Rede von
Dr.
Wolfgang
Stammberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir Freien Demokraten begrüßen den Versuch einer Verbesserung und einer Weiterentwicklung des Rechts des Anwaltsstandes, den der uns vorliegende Entwurf unternimmt; aber auch wir haben manche Bedenken gegen verschiedene Bestimmungen dieses Entwurfs. Das gilt zunächst einmal für. die bereits mehrfach erwähnte politische Klausel in § 19 Ziffer 6. Ich gebe dem Herrn Kollegen Wagner, der gesagt hat, daß das ein sehr wichtiger, aber auch ein sehr empfindlicher Punkt bei den kommenden Beratungen sei und daß daher die Formulierung in der Denkschrift der Anwaltschaft mehr als unglücklich erscheine, völlig recht, aber wir teilen die von verschiedenen Stellen erhobenen Bedenken gegen eine derartige politische Klausel bei der Zulassung und auch bei der Zurücknahme; denn ich muß der Meinung des Herrn Bundesjustizministers, daß das gleiche für die Zurücknahme nicht gelte, widersprechen, wenn ich die Vorschrift des § 26 Ziffer 1 des Entwurfs richtig verstehe.
Worum geht es denn? Es geht hier nicht um den Schutz der Verfassung schlechthin. Der Schutz der Verfassung ist ganz allein Aufgabe des Parlaments, und wenn das Parlament bei dieser ureigensten Aufgabe versagt, dann nutzt auch der Anwalt nichts mehr.
Es geht hier aber um etwas ganz anderes. Es geht hier um die tägliche Praxis, um die Tätigkeit des Anwalts, und diese tägliche Tätigkeit in der Praxis des Anwalts sieht leider so aus, daß ein nicht unerheblicher Teil seiner Berufsausübung sich gegen Übergriffe und Maßnahmen der Verwaltung richtet, um diese in ihre verfassungsmäßigen und rechtmäßigen Bahnen zu lenken. 'Die Erfüllung dieser Aufgabe des Anwalts, sich gerade für Verfassung, für Recht und für Freiheit einzusetzen, wird dadurch unmöglich gemacht, daß der Anwalt fürchten muß, aus dieser Tätigkeit heraus seine Existenzgrundlage zu verlieren. Meine Damen und Herren, was nutzt uns die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit des Richters, wenn der Anwait nicht unabhängig genug ist, diesen unabhängigen Richter auch anrufen zu können!
Das Bedenkliche der Formulierung ergibt sich, ich möchte fast sagen, weniger aus dem § 19 Ziffer 6, sondern aus dem § 32, woraus resultiert — und das war der bezeichnende Vorschlag des Bundesrats —, daß die Frage der politischen Zuverlässigkeit nochmals zu überprüfen ist, wenn der Anwalt einen Zulassungswechsel von einem Gericht an ein anderes Gericht vornimmt. Das kann doch nur den Sinn haben, daß sich die Länder selbst nicht darüber klar sind, was im einzelnen nun als „politische Zuverlässigkeit" und als „verfassungstreu", wie es in der Begründung heißt, anzusehen ist oder nicht, und daß das, was im eigenen Land zur Zulassung führen könnte, im anderen Land vielleicht zur Verweigerung führt. Der soviel proklamierte Grundsatz der Freizügigkeit in § 5 des Entwurfs wird damit praktisch illusorisch. Daß es sich hier nicht nur um theoretische Möglichkeiten, sondern um praktische Vorkommnisse handelt, die Anlaß zu Befürchtungen geben,
zeigt doch ein Fall, mit dem wir uns in der letzten Fragestunde vom 23. März dieses Jahres beschäftigt haben, ein Fall, in dem eine Oberpostdirektion glaubte, ein ehrengerichtliches Verfahren gegen einen Anwalt einleiten zu können, der weiter nichts getan hatte, als in seiner Tätigkeit als Strafverteidiger in einem Plädoyer 'eine Maßnahme der Oberpostdirektion zu kritisieren. Wir halben es erlebt, daß von dieser Stelle aus der Herr Bundespostminister dieses Verhalten gebilligt hat, obwohl er, wie er zugeben mußte, nicht einmal die Unterlagen genau kannte. Bei dieser Praxis, die man ohne weiteres durch andere Beispiele ergänzen könnte, läuft man Gefahr, daß diese Bestimmung einmal der Absicht dienen kann, mißliebige Personen von 'der Rechtsanwaltschaft auszuschließen, Verteidiger in politischen Prozessen einzuschüchtern und die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts zu untergraben, wenn er Prozesse gegen den Staat führt. Hier schafft man ein Sonderrecht für einen Berufsstand und eine besondere Möglichkeit einer Ausschließung, die, wie kürzlich einmal eine bekannte norddeutsche Zeitung geschrieben hat, dennoch für den davon Betroffenen gar kein Hindernis darstellt, daß er Bundespräsident, daß er Bundeskanzler, daß er ,Bundesverfassungsrichter wird, ohne daß ihm diese seiner Zulassung als Anwalt entgegenstehende „Besorgnis" der zuständigen Beamten der Länderjustizverwaltung in irgendeiner Weise hinderlich sein könnte.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns überlegen, ob wir den Landesjustizbehörden derart weitreichende Vollmachten ausstellen wollen. Um jeglichem Vorwurf einer gefährlichen Polemik von vornherein entgegenzutreten, möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze eines Mannes zitieren, dessen Verfassungstreue wohl über jeden Zweifel erhaben ist: das ist Dr. Max Friedländer. Er hat geschrieben:
Daß eine solche Vorschrift die politische Gesinnung zum Gegenstande der Vorprüfung bei der Zulassung macht, ist deutlich und unbestreitbar. Wie sie mit Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes in Einklang zu bringen wäre, soll hier nur gefragt werden. Der freie Anwalt kann seiner Aufgabe nur dann gerecht werden, wenn er jedem Klienten freimütig seine Hilfe in einer vertretbaren Sache gewähren darf, ohne daß es auf dessen politische Gesinnung und Einstellung ankommt. Er muß unerschrocken auch gegenüber idem Staate auftreten dürfen und darf nicht zu fürchten haben, daß ihm die würdig und energisch geführte Vertretung zum Schaden gereiche.
Friedländer schließt seine Ausführungen mit dem Hinweis, man könne sich hiernach das Schicksal eines Anwalts ausmalen, der nichts verbrochen hat, aber irgendwie unerwünscht oder mißliebig ist, und er stellt 'die Frage: Ist das auch noch freie Advokatur?
Meine Damen und Herren, wir haben auch Bedenken gegen die Lösung, wie man sie bei dem bereits von Herrn Kollegen Dittrich angeschnittenen Problem der Simultanzulassung vorgeschlagen hat. Die Bundesregierung hat geglaubt, den gordischen Knoten dadurch zerschlagen zu können, daß sie in § 37 grundsätzlich nur getrennte Zulassung vorsieht. Diese „löbliche" Absicht — „löbliche" in Gänsefüßchen — hat man aber in § 253 bereits wieder zunichte gemacht, indem man das augenblicklich im Gebiet der gesamten Bundesre-
publik herrschende Zulassungschaos endgültig legalisiert. Meine Damen und Herren, die Lösung dieser Frage ist nicht nur für die Anwaltschaft, sondern ist auch im Interesse der Rechtsuchenden von größter Bedeutung. Ich teile die Ansicht ides Herrn Kollegen Dittrich, 'daß die Verhältnisse, die im Jahre 1878 zu einer anderen Lösung geführt haben, heute nicht mehr gegeben sind. Die Art der Prozeßführung ist eine andere geworden. Die Entwicklung der Nachrichten- und Verkehrsmittel ist so fortgeschritten, daß derartige Bedenken, wie sie damals aufkamen, heute nicht mehr existent sein können und keine Berechtigung mehr haben.
Wir wollen uns darüber klar sein, daß der Rechtsuchende gerade bei den wichtigen Prozessen, die in erster Instanz vor dem Landgericht verhandelt werden, ein ganz begreifliches Interesse daran hat, daß der Anwalt seiner Wahl oder der Anwalt seines Vertrauens ihn auch in der Berufungsinstanz vertritt. Der erstinstanzliche Anwalt kennt die Materie dieses Prozesses, den er von Anfang an, von der Klageerhebung an miterlebt hat, sehr viel besser und kann sie besser beurteilen als nach dem, was sich aus der Aktenlage ergibt, auf die der Berufungsanwalt zu seiner Information angewiesen
ist. Dabei stellt 'der jetzige Entwurf noch einen Rückschritt gegenüber der Rechtsanwaltsordnung von 1878 dar, weil im § 64 ,des Entwurfs sogar eine Beschränkung der Untervollmacht vor den Obergerichten vorgesehen ist und nur noch eine Beistandschaft zulässig ist, was sich in der Praxis als überaus hinderlich herausstellen wird. Wir Freien Demokraten sind daher für eine generelle Simultanzulassung.
Ein letztes Problem, auf das ich noch kurz eingehen möchte, ist das ebenfalls bereits verschiedentlich erwähnte Problem der Ehrengerichtsbarkeit. Hier entsteht die Frage, ob der erste Rechtszug ausschließlich beim Ehrengericht liegen soll, auch dann, wenn der Ausschluß aus der Anwaltschaft die Folge sein kann, und ob Präsident des Ehrengerichtshofs nur ein Richter oder auch ein diesem Gericht angehörender Rechtsanwalt sein kann, ferner, wie der Senat beim Bundesgerichtshof besetzt sein soll. Wir verleugnen nicht die verfassungsmäßigen Schwierigkeiten, die bei der Lösung dieser Frage auftauchen, aber wir haben die Hoffnung, daß der Rechtsauschuß ohne Verletzung der Verfassung zu einer Lösung kommen wird, die der anwaltschaftlichen Forderung auf Selbstverwaltung auch auf diesem Gebiet entgegenkommt.