinem Freund und Amtsvorgänger Dr. von Merkatz gehalten, wie ich überhaupt hier eingangs betonen möchte: ich befinde mich mit ihm genau auf der gleichen Linie.
    In Moskau hat zwischen Bulganin, Chruschtschow und anderen führenden Persönlichkeiten der Sowjetunion und der deutschen Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers eine harte und freimütige Aussprache stattgefunden. Daß es nunmehr endlich hierzu gekommen ist, findet den Beifall auch der Deutschen Partei. Wir stimmen dem Moskauer Ergebnis zu. Es hat heute keinen Zweck mehr, Fehler, die auf beiden Seiten begangen worden sind, in das Gedächtnis der Gegenwart zurückzurufen.
    Meine Partei stellt eine Gruppe von Menschen dar, die die Gegenwart bejaht und mit dazu beitragen will, diese Gegenwart für die gesamte Menschheit erträglich und lebenswert zu machen. Ihr vordringliches Anliegen aber ist auf die Gestaltung der Zukunft gerichtet.
    Die deutsche Delegation hat in Moskau unter Führung des Herrn Bundeskanzlers bitterernst zu ringen gehabt, um die Gegenseite davon zu überzeugen, daß das deutsche Volk den Frieden will, aber einen Frieden nur sucht, wenn es dabei seine Ansichten von Anstand, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, die es für sich selbst beansprucht, auch allen anderen Menschen zugestanden sieht und diese Gefühle auch von den Menschen in Sowjetrußland und allen anderen Teilen der Welt respektiert und gewahrt werden. Die Deutsche Partei begrüßt es, daß der Herr Bundeskanzler und die von ihm geführte Delegation Anlaß genommen haben, die sowjetischen Vertreter von dieser Haltung des deutschen Volkes zu überzeugen.
    Sie begrüßt es auch auf das wärmste, daß der Herr Bundeskanzler und die Delegation unbedingt darauf bestanden haben, aus Gründen der Menschlichkeit die Freiheit der über zehn Jahre in Rußland zurückgehaltenen deutschen Häftlinge zu fordern. Es bleibt belanglos, aus welchen Motiven und mit welchen Mitteln, ob durch Vertrag oder einseitige Verwaltungsanordnung, diese Menschen aus der Haft befreit werden. Es kommt ausschließlich darauf an, d a ß sie befreit werden. Klar muß unter allen Umständen sein, daß jeder Gefangene das Recht hat, zu bestimmen, wohin er entlassen werden will. Kämen viele der Gefangenen von Rußland nach der Sowjetzone, dann kämen sie unter
    Umständen vom Teufel zum Beelzebub, d. h. etwa nach Bautzen oder Waldheim, um dann dort jämmerlich zu enden. Die Bundesregierung muß unseres Erachtens alle Schritte tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern.
    Wir machen uns auch große Sorgen um die nach dem Einmarsch der Russen verschleppten Personen, die noch in Härtelagern und in Arbeitslagern sind und zum Teil gar nicht, aus den verschiedensten Gründen, in der Lage waren, Nachricht zu geben. Unseres Erachtens müßte eine Kommission in Zusammenarbeit mit den sowjetrussischen Behörden nach diesen namenlosen Menschen forschen.
    Wir sehen als das Ziel ,unseres politischen Kampfes die Wiedergewinnung der Heimat für möglichst alle deutschen Menschen an, natürlich auch für die sogenannten Volksdeutschen. Für die Deutsche Partei und für uns alle wäre es ein unerträgliches Gefühl, Beziehungen mit irgendeiner Herrschaftsordnung aufzunehmen, die, unter welchen politischen Vorzeichen auch immer, deutsche Menschen in Haft hält, welche ohne persönliche Schuld aus einer Gesamtauseinandersetzung zwischen Volk und Volk Opfer dieser Verstrickung geworden sind.
    Die Frage der deutschen Häftlinge in Rußland bewegt jede deutsche Familie und jedes deutsche Herz. Wir begrüßen es dankbar, daß die deutsche Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers diesen Empfindungen voll Rechnung getragen hat. Das Echo in unserem Volke ist überall groß.
    In der Einladung der sowjetischen Regierung an den Herrn Bundeskanzler war keine Rede von diesen Häftlingen, es wurde nur von der Normalisierung der Beziehungen gesprochen. Die Deutsche Partei hat der Annahme dieser Einladung zugestimmt. Denn auch uns und unseren politischen Freunden und, wie wir wissen, dem ganzen deutschen Volke kommt es darauf an, daß endlich alles Böse, was aus dem Krieg hervorgegangen ist, beendigt werde. Wir sind auch der Meinung, daß es nun an der Zeit ist, auch dem sowjetischen Volke gegenüber einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und eine neue Seite im Buch der Geschichte aufzuschlagen. Wir tim das in der Hoffnung, daß es nicht nur uns, sondern auch der sowjetischen Regierung und ihrem Volk damit ernst ist, wieder echte friedliche Beziehungen herzustellen. Sie kann es nur geben, wenn Sowjetrußland zum gesamten, zum wiedervereinigten deutschen Volke Beziehungen unterhalten will. Die 'bestehen aber überall nur dann, wenn jedes Volk es dem anderen gestattet, nach der ihm eigenen Art unbeeinflußt sein Leben einzurichten und zu behaupten. Dieser Wahrheit ist der Westen gefolgt, nachdem er das deutsche Volk durch jahrelange Besetzung seines Gebiets kennengelernt hatte, was dann auch die Voraussetzung dafür war, daß das deutsche Volk zu den Westmächten wieder in normale Beziehungen kommen konnte. Allein die sowjetrussische Besatzungsmacht 'hat geglaubt, dem deutschen Volk in der von ihr besetzten Zone ihre eigene, und zwar eine ihm völlig fremde Ordnung aufzwingen zu müssen. Hier trennen sich Anschauungen und Wege; das sei in aller Deutlichkeit gesagt. Es wird niemals einen wirklichen Frieden geben, solange dies nicht geändert wird. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß die deutsche Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zugestanden hat.


    (Dr. Brühler)

    Schon vor der Abreise der deutschen Delegation nach Moskau hat die Deutsche Partei unserer Regierung klar zum Ausdruck gebracht, daß nach ihrer Anschauung eine wahre Normalisierung der Beziehungen nur möglich ist, wenn das Volk und die sowjetische Regierung das selbstverständliche Recht des deutschen Volkes respektieren, sich die Ordnung für seinen Staat zu schaffen, die seiner Eigenart, seinem Begriff von Freiheit und seiner Selbstbestimmung entspricht, und zwar eine Ordnung nicht nur für Teile des deutschen Volkes, sondern für die Gesamtheit der deutschen Nation. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich den entsprechenden Passus aus unserem Memorandum vorlesen:
    Zu einer wirklichen Normalisierung gehört, daß die Sowjets sich eindeutig verpflichten, ihrerseits die Voraussetzungen zu schaffen, die es dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit ermöglichen, aus freier, unabhängiger, das heißt unbeeinflußter Entscheidung eine gesamtdeutsche Regierung zu berufen. Das bedeutet, daß die Sowjetunion die Prinzipien anwenden muß, die in der Satzung der Vereinten Nationen aufgestellt und von ihr selbst anerkannt sind. Trotzdem vertritt die Sowjetunion den Standpunkt, daß die Existenz zweier souveräner deutscher Staaten, der Bundesrepublik und der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, eine Realität sei, der man Rechnung tragen müsse, und daß im Falle einer Wiedervereinigung Deutschlands die sogenannten „fortschrittlichen Errungenschaften" in der von der Sowjetunion besetzten Zone abgesichert werden sollten. Demgegenüber hält die Bundesregierung die Bildung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik für ein Unrecht und versteht deshalb unter der Wiedervereinigung die Beseitigung eines Unrechtszustandes und die Herstellung einer normalen rechtsstaatlichen Situation. Hier darf unter keinen Umständen ein Kompromiß geschlossen werden.
    Die Fraktion der Deutschen Partei möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auch auf die Tatsache lenken, daß die bisher in der parlamentarischen Diskussion und in der Öffentlichkeit hervorgehobene Formel von den „freien gesamtdeutschen Wahlen" die formaldemokratische Seite dieses Vorgangs allzusehr betont hat. Der Kern dieser innerdeutschen Wiedervereinigung liegt aber nicht in dem Zugeständnis dieses formalen Wahlaktes, sondern in der vor, während und nach der Wahl gewährleisteten freiheitlichen und rechtsstaatlichen Substanz eines Zustandes, der eine freie demokratische Wahlentscheidung überhaupt erst ermöglicht.
    Die Aufrechterhaltung und Fortsetzung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die unter Überschreitung der Besatzungsrechte gegen den Willen der dortigen deutschen Bevölkerung erzwungen und damit zur eigentlichen Ursache der Spaltung Deutschlands gemacht worden ist, ließe eine Wiedervereinigung Deutschlands praktisch nicht zu.
    Die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist eine Sache des gesamten deutschen Volkes, das wieder in eine Einheit zu integrieren ist. Es kann deshalb, abgesehen von Übergangsmaßnahmen, kein Sonderrecht der sowjetisch besetzten Zone geben. Die Fraktion der Deutschen Partei lehnt auf diesem Gebiet jeden Kompromiß ab.
    So weit unser Memorandum.
    Meine Damen und Herren! Die sowjetrussische Regierung hat in Moskau anerkannt, daß sie verpflichtet ist, ebenso wie die Westmächte, dafür zu sorgen, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit wieder eine einheitliche Staatsordnung erhält. Bislang aber hat sie keinerlei Beweis dafür geliefert, daß es sich hierbei um ein echtes und ehrliches Anliegen bei ihr handelt. Die Deutsche Partei vermag daher in dieser Moskauer Erklärung vorerst nur ein Lippenbekenntnis zu erkennen. Im Vertrauen vor allem aber auf die Bewertung, die diese sowjetrussische Zusage in Moskau durch die deutsche Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers gefunden hat, ist die Fraktion der Deutschen Partei bereit, die sowjetrussische Zusage zu akzeptieren.
    Die Deutsche Partei ist nicht gewillt, deutsche Lebensinteressen irgendwelchen taktischen Erwägungen aufzuopfern. Es kommt also nach unserer Ansicht wesentlich darauf an, wie sich die sowjetischen Gesprächspartner künftig verhalten werden. Die sowjetrussische Regierung hat bei dem Besuch der sogenannten sowjetzonalen Regierung starke Worte gefunden, die im Gegensatz zum Ziel der Normalisierung der Beziehungen zwischen dem ganzen deutschen Volk und der Sowjetunion stehen. Man möge sich in Moskau nicht darüber im unklaren sein, daß es der freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Bundesrepublik an klaren und deutlichen Worten und Folgerichtigkeiten nicht fehlen wird, wenn festgestellt werden muß, daß es sich bei der sogenannten Normalisierung der Beziehungen nur um eine Vernebelung der Geister und der Tatsachen handeln sollte.
    Und nochmals sei es gesagt: Wir stehen treu zu den Pariser Verträgen und bekennen uns zur Europaidee. Wir appellieren an die Westmächte, daß sie in Genf auf ihrem bisherigen Standpunkt beharren. Der Preis für das europäische Sicherheitssystem ist die Wiedervereinigung der beiden deutschen Landesteile. Beide Probleme müssen gemeinsam behandelt werden.
    Den eingebrachten Entschließungen stimmen wir zu.
    Die Deutsche Partei wird keinen Augenblick zögern, auf die Lebensinteressen des deutschen Volkes hinzuweisen und sie zu verteidigen, wenn das erforderlich würde, und sich von diplomatischen Beziehungen lösen, die dem deutschen Volke nicht mit Offenheit und Ehrlichkeit begegnen, und dabei das natürliche Lebensinteresse des deutschen Volkes achten. Das deutsche Volk wird in seiner Selbstachtung hierbei nicht anders handeln, als wir es vom russischen Volke in der Verteidigung seiner eigenen Interessen erwarten werden.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte grundsätzlicher Art sagen: Die Deutsche Partei hat seit 1949 die Politik des Herrn Bundeskanzlers gestützt, weil sie ihrer eigenen Anschauung entsprach und entspricht. Die Politik des Herrn Bundeskanzlers, die längst jeden Parteirahmen sprengte

    (Bravo! bei der CDU/CSU)

    und die wir im 1. Bundestag mit ermöglichen
    konnten, geht von klaren, nach unserer Ansicht


    (Dr. Brühler)

    konservativen Grundsätzen aus. In heikelster und schwierigster Lage hat der Herr Bundeskanzler jetzt in Moskau in klarer Beständigkeit und hoher staatsmännischer Weisheit sich geschlagen und ist nicht geschlagen worden.

    (Beifall bei der DP, der CDU/CSU und der FDP.)

    In diesem Sinne stimmen wir Konservativen zu.