Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich gestatte dem Herrn Jaeger keine Frage,
die Zeit ist vorbei.
Ich zitiere, was Bulganin — das geht uns wirklich mehr an als das, was der Herr Jaeger sagt — gesagt hat:
Das jetzige Deutschland ist nicht mehr das Deutschland vor zehn Jahren. Zwei deutsche Staaten, von anderen als souveräne Staaten anerkannt, sind entstanden, mit verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen. In der Deutschen Demokratischen Republik sind die Arbeiter und ihre Verbündeten, die Bauern und die Intelligenz. an der Macht. Sie haben den Weg des wirtschaftlichen Aufbaus beschritten und sind von der Gerechtigkeit des von ihnen gewählten Weges völlig überzeugt. Sie wollen ihre Errungenschaften nicht in Gefahr bringen. Ohne Beteiligung der Deutschen läßt sich die Frage der Wiedervereinigung nicht lösen. Es wird keine mechanische Verbindung beider Teile geben, sondern Zusammenarbeit der beiden Staaten. Annäherung Schritt für Schritt.
Das ist das russische Programm, das haben sie in Moskau wieder deutlich gemacht. Es sind bitterböse Feststellungen.
Wir können nur sagen: Pankow ist für uns kein Kontrahent. Wir können uns nicht vorstellen, daß in den Verhandlungen über das deutsche Schicksal Menschen beteiligt werden, die nicht durch freie Wahlen ermächtigt sind, für Deutsche zu sprechen, die — der 17. Juni 1953 hat es erwiesen — nur durch russische Panzer an der Macht gehalten worden sind. Es ist ohne Sinn, mit den Todfeinden der deutschen Freiheit über die deutsche Einheit, die doch nur in Freiheit entstehen kann, handeln zu wollen.
Und nochmals — meine Damen und Herren, das ist unser Anliegen —: es gibt keine Gesellschaft und es gibt keine Wirtschaft, die zur Hälfte sozialistisch-planwirtschaftlich und zur Hälfte eigenverantwortlich-marktwirtschaftlich geordnet werden kann. Herr Ollenhauer, Sie merken — wenn Sie zuhören —, daß ich die Grenze anders ziehe, als Sie sie gezogen haben. Jede Volksfrontregierung trägt den Keim des Verderbens in sich.
Darum jede nur mögliche Fühlung mit den deutschen Menschen in der Zone, denen gerade in diesen Tagen schwerer seelischer Belastung unser warmes Gedenken gilt, aber keine Gemeinschaft mit ihren Gewalthabern, auch wenn sie jetzt mit dem trügerischen Schein einer Souveränität umkleidet werden.
Wir halten es mit der Bundesregierung für nicht möglich, daß die Staaten, die mit uns diplomatisch verkehren, Pankow anerkennen.
Wir haben Anlaß, tief besorgt zu sein um das große geschichtliche Ziel, das unserer Generation als Aufgabe gesetzt ist: die Einheit unseres Vaterlandes. Moskau hat nichts verschlimmert, hat uns nur in greller Helle unsere Lage sichtbar gemacht. Es ist billig, über die Politik der Stärke zu spotten. Es war für uns in Wirklichkeit eine Politik der Abwehr, des Versuchs, zusammen mit dem bedrohten Teil der Welt Stärke gegen die russische aggressive Überstärke zu setzen.
Herr Ollenhauer, ich meine, es ist ein Trugschluß, annehmen zu wollen, die Sowjetunion wäre bereit, ihren Machtbereich zurückzuziehen, wenn die Pariser Verträge nicht bestünden.
Meine Partei hat die Verträge mit beschlossen. Wir
wollen sie halten, das heißt: wir wollen sie nur mit
der Billigung unserer Vertragskontrahenten ändern.
— Ich habe Ihnen auch nichts Gegenteiliges vorgehalten!
In Moskau ist es bei abweisenden Feststellungen der Gegenseite geblieben. Es wurde nicht verhandelt, es wurde nicht versucht, zu klären, ob und unter welchen Bedingungen die Sowjetunion bereit sein könnte, freie deutsche Wahlen zuzugestehen. Das Recht zu solchen Verhandlungen kann der Bundesregierung nicht bestritten werden. Wenngleich es die auch von der Sowjetunion in Moskau anerkannte Verpflichtung der vier Siegermächte
ist, die staatliche deutsche Einheit herzustellen, ist es unsere Angelegenheit — es geht um unsere, die deutsche Sache, es ist unser Recht und unsere Pflicht, uns darum zu bemühen.
Ich halte für richtig, was der Herr Bundeskanzler bei seiner Presseerklärung in Moskau am 14. September erklärt hat, als er davon sprach, daß von nun an auf zwei Ebenen, auf der Ebene Moskau—Bonn und auf der Ebene der Genfer Konferenz, auf zwei Gleisen, wie er sagte, einmal zwischen Moskau und uns und einmal in Genf, über die Herstellung der deutschen Einheit verhandelt werden könnte. Wenn die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion einen Sinn hat, dann doch gerade den, dieses neue Instrument zu nützen, in unmittelbarer Verhandlung mit der Sowjetunion die Voraussetzungen für eine Verständigung in der deutschen Frage zwischen den vier Mächten zu klären. Es ist richtig: die Bundesrepublik Deutschland kann nicht entscheiden, was das wiedervereinigte Deutschland tun soll. Aber wir können doch feststellen, für welche Lösungen wir, der größere Teil Deutschlands, in Übereinstimmung mit den von dem Herrn Bundeskanzler gestern erwähnten 90 % der Deutschen in der Zone, uns in einem wiedervereinigten Deutschland einsetzen wollen. Die Frage der gesamtdeutschen Wahlen wird niemals am Anfang, sondern am Ende von Verhandlungen mit allen vier Mächten stehen.
Es darf nicht weiterhin so sein, daß nur die anderen Deutschlandpläne entwerfen, daß sie sich für uns den Kopf zerbrechen. Nostra res agitur.
Nur bei dieser Haltung wird es möglich sein, daß die Moskauer Verhandlungen unserem Volke einen Impuls für die deutsche Sache geben. Oft haben wir das Gefühl, dieser Impuls tut bitter not.
Das Bild der zwei deutschen Botschafter in Moskau darf sich nicht in unserem Volke einprägen. Es darf im Kreml nur einen deutschen Botschafter, nur ein en Botschafter des deutschen Volkes geben, der die Stimme für Deutschland erhebt.
Das deutsche Volk kann keine leeren Formeln und keine blutlosen Versicherungen mehr hören. Es will begreifen können, was geschieht. Es will den Weg sehen. Das ist nötig, wenn nicht das deutsche Bewußtsein in unserem Volke verkümmern soll.
Das Schicksal Berlins, in dem sich das deutsche Leid sinnhaft darstellt, ist uns in diesen Tagen wieder besonders bewußt gewesen. Wir können es nur hoffen heißen, wenn wir das Äußerste tun, Deutschland zu einen.
Moskau wird auf die bevorstehende Außenministerkonferenz in Genf einen Schatten werfen. Die deutsche Frage muß dort so wie bei der JuliKonferenz der Regierungschefs den Vorrang haben. Es ist unser Postulat und muß es bleiben, daß es keine - europäische Sicherheit gibt, wenn die unselige deutsche Spaltung währt.
Die Moskauer Vereinbarungen öffnen vielen Tausenden von deutschen Soldaten und Internierten den Weg in die Heimat. Jeden von uns erfüllt dieser Erfolg mit aufrichtiger Dankbarkeit. Wir hoffen, daß jedem dieser gequälten Menschen die freie Entscheidung über das Heimatziel zugestanden wird und daß es möglichst vielen vergönnt ist, die freie Luft unserer staatlichen Gemeinschaft zu atmen. Unserer tatkräftigen Hilfe sollen sie gewiß sein.
Ist es vermessen, zu erwarten, daß die Oststaaten, erst recht aber unsere westlichen Vertragspartner in der Westeuropäischen Union und in der NATO die Moskauer Vereinbarung über die Gefangenen als eigene Verpflichtung fühlen und ein Ende machen mit Strafverfolgung und Strafvollstreckung wegen der Irrungen und Wirrungen einer schlimmen Zeit?
Moskau ist eine Station auf dem deutschen Wege aus tiefer Not, eine Leidensstation auf einem Leidenswege. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen, zäh und geduldig weiterschreiten zu dem Ziele der Einheit und Freiheit unseres Vaterlandes.