was ist denn in der Zwischenzeit — außer daß Sie hier versucht haben, das, was in dem Gesetz vom 29. Juli 1953 stand, in den § 7 dieser Vorlage hineinzubringen — von Ihnen getan worden, um den Willen des Parlaments zu respektieren, nämlich ein von ihm gewolltes Gesetz auch in Rechtskraft übergehen zu lassen? Offenbar nichts. Denn dadurch, daß die Bundesregierung ein in sich geschlossenes Gesetz, nämlich das vom 29. Juli 1953, nun als § 7 in ihrer Vorlage erscheinen läßt, wird es doch nicht verfassungsmäßig. Wo gibt es denn das, daß man etwas, was in einem besonderen Gesetz nicht verfassungsmäßig ist, dadurch verfassungsmäßig machen kann, daß man es in einen einzelnen Artikel — im übrigen zusammen mit Vorschriften über Beleidigungen im politischen Meinungsstreit und Wirtschaftsvergehen — hineinbringt. So geht es nicht. Herr Dr. Dehler hat damals schon recht gehabt, wenn er sagte:
Ich bin der Meinung, daß der Ressortminister. der in diesem Konflikt mit dem Parlament steht, wenn der Konflikt nicht ausgetragen wird, die Konsequenzen ziehen und zurücktreten muß. Daß ich diese Konsequenzen auch gezogen hätte, dessen dürfen Sie gewiß sein.
Das hat Herr Dr. Dehler gesagt. Nun, der Herr Bundeskanzler hat ihn dieser Verpflichtung, die Konsequenzen zu ziehen, auf andere Art und Weise enthoben.
Aber ich möchte annehmen—ich glaube es sogar —, daß Herr Dr. Dehler die Konsequenzen gezogen hätte, wenn die Bundesregierung von ihm verlangt hätte, dieses Gesetz zu unterzeichnen.
Aber nun habe ich nicht mehr die Möglichkeit, mich in dieser Frage an Herrn Dr. Dehler zu wenden, sondern ich muß Herrn Bundesjustizminister
Neumayer fragen, ob er diese Ausführungen seines Parteifreundes und Fraktionsvorsitzenden Herrn Dr. Dehler für richtig hält, daß der Bundesjustizminister, der sich in einem solchen Konflikt nicht entschließen kann, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen, zurücktreten muß, oder ob nicht unter Umständen die Regierung, wenn sie sich schlechthin weigert, ein vom Parlament beschlossenes Gesetz zu verkünden, die Konsequenzen ziehen muß. Es ist unerträglich, daß das Parlament behandelt wird, als hätte es nichts getan, als ginge es die Regierung einfach nichts an, was hier beschlossen worden ist. Die Entscheidung muß fallen, und sie wird nicht nur von uns verlangt. Ich habe Sie schon auf den Artikel von Herrn Sethe hingewiesen. Ich könnte sie noch auf eine Reihe anderer Bleichlautender Äußerungen hinweisen. Es muß etwas geschehen, damit dieser Zustand beseitigt wird. Wollen Sie, Herr Bundesjustizminister, mit der Verkündung des Gesetzes vom 29. Juli 1953 so lange warten, bis Sie Gewißheit darüber haben, ob diese Vorlage Gesetz wird? Wollen Sie auch so lange damit warten, bis Sie wissen, ob die Bestimmung des § 7, die in Wirklich-. keit dasselbe ist, was in. dem Gesetz vom 29. Juli 1953 enthalten ist, mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen ist? Wir können uns nach dem Verhalten der Bundesregierung, das sicher durch die Einstellung des Justizministers Dr. Dehler im Jahre 1953 ausgelöst worden ist, mit der gegenwärtigen Regelung nicht einverstanden erklären.
Wenn jetzt in der Erläuterung des § 7 auf gewisse Unstimmigkeiten hingewiesen wird, so hat das nichts damit zu tun, daß der Kern derselbe ist wie im Gesetz vom 29. Juli 1953 'und deswegen über die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Amnestie nichts ausgesagt ist.
Auf diese Frage hätte ich gern eine Antwort. Ich nehme an, daß der Herr Bundesminister der Justiz diese Ausführungen als Begründung zu unserer Großen Anfrage betrachtet.
Ich komme noch zu einem andern Punkt. Die einzige Möglichkeit für eine Amnestierung sehen wir in § 9, Verschleierung des Personenstandes. Alle übrigen Bestimmungen halten wir für nicht vereinbar mit den von mir entwickelten Grundsätzen für eine Amnestie, und wir werden im Ausschuß unseren grundsätzlichen Standpunkt vertreten, daß eine solche Amnestie zur Zeit nicht möglich ist.
Lassen Sie mich noch einige. Worte zu der Frage der Amnestierung nationalsozialistischer Straftaten sagen, auf die der Herr Bundesjustizminister im besonderen hingewiesen hat. Nun, ich glaube, daß wir diese Straftatbestände überhaupt nicht als eine besonders geeignete Begründung für ein Amnestiegesetz hinnehmen sollten. Die materiellrechtliche Seite, die hier zur Erörterung steht, wird die meisten Schwierigkeiten machen; denn praktisch — das habe ich Ihnen schon einmal gesagt — kann es sich bei der Amnestierung von Straftaten nationalsozialistischer Tendenz nicht um eine allgemeine, sondern nur um eine beschränkte Amnestie handeln. Schon nach der Vorlage soll die Amnestie begrenzt seins nämlich insoweit, als es sich um strafbare Handlungen aus der Zeit vom 1. Oktober 1944 bis zum 31. Juli 1945 handelt. Warum sind denn die strafbaren Handlungen, die in dieser Zeit begangen sind, besonders amnestiewürdig?
Ich frage danach, weil gerade auf die Notwendigkeit der Amnestiewürdigkeit von der Bundesregie-
rung zweimal hingewiesen worden ist, und zwar einmal im Bulletin der Bundesregierung vom Herrn Bundesjustizminister selbst, das andere Mal von Herrn Ministerialdirektor Dr. Schafheutle, am 3. und am B. Dezember 1953. Dem Herrn Bundesminister der Justiz ist da allerdings etwas Peinliches passiert. Da schreibt er nämlich, daß man in den Bestimmungen hinsichtlich der Straftaten zur Beschaffung von Nachrichten keine Amnestie im eigentlichen Sinne erklicken könne, sondern nur eine Niederschlagung, eine „Absolution", die an sich zur Zuständigkeit der Länder gehöre. Ich nehme an, daß es sich urn „Abolition" handeln soll; denn so weit sind wir in Deutschland doch wohl noch nicht mit der Absolution, daß diese für strafbare Handlungen erteilt wird. Herr Bundesjustizminister, das ist Ihnen offenbar entgangen. Aber ich jedenfalls wollte mir die Gelegenheit heute nicht entgehen lassen, zu bemerken, daß zur Zeit in Deutschland Absolution für strafbare Handlungen noch nicht erteilt wird.
Auch Herr Ministerialdirektor Schafheutle hat darauf hingewiesen -- das ist in diesem Rahmen besonders interessant —, daß die überwiegende Zahl der strafbaren Handlungen, die zur Zeit bei den entsprechenden Behörden in den Ländern in Bearbeitung sind, von der Amnestie überhaupt nicht erfaßt werden, sondern daß die strafbaren Handlungen allgemeiner Art in großer Zahl draußen bleiben. Das ist es ja gerade, was den unmöglichen Charakter dieses Gesetzes ausmacht.
Ich wies vorhin schon darauf hin, daß der Entwurf durch die Amnestierung von strafbaren Handlungen gekennzeichnet wird, für die, im Grunde genommen, keine Amnestiewürdigkeit im eigentlichen Sinne gegeben ist, am wenigsten für die strafbaren Handlungen, die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen, für strafbare Handlungen, die in der von Ihnen in der Vorlage angegebenen Zeit gegen jedes Gesetz, ja gegen jedes Recht begangen worden sind. Ich bin der Auffassung, daß wohl in diesem oder jenem Falle Gnade vor Recht ergehen sollte. Darin unterscheiden wir uns eben, Herr Bundesjustizminister: In einzelnen Fällen kann man wohl Gnade vor Recht ergehen lassen; aber es sollte nicht schlechthin jeder, der in dieser Zeit etwas verbrochen hat und keine schwerere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu erwarten hat, amnestiert werden.
Wir kennen doch auch die Möglichkeiten, die die Gerichte dann hinsichtlich der Erfassung des Strafrahmens haben. Ich möchte die Richter sehen, die dann noch weit über drei Jahre Freiheitsstrafe hinausgehen, um jemanden zu bestrafen, der es auch heute noch verdient. — Ich möchte den Richter sehen, der dann nicht in der Lage ist, innerhalb des Rahmens von drei Jahren Freiheitsstrafe alles das unterzubringen, was nach seiner Auffassung amnestiewürdig ist, und damit das zu tun, was das Bundesverfassungsgericht als Amnestie betrachtet, nämlich das Recht zu korrigieren. Dann wird hier etwas, was wir alle, glaube ich, heute noch als Unrecht, als Verbrechen im eigentlichen Sinne bezeichnen müssen, durch eine Amnestie „korrigiert". Aus dem, was Unrecht war und Unrecht bleibt, wird nachträglich Recht gemacht.
Ich glaube, wir sollten uns hüten, derartige Bestimmungen allgemeiner Art in einem Amnestiegesetz ihren Niederschlag finden und so etwas straffrei zu lassen, was nichts anderes ist als Tötung
und Mißhandlung von Kriegsgefangenen, von Angehörigen der Ostvölker, von Juden, Tötung von Soldaten und von Zivilpersonen, gesetzwidrige Standgerichte usw. Jedes Verfahren kurz vor dem Zusammenbruch würde damit hinsichtlich seines Unrechtsgehalts korrigiert, daraus würde auf dem Wege der Amnestie Recht.
Nein, Herr Bundesjustizminister, diesen Weg gehen wir nicht mit Ihnen. Wir weigern uns, etwas Derartiges zu tun.
Ich glaube auch nicht, daß wir es darauf abstellen könnten, ob der Täter eine gewissenlose Gesinnung gezeigt hat oder nicht. Die ,.gewissenlose Gesinnung" unterliegt dann auch nur der Beurteilung des Richters. Sie weigern sich doch sonst, meines Erachtens mit Recht, den Richtern Entscheidungen aufzubürden, die ihnen nicht zustehen. Hier würde dann in die Rechtspflege etwas hineingetragen, das nicht die Aufgabe der Rechtspflege, sondern die Aufgabe des Gesetzgebers ist.
Ich glaube, daß jede Abschwächung des Unrechtsgehalts der Straftaten aus der Nazi-Zeit und damit auch die Verwässerung des Unrechtsgehalts des alle diese strafbaren Handlungen doch erst ermöglichenden nationalsozialistischen Staates eine sehr schlechte Sache wäre. Ich weiß, daß damit die Problematik vieler Verurteilungen, auch vieler falscher Verurteilungen nicht ohne weiteres zu lösen ist. Aber ist es denn unsere Aufgabe, jetzt die Möglichkeit für eine Amnestie in unwürdigen Fällen zu schaffen?
Ich komme damit zum Schluß auf einen nicht unwesentlichen Punkt: die Frage der Verkehrsdelikte. Man hat sämtliche Verkehrsdelikte aus der Vorlage der Bundesregierung herausgelassen, als wenn jedes Verkehrsdelikt das Delikt eines Trunkenen am Steuer wäre. So ist es ja nun auch nicht, Herr Bundesjustizminister. Sie haben in der Begründung :u Ihrer Vorlage gesagt, die Verkehrsverhältnisse seien so, daß man die Verkehrsdelikte nicht amnestieren könne. Nun, ich gehe mit Ihnen durchaus einig, daß man die Verkehrsdelikte, die nicht amnestiewürdig sind, auch nicht amnestieren soll. Aber Sie haben als einzige Möglichkeit nach unserem Strafrechtssystem doch letztlich nur das Strafmaß, nach dem Sie die Amnestie ausrichten können. Entweder amnestieren Sie alle strafbaren Handlungen, wenn keine höhere Freiheitsstrafe als bis zu einem Monat, bis zu drei Monaten, bis zu sechs Monaten usw. zu erwarten ist, oder Sie amnestieren überhaupt nicht. Aber eine ganze Gruppe von Delikten aus irgendwelchen psychologisch nicht ganz zu erklärenden Gründen, nämlich die Verkehrssachen, herauszulassen, ist unmöglich. Ich weiß, welche Schwierigkeiten heute die Verkehrsdelikte für alle bereiten. Aber man kann doch jemanden, der falsch geparkt oder der rotes Licht überfahren hat, kriminell nicht schlechter ansehen und nicht schlechter behandeln als jemanden, der einen Diebstahl oder einen Betrug begangen hat. Meine verehrten Anwesenden, das geschieht aber hier, und dagegen wenden wir uns. Wir wünschen, daß das Problem der Verkehrsdelikte im Ausschuß sehr sorgfältig geprüft, vorher aber noch sorgfältiger im Bundesjustizministerium überdacht wird, damit uns geeignete Vorschläge gemacht werden können. Denn nicht jede junge Dame, die Lotte heißt, hat einen Vater, der Adenauer heißt.
Das sind doch auch unerträgliche Zustände, und ich glaube, daß das, was vor einigen Wochen im Spiegel abgedruckt worden ist, kein Ruhmesblatt für unsere Rechtspflege ist. Auch das sollten wir dabei bedenken, daß jede exzeptionelle Behandlung von einzelnen strafbaren Handlungen, ob nun auf dem Wege über eine Amnestie
oder auf anderem Wege, rechtswidrig ist, Herr Kollege Dr. Dehler. Wir sind ja nicht dafür verantwortlich — —
Aber dann muß man auch den Mut haben, für das geradezustehen, was man selbst tut, Herr Kollege Dr. Dehler. Wir wünschen das jedenfalls. Wir wünschen keine exzeptionelle Behandlung von einzelnen politischen Delikten, wir wünschen keine exzeptionelle Behandlung von einzelnen Straftatbeständen, wie es mit den Verkehrsdelikten geschieht. Wenn überhaupt eine Amnestie von der Mehrheit dieses Hauses gewünscht werden sollte, dann ist sie nach Auffassung meiner Fraktion allenfalls in der Form erträglich, wie die Kollegen aus dem Bayernlande — ich weiß nicht, ob es die Gruppe der CSU ist
oder ob es die bayerischen Abgeordneten sind — sie beantragt haben. Das ist die einzig mögliche Konsequenz, die wir aus dem Willen zu einer Amnestie zu ziehen haben. Andere Möglichkeiten — wie sie uns von der Bundesregierung vorgelegt werden — sehen meine politischen Freunde und ich nicht. Wir wünschen grundsätzlich keine Amnestie, wenn aber eine Amnestie infolge einer Mehrheitsentscheidung in diesem Hause nicht zu vermeiden ist, dann allenfalls auf dem Wege und in dem Umfange, wie es uns die Fraktion der CSU hier vorgelegt hat.