Rede von
Dr.
Karl
Weber
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Befürchten Sie nicht, daß ich Ihnen ein weiteres verfassungsrechtliches Kolleg halten werde.
Wenn ich mich zum Wort gemeldet habe, so nur deshalb, weil ich einigen Behauptungen, die in der Debatte aufgetreten sind, nochmals ausdrücklich widersprechen wollte. So ist das böse Wort vom Ermächtigungsgesetz gefallen.
Herr Professor Schmid hat es eben bereits expressis verbis zurückgenommen und hat klargestellt, daß hier ein Ermächtigungsgesetz nicht geschaffen wird.
Herr Kollege Becker hat das bereits ausgesprochen. Es ist eine bewußte Vergiftung der öffentlichen Atmosphäre und der öffentlichen Meinung, wenn etwas Derartiges behauptet wird.
Ein ebenso böses Wort hat eben der Herr Professor Schmid gebraucht, als er vom „kalten Staatsstreich" gesprochen hat.
Wir widersprechen dem, und ich protestiere nachdrücklich gegen eine solche falsche Unterstellung und bewußte Vergiftung der öffentlichen Meinung.
Wir behaupten, daß wir uns mit unserer heutigen Vorlage im Rahmen des Grundgesetzes halten. Das ist im einzelnen dargelegt worden. Wir könnten noch solange reden, wir werden darüber nie zu einer Einigung kommen.
Die Verhandlungen im Rechtsausschuß gingen sehr schnell zu Ende, als der grundsätzliche Standpunkt von Ihrer Seite durch die Äußerung Ihres maßgebenden Sprechers klargelegt wurde: „Wir können dem Inkrafttreten des EVG-Vertrages niemals und unter keinen Umständen zustimmen. Da mag der Himmel einfallen, dem EVG-Vertrag wird die Sozialdemokratische Partei und Fraktion niemals zustimmen."
Nun, der Himmel wird darüber nicht einfallen, wenn der EVG-Vertrag in Kraft tritt,
sondern er wird uns vielleicht davor bewahren, daß Dinge bei uns eintreten, die sonst beim Einfallen des Himmels geschehen würden.
Wenn nämlich der Himmel einfällt, sind alle Spatzen gefangen.
Der EVG-Vertrag soll uns die Sicherheit bringen. Ich bin dem Herrn Professor Schmid dankbar, daß er sich heute ganz konkret zu dem Problem der kollektiven Sicherheit geäußert und gesagt hat: Wir sind auch von seiten der Bundesrepublik bereit, in ein System der kollektiven Sicherheit einzutreten, wenn uns damit gewährt wäre: erstens echte Sicherheit, zweitens keine Gefährdung der Wiedervereinigung und drittens volle Gleichberechtigung. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in den vergangenen zwei Jahren unter diesen Gesichtspunkten an die Verträge herangetreten wären, wäre es, glaube ich, eher zu einer Verständigung gekommen.
Wir behaupten, daß diese Forderungen in den Verträgen —
— Wir behaupten es.
— Wir unterstellen es der Nachprüfung des Gerichts, wenn Sie das Spiel weiter treiben wollen,
Genau so wenig wollen wir heute etwa Verfassungsgrundsätze beseitigen, wie das hier im Zusammenhang mit dem bösen Wort vom kalten Staatsstreich, das gefallen ist, gesagt worden ist. Es wird an den unverbrüchlichen Teil des Art. 79
— den Abs. 3 — in keiner Weise gerührt. Insbesondere verstoßen auch die Verträge — das möchte ich hier ausdrücklich feststellen — in keiner ihrer Bestimmungen gegen diesen Teil, gegen den unabänderlichen Abs. 3 des Art. 79 des Grundgesetzes. Was wir aber nicht anerkennen, das ist, daß der Abs. 1 nicht abänderbar sei bzw. nicht ergänzt werden könne. Der Abs. 1 hat diesen Schutz nicht und gehört auch nicht zum sogenannten Verfassungskern. Es könnte darin — darüber war sich die Mehrheit im Ausschuß einig, wie sie es auch hier ist — wiederum bestimmt werden, daß eine Verfassungsdurchbrechung zulässig sei.
Nun wird eingewandt, daß, wenn wir das in dieser allgemeinen Form machten, die Verfassung nicht mehr aus sich selbst heraus ausgelegt werden könne; das werde im Grundgesetz nicht verlautbart. Gerade um diese Schwierigkeit zu vermeiden, wollen wir dem Art. 79 Abs. 1 den Satz 2 hinzufügen. damit, und zwar jeweils — das wird in der Diskussion so gern übersehen —, mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen werden kann, ob ein völkerrechtlicher Vertrag — darauf lege ich allerdings ganz entscheidenden Wert — dem Grundgesetz widerspricht oder nicht. Wir
haben doch schon eine Verfassungsdurchbrechung dieser Art im Grundgesetz. Im Art. 25 ist bestimmt, das die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts unseren Gesetzen vorgehen. Infolgedessen steht im Grundgesetz bereits, was wir heute mit der Verfassungsergänzung klarstellen.
Wir verwahren uns also nachdrücklich dagegen, daß hier ein „Ermächtigungsgesetz" beschlossen, daß hier ein kalter Staatsstreich vorgenommen werde. Wir sind vor unserem Gewissen der festen und guten Überzeugung, daß wir uns mit dem, was wir hier tun, im Rahmen der Verfassung halten.