Jawohl!
Dr. Greve , Anfragender: Meine Damen und Herren! Ich bedaure den Herrn Bundesminister der Justiz, daß er heute schon ein zweites Mal hier für die Bundesregierung eine Vorlage vertreten mußte, die nur sehr schlecht zu vertreten ist, diese offenbar noch schlechter als die unter Punkt 1 der heutigen Tagesordnung.
— Man kann auch anderer Meinung sein. Aber ich vertrete hier meine Meinung, Herr Kollege Pünder, und nicht die Ihre.
Meine Damen und Herren, die Vorlage zu diesem Amnestiegesetz hat eine unrühmliche Geschichte; am unrühmlichsten ist die Länge dieser Geschichte. Denn es ist — ich glaube, darüber bestehen keine unterschiedlichen Meinungen — wohl das Wesen eines Amnestiegesetzes, daß die Amnestie selbst so schnell und so unmittelbar wie möglich kommt und daß nicht den Delinquenten sehr lange Zeit gegeben wird, sich in ihren strafbaren Handlungen darauf einzurichten. Wer wie ich als Anwalt in der praktischen Jurisprudenz steht, weiß, daß augenblicklich unter den Beschuldigten, unter den Angeklagten eine schwer zu diagnostizierende Amnestiekrankheit ausgebrochen ist, von der zuweilen auch Anwälte und Staatsanwälte befallen werden; das will ich hier gar nicht ausschließen. Aber wenn man ein Amnestiegesetz mit Wirksamkeit hätte durchbringen wollen, dann hätte man es schnell durchbringen und hätte vor allen Dingen auch dafür Sorge tragen müssen, daß unter der Länge der Behandlung und Beratung eines solchen Gesetzes die Rechtspflege keinen Schaden nimmt.
Was ist schließlich das Wesen einer Amnestie? Darüber haben Sie uns hier leider wenig gesagt, Herr Bundesjustizminister. Ich hätte gewünscht, daß Sie sich zumindest mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. April 1953 einmal etwas näher auseinandergesetzt hätten. In diesem Beschluß kommt zum Ausdruck, daß die Anschauungen über das Wesen der Amnestie Wandlungen unterworfen gewesen sind und daß heute im Volksbewußtsein die Gewährung von Amnestie nicht mehr als Ausfluß einer dem Recht vorgehenden Gnade, sondern als Korrektur des Rechts selbst angesehen wird. Wenn man die Amnestie heute als Korrektur des Rechtes selbst ansieht, dann kommt einem auf der einen Seite die Lückenhaftigkeit des Amnestiegesetzes vom 31. Dezember 1949 zum Bewußtsein, zum anderen aber auch die meines Erachtens noch größere Lückenhaftigkeit der uns jetzt präsentierten Vorlage. Das Wesen und der Sinn einer Amnestie erfordern es, daß sie entweder klar und eindeutig im Hinblick auf die Straftatbestände oder überhaupt nicht beschlossen wird.
Auf die verschiedenen in der uns zur Beratung überwiesenen Vorlage enthaltenen Bestimmungen hat der Herr Bundesminister der Justiz selbst schon hingewiesen, ich komme nachher noch im einzelnen darauf.
Bei der Amnestie darf es sich, und das berührt sowohl den Zeitpunkt als auch den Anlaß, nur um eine ganz seltene Angelegenheit aus einem besonderen Anlaß im Leben eines Staates und eines Volkes handeln. Zur Begründung darf ich mich hier auf die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs im Bundesjustizministerium beziehen, der in der Beratung der Vorlage im Bundesrat am 18. September 1953 vorgetragen hat — ich zitiere wörtlich —:
Jede Amnestie ist ein außerordentlicher Eingriff in die Strafrechtspflege, der nur gerechtfertigt ist, wenn außergewöhnliche Verhältnisse ohne einen solchen Eingriff nicht bereinigt werden können und wenn das Gesamtinteresse an einer Befriedung nach dem Ablauf von anomalen Zeiten den Vorrang vor der Durchsetzung von Strafdrohungen in jedem Einzelfall hat.
Hier ist nun meine Auffassung und die meiner politischen Freunde von der der Bundesregierung verschieden. Der Herr Bundesjustizminister hat uns mit der Begründung, die er heute zu dem Gesetzentwurf gegeben hat, nicht davon zu überzeugen vermocht, daß eben außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen, die die Amnestierung nicht etwa ganz allgemein von im einzelnen nicht aufgezählten strafbaren Handlungen angebracht erscheinen lassen, sondern die es nach der Auffassung der Bundesregierung angebracht erscheinen lassen, einzelne Straftatbestände ganz willkürlich herauszupicken, ob es sich da um Verbrechen handelt, die in der Zeit des Zusammenbruchs begangen worden sind, ob es sich da um Beleidigungen im politischen Meinungsstreit, um Verschleierung von Personenständen oder — es ist auf verschiedene Delikte hingewiesen, die in dem ersten Gesetz nicht berücksichtigt werden konnten — um strafbare Handlungen auf dem Gebiete des Devisenverkehrs usw. handelt. Also man hat sich hier willkürlich ohne irgendeinen Zusammenhang einzelne Straftatbestände vorgenommen, bei denen offenbar irgendeine Vorstellung für ihre Amnestiewürdigkeit vorhanden gewesen sein muß; nur man sagt es uns nicht, wir können nur ahnen, um was es sich dabei handelt.
Meine verehrten Damen und Herren, ich glaube nicht, daß es sich aus der rechtsstaatlichen und kriminalpolitischen Situation, in der wir uns heute befinden, zwangsläufig ergibt, im Interesse der Strafrechtspflege müsse zum .Mittel eines Amnestiegesetzes gegriffen werden, weil keine anderen Möglichkeiten gegeben sind, im einzelnen Fall Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
Ich will hier gleich auf die letzten Ausführungen eingehen, die Sie eben hier gemacht haben, Herr Bundesminister der Justiz. Wenn Sie sich bei den Praktikern der Strafrechtspflege in der Bundesrepublik umhören, dann werden Sie, glaube ich, feststellen, daß die Meinung derjenigen überwiegt, die sagen, daß man es, wenn man einzelne Straftaten berücksichtigen will, im Wege der Gnade und nicht im Wege der Amnestie machen sollte.
Das ist weitgehend die Auffassung, wie sie unter den Praktikern in der Strafrechtspflege heute vorhanden ist. Ein Beweis dafür ist schließlich auch die Abstimmung im Bundesrat, der sich ganz eindeutig, nämlich einstimmig, gegen die Verabschiedung dieses Amnestiegesetzes ausgesprochen hat.
Der Umfang und die Bedeutung des Gesetzes erfordern es leider, daß ich auf einzelne Punkte der Begründung, die uns die Bundesregierung in ihrer Vorlage gegeben hat, etwas näher eingehe. Da ist zunächst der Zeitpunkt. Ich glaube nicht, daß einer, der die Dinge ernsthaft betrachtet, sagen kann, daß das Datum rein zufällig gewählt ist und daß der Zusammenfall der Ankündigung eines Amnestiegesetzes mit dem Ausgang der Bundestagswahl nichts zu tun hat. Mit beredten, aber nicht überzeugenden Worten hat der Herr Bundesjustizminister eben zweimal versucht, uns dennoch klarzumachen, es sei rein zufällig, daß die erste Mitteilung ausgerechnet am 9. September 1953 erfolgte, also drei Tage nach dem Tage der Bundestagswahl, obwohl man bereits seit anderthalb Jahren im Bundesjustizministerium an diesem Amnestiegesetz arbeitet, bis zum 9. September 1953 gegenüber der Öffentlichkeit aber nichts darüber hat verlauten lassen. Also, Herr Bundesjustizminister, das ist nicht nur unverständlich, sondern ich persönlich nehme Ihnen das einfach nicht ab.
Der § 6, auf den Sie eingegangen sind, scheint mir doch in gewisser Beziehung auch etwas mit den Bundestagswahlen zu tun zu haben; denn mir ist noch in lebhafter Erinnerung, daß gerade vor den Bundestagswahlen ein sehr lebhafter Meinungsstreit in der politischen Auseinandersetzung stattgefunden hat und daß nicht alle diejenigen, die sich heute mit uns ebenfalls für die Sauberkeit im politischen Meinungsstreit aussprechen, das vor dem 6. September 1953 wahrgemacht haben. Ich will hier nicht nur von den Rechts- und Linksradikalen sprechen, die u. a. auch den Herrn Bundeskanzler angegriffen haben, ich will ruhig auch einmal von dem Herrn Bundeskanzler sprechen
— wie es mein Kollege Arndt heute auch schon getan hat —, der schließlich Herrn Schroth und Herrn Scharley bezichtigt hat, aus der Ostzone SEDistische oder kommunistische Gelder für die Zwecke meiner Partei in Empfang genommen zu haben. Offenbar ist das doch eine Art der Betätigung im politischen Meinungsstreit, die unter § 186 des Strafgesetzbuches fallen müßte und nicht unter § 6 dieses Straffreiheitsgesetzes, meine verehrten Anwesenden!
Aber irgendwie dürfte wohl eine Beziehung zwischen diesen Äußerungen im politischen Meinungsstreit und dem § 6 dieser Vorlage gegeben sein, und das ist dann schließlich auch nicht allein damit abzutun, daß man darauf hinweist — was wir ohne weiteres als richtig unterstellen wollen —, daß der Herr Bundeskanzler von rechts- und linksradikaler Seite in einer Art und Weise angegriffen worden ist, wie wir es nicht wünschen, daß es geschieht, und wie wir es, glaube ich, auch nicht praktiziert haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Zeitpunkt kann heute, wenn dieses Gesetz wirklich Rechtskraft erlangen sollte, überhaupt nicht mehr so bestimmt werden, wie es im Interesse einer geordneten Rechtspflege wünschenswert gewesen wäre. Ob wir den 1. Oktober oder ob wir irgendein anderes Datum nehmen, spielt keine Rolle. Ich sagte eben schon, die Rechtspflege selbst ist in große Schwierigkeiten gekommen, und wenn die Vorlage in den Ausschuß überwiesen wird, dann müssen wir dort versuchen, den besten Zeitpunkt
zu finden, den wir überhaupt für diese Vorlage, wenn die Mehrheit sie zu verabschieden wünscht, finden können. Der 1. Oktober hat, ob Sie das bestreiten oder nicht, meines Erachtens eine viel zu nahe Beziehung zur Bundestagswahl. Dieses Datum ist für uns unerträglich. Das hieße nämlich gerade hinsichtlich des § 6 einen Freibrief für die künftige Bundestagswahl ausstellen, vor der doch wohl auch wieder ein politischer Meinungsstreit stattfinden wird. Es wird dann schon heute für manche möglich sein, sich darauf einzurichten, daß man eben nach einer entsprechend ausgegangenen Bundestagswahl im Wege eines Amnestiegesetzes das korrigieren wird, was man vorher im politischen Meinungsstreit an Sauberkeit hat vermissen lassen. Aus diesem Grunde können wir zu dem Datum des 1. Oktober unter gar keinen Umständen ja sagen.
Es kommen nun die Tatbestände, die Sie unter den Überschriften „Straftaten infolge der Kriegsoder Nachkriegsereignisse" und „Straftaten infolge wirtschaftlicher Notlage" mit der Differenzierung der zu erwartenden oder verhängten Freiheitsstrafen fassen. Wir vermögen nicht einzusehen, daß diese Art von Kautschukklausel geeignet ist, von vornherein Klarheit darüber zu schaffen, welche Straftatbestände nun unter die Amnestie fallen und welche nicht unter die Amnestie fallen. Es ist nämlich die Aufgabe des Gesetzgebers, zu sagen, welche strafbaren Handlungen amnestiert werden sollen. Man kann es nicht dem Richter überlassen, sich nachher auszusuchen, ob er einen strafbaren Tatbestand unter den § 2 oder unter den § 3 dieser Vorlage subsumieren oder ob er ihn nicht darunter subsumieren kann. Eine Amnestie kann, wie ich schon sagte, nur klar und eindeutig und umfassend hinsichtlich der Tatbestände gewährt werden, oder man muß die Finger von der Amnestie lassen, was ich der Bundesregierung gewünscht hätte. Die amnestiewürdigen Straftatbestände, wie sie hier ihren Niederschlag gefunden haben, sind für uns als Gesetzgeber unbrauchbar und sind noch unbrauchbarer für den Richter, der das Gesetz anwenden soll.
Zu § 5, Steuer- und Monopolvergehen, brauchen wir hier im einzelnen nichts zu sagen. Zu § 6 habe ich mich bereits geäußert.
Die wichtigste Frage, die der Herr Bundesjustizminister hier leider nicht angeschnitten hat, ist allerdings die Frage des § 7. Ich nehme an, daß noch einige andere Kollegen dazu etwas zu sagen haben. Ich komme hier zu gleicher Zeit zur Begründung der Großen Anfrage meiner Fraktion. Der erste Deutsche Bundestag hat zum Schluß der Legislaturperiode ein Amnestiegesetz verabschiedet, dessen Übereinstimmung mit den von mir eben entwickelten Grundgedanken von mir selbst nicht bejaht wird. Da befinde ich mich durchaus in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesjustizminister außer Diensten, jetzigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages Dr. Thomas Dehler.
- Ja, aber damals waren Sie auch noch Bundesminister der Justiz, Herr Kollege Dr. Dehler! —
Nur bin ich nicht Ihrer Auffassung, daß es unsere Aufgabe ist, festzustellen, ob sich dieses Gesetz mit den Vorschriften des Grundgesetzes in Übereinstimmung befindet oder nicht. Das ist eine Aufgabe, die weder der Legislative noch der Exekutive zusteht, sondern die dem zuständigen Gericht der rechtsprechenden Gewalt zukommt. Das ist nicht nur unsere Auffassung. Es war die Pflicht der
Bundesregierung, das von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gesetz dem Herrn Bundespräsidenten zur Verkündung vorzulegen oder aber andere Konsequenzen zu ziehen, als es die Bundesregierung bisher getan hat. Das ist der Sinn unserer Großen Anfrage auf Drucksache 226.
Wir befinden uns da in guter Gesellschaft, meine Damen und Herren. Ein Journalist von Ansehen aus den Kreisen der Regierungskoalition, nicht aus den Kreisen der Opposition, Herr Paul Sethe von der ,Frankfurter Allgemeinen", hat der Bundesregierung und insbesondere auch dem Herrn Bundesjustizminister einiges ins Gebetbuch oder in ein anderes Buch geschrieben, das ich nicht gern lesen möchte. Herr Sethe schreibt, daß nach dem Sinn der Verfassung der Herr Bundesjustizminister kein Recht hat, die Verkündung des Gesetzes zu verweigern. Es heißt wörtlich:
Die Regierung hat die Pflicht, das angenommene Gesetz zu verkünden.
Er gesteht dem jeweiligen Bundesjustizminister das Recht zu, seine Unterschrift nicht zu leisten, wenn er verfassungsmäßige Bedenken hat. Dann heißt es weiter:
Aber zur Klärung solcher Bedenken ist er allein genau so wenig berechtigt wie jeder andere Staatsbürger auch.
Das ist auch meine Meinung. Wir Sozialdemokraten haben immer, ob hier im Plenum oder im Ausschuß, zum Ausdruck gebracht, daß für uns die Meinung des Bundesministers der Justiz oder irgendeines seiner Beamten nicht deswegen wertvoll oder wertvoller wird, weil sie die Auffassung des Bundesjustizministers oder eines Beamten des Bundesjustizministeriums ist. Sie ist eine unter vielen Meinungen; sie ist aber nicht das, was man heute authentische Interpretation zu nennen beliebt.
So etwas macht man aber nicht nur im Rahmen der Legislative, das hat man auch zu tun beliebt im Rahmen der Exekutive. Es gibt Vorgänge, insbesondere aus der letzten Zeit, wo Rechtsauffassungen des Bundesjustizministeriums durch obere Bundesgerichte, wie z. B. den Bundesfinanzhof — Herr Staatssekretär Dr. Strauß wird wissen, was ich meine — berichtigt worden sind.
— Doch; dann müssen Sie mich nachher berichtigen. Ich kann Ihnen jedenfalls das Gutachten vorlegen, das Sie dem Herrn Bundesfinanzminister über die Fortgültigkeit der §§ 5 und 6 der Spielbankverordnung vom Jahre 1938 erstattet haben, wo das Bundesjustizministerium zum Ausdruck gebracht hat: Diese beiden Paragraphen sind deswegen nicht mehr gültig, weil sie dem Finanzverfassungssystem, das heute in der Bundesrepublik gilt, widersprechen. Das war doch sicher eine authentische Interpretation. Oder wozu war sie bestimmt, wenn sie an das Bundesfinanzministerium weitergegeben worden ist? Doch sicher dazu bestimmt, ernstgenommen zu werden! Der Bundesfinanzhof hat kürzlich in einem Gutachten zum Ausdruck gebracht, daß das alles nicht zutreffend sei; selbstverständlich seien die §§ 5 und 6 Abs. 1 der Spielbankverordnung vom Jahre 1938 gültig und verstießen in keiner Weise gegen das gegenwärtige Finanzverfassungssystem in der Bundesrepublik.
Ich muß sagen, wenn wir uns im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit bewegen wollen, müssen wir uns zunächst einmal daran gewöhnen, Urteile, Beschlüsse usw. oberer Bundesgerichte, also von Organen der rechtsprechenden Gewalt, als das anzusehen, was sie sind, nämlich zunächst einmal als Recht. Das ist es auch, was Herr Sethe hier zum Ausdruck gebracht hat, wenn er weiter schreibt, daß möglicherweise eine Lücke bestehe, wie man in Zweifelsfällen eine solche Entscheidung herbeiführen solle; aber in Streitfragen um die Verfassung habe der Justizminister kein größeres Recht als wir alle.
Zur Entscheidung über Verfassungsstreitigkeiten ist nur das Bundesverfassungsgericht und niemand anders da . . . Wenn er
— der Herr Minister —
sich selber zum Richter in Fragen des Zweifels macht, so handelt er gegen den Kern unseres Verfassungslebens.
Offenbar ist das dem Herrn Bundesjustizminister außer Diensten Dr. Dehler auch zum Bewußtsein gekommen. Denn in einer Rede in der 12. Sitzung am 4. Februar 1954, die er hier im 2. Deutschen Bundestag gehalten hat, finden sich folgende Äußerungen zur Platow-Amnestie, um die es sich ja handelt, wenn wir es mit einem Schlagwort bezeichnen wollen:
Ich habe die Gegenzeichnung verweigert. Meiner Unterschrift bedurfte es übrigens nach dem Grundgesetz und der Geschäftsordnung nicht, denn es genügt die Unterschrift des Herrn Bundeskanzlers. Der Ressortminister ist für die Promulgation nicht vonnöten. Ich habe bei der Behandlung dieses Entwurfs im Vermittlungsausschuß klar erklärt . . .: Ich werde dieses Gesetz niemals unterschreiben.
Das hat Herr Dehler auch nicht getan, ohne damit verfassungsmäßig richtig zu handeln.
Ich will jetzt nicht darüber rechten, ob ich dazu befugt bin.
Ich sage nein; dazu waren Sie nicht befugt, Herr Dr. Dehler.
— Es gibt auch Auffassungen, die der Ihrigen entgegenstehen, auch dann, wenn Sie das nicht mögen.
Ich habe als Minister nie ein Gesetz unterschrieben, das ich für verfassungswidrig hielt.
Das hat offenbar auch niemand von Ihnen verlangt. Wenn ich jemals wieder in diese Situation käme, würde ich es wieder so halten.
Das ist richtig. Aber nun kommt es:
Man kann keinem der Beteiligten — Bundestag, Minister — zumuten, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.
Ja, nun weiß ich nicht mehr, was ist. Man kann dem Bundestag und einem Minister nicht zumuten, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen, wenn es sich darum handelt, die Verfassungsmäßigkeit eines vom Parlament beschlossenen Gesetzes von dem zuständigen Organ der rechtsprechenden Gewalt, d. h. also bei uns in der Bundesrepublik zur Zeit vom Bundesverfassungsgericht, klären zu lassen?
Aber das steht hier klipp und klar:
Man kann keinem der Beteiligten — Bundestag, Minister — zumuten, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.
Ich bin der Ansicht, daß die Bundesregierung, wenn sie der Auffassung war, die Sie vertreten haben, daß dieses Gesetz, das am 29. Juli 1953 verabschiedet worden ist, nicht verfassungsmäßig ist, auf dem Wege der Anforderung eines Gutachtens hätte feststellen lassen müssen, ob dieses Gesetz mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung steht oder ob es nicht in Übereinstimmung steht. Sie haben ganz richtig gesagt: „Es besteht auf jeden Fall kein Zwang". Nein, aber es besteht der Zwang — schon aus der Achtung, die auch die Bundesregierung vor dem vom Volke gewählten Parlament haben muß — ,Gesetze, die beschlossen sind, zu verkünden, Herr Bundesjustizminister.
Ich glaube, das ist nicht nur ein Anliegen, das die Opposition haben sollte, sondern das ist ein Anliegen des ganzen Hauses an seine Regierung. Auch dann, wenn es sich um eine Koalitionsregierung handelt, ist die Regierung als Verfassungsorgan dem ganzen Parlament verantwortlich. Das ganze Parlament muß von seiner Regierung verlangen, daß Gesetze, die beschlossen sind, von dieser Regierung auch verkündet werden, oder daß die Regierung, falls sie verfassungsmäßige Bedenken hat, die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetze vom Bundesverfassungsgericht klären läßt. Das kann man nicht nur zumuten, sondern das muß man sogar von der Bundesregierung verlangen, und wir stellen dieses Verlangen heute an die Bundesregierung.