(Heiterkeit und Beifall. — Abg. Dr. Orth:
Wie viele Seiten Sie haben, müssen Sie uns gestehen! Dann können wir es uns
ausrechnen!)
— Wenn Sie mich dauernd unterbrechen, dann,
muß ich darauf antworten, dauert es noch länger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen uns nicht allzulange mehr darüber zu unterhalten, wie wir in die heutige Lage gekommen sind. Das habe ich bereits ausgeführt. Wir müssen uns aber doch noch einmal dagegen wehren, daß man der Landwirtschaft immer wieder unverständlicherweise vorwirft, sie sei durch einen Leistungsrückstand in die heutige Lage gekommen. Zu diesem Thema muß ich ganz kurz noch Ausführungen machen. Das ist etwas, was einfach nicht stimmt, was jeder Grundlage entbehrt. Wir sind in der Lage, Ihnen das zu beweisen.
Wenn Sie die volkswirtschaftliche Statistik ansehen, werden Sie feststellen müssen, daß die Landwirtschaft heute um 25 % billiger produziert als die gewerbliche Wirtschaft im Ablauf der letzten 50 Jahre. Das entspricht nicht dem Gesetz der klassischen Nationalökonomie. Von Smith wurde gelehrt, daß entsprechend dem Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs die Agrarpreise relativ steigen und die Industriepreise entsprechend dem Gesetz der Kostendegression bei steigender Produktion und bei verringertem Stückpreis relativ fallen müssen. Leider ist die Entwicklung umgekehrt verlaufen. Trotzdem ist — wir können dies beweisen — die Landwirtschaft in ihrer Produktivität tatsächlich nicht nur nicht zurückgeblieben, sondern trotz aller Handicaps, die sie hatte, mitgekommen und sogar noch vorausmarschiert.
Ich könnte Vergleiche zwischen der deutschen Landwirtschaft und der der Vereinigten Staaten von Nordamerika anführen, die uns immer wieder vorgehalten werden. Ich will mir auch diese jetzt wegen des Zeitmangels schenken. Ich behalte mir jedoch vor, einige Dinge zu Protokoll zu geben.
Eines möchte ich noch erwähnen. Das Problem der Disparität ist nicht nur ein Problem der Bundesrepublik Deutschland. Darauf wurde bereits hingewiesen. Es ist beinahe ein Weltproblem; es ist ein Problem, welches sämtliche Industriestaaten der Welt heute irgendwie berührt.
Gerade damit, daß die meisten Staaten diese Maßnahmen bereits in Angriff genommen haben, wird uns bewiesen, daß es sich, auf die Dauer gesehen, kein Volk ungestraft leisten kann, die Nahrungsmittelproduktion zu vernachlässigen und damit die Existenz seiner Landwirtschaft zu gefährden. Bei der Beratung dieses Gesetzes müssen wir uns darüber klar sein, daß die Nahrung immer noch die Grundlage ist und wichtiger ist als alle Genußmittel und als jeder Luxus. Wir wissen, daß das Dilemma, in welchem sich die deutsche Landwirtschaft befindet, mit diesem Gesetz noch lange nicht behoben sein wird. Es werden einige andere Dinge, und zwar in aller Bälde, auf uns zukommen.
Das Strukturproblem — es wurde bereits angesprochen — kann in diesem Gesetz nicht gelöst werden. Die sozialen Probleme sind heute und schon früher angesprochen worden; auch sie können in diesem Gesetz nicht gelöst werden. Auch sie werden noch besonders auf uns zukommen. Auch darauf möchte ich jetzt nicht länger eingehen, sondern das nur andeuten. Ich glaube auch, daß wir uns in Ausführung dieses Gesetzes, in Einhaltung der der Regierung und uns selbst gegebenen Auflagen noch öfter über diese Dinge werden unterhalten müssen.
Es wurde heute schon von der Investitionshilfe für die gewerbliche Wirtschaft gesprochen. Ich glaube, dort ist das Ziel heute erreicht. Ich möchte nur andeuten, daß es vielleicht notwendig wird, über ein Investitionshilfegesetz für die deutsche Landwirtschaft in aller Bälde in diesem Raum zu sprechen.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz kurz zu dem vorliegenden Gesetzentwurf selbst. Der Unterausschuß, dem ich anzugehören die Ehre hatte, hat sich Unterausschuß „Paritätsgesetze" genannt. Ich weiß, wie wir zu den heutigen Formulierungen gekommen sind. Jedenfalls möchte ich der Ordnung halber feststellen, daß das Wort „Parität" in den Formulierungen und in den weiteren Verhandlungen möglichst und auch krampfhaft vermieden worden ist und jetzt kaum noch zu finden ist. Es wurde bereits gesagt, daß die Gesetzesverpflichtung bei weitem nicht so deutlich ausgedrückt werden konnte, wie wir es uns vorgestellt hatten. Sie wissen, daß Verfassungsrechtler ihre Bedenken hatten. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es in § 1 hätte heißen sollen „Die Bundesregierung hat . . ." und nicht „Die Bundesregierung ist verpflichtet . . .". Aber es wurde uns gesagt, das Wörtchen „ist" sei letzten Endes genau so verpflichtend, ohne daß man dadurch in Konflikt mit der Verfassung käme, und wir würden eines schönen Tages, falls dem nicht so
sein sollte, eben an das, was uns im Unterausschuß von den Rechtsgelehrten gesagt worden ist, erinnern müssen.
Im Hinblick darauf, wie das Gesetz letzten Endes ausgefallen ist, sind mir einige Äußerungen, die im mitberatenden Wirtschaftspolitischen Ausschuß gemacht worden sind, besonders aufgefallen. Dort wurde von einem Mitglied dieses Hohen Hauses gesagt, daß es sich bei § 1 dieses Gesetzes — ich habe ja schon auf die zu schwache Verpflichtung hingewiesen — um nichts anderes als um eine Präambel zu diesem Gesetz handle, die keinerlei gesetzliche Verpflichtung enthalte. — Bitte, das wurde wörtlich gesagt von einem Mitglied des Wirtschaftspolitischen Ausschusses. In der Sitzung wurde zum gesamten Gesetz auch bemerkt, daß es eigentlich nichts anderes sei als eine Entschließung des Bundestags, in Gesetzesform gekleidet, gerichtet an die Bundesregierung.
— Ja, das wurde behauptet; es ist tatsächlich so. Nun, wir haben später im federführenden Ausschuß einige Verbesserungen hineingebracht und glauben deshalb, daß das, was vorher dort ausgeführt worden ist, doch einigermiaßen überwunden ist, und glauben deshalb auch, daß wir dem Gesetz — wenn auch mit Bedenken — unsere Zustimmung geben können. Dias darf ich für meine Freunde von den Freien Demokraten jedenfalls sagen.
Ich glaube aber, gerade jene da und dort geäußerten Worte haben eindeutig idas Ammenmärchen widerlegt, wir wollten einen Indexpreisautomatismus, der zwangsläufig eine Lohn-und-PreisSpirale in Bewegung setzte, an deren Ende dann die Inflation stehe. Ich glaube, die Ausschußberatungen — das ging aus dem Bericht des Herrn Kollegen Lücker ja hervor — haben genügend Mittel aufgezeigt, mit denen man das Disparitätsproblem in anderer Weise als nur mit dem Mittel der Preispolitik beseitigen kann. Wir sind Rile der Meinung, ,daß das Mittel der Preissteigerung dasjenige ist, das wir erst zuallerletzt und nur im äußersten Notfall anwenden dürfen,
denn wir sind uns darüber klar: Preiserhöhungen auf unserem Sektor führen automatisch sofort zu Forderungen auf einer ganz anderen Seite, und dann wird eine Spirale in Bewegung gesetzt. Wir von der Landwirtschaft aber würden immer die Dummen sein, weil wir immer viel, viel später nachkämen.
Vorhin wurde auch von dem § 2 gesprochen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es für notwendig, darauf noch ganz kurz einzugehen. Sie wissen, daß der Antrag der Freien Demokraten in erster Linie darauf ausgegangen ist, als Mittel und Grundlage der Feststellung der Disparität den Indexvergleich heranzuziehen. Nun ist er ja in Abs. 2 dieses Paragraphen in einer Weise angesprochen, die unsere Wünsche, ich möchte sagen, annähernd erfüllt. Trotzdem bin ich nach wie vor der Meinung, der Indexvergleich als die am schnellsten und am wirksamsten zu Ergebnissen führende Prüfung hätte an erster Stelle genannt werden müssen, nicht an zweiter; er ist —das wird die Praxis zeigen — für die nächsten Jahre das Primäre, die erste Unterlage, die uns gegeben ist, um das Gesetz überhaupt in Gang zu bringen.
Durch den Aufwands-Ertrags-Vergleich, den ja auch wir — das möchte ich hier ausdrücklich sagen — in unserem Gesetzentwurf als Kontrolle vergesehen hatten, werden wir erst nach vielen Jahren ein brauchbares Ergebnis bekommen. Ich darf hier ausdrücklich sagen, daß es manchmal nicht unerhebliche Auseinandersetzungen gekostet hat, bis der Abs. 2 in der heutigen Fassung im Gesetz stand. Ich ,darf hinzufügen, ,daß es uns unmöglich wäre, dem Gesetz heute unsere Zustimmung zu geben, wenn dieser Absatz nicht wenigstens in der jetzigen Form dastünde.
Einige Mängel des Gesetzes — es könnten noch
mehrere genannt werden — habe ich, glaube ich, aufgeführt. Trotz dieser Mängel werden wir, wie ich schon gesagt habe, dem Gesetz in der vorliegenden Fassung zustimmen. Aber nun muß ich wiederholen, was Kollege Bauknecht schon sagte; ,nun kommt das große Aber. Der Erfolg dieses Gesetzes hängt entscheidend davon ab, welchen Geist und Willen zur Durchführung die Bundesregierung und insbesondere ,der zuständige Ressortminister aufbringen werden. Durch die Art der bisherigen Behandlung ist die deutsche Landwirtschaft mißtrauisch geworden, ja, man darf sagen, teilweise restlos enttäuscht. Fast alles, was in der Vergangenheit zur Aushöhlung der Paritätsforderungen — das kann hier deutlich .ausgesprochen werden — getan wurde — ich erinnere besonders an den völlig gescheiterten Kostensenkungsplan und an einige andere Dinge —, hat sich fast restlos als Schlag ins Wasser erwiesen. Der Kollege Bauknecht sagte vorhin, alle für die Landwirtschaft notwendigen Gesetze habe der Bundestag bisher immer mit großer Mehrheit beschlossen. Wenn dieses Paritätsgesetz notwendig wurde, so muß es doch daran gelegen haben, daß die Regierung nicht immer die notwendigen Folgerungen gezogen hat. Es bleibt nur zu hoffen, daß der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht mehr Phantomen ähnlich dem ,der Kostensenkung nachjagt und dadurch die Anwendung produktiver Maßnahmen um Monate, ja um Jahre verzögert. Er kann nun mit dem Rückhalt dieses Gesetzes die Durchführung seines durchaus zu bejahenden Strukturwandlungsprogramms in Angriff nehmen und auch die konjunkturellen Schwierigkeiten bereinigen, die nach 'diesem Gesetz bereinigt werden sollen.
— Kostensenkung kann angestrebt werden, aber ich glaube: nicht mit den Mitteln, die bisher versucht worden sind. Da müssen wir andere Wege gehen, vielleicht den, daß wir in erster Linie die Industrie, die uns heute mit den notwendigen Bedarfsartikeln beliefert, durch andere Vergünstigungen in die Lage versetzen, uns günstigere Preise einzuräumen, etwa durch Steuermaßnahmen; es gibt ja viele Dinge, die da in Frage kommen.
Herr Bundesminister, Ihnen ist die Not der deutschen Landwirtschaft bekannt. Es ist Ihnen bekannt, wie heute insbesondere die kleinen und mittelgroßen Betriebe sowie einzelne Betriebsgruppenwirtschaftlich zu kämpfen haben. Sie wissen, Herr Bundesminister, in welch verzweifelter
Stimmung, ja teilweise Verbitterung dieser noch lange nicht schlechteste Teil unseres deutschen Volkes täglich vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang schuftet und seine Pflicht erfüllt. Lassen Sie, Herr Bundesminister, diese Menschen nicht länger warten! Es ist draußen bekanntgeworden, daß Sie anfänglich sehr widerstrebend ,diesem Gesetz zugestimmt haben. Widerlegen Sie durch die Tat die weit verbreitete Meinung, daß Sie nur Ernährungsminister, nicht aber Landwirtschaftsminister seien!
— Herr Professor Baade, ein Teil, ein nicht unerheblicher Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung ist anderer Meinung.
Darauf, Herr Bundesminister, daß Sie nun sofort mit Schwung und Energie an die Verwirklichung dieses Gesetzes gehen und alle darin gebotenen Möglichkeiten ausnutzen, warten die deutsche Landwirtschaft und die landwirtschaftliche Bevölkerung, insbesondere in den Klein- und Kleinstbetrieben. Denken Sie daran — und das rufe ich der Bundesregierung zu —, daß eine soziale Marktwirtschaft nur dann sozial ist, wenn sie alle Glieder der Volkswirtschaft gleichberechtigt behandelt!