Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß mit einem Bekenntnis beginnen. Ich hatte geglaubt, daß das Erscheinen des Herrn Bundesfinanzministers die Chancen der Streiter für das Zonengrenzland über alle Maßen erhöhen würde, ist er doch selbst ein Mann aus dem Grenzgebiet am Eisernen Vorhang. Ich hatte geglaubt, es habe ihn die Liebe zu seinem Bayerischen Wald hierhergeführt. Leider ist er nun verschwunden.
— Dann sei ihm verziehen. Wir haben aber nahezu die Situation wie am 2. Juli. Am 2. Juli war — ich erinnere daran — die Ministerbank leer, als wir hier einstimmige Beschlüsse faßten, und das Haus war sehr schütter besetzt. Nun, nach dem 2. Juli kam die Wahlzeit, und da änderte sich die Stimmung radikal. Wir hatten die umgekehrte Stimmung als in einem Vaterschaftsprozeß: alle wollten es gewesen sein. Alle knüpften an die Beschlüsse des 2. Juli an und alle gelobten: Aus dem Kind machen wir was.
Die Beschlüsse des 2. Juli, so hieß es, sind nur ein Anfang. Herr Schäffer traf am 9. Juli in München mit Herrn Wirtschaftsminister Seidel und Herrn Staatssekretär Ringelmann zusammen, und bereits am 12. Juli war der Bundeskanzler in Regensburg.
Da bin ich nun bei meinem Gebiet, bei meinem Antrag. In Regensburg ist dem Herrn Bundeskanzler in überzeugender Weise dargelegt worden, wie die Situation am Eisernen Vorhang ist. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, der Bund müsse
alles tun, um eine große politische Gefahr zu bannen; die Sorge um die Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse am Eisernen Vorhang beschäftige ihn schon lange. Die Bundesrepublik sei verpflichtet, Hilfe zu bringen. Er sagte, als man ihn auf die große politische Gefahr der Dauerarbeitslosigkeit hinwies, wörtlich:
Daß darin eine politische Gefahr steckt, das ist für jeden, der die Dinge etwas zu überschauen vermag, eine Selbstverständlichkeit. Daß der Bund auch aus politischen. Gründen alles tun muß, was in seinen Kräften steht, damit diese politische Gefahr gebannt wird, das ist, glaube ich, so klar, daß ich keine Beteuerungen abzugeben brauche.
Dann hat uns der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 20. Oktober 1953 von dieser Stelle aus versichert, daß er den Gebieten am Eisernen Vorhang seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden werde. Inzwischen scheint er zurückgefunden zu haben zu der Weisheit Talley-rands: „Der Weise handelt nie!"
Die Bundesregierung hat die Beschlüsse vom 2. Juli, man kann sagen, schleifen lassen. Da darf ich auf einen Mann aufmerksam machen, auf den die Bundesregierung sicher großes Gewicht legt. Herr Dr. Wilhelm Röpke hat in einem sehr beachteten Artikel die Verhältnisse am Eisernen Vorhang im allgemeinen und in Oberfranken im besonderen sehr eingehend analysiert. Herr Dr. Röpke kommt zu der Überzeugung, daß am Eisernen Vorhang langsam, aber sicher eine soziale Erosion um sich greift. Er sagt, daß wegen der besonders ernst zu nehmenden Gefahr der Menschen- und Betriebsabwanderung die Lage am
Eisernen Vorhang nicht harmlos genug sei, um den Kräften der Selbstheilung überlassen zu werden. Er fordert Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen.
Nun, meine Damen und Herren, wie sieht das praktisch aus? Schauen Sie, da ist z. B. ein Schreiben des bayerischen Arbeitsministeriums an das Bundesarbeitsministerium. In ihm wird auf die großen Schwierigkeiten der finanzschwachen Länder bei der Bereitstellung des für die Inanspruchnahme der dargebotenen Förderungsmittel des Bundes und der Bundesanstalt notwendigen Anteils hingewiesen. Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Länder ja gar nicht imstande sind, den halben Anteil zu den Förderungsmaßnahmen aufzubringen. Zugleich wird aber gesagt, daß man ohne die Notstandsarbeiten in den Randgebieten nicht auskommen kann.
Ich erwähne ferner ein Schreiben von Herrn Staatssekretär Krehle an das Bundesarbeitsministerium, worin auf eine günstigere Gestaltung der Darlehnsbedingungen der Anstalt gedrängt wird.
Nun möchte ich noch auf etwas verweisen, was den zuständigen Herren in Bonn wahrscheinlich nicht bekannt ist. Es gibt eine Verfügung der nordbayerischen Arbeitsverwaltung vom Mai 1954, in der es heißt: „Kreditbegehrende Betriebe sind ab sofort unzweideutig darauf hinzuweisen, daß Anträge auf Arbeitsplatzdarlehen wohl nach wie vor gestellt werden können, d. h. daß eine Antragssperre bislang nicht ausgesprochen wurde, aber bei der Vielzahl der bereits vorliegenden Anträge mit Rücksicht auf die augenblicklich unzureichende Mittelzuteilung kaum Aussicht auf Erfolg haben. Die Laufzeit für einen Antrag auf Gewährung eines Arbeitsplatzdarlehens muß erfahrungsgemäß in Bayern mit ein bis eineinhalb Jahren angesetzt werden."
Warum sage ich das? Ich erwähne es deshalb, weil wir mit dem Antrag, den ich zu begründen habe, zusätzliche Mittel verlangt haben, damit in den Zonenrandgebieten Arbeiten durchgeführt werden können, die allen dort lebenden Menschen Luft unter die Flügel geben.
Die Struktur des Zonenrandgebietes ist hier jedes Jahr eingehend erörtert worden. Ich kann mir deshalb eine Wiederholung ersparen. Dem Herrn Staatssekretär möchte ich aber zur Frage der Verlagerung von Betrieben ein Wort mit auf den Weg geben.
Der Herr Wirtschaftsminister Seidel in München, ein Mann, der wegen seines Sachverstandes und seiner Mäßigung bekannt und beliebt ist, hat ausdrücklich erklärt, daß ihm das Gefährlichste in den Gebieten am Eisernen Vorhang im Augenblick gar nicht die Arbeitslosigkeit dünke, sondern die Tendenz zu Betriebsabwanderungen. Nun hat man so getan, als wenn so etwas gar nicht bestünde. Nach Mitteilung des Arbeitsministeriums sind bisher aus Oberfranken fünfzig Betriebe verlagert worden. Das sind keine kleinen Betriebe. Ich darf Ihnen als Beispiele folgende nennen: SiemensSchuckert-Werke, Kleinbauwerk Hof, mit 500 Beschäftigten, Siemens-Schuckert-Werke, Instawerk Hof, mit 900 Beschäftigten, Neue Baumwollspinnerei und Weberei Hof, die einen Zweigbetrieb mit 300 Leuten errichtet hat. Dem Herrn Wirtschaftsminister Seidel ist die Errichtung von Zweigbetrieben deshalb so bedenklich vorgekommen, weil sie zur Aushöhlung der Stammbetriebe
führt. Ich nenne weiter die Errichtung eines Zweigwerks der Firma Laubmann & Co. in Hof mit 150 Beschäftigten, die Vogtländische Baumwollspinnerei mit einem verlagerten Zweigbetrieb mit 120 Leuten, die Deutawerke in Schwarzbach im Wald mit 800 Leuten, Renz & Sohn in Stammbach mit 100 Leuten, Siemens-Schuckert-Werke, Stromrichterwerk Hof, mit 200 Leuten und die Möbelfabrik H. Schneider in Hof mit 400 Leuten, die pleite ging. Das sind nur einige Beispiele. Sie können noch mehr haben. Mein verehrter Kollege Egon Franke aus dem Kreise Helmstedt hat mir z. B. eine Liste gegeben, die neun Betriebe umfaßt. Es wird dabei festgestellt, daß in drei Jahren mindestens 3000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind.
Womit haben wir uns also zu befassen? Mit drei Dingen: mit Arbeitslosigkeit, mit Dauerarbeitslosigkeit — sie ist in den Ländern am Eisernen Vorhang mit Abstand am höchsten — und mit Kurzarbeit. Ich gebe zu bedenken, daß die Landstriche, um die es sich hier handelt, meist Gebiete sind, in denen fünf Monate Winter herrscht, was für die Saisonarbeit etwas bedeutet!
Wenn die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung feststellt, die strukturelle Arbeitslosigkeit habe im Bund 29 % betragen, dann wüßte ich von dieser Anstalt gern, wieviel von diesen strukturellen Arbeitslosen auf die vier Länder am Eisernen Vorhang entfallen. Ich glaube, wir haben die „Ehre", den Löwenanteil zu haben. Der Herr Wirtschaftsminister denkt sicher, das pendelt sich bei uns auch aus. Ja, es pendelt sich auch im gewissen Sinne aus, nämlich dadurch, daß die besten Menschen von der Zonengrenze fortgehen. Fragen Sie einen Oberbürgermeister aus einer solchen Stadt, und er wird Ihnen sagen, daß jeden Tag Menschen zu ihm kommen, die ihm erklären: Seit Jahren laufe ich arbeitslos herum, hier ist es hoffnungslos, und ich muß fort. — Dabei handelt es sich nicht nur um wertvolle Facharbeiter, sondern meist auch um Leute, die politisch standfest sind und die das Grenzgebiet vor der politischen Infiltration mit bewahren könnten. Denn diejenigen, die weggehen, sind nicht die menschlichen Schlacken; es sind jene, die wir wirtschaftlich und politisch brauchen.
Ich möchte die Frau Präsidentin bitten — —
— Es ist ein Wechsel erfolgt; ich bitte um Verzeihung. — Ich möchte den Herrn Präsidenten bitten, mir noch eine kurze Frist zu gewähren, um meinen Antrag so begründen zu können, wie es der Situation bei uns entspricht.