Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich auf die Ausführungen des Herrn Professor Schmid kurz erwidern. Auch wir vertreten den Standpunkt und können ihn gar nicht stark genug hervorheben, daß die Verfassung etwas anderes als ein gewöhnliches Gesetz ist. Deshalb erfordert ihre Änderung ja auch eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit. Weil wir diesen Standpunkt vertreten und weil wir uns infolgedessen nur sehr schwer entschließen, eine Änderung der Verfassung vorzunehmen, haben wir uns ja zunächst nur bemüht, eine authentische Interpretation
gewisser Fragen zu geben, die das Verfassungsrecht aufgeworfen hat. Alle anderen Fragen von
entscheidender Bedeutung, deren verfassungs-
mäßige Verankerung ebenfalls vorgenommen werden muß — und die also ebenfalls einer Zweidrittelmehrheit bedarf —, haben wir zurückgestellt, weil wir eben der Auffassung sind, daß noch einmal eine sehr genaue Durchdenkung und Besprechung aller dieser Fragen notwendig ist,
damit sie mit verfassungändernder Mehrheit beschlossen werden können.
Der Herr Kollege Schmid hat darauf hingewiesen, daß es sich hier bei diesen Fragen vor allen Dingen um die Erhaltung des Rechtsstaates handle. Meine Damen und Herren, der Bundesminister der Justiz muß immer für den Rechtsstaat eintreten,
er kann aber andererseits nicht die Auffassung billigen, daß wir aus dem Rechtsstaat in einen Justizstaat hineintreiben;
und diese Gefahr besteht.
Wir dürfen nicht den Gerichten Verantwortungen übertragen, die von ihnen nicht getragen werden können. Wir dürfen ihnen nicht rein politische Fragen zur Entscheidung zuleiten und damit das Parlament der Befugnisse entkleiden, die ihm an sich zustehen.
Ich darf nun zu den einzelnen Bestimmungen, die hier angegriffen worden sind, noch kurz Stellung nehmen.
Zu Art. 142 a. Wir haben immer betont, daß das Grundgesetz seinem ganzen Gehalt nach an sich auch die Wehrhoheit des Bundes involviert. Hier sind Zweifel aufgetaucht durch die Klage, die beim Bundesverfassungsgericht erhoben worden ist.
— Das Parlament!
Diese Zweifel sind von beiden Seiten durch Gutachten bedeutender Rechtslehrer belegt worden.
— Wir haben verschiedene Auffassungen, und um hier Klarheit zu schaffen, hat sich die Koalition entschlossen, eine Vorlage einzubringen, die im Wege der authentischen Interpretationen diese Zweifel beseitigt. Nun soll der Gesetzgeber es übernehmen, im Wege der authentischen Interpretation durch die nunmehrige Vorlage diese Zweifel zu lösen und einen klaren Verfassungsrechtsbestand herzustellen.
Es wird entgegengehalten, man schaffe damit nicht Klarheit und stifte nicht Frieden, sondern man häufe auf alten Konfliktstoff neuen und lege den Keim zu neuem Streit. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß die erforderliche Klarstellung der Verfassungsrechtslage in der heute vorgeschlagenen Weise verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Die Bestimmung des Art. 142 a will, indem sie die Vereinbarkeit der strittigen Verträge mit dem Grundgesetz ausspricht, den Verfassungsrechts-bestand authentisch interpretieren. Das ist politisch notwendig und verfassungsrechtlich nach 'Oberzeugung der Bundesregierung zulässig.
Die Interpretation des Inhalts der Verfassung ist die legitime Aufgabe des verfassungsändernden Gesetzgebers, nicht nur in der Weimarer Republik, sondern auch in unserem heutigen Verfassungssystem. Zur Weimarer Zeit bestand hierüber überhaupt kein Zweifel. Es wurde schon auf Anschütz hingewiesen. Es gibt auch andere führende deutsche Staatsrechtslehrer, wie Jacobi, Jellinek, PoetzschHeffter; sie und vor allem auch der Reichsstaatsgerichtshof haben die Zulässigkeit einer authentischen Verfassungsinterpretation in der Form eines verfassungsmäßigen Gesetzes ausdrücklich anerkannt. Warum dies nicht auch für das heutige Verfassungssystem gelten soll, ist überhaupt nicht einzusehen. Zwar hat das Grundgesetz mit der sogenannten abstrakten Normenkontrolle, d. h. der mit allgemeinverbindlicher Wirkung erfolgenden Feststellung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, das Bundesverfassungsgericht belehnt. Damit hat das Bundesverfassungsgericht als das höchste unserer Gerichte eine Aufgabe erhalten, die weit über die Rechtslage der Weimarer Zeit und die anderer demokratischer Rechtsstaaten wie der Schweiz und Frankreichs hinausgeht
und die ihrem Wesen nach an sich eine Aufgabe der Gesetzgebung, ja sogar des Verfassungsgesetzgebers selbst darstellt. Aufgabe der Rechtsprechung war es z. B. in der Weimarer Zeit, nicht allgemeinverbindliche Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu treffen, sondern lediglich über die Anwendung in einzelnen Prozessen unter Beschränkung der Rechtswirkung der Entscheidung auf die Beteiligten zu befinden. Das gleiche gilt auch für nahezu alle anderen demokratischen Staaten, namentlich auch für den Obersten Gerichtshof der USA, wie gerade noch vor kurzem der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtshofs, Herr Dr. Katz, in einer Abhandlung ausgeführt hat.
Die dem Bundesverfassungsgericht durch das Grundgesetz in förmlich alleinstehender Weise zugewiesene Aufgabe macht nicht etwa dieses Gericht unantastbar hinsichtlich seiner Funktion auch gegenüber dem verfassungsändernden Gesetzgeber. Theoretisch wäre es möglich, ohne Verletzung der unantastbaren Verfassungsgrundsätze des Art. 79 Abs. 3 z. B. das Institut der Normenkontrolle, die dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen und vorbehalten ist, ganz oder teilweise zu beseitigen. Daran denkt niemand. Wohl aber sind wir der Meinung, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber in einer einzelnen Streitfrage von grundlegender politischer Bedeutung die Aufgabe der authentischen Verfassungsinterpretation an sich ziehen und die Vereinbarkeit eines bestimmten Gesetzgebungswerkes mit der Verfassung selber aussprechen kann. Damit entlastet er den Verfassungsrichter in einem Streit von der Bedeutung und dem Wesensgehalt des dort angestrengten Rechtsstreits von einer ihm sonst unweigerlich zufallenden und für ihn kaum tragbaren politischen Verantwortung.
Verfassungsrechtlich gesehen ist die Entscheidung
des verfassungändernden Gesetzgebers über die Verfassungsmäßigkeit eines umstrittenen Gesetzes echter und legitimer Akt der Verfassungsgesetzgebung, die damit ausspricht, was mit allgemeiner Rechtswirkung und mit Verbindlichkeit für alle Verfassungsorgane Recht sein soll. Der verfassungändernde Gesetzgeber, hier die authentische Interpretation, setzt sich damit weder zu den Grundsätzen des Rechtsstaats noch zu dem Grundsatz der Gewaltenteilung irgendwie in Widerspruch. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat in seiner Entscheidung vom 30. Juli 1952 davon gesprochen, daß jede Normenkontrolle begrifflich ein Hinübergreifen der richterlichen Gewalt in die gesetzgeberische Sphäre darstellt.
Dem verfassungändernden Gesetzgeber kann also bei einer Maßnahme wie der, die heute diesem Hause vorliegt, nicht der Vorwurf einer Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips gemacht werden. Er bleibt vielmehr im Bereiche seiner legitimen Entscheidungsgewalt und in einer Situation wie der heutigen im Bereich einer Entscheidungspflicht.
Es ist auch nicht so, wie gelegentlich unterstellt wird, als sollten heute die umstrittenen Verträge zum Rang von Verfassungsrecht oder gar zu einem noch höheren Rang erhoben werden. Was in der Bestimmung des Art. 142 a gesagt wird, ist nur dieses, daß die Vorschriften der umstrittenen Verträge der Verfassung nicht widersprechen. Sie werden aber damit nicht selber zum Rang von Verfassungsrecht oder gar noch höherem Recht erhoben. Mit der Bestimmung des Art. 142 a steht — wenn er angenommen wird — allgemeinverbindlich und endgültig fest, daß alle Akte, die zum Abschluß und zur Inkraftsetzung der beiden Verträge notwendig sind, und zwar sowohl die vor Ergänzung der Verfassung liegenden wie die nachfolgenden, nicht im Widerspruch zum Grundgesetz stehen.
Über diesen interpretierenden allgemeinverbindlichen und endgültig feststellenden Charakter hinaus enthält Art. 142 a noch zwei weitere Elemente: einmal das der nochmaligen politischen Bestätigung des Gesetzgebungsbeschlusses des früheren Bundestages und zum andern das der rechtlichen Heilung ihm etwa anhaftender Mängel. Auch ein derartiger Ausspruch ist eine zulässige Maßnahme der verfassungändernden Gewalt.
Die Bestimmung des Art. 142 a hat endlich den Charakter einer Ermächtigung an die zur Publikation und Ratifikation der Zustimmungsgesetze und der Verträge zuständigen Verfassungsorgane. Es ist klar, daß mit der gegenwärtigen Regelung, mit der gegenwärtigen Vorlage nicht der Gesamtinhalt alles dessen ausgeschöpft ist, was im Zusammenhang mit den umstrittenen Verträgen an verfassungsrechtlichen Regelungen noch zu tun sein wird.
Eine sehr eingehende Erörterung wird sich bei dem zurückgestellten Teil der ursprünglichen Vorlage nicht umgehen lassen. Ich habe mir erlaubt, darauf bereits hinzuweisen. Was hier in diesem ersten Akt geschehen soll ist nur folgendes: durch eine authentische, den Verfassungsinhalt betreffende Interpretation alle Zweifel beseitigen, die bisher das endgültige Inkraftsetzen der Verträge bei
Rücksichtnahme auch auf den Rechtsstandpunkt der Opposition irgendwie behindert haben.