Rede von
Dr.
Marie-Elisabeth
Lüders
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt zur Begründung des Antrags auf Drucksache 434 — Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft im Zonenrandgebiet.
Dr. Schmidt (SPD), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Drucksache 434 wäre nicht notwendig gewesen, wenn der Herr Bundesfinanzminister seine Maßnahmen vom Jahre 1952 auch im Jahre 1953 und in diesem Jahre fortgesetzt hätte. Aber sein Veto gegen die Bemühungen des Ernährungsministeriums war wieder einmal stärker, und alle Erkenntnisse über sachliche Notwendigkeiten haben auch diesmal nichts genützt. Wie ich vernommen habe, ist man sogar im Bundeskanzleramt sehr erstaunt darüber gewesen, daß diese finanziellen Aufwendungen für die landwirtschaftlichen Betriebe, die unmittelbar durch die Zonensperrmaßnahmen betroffen worden sind, nicht fortgesetzt worden sind. Ich bedaure, sagen zu müssen, daß im Förderungsprogramm vom 3. Juli 1953 die Landwirtschaft keine Erwähnung gefunden hat. Es ist nur vergessen. Wir wollen das aber schleunigst nachholen, und daher unser Antrag.
Sie gestatten, meine Damen und Herren, daß ich noch einmal die Tatbestände aufzeige, die damals im Zonengrenzgebiet gegeben waren. Durch die
Sperrmaßnahmen sind zirka 2200 landwirtschaftliche Betriebe, meistens kleinbäuerliche Betriebe, betroffen worden. Sie haben zum mehr oder weniger großen Teil ihre Betriebsgrundflächen verloren und haben für das verlorengegangene Land keinerlei Entschädigung erhalten. In der Ostzone ist es nicht üblich, daß die Bauern, die nunmehr derartige Flächen bewirtschaften, dafür einen gewissen Betrag auf ein Sperrkonto zahlen. Die Bauern diesseits der Zonengrenze sind an dem Ertrage der dortigen Bewirtschaftung nicht beteiligt. Diesseits der Grenze begann damals wenige Stunden und Tage nach den Sperrmaßnahmen ein Rennen auf das frei gewordene Land, auf das Land, das Ostzonenbauern gehört hatte. Infolge des vermehrten Landhungers sind bei Verpachtungen Preise genommen worden, die in keinem Verhältnis zu dem Ertrage stehen. Auf der andern Seite gibt es natürlich auch viele Stellen im Zonengrenzgebiet, wo ein Landerwerb durch Pacht in keinem Falle möglich war. Eine Lenkung der Verpachtungen durch die Behörden war nicht möglich. Es wäre vielleicht möglich und zweckmäßig gewesen, wenn man das Land, das hier zur Verfügung stand, denen gegeben hätte, die eben drüben Land verloren haben. Das Gesamtergebnis ist also: auf der einen Seite ganz abnorme Pachtpreise, die in keinem Verhältnis zum Ertrage stehen; auf der andern Seite ist das Gleichgewicht vieler Betriebe gestört. Es gibt viele Betriebe, die mehr als drei Viertel ihres Grund und Bodens verloren haben.
Damals — im Jahre 1952 — mußte sich der Finanzminister dazu bequemen, eine Ernteausfallentschädigung bis zu 50 % zu gewähren. Das ist nicht leicht gewesen. Frau Kollegin Dr. Brökelschen, Sie wissen ganz genau: wir haben uns damals in vielen Stunden von Verhandlungen bemüht, die Auszahlung einer derartigen Entschädigung durch den Finanzminister zu erreichen. Die Folge der Tatsache, daß im Jahre 1953 keine solche Vergütung gezahlt worden ist, ist die, daß diese Betriebe ihr Vieh haben abstoßen müssen, daß sie damit in ihrer Existenz weitgehend bedroht sind.
Von den indirekten Schäden will ich gar nicht weiter sprechen. Es gibt eine ganze Reihe von Betrieben, denen es unmöglich gemacht ist, ihre Forstnutzung für Brennholz in der Ostzone weiter zu erhalten. Von den wirtschaftlichen Erschwernissen allgemeiner Art will ich auch nicht reden. Ich will auch nicht davon reden, daß es vielen Betrieben unmöglich gemacht ist, ihre Produkte oder Betriebsmittel leichter und bequemer abzusetzen bzw. zu beziehen als heute. Auch von den persönlichen Verhältnissen und Erschwernissen will ich nicht ausführlich sprechen. Denken Sie doch einmal daran, was Bauern machen sollen, die 60 oder 65 Jahre alt sind, die Hälfte ihres Landes verloren haben und keine Möglichkeit haben, einen Nebenerwerb zu finden! Was sollen Bauern machen, die, sagen wir, noch Altenteiler zu versorgen haben usw. mehr? Daran sollte unser Herr Finanzminister einmal denken. Ich würde es begrüßen, wenn Sie alle einmal Gelegenheit nähmen, solche Betriebe zu besichtigen, damit Sie auch die menschliche Seite di eses Problems kennenlernen.
Draußen, in den Dörfern, hat man für das Verhalten unseres Finanzministers kein Verständnis. Man ist schwer enttäuscht. Darum sollten wir als Bundestag die Courage aufbringen, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Wir haben daher unseren Antrag gestellt, der vorsieht, daß Pachtaufwendungen für verlorengegangene Eigenflächen
zu vergüten sind, und andererseits sollen Wirtschaftsbeihilfen für die Betriebe, die keine Pachtflächen auf dem Pachtmarkt erhalten konnten, gewährt werden. Wir wissen selbst, daß wir damit keine Generalentschädigung für die Bauern herbeiführen, wir wollen nur die Not lindern. Es ist selbstverständlich, daß diese Beihilfen und Vergütungen rückwirkend auch für das Jahr 1953 gewährt werden müssen.
Ich gebe zu, daß es eine bessere Lösung gibt, die darin besteht, daß man versucht, die Bewirtschaftung dieser Flächen im kleinen Grenzverkehr wieder zu ermöglichen. Ich weiß, daß das Ernährungsministerium diesbezügliche Vorschläge an das Auswärtige Amt gemacht hat. Ich weiß aber nicht, was daraus geworden ist, ob überhaupt Schritte seitens der Bundesregierung unternommen worden sind, diese Bewirtschaftung wieder zu ermöglichen. Ich meine, unabhängig davon, ob etwas geschehen ist, sollte der Bundestag, sollten wir alle immer darauf bedacht sein, daß solche Versuche ständig unternommen werden.
Wenn man das nicht kann, wenn man andererseits aber auch kein Geld im Sinne des Antrags bewilligen will, dann gibt es noch eine dritte Möglichkeit, die allerdings eine Zwangsmaßnahme ist. Man müßte dann eine Landbewirtschaftungsordnung speziell für diese Zonenrandgebiete einführen, mit der man erreichen kann, daß Land beschafft wird und daß andererseits die bestehenden Pachtverträge überprüft und rückgängig gemacht werden können, daß das Land also zwangsweise in die rechten Hände kommt. Da das aber schwierig und wahrscheinlich nicht durchsetzbar ist, bleibt uns kein anderer Weg, als finanzielle Unterstützung zu gewähren. — Deshalb haben wir unseren Antrag gestellt.
Der Herr Kollege Wacher hat in Drucksache 529 einen ähnlichen Antrag gestellt. Er ist uns gestern zugegangen, sechs Wochen nachdem wir unseren Antrag eingebracht hatten. Ich bedaure außerordentlich, daß der Herr Kollege Horlacher nicht wieder der Spitzenreiter ist, aber es hat anscheinend auch Herrn Wacher nicht ruhen lassen, hier in Konkurrenz zu treten. Er tritt nicht nur mit uns in Konkurrenz, sondern er tritt auch mit seinem eigenen Fraktionskollegen, dem Herrn Dr. Dr. Müller, in Konkurrenz, der ja für die Gebiete an der Westgrenze ähnliche Regelungen gefordert hat.
Ich darf Sie bitten, damit einverstanden zu sein, daß der Antrag federführend an den Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitbeteiligung an den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen überwiesen wird.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen: Es wird gerade bei dem starren Verhalten des Herrn Finanzministers notwendig sein, daß wir hier zusammenstehen. Ich möchte schon heute an die Kollegen in der Regierungskoalition, insbesondere auch an Herr Wacher und an seine Mitunterschreiber, den Appell richten, daß sie zu ihrem Wort stehen und nicht, wenn es darauf ankommt, wieder in die Knie gehen, wie es so oft der Fall gewesen ist.