Rede von: Unbekanntinfo_outline
1. Im Vordergrund steht die Tatsache, daß die Zunahme der Straßenverkehrsunfälle im Bundesgebiet außerordentlich besorgniserregend ist. Im Oktober 1953 beispielsweise wurden täglich 38 Tote und etwa 900 Verletzte gezählt. Die Todesopfer im Straßenverkehr sind weit zahlreicher als die Unfälle mit tödlichem Ausgang in der gesamten deutschen gewerblichen Wirtschaft einschließlich des Bergbaus.
Gehen wir den Ursachen dieser Unfallgefahr im Straßenverkehr nach, so stoßen wir leider vor allem auf den Mangel an Disziplin bei unseren Verkehrsteilnehmern. Dieser Mangel an Disziplin bereitet der Bundesregierung große Sorge. Notwendig ist, daß die vom Bund erlassenen Vorschriften zur Sicherung des Straßenverkehrs unbedingt beachtet werden, daß z. B. rechts und nicht in der Mitte oder gar links gefahren wird.
Der Bund hat hier nur die Legislative, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Exekutive liegt bei den Ländern. Ich hatte daher im Einvernehmen mit den Herren Bundesministern des Innern, der Finanzen und der Justiz die Herren Verkehrsminister, Innenminister und Finanzminister der Länder zu einer Verkehrssicherheitskonferenz eingeladen, die am 28. Januar 1954 erstmalig stattgefunden hat. Auf dieser Konferenz wurde einstimmig eine Resolution gefaßt, die der Öffentlichkeit bekanntgegeben und gleichfalls im Bulletin veröffentlicht worden ist. Ich darf das Hohe Haus ,auf diese Veröffentlichung freundlichst verweisen. Ich glaube, daß sich diese erste Verkehrssicherheitskonferenz sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei den nachgeordneten Dienststellen der Länder, bei den Kreisen, Städten und Gemeinden, durchaus positiv auswirken wird.
Ende Februar will ich im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Justiz die Herren Justizminister der Länder und die Herren Generalstaatsanwälte zu einer zweiten Verkehrssicherheitskonferenz bitten. Denn ich halte es für notwendig, daß eine einheitliche und wirksame strafrechtliche Verfolgung der Verkehrsdelikte in allen Ländern des Bundesgebietes gewährleistet ist.
Bemerken möchte ich noch, daß diese Verkehrssicherheitskonferenzen von Zeit zu Zeit wiederholt werden sollen, damit Legislative, Exekutive und Rechtsprechung — die drei Säulen, auf denen unser staatliches Leben ruht — im Interesse des gemeinsamen Zieles einer intensiven Bekämpfung
des Verkehrstodes eng zusammenarbeiten und ihre Methoden aufeinander abstimmen können.
2. Mit der Verkehrserziehung, die insbesondere in den Schulen verstärkt werden werden muß, mit dem Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften, mit der Einführung von Unfallverhütungsmitteln, mit Maßnahmen der Exekutive und mit schärferer Ahndung der Verkehrsdelikte allein aber werden wir das Problem nicht meistern können. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der zunehmende Kraftverkehr eine Verbesserung und einen Ausbau des Straßennetzes erfordert. Diese Aufgaben können aber mit den heute verfügbaren Haushaltsmitteln nicht gelöst werden. Das ist bereits in einer Denkschrift, die ich im Sommer vorigen Jahres den Mitgliedern des ersten Bundestages und der Öffentlichkeit übergeben habe, eingehend dargelegt worden. Zwar sind auf die Unterhaltung und Verbesserung unserer Straßen auf allen drei Ebenen, nämlich Bund, Länder und Kommunen, jährlich über 1 Milliarde DM aufgewendet worden. Aber das ist, von der Sache aus gesehen, nicht ausreichend. Insoweit stimme ich mit unserem verehrten Herrn Kollegen Schoettle überein, der erst vor wenigen Tagen bei der Haushaltsdebatte dargelegt hat, wie unzureichend die Haushaltsmittel für den Straßenbau, ja für den gesamten Verkehrshaushalt sind.
Wo aber soll der Herr Bundesminister der Finanzen das Geld für einen beschleunigten Ausbau unseres viel zu engen und beschränkten Straßennetzes hernehmen? Wir sind uns beide darüber einig, daß neue Quellen erschlossen werden müssen, die in der Periode des ersten Bundestages anderen Aufgaben, insbesondere den Aufgaben des Wohnungsbaus, ausschließlich vorbehalten bleiben mußten.
In der Baulast des Bundes stehen rund 24 000 km Bundesautobahnen und Bundesstraßen, während in der Baulast der Länder rund 104 000 km Landstraßen erster und zweiter Ordnung stehen; d. h. die Länder und Gemeinden verfügen über ein viermal größeres Straßennetz als das. das durch das Bundesministerium für Verkehr betreut wird. Für die Instandsetzung und den Ausbau dieser Straßen müssen neue Mittel beschafft werden. Zu diesem Zweck werden sich leider Steuererhöhungen nicht vermeiden lassen, die in dem bereits erwähnten Entwurf eines Verkehrsfinanzgesetzes zusammengefaßt worden sind.
Bei der Kraftfahrzeugsteuer, deren Aufkommen den Ländern zufließt und dem Straßenbau dienen soll, wird insbesondere an eine Steuererhöhung bei Omnibussen, Lastkraftwagen und Anhängern gedacht, die gewichtsmäßig diese mit weniger starken Decken und Unterbau versehenen Straßen 1. und 2. Ordnung ganz besonders stark belasten und erhebliche Zerstörungen auf ihnen anrichten. Diese Steuererhöhung wird voraussichtlich etwa der entsprechen, die in dem Initiativantrag der Koalitionsparteien und der drei Herren Abgeordneten der SPD im Sommer vorigen Jahres enthalten war. Grundsatz ist, daß das schwere Fahrzeug, das die Straßen mehr abnützt, steuerlich auch entsprechend höher belastet werden soll.
Um dem Bund die notwendigen Mittel für einen beschleunigten Ausbau der Bundesstraßen, vor allem aber für eine Ergänzung des Autobahnnetzes, zu geben, wird an eine Erhöhung der Mineralölsteuer gedacht, die bekanntlich dem Bund zufließt. Damit auch der Kapitalmarkt für den Bau von
Autobahnen herangezogen werden kann, wird beabsichtigt, eine Finanzierungsgesellschaft zu gründen, ähnlich wie wir das auch bei den großen Wasserstraßenbauten bereits mit Erfolg seit Jahren durchgeführt haben. Sie soll jährlich vom Bund einen bestimmten Betrag aus dem Mehraufkommen der Mineralölsteuer erhalten und so in die Lage versetzt werden, Anleihen aufzunehmen und auf diese Weise die finanzielle Basis zu erhalten, um jedes Jahr mindestens etwa 100 km Autobahn neu zu bauen. 100 km Autobahn neu zu bauen, — ein sehr bescheidenes Programm im Rahmen der gegebenen Notwendigkeiten!
Der Entwurf eines Verkehrsfinanzgesetzes sieht neben Änderung der Kraftfahrzeugsteuer und der Mineralölsteuer und neben der Finanzierung des Autobahnbaues auch eine Änderung der Beförderungsteuer vor. Durch diese Änderung sollen bestehende steuerliche Ungleichheiten beseitigt werden. Auch dieser Änderungsvorschlag entspricht dem bereits erwähnten Initiativantrag vom Sommer 1953.
3. Der Ausbau des Straßennetzes wird aber keinesfalls so schnell fortschreiten können, wie die Motorisierung zunimmt. Die Zahl der Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik hatte am 1. Juli 1953 den Stand von 1938 bereits bei weitem überschritten. Besonders beschleunigt war das Tempo der Zunahme in den Nachkriegsjahren. Wer nach dem Grunde forscht, den darf ich darauf aufmerksam machen, daß zum Ankauf von Verkehrsmitteln auf der Straße Geld, zum Ankauf von Verkehrsmitteln auf den Schienen und Wasserstraßen Kapital gehört. Die Tatsache, daß wir in diesen Jahren kapitalarm waren, aber laufend an Geld zunahmen,
ist sicher neben anderen ein wesentlicher Grund dafür gewesen, daß diese Verhältnisse sich so entwickelt haben.
Auf je einen Kilometer klassifizierter Straßen — das sind also die Autobahnen, die Bundesstraßen und die Landstraßen 1. und 2. Ordnung — entfielen 1949 12,6 im Betrieb befindliche Kraftfahrzeuge. Im Jahre 1953 waren es 28,4. Wenn die Entwicklung in diesem Tempo fortschreitet, so werden wir in vier Jahren annähernd 55 bis 60 Fahrzeuge pro Kilometer klassifizierter Straßen zählen können. Dann allerdings wird das Fahren auf den deutschen Straßen, insbesondere auf den Hauptverkehrsschlagadern, kaum noch möglich sein.
Denken wir dabei auch an die weiteren Folgen: bei 12,6 Kraftfahrzeugen je Kilometer Straße hatten wir 1949 13 Tote im Straßenverkehr täglich zu beklagen. Bei 28,4 Kraftfahrzeugen im Jahre 1953 beklagten wir durchschnittlich 30 Tote am Tag, und bei 55 bis 60 Kraftfahrzeugen werden wir leider zu mehr als 60 Toten am Tage kommen. Eine fürchterliche Zahl und eine noch größere Verantwortung!
All unser Bemühen in der Unfallbekämpfung hat bisher nur zu erreichen vermocht, daß das im Verhältnis zur Zunahme der Kraftfahrzeugzahl vorausgesagte raschere Ansteigen der Zahl der Unfalltoten nicht Wirklichkeit geworden ist, daß vielmehr die Zahl der Todesfälle nur linear zur Zunahme der Kraftfahrzeuge gestiegen ist. Das ist ein indirekter Erfolg, der nach außen nicht so in Erscheinung tritt und der trotzdem, wenn man die Probleme einmal durchdenkt, nicht ohne Bedeutung ist.
Ob wir wollen oder nicht, wir sind gezwungen, aus diesen Tatsachen die Folgerungen zu ziehen. Wir müssen die Straßen entlasten. Wir müssen vor allem die Fußgänger in Stadt und Land besser schützen. Wir sollten deshalb die Straßen von dem Verkehr entlasten, der nicht aus volkswirtschaftlichen oder verkehrspolitischen Gründen unbedingt auf die Straße angewiesen ist. Wir sollten sie von den Fahrzeugen entlasten, die den Verkehr am meisten behindern und die Straßen am meisten beanspruchen. Nur dann können wir die Unfallgefahr vermindern und Raum für die weitere Motorisierung schaffen.
Dabei darf ich darauf hinweisen, daß auch hier die Statistik nicht ausreicht. Es kommt nicht darauf an, ob dieser oder jener Katalog die direkte Beteiligung der Fahrzeugarten an den Unfällen aufzeigt. Denken wir daran, daß es zahlreiche Fahrzeuge gibt, die indirekt Unfälle hervorrufen. Wenn ein Fahrzeug ein anderes zu überholen versucht und beim Überholungsvorgang verunglückt — und das ist statistisch eine Hauptursache der Unfälle —, so ist das überholte Fahrzeug an dem Unfall im allgemeinen statistisch nicht beteiligt. In Wirklichkeit ist es jedoch die Veranlassung dieses Unfalls. Deswegen kommt es darauf an, zu studieren, wann und wo die meisten und die schwierigsten Überholungsvorgänge auf der Straße auszuführen sind. Ich brauche das, glaube ich, nicht weiter auszuführen. Die meisten von Ihnen sind Autofahrer und kennen die Überholungsvorgänge und diejenigen, die solche Unfälle beim Überholen veranlassen.
Das Kabinett wird abschließend prüfen müssen, welche Mittel und Methoden in Aussicht genommen werden sollen, um das wohl von allen Beteiligten jahte Ziel der Herabdrückung der Zahl der Unfalltoten und überhaupt aller Unfälle auf der Straße zu erreichen. Es wird sich ferner mit der Frage zu beschäftigen haben, ob nicht vorwiegend solche Maßnahmen zu ergreifen sind, die in ihrer Auswirkung gleichzeitig auch zu einer verkehrspolitisch und volkswirtschaftlich sinnvollen Teilung des Verkehrsaufkommens zwischen Schiene und Straße und damit zu einem Ausgleich zwischen beiden Verkehrsträgern beitragen. Das Kabinett wird sich hierbei darüber klarwerden müssen, daß mit Mitteln der Tarifpolitik allein ein nachhaltiger und wirksamer Erfolg nicht zu erzielen sein wird. Es werden Opfer gebracht werden müssen — auch das ist dankenswerterweise hier schon festgestellt worden —, und zwar von allen Beteiligten. Aber auch hier müssen wir dafür sorgen, daß nicht die sozial Schwächeren allein getroffen werden. Der gewerbliche Güterverkehr ist eine Domäne des Mittelstandes. Wie in der Binnenschiffahrt die Partikuliere gegenüber den großen Reedereien Schutz beanspruchen dürfen, so kann auch der gewerbliche Mittelstand auf der Straße gegenüber dem Werkverkehr Schutz beanspruchen, der ihm von der Bundesregierung gewährt werden muß.
4. Gewiß haben die Tarife nicht unbeträchtlichen Einfluß darauf, welches Transportmittel der Verkehrsnutzer von Fall zu Fall wählt. Aber das Beförderungsentgelt, mit anderen Worten der Preis für die Transportleistung, ist für die Wahl des Transportmittels keineswegs allein ausschlaggebend. Darin, daß der Preis nicht entscheidet, zeigt sich, daß auch hier der Markt ein anderer ist als der normale Markt und daß man, wenn man für den normalen Markt von marktkonformen Mitteln
spricht, für den Verkehr von verkehrskonformen Mitteln und Maßnahmen sprechen sollte.
Oft spielen doch andere Momente als der Preis die entscheidende Rolle, vor allem die Transportdauer, der von mir so oft erwähnte Faktor Zeit, ferner die sonstigen Vorzüge und Annehmlichkeiten, die ein Verkehrsmittel jeweils für einen bestimmten Transport bietet. Die Fahrt auf einem Rheindampfer von Mainz nach Köln kann noch so billig sein. Wer wenig Zeit hat, wird doch die Bundesbahn oder den Kraftwagen benutzen. Wer Möbel von Trier nach Hamburg senden will, wird sich vorher sehr genau überlegen, welcher Transport am schnellsten geht und die geringsten Schäden an seinen Möbeln verursacht. Unter bestimmten Voraussetzungen wird er den Kraftwagen wählen, selbst dann, wenn ihm die Bundesbahn ein billigeres Angebot macht. Derartige Beispiele lassen sich beliebig vermehren.
Dazu kommt aber noch ein Weiteres. Der umfangreiche Werkverkehr wird von der Tarifpolitik überhaupt nicht erfaßt; denn der Werkverkehr bietet den Firmen heute viel zu große Vorteile, die auch nicht mit dem Preis zusammenhängen. Sie können mit dem Betrieb eigener Kraftfahrzeuge ihre Werbung und das Inkasso-Geschäft verbinden, vor allem aber können sie alle Unkosten ihres Werkverkehrs von ihrem aus der Produktion stammenden zu versteuernden Reingewinn abbuchen.
Wenn man den von uns vorgetragenen Vorschlag befolgen könnte, die Verkehrsbetriebe des Werkverkehrs gesondert von den zugehörigen Produktionsbetrieben abrechnen zu lassen und sie gesondert zu besteuern, würde man diesem Problem sehr schnell und sehr einfach beikommen können. Leider entspricht es nicht den Grundsätzen unserer Finanzpolitik und gewissen Grundsätzen unseres Grundgesetzes, daß man diesen Unterschied macht. Man kann also mit der Tarifpolitik und der Steuer allein die Verkehrsströme nicht in die gewünschte Richtung lenken.
5. Eine volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch sinnvolle Verkehrsteilung wird sich besonders für die Bundesbahn und die Binnenschiffahrt positiv auswirken. Es wäre aber abwegig, der Bundesbahn auf diesem Wege allein helfen zu wollen. Die Bundesbahn wird in erster Linie ihre anerkennenswerten Anstrengungen zur Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit mit aller Entschiedenheit selbst fortsetzen müssen. Im Interesse der deutschen Wirtschaft und ihrer Konkurrenzfähigkeit darf nichts getan werden, was zu einer schlechteren Verkehrsbedienung im Lande führen könnte. Man darf also den Straßenverkehr nicht einseitig belasten, nur um etwa der Bundesbahn zu helfen. Die technischen, wirtschaftlichen und finanziellen Vorteile des Kraftwagentransports von Menschen und Gütern sind nicht zu leugnen. Die Bundesbahn ist also unter den obwaltenden Verhältnissen gezwungen, ihren Betrieb nach besten Kräften weiter zu modernisieren und zu rationalisieren. Vorstand, Verwaltungsrat und die Bediensteten der Deutschen Bundesbahn sind in anerkennenswerter Weise bemüht, diese Aufgabe zu lösen, und leisten dabei auch wagemutige Pionierarbeit. Allerdings kostet der technische Fortschritt hier, wie überall, Kapital und nicht nur Geld.
Aus eigenen Mitteln kann die Bundesbahn den an sie gestellten Anforderungen keinesfalls genügen. Um das Ziel zu erreichen, muß dafür gesorgt werden, daß die Kreditfähigkeit der Bundesbahn wiederhergestellt wird. Dazu sollten der Bundesbahn die betriebsfremden Personallasten und die zur Beseitigung der Kriegsschäden aufgenommenen Schulden durch den Bundeshaushalt abgenommen werden. Bei der außerordentlich starken finanziellen Inanspruchnahme des Bundes aber wird der Herr Bundesminister der Finanzen kaum alle Wünsche erfüllen können. Die angespannte Haushaltslage hat der Hilfe des Bundes für die Bundesbahn bisher leider enge Grenzen gezogen. Um so notwendiger ist es, alle sinnvollen verkehrspolitischen Möglichkeiten beschleunigt auszuschöpfen. Der danach sicher noch verbleibende Rest wird auf den Bundeshaushalt zukommen.
6. Die gemeinwirtschaftliche Tarifgebarung der Deutschen Bundesbahn wird auch in Zukunft aufrechterhalten werden müssen. Damit beantworte ich den Punkt 4 der Großen Anfrage der SPD. Auch die Betriebspflicht und Beförderungspflicht der Deutschen Bundesbahn kann keinesfalls aufgehoben werden. Ein Verzicht auf die gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung der Eisenbahn würde tiefgreifende Wirkungen auf die arbeitsteilige Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik hervorrufen. Die Wettbewerbsfähigkeit peripher gelagerter Industrien und landwirtschaftlicher Produktionsstätten würde aufgehoben. Die Randzonen würden wirtschaftlich schnell absinken, zum Teil sogar vielleicht veröden. Damit wäre aber auch der bisherige Erfolg der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gefährdet.
7. Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren! Wenn die brauchbaren verkehrspolitischen Vorschläge und Überlegungen verwirklicht werden, kann, sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse sich in den nächsten Jahren nicht wesentlich ändern, folgendes erreicht werden:
1. Eine Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Entlastung der Straßen.
2. Eine volkswirtschaftlich sinnvolle Verkehrsteilung zwischen Schiene, Straße und Wasserstraße.
3. Eine organische Tarifreform auf der Grundlage dieser Verkehrsteilung.
4. Eine Annäherung der Wettbewerbsvoraussetzungen der verschiedenen Verkehrsträger untereinander, insbesondere durch Beseitigung des Steuervorteils der schweren Fahrzeuge in der Kraftfahrzeugsteuer und durch gleichmäßige Behandlung gleichartiger Transporte in der Beförderungsteuer.
5. Eine finanzielle Entlastung und ein echter Verkehrszuwachs für die Deutsche Bundesbahn, so daß eine Verbesserung ihres finanziellen Status eintritt, der weitere Rationalisierung und Modernisierung ihres Betriebes sichert.
6. Zusätzliche Mittel für den Straßenbau, insbesondere ein beschleunigter Ausbau des Autobahnnetzes, vor allem ein Anschluß unserer Häfen an dieses Autobahnnetz, durch Errichtung einer Finanzierungsgesellschaft, die vom Bund Mittel aus dem erhöhten Aufkommen an Mineralölsteuer erhält und Anleihen aufnehmen kann.
Wenn wir dieses angestrebte Ziel erreichen, wird — darauf möchte ich noch aufmerksam machen — die gewerbliche Wirtschaft umfangreiche zusätzliche Aufträge erhalten. Eine finanziell gesunde Bundesbahn ist der größte und beste Auftraggeber der ge-
werblichen Wirtschaft und wird es bei ihrem aufgestauten Erweiterungs- und Erneuerungsbedarf auf Jahre hinaus auch bleiben. Der Straßenbau ist von jeher sehr arbeitsintensiv. Der Ausbau unserer Binnen- und Seewasserstraßen bringt eine weitere erhebliche Anregung für unsere Wirtschaft. Im Verkehr liegen also wertvolle Reserven für eine Stützung der Inlandskonjunktur. Diese Reserven werden besonders wichtig sein, wenn einmal andere konjunkturelle Impulse, wie etwa der Auslandsabsatz, an Stärke und Intensität nachlassen sollten. Auch an diese Zusammenhänge muß bei verkehrspolitischen Entscheidungen gedacht werden.
Ich hoffe, daß die Bundesregierung über die beiden Kabinettsvorlagen vom 12. Dezember 1953 und 14. Januar 1954 bald entscheiden und die Gesetzesvorlagen dem Bundesrat und dem Hohen Haus zur Beratung und Beschlußfassung zuleiten kann.
Gestatten Sie mir noch wenige Schlußbemerkungen über einige wichtige verkehrspolitische Aufgaben, die ich bisher bei meinen Darlegungen nicht behandelt habe. Sie wissen, daß wir die Wiederaufnahme einer deutschen zivilen Luftfahrt mit allem Nachdruck weiter vorbereiten. Sie kann erst in Tätigkeit treten, wenn der Deutschland-Vertrag ratifiziert ist. Wir haben inzwischen das Kapital der Aktiengesellschaft für Luftverkehrsbedarf auf 25 Millionen DM erhöht. Wir streben an, daß die künftige Luftverkehrsgesellschaft ebenso wie die alte Lufthansa zu einem Unternehmen ausgestaltet wird, das vom Bund, von den Ländern und der Privatwirtschaft gemeinsam getragen wird.
Der Ausbau unserer Seeschiffahrt und unserer Binnenschiffahrt ist trotz der bisher erzielten Erfolge bei weitem noch nicht abgeschlossen. Heute verfügt die Bundesrepublik zwar wieder über eine Handelstonnage von fast 2 Millionen BRT; aber die Schwierigkeiten der Finanzierung der weiteren Neubaupläne und die Höhe der Eisenpreise werfen ernste Probleme auf, um deren Lösung wir uns bemühen.
Gestatten Sie mir noch einige grundsätzliche Bemerkungen: Aufgabe des Verkehrs ist es, der Wirtschaft und den Menschen die Transportmöglichkeiten, die sie wünschen, stets zeitgerecht zur Verfügung zu stellen. Das ist seit 1949 trotz der ungeheuren Expansion, die unsere Wirtschaft genommen hat, regelmäßig geschehen. Mit dieser Feststellung darf ich zum Ausdruck bringen, daß es bei uns in Deutschland keine Verkehrskrise gibt, sondern Schwierigkeiten auf der Straße und auf der Schiene.
Der Verkehr ist ein einheitliches Ganzes. Er sollte Diener und Träger der Wirtschaft sein. Dadurch, daß die Einnahmen für den Verkehr immer mehr geschmälert worden sind — ich wies vorhin darauf hin —, ist der Verkehr fast zu einem Prügelknaben der Wirtschaft geworden.
Dieser Verkehr, der sich aus den fünf großen Gruppen der Seeschiffahrt, der Luftfahrt, der Eisenbahn, den Straßen und der Binnenschiffahrt zusammensetzt, ist ein interessantes und komplexes Gebilde. So sehr der Verkehr auch in sich zusammenhängt, so sehr die einzelnen Gruppen miteinander arbeiten sollten und dazu aufeinander abzustimmen sind, so wichtig ist auf der anderen Seite, daß jeweils die Probleme aus der Sicht des einzelnen Verkehrsträgers und seiner Bedürfnisse erfaßt werden. Technisch gesehen zerfallen die genannten Gruppen doch in zwei bestimmte Arten von Verkehrsträgern: erstens die Verkehrsträger, die Kin-
der des Dampfmaschinen-Zeitalters sind — das sind die Schiffahrt und die Eisenbahn --, und zweitens die Verkehrsträger, die Kinder des Verbrennungsmotoren-Zeitalters sind — das ist die Straße und die Luftfahrt. Wenn auch der Verbrennungsmotor in die alten Verkehrsträger mit eingedrungen ist, so sind doch ihre grundsätzlichen Voraussetzungen noch vielfach unverändert, selbst wenn man berücksichtigt, daß die Elektrizität, diese entscheidende Kraft, die uns in so vielen Fällen hilft, nur für den schienengebundenen Verkehr zur Verfügung steht und ihm einen besonderen Vorsprung geben kann. In dieser technischen Verschiedenheit ist aber auch die verschiedene Geschwindigkeit begründet, mit der sich diese Verkehrsträger bewegen, und der Einfluß, den der Faktor Zeit dadurch gewinnt, weil er das Wandern des Verkehrsgutes zu den einzelnen Verkehrsträgern mehr bestimmt als der Preis.
Zu der Frage, wie diese Einteilung im Vergleich zum Ausland aussieht, darf ich Ihnen folgendes sagen: Wir unterscheiden beim Verkehr zwei Gruppen: Die Inlandsverkehrsträger bestehen aus der Binnenschiffahrt — die bei uns eben kein echter Inlandstransport-Träger ist —, aus der Eisenbahn und aus dem Kraftwagen, weil diese Verkehrsmittel nur einen verhältnismäßig geringfügigen grenzüberschreitenden Verkehr aufweisen, aber sich maßgeblich im Inland betätigen. Die beiden anderen Verkehrsträger dagegen — Seeschiffahrt und Luftfahrt — haben als Auslandsverkehrsträger bei nur geringfügigem Inlandsverkehr überwiegend einen Verkehr zwischen unserem Land und den verschiedenen anderen Ländern und Erdteilen über den Meeren aufzuweisen und zu bewältigen. Deswegen ist der Verkehr auch nicht nur vom Standpunkt eines Landes aus zu beurteilen. Er ist großräumig. Er kann nur kontinental, in vielen Beziehungen sogar nur überkontinental gesehen und geregelt werden.
Aus diesem Grunde hat sich auch im vergangenen Jahre der Bundesminister für Verkehr sehr eingehend mit den Fragen und Aufgaben der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Verkehrswesens beschäftigt. Ich erinnere Sie an die Pariser Verkehrsministerkonferenz vom Januar 1953 und an die Brüsseler Verkehrsministerkonferenz vom Oktober 1953, die mit der Schaffung der Ständigen Europäischen Verkehrsministerkonferenz abgeschlossen werden konnte, einer Institution, in der Anregungen, die wir geben durften, sich maßgeblich verwirklicht haben. Ich glaube, daß wir 1953 auf dem Gebiet des Verkehrs ein bedeutendes Stück Weges in der Richtung auf Europa zurückgelegt haben. Sie können gewiß sein, daß die Bundesregierung sich auch in Zukunft diesen Aufgaben nach besten Kräften widmen wird in der Überzeugung, daß von einer internationalen Zusammenarbeit im Verkehrswesen auch starke und entscheidende Impulse auf eine weitere Annäherung und auf eine bessere Zusammenarbeit der freien Völker Europas ausgehen werden.