Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß Veranlassung besteht, gestützt auf § 36 der Geschäftsordnung eine tatsächliche und persönliche Erklärung folgenden Inhalts abzugeben:
In der 28. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 6. Mai 1954 hat der Berichterstatter des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität, Herr D r. Klötzer, bei Beratung des mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Löhr gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 11. Januar 1954 eine Begründung abgegeben, die mich zu einer Richtigstellung zwingt, da diese Begründung — erstmals in diesem Hohen Hause — nicht den Gegenstand der Anschuldigung, der zu dem Ersuchen auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Löhr geführt hat, wiedergibt, sondern die abschwächende Darstellung des angeschuldigten Abgeordneten Dr. Löhr.
Der Sachverhalt ist folgender: Der mit der Wahrung meiner Interessen beauftragte Rechtsanwalt Otto Wolf in Michelstadt hat am 15. September 1953 in meinem Auftrage Strafantrag gegen Dr. Löhr in Darmstadt wegen Beleidigung und übler Nachrede gestellt. Der Strafantrag gründet sich auf vier eidesstattliche Bekundungen, die auch bereits in zwei Verfahren betreffend Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen Dr. Löhr vorgelegen haben. Diese eidesstattliche Bekundung der vier Zeugen lautet:
Es ist nichts dagegen einzuwenden — habe Dr. Löhr erklärt —, daß sich Ritzel im Jahre 1933 dem Zugriff der NSDAP durch seine Flucht ins Ausland entzogen hat. Jedoch verüble ich ihm, daß dieser sich im Jahre 1938 in einem Brief an den „Völkischen Beobachter" der NSDAP angeboten hat, wenn er wieder zurück nach Deutschland kehren dürfe.
So weit die beschworene Aussage.
Der Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität hat die Frage der Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Löhr in seiner fünften Sitzung vom 1. April 1954 behandelt. Das Ausschußprotokoll Seite 7 deckt sich inhaltlich mit dem durch Zeugeneid bekundeten Vorbringen laut Strafantrag.
In der 28. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 6. Mai 1954 hat der Berichterstatter laut stenographischem Protokoll abweichend von der dem Strafantrag zugrunde liegenden zeugeneidlichen Bekundung die abgemilderte Darstellung des Abgeordneten Dr. Löhr zum Inhalt seines Berichtes an den Bundestag gemacht, indem er erklärte:
In der Privatklage ist dem Abgeordneten Dr. Löhr zur Last gelegt, auf einer Wahlversammlung seiner Partei im vergangenen Bundestagswahlkampf in einer Gemeinde des Odenwalds erklärt zu haben, daß er es dem Abgeordneten Ritzel nicht verüble, im Jahre 1933 aus Deutschland emigriert zu sein, daß er es ihm aber übelnehmen würde, wenn eine angebliche Meldung des „Völkischen Beobachters", der Abgeordnete Ritzel habe sich im Jahre 1938 der NSDAP angeboten, falls er wieder nach Deutschland zurückkönne, der Wahrheit entspräche.
Entspricht schon diese abgeschwächte Darstellung nicht dem Akteninhalt und der Anklage, so ist es noch erstaunlicher, daß der Herr Berichterstatter den Beschluß des Bundestages entgegen der bisherigen parlamentarischen Praxis beeinflußte, indem er laut Protokoll erklärte:
Der Abgeordnete Löhr hat in seiner Stellungnahme zu dieser Beschuldigung erklärt und durch Zeugen unter Beweis gestellt, daß er diese Äußerung nicht in der behaupteten Form getan habe, sondern mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, daß man dieser Meldung des „Völkischen Beobachters", falls sie überhaupt erschienen sein sollte, keinen Glauben schenken könne.
Damit wurde der eigentliche Wortlaut des Strafantrags dem Bundestag vorenthalten. Der Bundestag wurde in ganz anderer Weise informiert, als es der Aktenlage entspricht. Ich stelle anheim, gegebenenfalls die fraglichen Akten zuzuziehen.
Ich stelle aber ergänzend folgendes fest. Die 1. Zivilkammer des Langerichts Darmstadt hat am 27. August 1953 eine einstweilige Verfügung erlassen, die von vorliegenden eidesstattlichen Bekundungen ausging, wonach Dr. Löhr in öffentlicher Versammlung erklärt habe, daß ich mich im Jahre 1938 in einem Brief an den „Völkischen Beobachter" der NSDAP angeboten hätte. Das Landgericht, 1. Zivilkammer, hat nach Anhörung der Zeugen — Gegenzeugen wurden von Dr. Löhr nicht beigebracht — festgestellt, Dr. Löhr habe über meine Person unwahre Behauptungen aufgestellt, die geeignet sind, mich in der öffentlichen Meinung herabzusetzen. Der inzwischen zum Bundestagsabgeordneten gewählte Herr Dr. Löhr von Darmstadt hat daraufhin Einspruch gegen diese einstweilige Verfügung beim Landgericht Darmstadt erhoben. Die 1. Zivilkammer des Landgerichts hat am 16. Oktober 1953 für Recht erkannt — ich zitiere —:
Die am 27. August 1953 von der 1. Zivilkammer des Landgerichts in Darmstadt erlassene einstweilige Verfügung wird bestätigt. Auch die weiteren Kosten des Rechtsstreites werden dem Antragsteller Dr. Löhr auferlegt.
In der Begründung stellt das Landgericht unter anderem fest:
Die von dem Antragsteller glaubhaft gemachte Äußerung des Antragsgegners stellt nicht nur in bezug auf den Wahlkampf eine Beleidigung dar; sie ist darüber hinaus im allgemeinen geeignet, das Ansehen des Antragstellers in der Öffentlichkeit herabzusetzen und zu schädigen, da ihm der Vorwurf gemacht wird, er habe sich einem politischen Gegner angeboten.
So weit das Gericht.
In dem Bericht des Berichterstatters wird erklärt, daß Abgeordneter Dr. Löhr durch Zeugen unter Beweis gestellt habe, daß er die Äußerungen nicht in der in dem Strafantrag behaupteten Form getan habe. Dazu stelle ich fest, daß die 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt in ihrer Entscheidung vom 16. Oktober 1953 in den
Entscheidungsgründen erklärt hat, daß das Verhalten Dr. Löhrs nicht erkennen läßt — und jetzt zitiere ich wieder —,
daß er ernstlich beabsichtigt, die Richtigkeit seiner Behauptungen glaubhaft zu machen. Wäre ihm daran gelegen gewesen, so hätte er seine Zeugen zur mündlichen Verhandlung sistieren können.
So weit das Gericht.
Der Strafantrag, der dem Ausschuß und dem Herrn Berichterstatter vorgelegen haben muß, sagt unter anderem:
Es kann somit keinerlei Zweifel unterliegen, daß die eingangs erwähnte und durch die benannten Zeugen unter Beweis gestellte Äußerung des Beschuldigten in der Lützel-Wiebelsbacher Wahlversammlung der CDU sowohl objektiv wie subjektiv den Tatbestand der Beleidigung und üblen Nachrede im Sinne der
185, 186 StGB unter den erschwerenden Voraussetzungen und Umständen des § 187 a Abs. 1 StGB voll und ganz erfüllt. Die Frage zu klären, ob der Beschuldigte seine inkriminierten Behauptungen nicht sogar wider besseres Wissen aufgestellt hat und deshalb eine Bestrafung aus §§ 187, 187a Abs. 2 StGB Platz zu greifen hätte, muß den von der Strafverfolgungsbehörde anzustellenden Ermittlungen überlassen bleiben.
Das wurde alles dem Hohen Hause nicht gesagt! Schlußfolgerung meinerseits: ich habe festzustellen, das der Beschluß des Deutschen Bundestages auf Nichtaufhebung der Immunität` des Abgeordneten Dr. Löhr auf eine den Tatsachen nicht gerecht werdende Berichterstattung zurückzuführen ist.
Erlauben Sie mir einen Satz zum Abschluß, um jedem Mißverständnis vorzubeugen. Ich bin bis zum Jahre 1933 Reichstagsabgeordneter gewesen, wurde als Hitler-Gegner verhaftet, stand vor meiner Verbringung nach Dachau und habe mich dieser durch die Flucht entzogen. Ich glaube, daß das Hohe Haus bei der Entscheidung über Anträge auf Aufhebung der Immunität Anspruch auf eine sachlich einwandfreie Berichterstattung hat.