Rede von
Dr.
Ernst-Christoph
Brühler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Redner der kleinsten Fraktion des Hauses, der ja nach der Rangordnung eigentlich ,als letzter sprechen müßte, hat es am leichtesten bei solchen großen Debatten. Vieles, was er sagen wollte, ist schon und vielleicht viel besser gesagt. Er kann sich darum kurz fassen.
— Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.
Er hat auch die Möglichkeit, auf manches einzugehen, was vorher geredet wurde.
Meine Damen und Herren, da gestehe ich Ihnen nun ganz offen, daß ich den Tag im Bundestag eigentlich sehr hoffnungsfroh begrüßt habe, als der Herr Kollege Ollenhauer erst so friedliche Worte fand, und daß ich mich da dem Traum hingab, daß es nun endlich in der Außenpolitik dahin kommen würde
— ich sage nichts gegen die Sozialdemokratie, meine Damen und Herren; lassen Sie mich aussprechen, machen Sie bitte nachher Ihre Zwischenrufe —, wohin es in England schon lange gekommen ist, daß nämlich Opposition und Regierung wenigstens in der großen Linie — mit Nuancen — in der Außenpolitik einig zusammenarbeiten würden.
— Ich würde auch in der CDU mit Zwischenrufen noch etwas sparen; das, was ich jetzt hinzuzufügen habe, behagt Ihnen vielleicht nicht so ganz. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, dahin ist es bisher in beiden Bundestagen noch nicht gekommen. Wir leben nun in einer wirklich so ungemein ernsten Zeit. Wir sind an einer Wegegabelangekommen. Vielleicht lockt zu neuen Ufern ein neuer Tag, vielleicht haben wir auch noch sehr schwere Schläge hinzunehmen. Aber, meine Damen und Herren, ich darf nun wirklich an den ganzen Bundestag appellieren und darf auch der CDU
sagen: Wir sind allzumal Sünder. Auch auf seiten der Regierung ist sicher manches geschehen, was der Sozialdemokratie das Leben nicht erleichtert hat.
Also wir müssen auf diesem Gebiet endlich zusammenkommen, und wenn uns das Herz nicht zusammenführt, dann müßte uns wenigstens der Verstand zusammenführen. Es ist vielleicht ein bißchen anmaßend, wenn ich als der neue Fraktionsvorsitzende der DP gleich solche Worte sage, aber ich habe dieses Bedürfnis schon lange, es im Bundestag einmal auszusprechen. Wir singen „Einigkeit und Recht und Freiheit" und sind vielfach so grauenhaft uneinig und schlagen uns die Köpfe blutig — figürlich gemeint natürlich — über Dinge, die an sich ja zweit- und ,drittrangig sind.
Meine Damen und Herren, die Rede, die ich nun in aller Kürze zu halten habe, ist in ,absoluter Kontinuität mit meinem Freund und Amtsvorgänger Dr. von Merkatz gehalten, wie ich überhaupt hier eingangs betonen möchte: ich befinde mich mit ihm genau auf der gleichen Linie.
In Moskau hat zwischen Bulganin, Chruschtschow und anderen führenden Persönlichkeiten der Sowjetunion und der deutschen Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers eine harte und freimütige Aussprache stattgefunden. Daß es nunmehr endlich hierzu gekommen ist, findet den Beifall auch der Deutschen Partei. Wir stimmen dem Moskauer Ergebnis zu. Es hat heute keinen Zweck mehr, Fehler, die auf beiden Seiten begangen worden sind, in das Gedächtnis der Gegenwart zurückzurufen.
Meine Partei stellt eine Gruppe von Menschen dar, die die Gegenwart bejaht und mit dazu beitragen will, diese Gegenwart für die gesamte Menschheit erträglich und lebenswert zu machen. Ihr vordringliches Anliegen aber ist auf die Gestaltung der Zukunft gerichtet.
Die deutsche Delegation hat in Moskau unter Führung des Herrn Bundeskanzlers bitterernst zu ringen gehabt, um die Gegenseite davon zu überzeugen, daß das deutsche Volk den Frieden will, aber einen Frieden nur sucht, wenn es dabei seine Ansichten von Anstand, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, die es für sich selbst beansprucht, auch allen anderen Menschen zugestanden sieht und diese Gefühle auch von den Menschen in Sowjetrußland und allen anderen Teilen der Welt respektiert und gewahrt werden. Die Deutsche Partei begrüßt es, daß der Herr Bundeskanzler und die von ihm geführte Delegation Anlaß genommen haben, die sowjetischen Vertreter von dieser Haltung des deutschen Volkes zu überzeugen.
Sie begrüßt es auch auf das wärmste, daß der Herr Bundeskanzler und die Delegation unbedingt darauf bestanden haben, aus Gründen der Menschlichkeit die Freiheit der über zehn Jahre in Rußland zurückgehaltenen deutschen Häftlinge zu fordern. Es bleibt belanglos, aus welchen Motiven und mit welchen Mitteln, ob durch Vertrag oder einseitige Verwaltungsanordnung, diese Menschen aus der Haft befreit werden. Es kommt ausschließlich darauf an, d a ß sie befreit werden. Klar muß unter allen Umständen sein, daß jeder Gefangene das Recht hat, zu bestimmen, wohin er entlassen werden will. Kämen viele der Gefangenen von Rußland nach der Sowjetzone, dann kämen sie unter
Umständen vom Teufel zum Beelzebub, d. h. etwa nach Bautzen oder Waldheim, um dann dort jämmerlich zu enden. Die Bundesregierung muß unseres Erachtens alle Schritte tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern.
Wir machen uns auch große Sorgen um die nach dem Einmarsch der Russen verschleppten Personen, die noch in Härtelagern und in Arbeitslagern sind und zum Teil gar nicht, aus den verschiedensten Gründen, in der Lage waren, Nachricht zu geben. Unseres Erachtens müßte eine Kommission in Zusammenarbeit mit den sowjetrussischen Behörden nach diesen namenlosen Menschen forschen.
Wir sehen als das Ziel ,unseres politischen Kampfes die Wiedergewinnung der Heimat für möglichst alle deutschen Menschen an, natürlich auch für die sogenannten Volksdeutschen. Für die Deutsche Partei und für uns alle wäre es ein unerträgliches Gefühl, Beziehungen mit irgendeiner Herrschaftsordnung aufzunehmen, die, unter welchen politischen Vorzeichen auch immer, deutsche Menschen in Haft hält, welche ohne persönliche Schuld aus einer Gesamtauseinandersetzung zwischen Volk und Volk Opfer dieser Verstrickung geworden sind.
Die Frage der deutschen Häftlinge in Rußland bewegt jede deutsche Familie und jedes deutsche Herz. Wir begrüßen es dankbar, daß die deutsche Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers diesen Empfindungen voll Rechnung getragen hat. Das Echo in unserem Volke ist überall groß.
In der Einladung der sowjetischen Regierung an den Herrn Bundeskanzler war keine Rede von diesen Häftlingen, es wurde nur von der Normalisierung der Beziehungen gesprochen. Die Deutsche Partei hat der Annahme dieser Einladung zugestimmt. Denn auch uns und unseren politischen Freunden und, wie wir wissen, dem ganzen deutschen Volke kommt es darauf an, daß endlich alles Böse, was aus dem Krieg hervorgegangen ist, beendigt werde. Wir sind auch der Meinung, daß es nun an der Zeit ist, auch dem sowjetischen Volke gegenüber einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und eine neue Seite im Buch der Geschichte aufzuschlagen. Wir tim das in der Hoffnung, daß es nicht nur uns, sondern auch der sowjetischen Regierung und ihrem Volk damit ernst ist, wieder echte friedliche Beziehungen herzustellen. Sie kann es nur geben, wenn Sowjetrußland zum gesamten, zum wiedervereinigten deutschen Volke Beziehungen unterhalten will. Die 'bestehen aber überall nur dann, wenn jedes Volk es dem anderen gestattet, nach der ihm eigenen Art unbeeinflußt sein Leben einzurichten und zu behaupten. Dieser Wahrheit ist der Westen gefolgt, nachdem er das deutsche Volk durch jahrelange Besetzung seines Gebiets kennengelernt hatte, was dann auch die Voraussetzung dafür war, daß das deutsche Volk zu den Westmächten wieder in normale Beziehungen kommen konnte. Allein die sowjetrussische Besatzungsmacht 'hat geglaubt, dem deutschen Volk in der von ihr besetzten Zone ihre eigene, und zwar eine ihm völlig fremde Ordnung aufzwingen zu müssen. Hier trennen sich Anschauungen und Wege; das sei in aller Deutlichkeit gesagt. Es wird niemals einen wirklichen Frieden geben, solange dies nicht geändert wird. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß die deutsche Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zugestanden hat.
Schon vor der Abreise der deutschen Delegation nach Moskau hat die Deutsche Partei unserer Regierung klar zum Ausdruck gebracht, daß nach ihrer Anschauung eine wahre Normalisierung der Beziehungen nur möglich ist, wenn das Volk und die sowjetische Regierung das selbstverständliche Recht des deutschen Volkes respektieren, sich die Ordnung für seinen Staat zu schaffen, die seiner Eigenart, seinem Begriff von Freiheit und seiner Selbstbestimmung entspricht, und zwar eine Ordnung nicht nur für Teile des deutschen Volkes, sondern für die Gesamtheit der deutschen Nation. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich den entsprechenden Passus aus unserem Memorandum vorlesen:
Zu einer wirklichen Normalisierung gehört, daß die Sowjets sich eindeutig verpflichten, ihrerseits die Voraussetzungen zu schaffen, die es dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit ermöglichen, aus freier, unabhängiger, das heißt unbeeinflußter Entscheidung eine gesamtdeutsche Regierung zu berufen. Das bedeutet, daß die Sowjetunion die Prinzipien anwenden muß, die in der Satzung der Vereinten Nationen aufgestellt und von ihr selbst anerkannt sind. Trotzdem vertritt die Sowjetunion den Standpunkt, daß die Existenz zweier souveräner deutscher Staaten, der Bundesrepublik und der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, eine Realität sei, der man Rechnung tragen müsse, und daß im Falle einer Wiedervereinigung Deutschlands die sogenannten „fortschrittlichen Errungenschaften" in der von der Sowjetunion besetzten Zone abgesichert werden sollten. Demgegenüber hält die Bundesregierung die Bildung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik für ein Unrecht und versteht deshalb unter der Wiedervereinigung die Beseitigung eines Unrechtszustandes und die Herstellung einer normalen rechtsstaatlichen Situation. Hier darf unter keinen Umständen ein Kompromiß geschlossen werden.
Die Fraktion der Deutschen Partei möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auch auf die Tatsache lenken, daß die bisher in der parlamentarischen Diskussion und in der Öffentlichkeit hervorgehobene Formel von den „freien gesamtdeutschen Wahlen" die formaldemokratische Seite dieses Vorgangs allzusehr betont hat. Der Kern dieser innerdeutschen Wiedervereinigung liegt aber nicht in dem Zugeständnis dieses formalen Wahlaktes, sondern in der vor, während und nach der Wahl gewährleisteten freiheitlichen und rechtsstaatlichen Substanz eines Zustandes, der eine freie demokratische Wahlentscheidung überhaupt erst ermöglicht.
Die Aufrechterhaltung und Fortsetzung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die unter Überschreitung der Besatzungsrechte gegen den Willen der dortigen deutschen Bevölkerung erzwungen und damit zur eigentlichen Ursache der Spaltung Deutschlands gemacht worden ist, ließe eine Wiedervereinigung Deutschlands praktisch nicht zu.
Die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist eine Sache des gesamten deutschen Volkes, das wieder in eine Einheit zu integrieren ist. Es kann deshalb, abgesehen von Übergangsmaßnahmen, kein Sonderrecht der sowjetisch besetzten Zone geben. Die Fraktion der Deutschen Partei lehnt auf diesem Gebiet jeden Kompromiß ab.
So weit unser Memorandum.
Meine Damen und Herren! Die sowjetrussische Regierung hat in Moskau anerkannt, daß sie verpflichtet ist, ebenso wie die Westmächte, dafür zu sorgen, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit wieder eine einheitliche Staatsordnung erhält. Bislang aber hat sie keinerlei Beweis dafür geliefert, daß es sich hierbei um ein echtes und ehrliches Anliegen bei ihr handelt. Die Deutsche Partei vermag daher in dieser Moskauer Erklärung vorerst nur ein Lippenbekenntnis zu erkennen. Im Vertrauen vor allem aber auf die Bewertung, die diese sowjetrussische Zusage in Moskau durch die deutsche Delegation unter Führung des Herrn Bundeskanzlers gefunden hat, ist die Fraktion der Deutschen Partei bereit, die sowjetrussische Zusage zu akzeptieren.
Die Deutsche Partei ist nicht gewillt, deutsche Lebensinteressen irgendwelchen taktischen Erwägungen aufzuopfern. Es kommt also nach unserer Ansicht wesentlich darauf an, wie sich die sowjetischen Gesprächspartner künftig verhalten werden. Die sowjetrussische Regierung hat bei dem Besuch der sogenannten sowjetzonalen Regierung starke Worte gefunden, die im Gegensatz zum Ziel der Normalisierung der Beziehungen zwischen dem ganzen deutschen Volk und der Sowjetunion stehen. Man möge sich in Moskau nicht darüber im unklaren sein, daß es der freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Bundesrepublik an klaren und deutlichen Worten und Folgerichtigkeiten nicht fehlen wird, wenn festgestellt werden muß, daß es sich bei der sogenannten Normalisierung der Beziehungen nur um eine Vernebelung der Geister und der Tatsachen handeln sollte.
Und nochmals sei es gesagt: Wir stehen treu zu den Pariser Verträgen und bekennen uns zur Europaidee. Wir appellieren an die Westmächte, daß sie in Genf auf ihrem bisherigen Standpunkt beharren. Der Preis für das europäische Sicherheitssystem ist die Wiedervereinigung der beiden deutschen Landesteile. Beide Probleme müssen gemeinsam behandelt werden.
Den eingebrachten Entschließungen stimmen wir zu.
Die Deutsche Partei wird keinen Augenblick zögern, auf die Lebensinteressen des deutschen Volkes hinzuweisen und sie zu verteidigen, wenn das erforderlich würde, und sich von diplomatischen Beziehungen lösen, die dem deutschen Volke nicht mit Offenheit und Ehrlichkeit begegnen, und dabei das natürliche Lebensinteresse des deutschen Volkes achten. Das deutsche Volk wird in seiner Selbstachtung hierbei nicht anders handeln, als wir es vom russischen Volke in der Verteidigung seiner eigenen Interessen erwarten werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte grundsätzlicher Art sagen: Die Deutsche Partei hat seit 1949 die Politik des Herrn Bundeskanzlers gestützt, weil sie ihrer eigenen Anschauung entsprach und entspricht. Die Politik des Herrn Bundeskanzlers, die längst jeden Parteirahmen sprengte
und die wir im 1. Bundestag mit ermöglichen
konnten, geht von klaren, nach unserer Ansicht
konservativen Grundsätzen aus. In heikelster und schwierigster Lage hat der Herr Bundeskanzler jetzt in Moskau in klarer Beständigkeit und hoher staatsmännischer Weisheit sich geschlagen und ist nicht geschlagen worden.
In diesem Sinne stimmen wir Konservativen zu.