Rede von
Eva Gräfin
Finckenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte für meine Fraktion — Gesamtdeutscher Block/ BHE — angesichts der vorgeschrittenen Zeit nur zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Bundesbürgschaft für Filmvorhaben sprechen, weil in diesem Antrag gewissermaßen der Kern des Problems, das uns heute beschäftigt, eingefangen ist.
In dem Punkt 2 des Antrags sind drei Artikel des Grundgesetzes angezogen, die inhaltlich verschiedenen Zielen dienen. Es wird selbstverständlich von niemandem beanstandet werden, wenn Art. 18 des Grundgesetzes, der Selbstschutz der Demokratie gegen die mißbräuchliche Benutzung der demokratischen Freiheit, bei der Vergabe von Bürgschaften in Anspruch genommen wird.
Art. 5 des Grundgesetzes, der ebenfalls in diesem Antrag angezogen ist, spricht von Vorschriften der allgemeinen Gesetze, von den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Von diesen drei Gebieten kann im Zusammenhang mit der Bürgschaftserteilung nur der Schutz der Jugend gemeint sein. Um die Jugend zu schützen, gibt es bekanntlich das Jugendverbot bestimmter, gefährlich erscheinender Filme. Wir können aber nicht einsehen, daß diese Filme deshalb bei der Erteilung von Bürgschaften benachteiligt sein sollen. Denn gerade der wertvolle Problemfilm, den wir doch sicherlich fördern und nicht abwürgen wollen, kann möglicherweise für die Jugend völlig ungeeignet sein.
Art. 6 Abs. 1 stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Wenn wir diesen Artikel für die Vergabe von Bürgschaften anziehen wollen, geraten wir in Gewissenskonflikte. Ich darf hier nur einmal zwei Themen zur Diskussion stellen. Gefährdet es Ehe und Familie, wenn eine Leidenschaft dargestellt wird, die alle Bindungen eruptiv zerreißt? Auf den ersten Blick müßte man sagen: ja. Aber das ist das Thema von „Anna Karenina", das Thema von „Madame Bovary", das Thema von „Effi Briest", und es wird niemand bestreiten, daß die Welt ärmer wäre, wenn es diese Kunstwerke nicht gäbe. Es wird niemand sagen können, daß man sie nicht verfilmen dürfe. Gehen wir einen kleinen Schritt weiter. Zerstört es die Familie, wenn ein unschuldiges Kind verführt wird? Wieder muß man auf den ersten Blick sagen: ja. Aber dies ist ein wichtiger Teil der Handlung von Goethes „Faust".
Ich bringe diese Beispiele nur, um zu sagen, daß große, gestaltete Stoffe ohne den tragischen Konflikt nicht auskommen, wobei es noch wesentlich ist, daß das Schicksalhafte, das eigentlich Tragische den Schwerpunkt bildet. Ohne Reue, ohne Schuld, ohne Buße gibt es kein Drama und gibt es keine Kunst. Also nicht die Handlung an sich ist familienzerstörend, sondern das, was der Autor daraus macht. Ob ein Stück frivol wirkt oder dramatisch, das hängt doch davon ab, wie der Autor den Stoff anpackt; aber niemals hängt es vom Stoff selbst ab. Die Gefahr, daß vom Stoff her Fehlurteile gefällt werden, scheint uns groß, ja, ist beinahe nicht zu umgehen. Es liegt doch im Wesen von Verboten, daß sie sich an das Formale halten, weil das Formale die sicherste Rückendeckung für jede Entscheidung ist.
Es ist auch bedauerlich, daß der Antrag der CDU, weil er mit § 9 der Richtlinien für die Gewährung einer Bundesbürgschaft gekoppelt ist, zu diesem Problem nur negativ Stellung nehmen kann. Mit anderen Worten: er könnte nur verhindern oder ' abdrehen, aber nicht aufbauen.
Meine politischen Freunde unterstützen selbstverständlich den Schutz der Familie; aber wir fürchten die Enge, die von formalen Klammern erzeugt wird. Wir würden uns über jede Maßnahme freuen, die geeignet ist, die Stärke der Familie und die Kraft der Mutterliebe oder andere Stoffe dieser Art mehr als bisher zum Thema von künstlerischen Filmen zu machen. Die Worte, die der Vorredner Kollege Bausch in dieser Richtung gefunden hat, sollten uns sehr ermutigen. Wir möchten aber davor warnen, dem deutschen Film, der sich nach 1945 unter den schwierigsten Bedingungen wieder emporgearbeitet hat, Fesseln der Enge anzulegen. Wir empfehlen der CDU/CSU deshalb, in ihrem Antrag die Bezugnahme auf Art. 6 des Grundgesetzes wegzulassen und nur auf die Artikel 5 und 18 Bezug zu nehmen.