Rede von
Dr.
Ernst
Müller-Hermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde Ihre Aufmerksamkeit nicht länger als fünf Minuten in Anspruch nehmen. Herr Kollege Jahn hat gestern die Frage an mich gerichtet, ob denn bei der Bundesbahn tatsächlich noch Rationalisierungsmöglichkeiten bestehen. Ich verfolge mit großem Interesse nicht nur das Schicksal der Eisenbahner, sondern auch das Schicksal und die Arbeit ihrer Organisation. Anfang April hat eine Pressekonferenz der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands in Mainz stattgefunden. Das Mitglied des Hauptvorstandes Herr Seibert — ich weiß nicht, ob Herr Jahn anwesend ist — hat sich dort zu den Verkehrsproblemen geäußert und im Zusammenhang mit der Forderung nach der 40-Stunden-Woche gesagt, das habe zwar eine Erhöhung des Kräftebedarfs um rund 16% zur Folge, „trotzdem brauchten keine Mehrbelastungen für die Bundesbahn zu entstehen, da auf Grund von Rationalisierungsreserven große Arbeitszeitersparnisse möglich seien". Das zu diesem Thema. Selbstverständlich sind wir uns darüber einig, daß bei Rationalisierungen im Rahmen der Bundesbahn keine sozialen Härten eintreten sollen, aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen: man sollte das bekannte Angebot aus der Wirtschaft an die Bundesbahn prüfen und untersuchen, ob nicht tatsächlich wesentliche finanzielle Erleichterungen für die Bundesbahn durch die Annahme eines solchen Angebots möglich sind.
Im Rahmen der Diskussion ist dann wieder das Stichwort Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundesbahn dazu benutzt worden, etwas in Pathos zu machen. Hier möchte ich die Forderung wiederholen, die Herr Kollege Schneider vorhin aufgestellt hat: Die Bundesbahn soll endlich einmal ihre Karten auf den Tisch legen! Wir wollen die Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundesbahn für die Volkswirtschaft erhalten wissen, aber wir wollen nicht, daß sich vielleicht manche Herren in der Leitung der Bundesbahn 'das Stoßgebet abringen: Gott erhalte u n s unsere Gemeinwirtschaftlichkeit!
Der Kollege Jahn hat gestern hier eine Reihe von Namen genannt. Das war für mich sehr aufschlußreich. Ich möchte Ihnen in Zusammenhang mit der Vorbereitung der Gesetzesvorlagen die Versicherung geben, daß diese Namensliste falsch ist. Nachdem ich mir diese Namen noch einmal angesehen habe — wie gesagt, das war sehr aufschlußreich für mich —, muß ich allerdings sagen, daß eine Besprechung mit diesem Kreis stattgefunden hat. Auf der Liste von Herrn Jahn hat ein Herr gefehlt. Das war wahrscheinlich derjenige, der Herrn Kollegen Jahn diese Namen genannt hat. Mit ihm haben weitere Besprechungen in Anbetracht ungenügender Qualifikation nicht stattgefunden.
Nun aber das Thema Unabhängigkeit und Sachverständigenurteil. Ich meine, daß auch ein Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft ein durchaus unabhängiges und neutrales Urteil haben kann. Das gleiche gilt für manchen Vertreter einer wirtschaftlichen Organisation und muß ebenso für uns als Bundestagsabgeordnete oder Minister gelten, selbst wenn sie beruflich mit einer Interessenseite zu tun haben. Entscheidend für ein unabhängiges Urteil sind nicht die Firmierungen. Auch die Firmierung „Wissenschaftlicher Beirat" ist noch nicht unbedingt ein Beweis für ein unabhängiges Urteil. Fundament des unabhängigen Urteils sind Charakter und Verantwortungsbewußtsein.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Abschluß einer sehr eingehenden Verkehrsdebatte. Ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß auf allen Seiten das Bestreben vorherrschte, sachlich zu argumentieren, und daß auch auf allen Seiten das Bestreben erkennbar war, zu einer Synthese und zu einer Übereinkunft zu kommen. Wir stehen in den Ausschüssen jetzt vor der grundsätzlichen Entscheidung, ob man nicht, bevor man zu einer Verbotsgesetzgebung greift, die wegen ihrer Starrheit den vielfältigen individuellen Gegebenheiten und Notwendigkeiten im Bereiche der Wirtschaft nie gerecht werden kann, primär den Versuch machen müßte, durch eine Rektifizierung und Begradigung einer nicht immer richtigen Steuer-, Verkehrs- und Tarifpolitik zu dem gleichen Ergebnis zu kommen. Es ist das Schlagwort geprägt worden, wir stünden vor der Entscheidung, ob wir eine weiche oder eine harte Lösung treffen wollten. Meine Damen und Herren, wir werden an harten und einschneidenden Maßnahmen nicht vorbeigehen können, ganz gleich,
wie wir sie treffen werden. Aber wir stehen vor der Entscheidung, ob wir eine volkswirtschaftlich vernünftige und bis in die letzten Konsequenzen durchdachte Lösung aufgreifen und in Gesetzesform bringen oder eine Lösung, bei der die Gefahr besteht, daß wir mit ihr im Bereich der Wirtschaft womöglich einen Scherbenhaufen verursachen. Diese Frage zu prüfen wird jetzt Aufgabe der Ausschüsse sein. Nach dem Verlauf ,der Debatte habe ich das Vertrauen, daß wir mit Sachlichkeit und fair play im persönlichen Verhältnis an die Dinge herangehen und zu einem positiven Ergebnis kommen werden.