Rede von
Aloys
Feldmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich will Ihre Aufmerksamkeit nicht sehr lange in Anspruch nehmen, zumal sich bei der ersten Lesung alle Redner auf das Grundsätzliche beschränken sollen. Aber gerade wegen dieses Grundsätzlichen möchte ich auch aus meiner Schau als freier Wirtschaftler zweierlei herausstellen. Die Verbotsliste — in dieser Frage scheiden sich schließlich die Geister — bedeutet unstreitig einen ungewöhnlichen Eingriff in unser wirtschaftliches Leben, der mir mit der bisher von der Mehrheit dieses Hohen Hauses bekundeten Grundauffassung über Wirtschaftsfreiheit nicht vereinbar erscheint.
Zum zweiten: eine solche Maßnahme wird—mindestens in gewissen Wirtschaftsbereichen und auch in verschiedenen geographischen Bezirken — zwangsläufig eine grundlegende Änderung der Wettbewerbsbedingungen herbeiführen; Arbeitslosigkeit und sogar eine wesentliche Veränderung der wirtschaftlichen Struktur wird die Folge sein. Denn wir müssen uns darüber klar sein: Wirtschaftsformen und Wirtschaftsmethoden haben sich nicht zufällig entwickelt, sondern sie sind das Ergebnis einer echten Prüfung und einer echten ökonomischen Bewährung. Man kann sie nicht einfach ändern, wenn man damit nicht eine Kettenreaktion wirtschaftlicher Nachteile auslösen will.
Ich denke hier insbesondere an die — mir auf Grund der mir aus meinem Mandat erwachsenden Pflichten besonders nahestehende — mittel- und ostwestfälische Baustoffindustrie, für die dieses Gesetz in der Tat einen Bergrutsch bedeuten würde. Denn diese Industrie ist nicht nur zu 99 % mit Kraftwagen ausgestattet, sondern sie liegt auch in unmittelbarer Nähe des Großverbrauchsgebiets, des Industriegebiets. In ihren Unkosten wirken sich Änderungen der Frachtgrundlagen immer aus. Denken Sie einmal daran, daß gerade Massengüter sehr frachtempfindlich sind; gerade bei ihnen stellt der Transport einen wesentlichen Unkostenfaktor dar. Aus diesem Grunde müßte das Gesetz ungewöhnliche Rückwirkungen haben.
Verehrter Herr Verkehrsminister, Sie haben uns zwar gestern gesagt, Sie hätten insbesondere in Ansehung des Art. 12 des Grundgesetzes keine Bedenken; ich glaube aber, wir müssen auch der rechtlichen Seite dieses Problems einige Aufmerksamkeit schenken. Ich halte mich selber zwar nicht für befähigt, darüber zu urteilen, ich will aber immerhin feststellen, daß nicht unbedeutende Staatsrechtler, darunter Männer, deren Namen wir schon früher einmal bei der Begründung — allerdings der Stellungnahme der Bundesregierung — sehr gern genannt haben, in dieser Grundsatzfrage wesentlich anderer Auffassung sind. Ich halte das deshalb für beachtlich, weil die Nachteile einer solchen staatsrechtlich anfechtbaren Situation unter Umständen die von Ihnen erstrebten Vorteile völlig aufheben könnten.
Mit besonderer Freude habe ich gestern, verehrter Herr Verkehrsminister, Ihre Darstellung über die Motive für diese Gesetze angehört. Ich halte es für einen erheblichen Fortschritt, daß Sie mit besonderem Nachdruck gesagt haben: Diese Gesetze dienen nicht so sehr der Sanierung der Bundesbahn — das wurde ja sonst allgemein und teilweise sogar in diesem Hause in vertraulichen Zwiegesprächen zum Ausdruck gebracht —, sie dienen nicht so sehr der Konservierung irgendeines anachronistischen Verkehrszustandes, sondern diese Gesetze dienen in erster Linie und nahezu ausschließlich der Sicherheit von Leib und Leben. Das ist eine hervorragende Zweckbestimmung, und das ist nach meinem Dafürhalten eine Grundlage einer echten parlamentarischen Diskussion und zeigt auch den Weg zum gegenseitigen Zusammenfinden.
Ich nehme an, daß uns allen das Leben gleichermaßen heilig ist und daß wir alle die gleiche Ehrfurcht davor empfinden. Wenn es beispielsweise den Anhängern des Herrn Kollegen Müller-Hermann, zu denen auch ich mich zähle, gelänge, Ihnen den Beweis zu erbringen, daß der von Ihnen angestrebte Zweck, nämlich die Sicherheit des Lebens, durch Verringerung oder Beseitigen der Verkehrsgefahren und durch Straßenentlastung trotz besten Wollens durch dieses Gesetz nicht zu erreichen ist — und zwar aus Gründen, die ich nicht anführen will; sie gehören in den Ausschuß, ich werde das später noch vortragen —, könnte ich mir bei Ihrer Klugheit und bei Ihrer Toleranz, Herr Bundesverkehrsminister, denken, daß Sie sich dann vielleicht dieser Auffassung zuneigen.
Umgekehrt erkläre ich Ihnen, daß ich ohne Rücksicht auf meine bisherige Haltung ohne jeden Vorbehalt Ihrer These, Ihrer Grundauffassung zustimmen würde, wenn Sie mich davon überzeugten, daß der von Ihnen beschrittene Weg in der Tat ein erhöhtes Maß von Sicherheit für Leben und Gesundheit unserer Bürger bedeutet. Ich sage das als Wirtschaftler und weiß, daß ich damit nicht nur im Einvernehmen mit dem Hohen Hause, sondern auch mit meinen wirtschaftlichen Berufskollegen spreche. Denn das menschliche Leben und sogar nur ein menschliches Leben ist unvergleichlich wertvoller als jeder wirtschaftliche Nutzeffekt. Ich halte es für notwendig, das hier eindeutig und klar auszusprechen.
Ich bitte, mir hierzu eine persönliche Bemerkung zu gestatten; damit bin ich auch am Schluß. Ich habe den Eindruck, daß die gestrige Diskussion allzu stark von Gemüts- und Gefühlsbewegung geleitet war. Das soll gegenüber niemandem ein Vorwurf sein, es sei denn, gegen mich selbst. Ich habe mich selber dieser Sünde schuldig gemacht, die ich hiermit bekenne. Es fallen einem ja bei anderen immer die Fehler am ehesten und am schnellsten auf, die man selber in sehr viel größerem Maße hat. So wird es wahrscheinlich auch hier sein. Ich glaube aber, daß gerade bei dieser Frage, wo durch Sentiments und durch das Erheben eines Absolutheitsanspruchs sowohl des einen wie des anderen Teils eine Verwirrung Platz greift — weder hat die Regierung das Privileg der Weisheit, noch sind die Volkstribunen in ihren Erkenntnissen immer gesegnet und fruchtbar —, durch die Bereitwilligkeit zum Eingehen auf die Argumente der Gegenseite eine echte Gedankenauslese gefunden werden kann. Wir sollten uns allen, ob wir Anhänger dieser oder jener Seite sind, a priori zunächst einmal den guten Glauben zubilligen und sollten alle dazu beitragen, durch die Schaffung einer friedlichen und verständnisvollen Atmosphäre die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen nach meinem Dafürhalten allein dieses schwere Problem zum Nutzen für Volk und Wirtschaft gelöst werden kann.
Ich habe die Hoffnung, daß wir in der dem Spiegel der Öffentlichkeit abgewandten Ausschußarbeit — diese Diskretion hat sich ja in manchen Dingen als geistig förderlich und heilsam erwiesen — trotz der nicht sehr verheißungsvollen Ouvertüre des gestrigen Tages ohne Verstimmung gegenüber der
Regierung, ohne Mißverständnis und falsche Deutung, aber auch ohne eine etwa falschverstandene Nibelungen- oder Koalitionstreue — denn es handelt sich hier um eine ganz nüchterne Aufgabe, die man nur mit nüchternem Verstand und mit Einfühlungsvermögen in die Zusammenhänge der Wirtschaft lösen kann — dieses Problem leidenschaftlich, aber zum Nutzen unseres Volkes, zur Sicherung des Lebens und des wirtschaftlichen Erfolges unserer Nation lösen werden.