Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man so die Zeitungen, die Zeitschriften, die Denkschriften und die Zuschriften, die wir ja alle bekommen, liest, dann hat man manchmal die Empfindung: Im Verkehr sieht immer jemand die Schuld für irgend etwas, was passiert ist, nicht bei sich, sondern nur beim anderen. Der Herrenfahrer — ich will diesen Ausdruck einmal gebrauchen, obwohl er deplaciert ist — sieht den Lastwagenfahrer; er sieht, daß der Lastzug ihm nicht Platz macht, daß der Überholvorgang zu langsam geht, daß er vielleicht aber auch einmal durch Abneigung gegen die Herrenfahrer aufgehalten wird. Umgekehrt ist der Motorradfahrer auch nicht der Liebling des Autofahrers und des Fernlastwagenfahrers; man gibt ihm viel Schuld. Zweifellos ist dort eine übersportliche Begeisterung, die zu vielen Unglücksfällen führt, festzustellen. Auf der anderen Seite sind die Radfahrer auch noch da, die Radfahrerinnen dazu. Es ist immer wieder die alte traurige Erfahrung, daß viele Leute, die, weil ihre Finanzen nicht groß genug sind, mit dem Fahrrad vorlieb nehmen müssen, glauben, daß die Straße der geeignete Platz sei, ein schönes Schwätzchen zu machen. Zu zweit, zu dritt, manchmal zu viert wird nebeneinander gefahren. Nicht alle tun das. Man soll überhaupt nicht verallgemeinern. Es gibt im deutschen Verkehr Gott sei Dank anständige Leute. Es gibt auch noch — was ein Wunder ist — Leute, die sich sogar an die Verkehrsvorschriften halten; auch das kommt vor.
Aber — ich will den Satz gleich vorwegnehmen — wenn Sie die Verkehrsunfallursachen einmal nach der Statistik durchsehen, dann finden Sie, daß etwa 60 % aller Verkehrsunglücke mit oder ohne Todesfolge sich etwa so unterteilen: zwischen 5 und 10 % Zustand der Straße, Zustand des Fahrzeugs, Überholvorgang usw., daß aber rund 45 % sich auf die Übertretung von Verkehrsvorschriften beziehen. Das heißt: Die Disziplin im Verkehr ist trotz einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern, die die Sache ordentlich machen, noch äußerst mangelhaft durchgebildet.
Nun gibt es aber noch eine Gruppe, die sogar der Herr Verkehrsminister vergessen hat: die Gruppe der Fußgänger.
Ich glaube, ungefähr die Hälfte der Mitglieder dieses Hohen Hauses gehört dieser Gruppe an,
und ich möchte sagen: Die andere Hälfte gehört ihr gelegentlich an. Aber diese Gruppe ist die Mehrheit im deutschen Vaterlande, und es wird wohl gut sein, wenn wir uns auch daran erinnern; denn der Fußgänger ist auch ein Mensch.
Wenn man nun den Verkehr so ansieht, daß man von der Bundesbahn aus bloß sagt: Der Verkehr auf der Straße macht uns bei der Bahn kaputt, und daß die auf der Straße sagen: Bei der Bundesbahn könnte noch viel mehr gespart werden, da könnte noch viel mehr rationalisiert werden, da könnten Leute entlassen werden, dann könnten wir unsere Lage verbessern, — dann ist das falsch. Denn der Straßenverkehr braucht und soll nicht ein Feind der Bundesbahn, sondern eine Ergänzung sein. Wenn man die Leute — und darin liegt vielleicht der Fehler auch bei der Regierung in den letzten Jahren — zwangsweise vor Jahren an
den runden Tisch gebracht hätte — den Straßenverkehr, den Güterfernverkehr, den Nahverkehr, meinetwegen die Autoindustrie, die Bundesbahn, den Binnenschiffsverkehr — und sie gezwungen hätte, nicht nur gegeneinander Resolutionen zu fassen, sondern sich zu verständigen, dann wären wir vielleicht einen Schritt weiter. Nebenbei gesagt, es gibt ja in diesem berühmten klassischen Stück das schöne Wort: Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!
- Es gibt ja noch den Nachsatz: Der weite Weg entschuldigt Euer Säumen.
Ich möchte das aber doch auch so aufgefaßt wissen: Wenn die Dinge nicht endgültig geklärt und geregelt werden konnten, dann liegt es tatsächlich zum Teil an den turbulenten Verhältnissen der letzten Jahre, an den vielen Notständen, die wir in Deutschland hatten, an dem erschwerten Wiederaufbau, an dem zu geringen Kapitaldeckungsmantel. Es liegt zweifellos auch an den verkehrsteilnehmenden Gruppen selbst. Es liegt aber ferner — meine Damen und Herren, seien wir ruhig selbstgerecht! — auch an uns. Es ist keiner Fraktion dieses Hohen Hauses je verwehrt gewesen, einen Initiativgesetzentwurf einzubringen, und es ist auch den Ländervertretungen nie verwehrt gewesen, diese Dinge — „Verkehrskoordinierung" ist ein Wort, das der Herr Minister nicht gern hört — der Verkehrsteilung und der Verkehrsordnung untereinander anzuschneiden und auch von dort aus dem Bundestag eventuell gesetzmäßig zu unterbreiten. Das soll keine Entschuldigung sein. Ich bin tatsächlich auch der Meinung, daß man im Bundesverkehrsministerium während der letzten Jahre zwar fleißig gearbeitet hat, daß man sich aber auf die Grundlagengesetze beschränkt hat, während die Verkehrsteilung der Punkt ist, an dem man ansetzen muß, wenn man in Deutschland zu einer Verkehrsgesundung kommen will.
Wir von der CDU/CSU stehen nun immer auf dem Standpunkt — und das ist es ja, was vielen ein Gruseln über den Rücken laufen läßt —: Wir wollen möglichst wenig Eingriffe der Polizei gegenüber dem Zivilisten. Ich will es einmal folgendermaßen formulieren. Wir sagen mit Recht: Wir wollen den Menschen nicht verstaatlichen; wir wollen den Staat vermenschlichen.
Dazu gehören aber natürlich immer alle; es ge- küren die beiden Seiten der Medaille dazu. Der selige Wilhelm Busch, der so wunderschöne Sachen gedichtet und gezeichnet hat, hat einmal gesagt:
Vergebens predigt Salomo,
die Menschen machen's doch nicht so!
Und weil das so ist, werden wir um eine straffe Lenkung, um eine straffe Ordnung im Verkehr nicht herumkommen. Wir brauchen sie, und ich habe hierzu eins zu sagen.
Eine Forderung des Herrn Bundesverkehrsministers hat mir — vor etwa einem halben Jahre wurde diese Forderung, glaube ich, zum erstenmal offiziell erhoben — eingeleuchtet. Da die Durchführung, die Kontrollen, die Ordnungsmaßnahmen Sache der Länder sind, nachdem die Gesetze hier
beschlossen worden sind, fehlt eigentlich dem Bundesverkehrsministerium eine bestimmte Ordnungspolizei, die nach einheitlichen Grundsätzen kontrolliert. Es kann und darf nicht so sein, daß man in Süddeutschland Verkehrskontrollen nach anderen Maßstäben durchführt als etwa in Nordrhein-Westfalen oder im Hamburger Bezirk. Auch da brauchen wir die Einheitlichkeit, um zu dem Ziel der Verringerung der Unfälle zu kommen.
10 000 bis 11 000 Verkehrstote, — man spricht die Zahl so leicht, aber welche Unsumme Elend steckt hinter diesen Zahlen! Das sind mehr Menschen im besten Alter, als die Lungentuberkulose in einem ganzen Jahre in Deutschland an Opfern fordert. Diese 11 000 Menschen sind eine kriegsstarke Division. Hinzu kommen die Verkehrsverletzten. Herr Kollege Müller-Hermann, es sind nicht 30 000, sondern 300 000 im Jahre! Gewiß sind viele leichte Fälle, und wir freuen uns darüber; aber es sind auch viele schwere Fälle.
Ich habe vorgestern abend, wie das alle von Ihnen auch tun, eine, Zeitung gelesen. Ich will sie nennen; es war die „Abendpost". Darin standen Berichte von drei Unglücken, die auf dem Verkehrssektor vorgekommen waren, und über zwei Urteile, mit denen Verkehrsvergehen geahndet wurden. Der Originalität halber will ich das eine Urteil vorwegnehmen. Es ist, ich glaube, in Pretoria oder Johannesburg, also im Lande des Herrn Malan, gesprochen worden. Nun, wie es dort zugeht, ist ja umstritten. Aber interessant ist fogendes. Dort drüben besteht noch die Prügelstrafe — ich will sie um Gottes willen nicht bei uns eingeführt haben;
denn das ist eine Segnung der Kultur, die wir nicht wollen —, und da wurde zum erstenmal ein Verkehrssünder, ein 23jähriger weißer Mann, der einen Neger totgefahren hatte, zu 6 Stockprügeln und ein paar Monaten Gefängnis verurteilt. So geschehen in Südafrika. Derartiges wollen wir also nicht, aber Sie sehen, daß auch dort Probleme auftauchen, die, wenn auch auf anderer Ebene, so doch im Grunde auf der gleichen Höhe liegen wie bei uns.
Ich habe von einem weiteren Urteil — ich glaube, es war in Hamburg — gelesen. Die Hamburger sollen deswegen nicht etwa schlechter beurteilt werden. Im Gegenteil, ich habe mal in Hamburg als Verkehrssünder eine Mark Strafe bezahlt. Wie sagen doch die Hamburger? — „Und das freut einen denn ja auch." Aber das nur nebenbei. Es stand also drin, daß ein Schausteller 6 bis 8 Glas Bier getrunken, sich einen Kraftwagen gemietet hat und dann losgefahren ist. Schon bei der ersten Fahrt hat er am Stadtrand eine 23jährige Frau und einen 8jährigen Buben totgefahren. Ja, meine Damen und Herren, wenn hier die Polizei durchgreifen muß und wenn die Öffentlichkeit verlangt, daß im Verkehr Ordnung herrscht, dann möchte ich sagen, daß man trotz aller Bedenken gegen zu scharfe polizeiliche Funktionen einfach mitgehen muß, weil wir diese Dinge nicht mehr verantworten können.
Das rührt doch an unser Gewissen, das ist doch eine Sache des Christentums ebenso wie der Humanität. Sollen wir denn die Menschen divisionsweise zugrunde gehen lassen?
Wir müssen den Mut zu ganzen Lösungen haben,
und ich bin der Meinung, daß derjenige, der halbwegs anständig auf den deutschen Straßen fährt, auch eine Kontrolle wird überstehen können.
Wer zuviel Alkohol getrunken hat, der muß in Gottes Namen noch so viel Disziplin besitzen, daß er sich nicht mehr ans Steuer setzt. Andererseits ist Rücksicht aufeinander im Verkehr auch eine dankenswerte Tugend.
Ich war dieses Jahr einmal in Rom. Viele von Ihnen werden die Gegend am Bahnhof Termini kennen. Ich habe den Verkehr an diesem Hauptbahnhof, dem Prunkbahnhof, gesehen und habe ihn mir auch an anderen Plätzen angeguckt. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Der Autofahrer in Italien ist bestimmt kein besserer Mensch als der Deutsche. Er hat zum Teil auch keine besseren Wagen,, sondern ich hatte sogar die Empfindung, daß er im Durchschnitt schlechtere hat als wir. Aber er nimmt auf den Fußgänger weitgehend mehr Rücksicht, als es in Deutschland üblich ist.
Vor diesem Bahnhof war kein Verkehrsschutzmann aufgebaut, und es ging doch. Es hatte gerade geregnet. Die Italiener haben ja ganz große Regenschirme, sogar an ihren Droschken. Ich habe da folgendes erlebt. Ein Italiener, ein Mann mittleren Alters, wollte über die Straße, aber da waren gerade die Autos dran am Fahren. Da hat der seinen Regenschirm hochgenommen mit einem bösen Blick auf die Autos, und die ganze Autokolonne hat glatt gestoppt.
Wir brauchen selbstverständlich Straßen. Ich habe dieses Problem mit manchen Landräten erörtert. Bekanntlich sind ja die Landstraßen zweiter Ordnung von den Kreisen, denen die Landräte vorstehen, in Ordnung zu halten und auszubauen. Ich hatte als Bürgermeister in meiner Gemeinde etwa 30 km Gemeindewege. Meinem verehrten Nachbarn, dem Kollegen Stahl, der in Titisee Bürgermeister ist — ich bin inzwischen von dem Amt zurückgetreten —, ist es etwas besser gegangen. Er hat weniger Gemeindewege. Aber jeder Bürgermeister oder Landrat, der es einmal war oder noch ist, wird mir bestätigen, daß auch diese Gemeindestraßen eine Belastung für die Gemeinden bedeuten und sie in finanzielle Not bringen können. Wir brauchen also Geld. Wenn man kein Geld hat, muß man sehen, daß man es vielleicht auf dem Anleihewege bekommt. Anleihen haben aber nun die Eigenschaft, daß sie verzinst und amortisiert werden müssen. Es ist auch die Frage, ob die Leute in Deutschland schon wieder so weit sind, daß sie Verkehrsanleihen in großem Stile zeichnen. Bekanntlich hoffen noch andere Wirtschaftsunternehmungen auf die Ergebnisse von Anleihen. Ich bin daher der Meinung, daß der Grundgedanke richtig ist, entsprechende Aufschläge auf die Mineralölsteuer, Aufschläge auf Benzin, Dieselkraftstoff usw. zu nehmen. Diese Aufschläge sollten aber in der Gesamtheit zweckgebunden sein für den Ausbau der Autostraßen, der Bundesstraßen, der Landstraßen erster und zweiter Ordnung.
Ich bin davon überzeugt, daß auch das Nah- und Fernverkehrsgewerbe für eine solche Maßnahme Verständnis hat. Selbstverständlich darf man dabei nicht ins Uferlose gehen, sondern muß die Grenzen kennen.
Meine Damen und Herren, es ist aber zuwenig, in einem Jahr 100 km Autostraßen zu bauen, da-
neben Bundesfernstraßen auszubauen. Sie haben dann erst in zehn Jahren 1000 km Autostraßen gebaut und die Lücken ungefähr ausgefüllt.
Wir haben vor ein oder zwei Tagen die bekannte Denkschrift des Straßenverkehrsgewerbes bekommen; aber die meisten werden sie noch nicht haben durchlesen können, weil wir dauernd zuviel zum Lesen kriegen. Ich bin der Meinung, daß das Straßenverkehrsgewerbe völlig recht hat, wenn es in dieser Denkschrift noch einen höheren Aufschlag auf den Benzinpreis vorsieht, als dies der Herr Bundesfinanzminister Schäffer selbst vorzuschlagen sich getraut hat. Soweit ich nämlich informiert bin
— man liest ja viel in den Zeitungen usw. —, ist vorgesehen gewesen, zwei Pfennig auf den Liter Benzin zu nehmen, allerdings, glaube ich, sechs Pfennig auf den Liter Diesel-Kraftstoff, um damit die Straßenfinanzierung durchführen zu können. Das Gewerbe selber hat vier Pfennig, allerdings vier Pfennig für beides, für das Benzin und für den Diesel-Kraftstoff, vorgeschlagen.
— Es wäre natürlich zu prüfen, ob diese Relation richtig ist. Aber ich bin der Meinung, diese vier Pfennig können ohne weiteres von dem, der auf der Straße fährt, getragen werden, und sie werden getragen werden, wenn man weiß: dafür werden die Straßen verbessert und verbreitert, Umgehungsstraßen gebaut; aber wohlgemerkt: nicht nur Radfahrwege auf den Bundesfernstraßen und Landstraßen erster und zweiter Ordnung, sondern auch Fußgängerwege brauchen wir. Das läuft wieder auf die alte Melodie hinaus, daß der Fußgänger auch ein Mensch ist und nach dem Grundgesetz auch ein Recht hat, sich irgendwie in seinem eigenen Heimatlande noch zu bewegen.
Die Auffassungen sind nun sehr verschieden. Man erhält so manchmal Briefe, wo irgendeiner schreibt: Ihr seid ja von allen guten Geistern verlassen, ihr macht uns mit den neuen Steuern auf den Anhänger, auf den Lastwagen völlig kaputt, und was ihr sonst noch vorhabt, ist auch sinnwidrig usw. — Aber es gibt doch auch Männer aus dem Gewerbe, die haben bei aller Sorge um die Aufrechterhaltung ihrer Existenz ganz vernünftige, solide Meinungen, die man mit vertreten kann. Gestatten Sie mir, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur etwa sechs Zeilen aus einem Brief vorzulesen, den ein Mann an unseren Kollegen Gerstenmaier geschrieben hat. Herr Gerstenmaier hat zuständigkeitshalber den Verkehrsausschuß bemüht, und wir haben dem Mann Antwort gegeben. Der Betreffende fährt mit Lastwagen und hat Lastzüge laufen. Er schreibt also: Bitte, die Steuern dürft ihr nicht so hoch machen, sonst würgt ihr uns ab. Aber er schreibt auch noch etwas anderes, und das möchte ich doch einmal hier sagen, damit man sieht, daß in allen Schichten des Verkehrs sehr vernünftige Meinungen vorhanden sind. Er schreibt:
Gehen Sie
— also an Gerstenmaier gerichtet --
auf folgendes aus:
1. Reduzierung der hohen Geschwindigkeiten der schweren Autozüge .
2. Begrenzung der übermäßigen Gewichtszulassung, vor allem der schweren Anhänger.
Dann in Klammern:
.
3. Gerechte Aufbringung der Steuer durch eine mäßige Rohölpreiserhöhung, weil dann der am meisten bezahlt, der eine schwere Maschine mit schwerem Anhänger fährt und der gut beschäftigt ist.
4. Unterlassen Sie eine kalte Liquidation durch eine zum voraus auf die Existenzvernichtung ausgehende Steuererhöhung.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das können wir wohl alle unterschreiben. Wir wollen nicht Existenzen vernichten; das wäre völlig falsch. Wir wollen aber im Interesse dieser Existenzen die Ordnung herstellen. Denn wenn im Verkehr etwa eine uferlose gegenseitige Schmutzkonkurrenz, ein gegenseitiger Tarifkampf auf Leben und Tod einreißen würde, dann allerdings müßten die kleinen Existenzen zugrunde gehen, und dann allerdings wird einmal die Bundesregierung die ganze Zeche bezahlen; und wenn die Bundesregierung sie bezahlt, dann zahlt sie ja doch der deutsche Steuerzahler.
Ich will — es wäre noch viel zu sagen — versuchen, „zum Schluß zu kommen", wie man so schön sagt. Uns liegt auch ein Antrag vor, den mein geschätzter Freund Morgenthaler an erster Stelle unterschrieben hat, daß der Lastwagenverkehr an Sonn- und Feiertagen auf das Notwendigste beschränkt werden sollte. Dieser Antrag hat in den Kreisen des Straßenverkehrsgewerbes, vor allem des Straßenfernverkehrs — der Nahverkehr dürfte zum großen Teil einverstanden sein, weil er ja normalerweise an Sonntagen keinen Lastwagenverkehr betreibt —, etwas Widerstand gefunden. Er wurde auch, wie ich in einer Zeitungsnotiz gelesen habe, von der Organisation des Straßengüterfernverkehrs abgelehnt. Meine Damen und Herren, haben denn die, die das unterschrieben haben — ich habe es mit unterschrieben —, etwas Unrechtes verlangt? Sind wir nicht in einem Zeitalter, wo wir die Arbeitszeit geregelt haben, wo es selbstverständlich sein sollte, daß jeder, der nicht unbedingt an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden muß, nicht beschäftigt wird?
Streiten wir nicht darüber, ob man am Samstagnachmittag um 2 Uhr in den Ladengeschäften Schluß macht, um 3 oder um 5 Uhr oder schon mittags um 1 Uhr, oder ob wir am Mittwochnachmittag einen halben Tag frei geben? Wir halten es doch für selbstverständlich, daß die schaffenden Menschen — auch die Eigentümer dieser Betriebe — auch einmal zur Ruhe kommen sollten. Es steht im übrigen ja auch in der Heiligen Schrift geschrieben: Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebenten aber sollst du ruhen.
Wenn man formuliert „an Sonn- und Feiertagen auf das Lebensnotwendige zu beschränken", hat man damit ja noch nicht das Gewerbe getroffen, indem etwa einzelne Existenzen geschädigt würden. Wenn nämlich keiner, der es nicht nötig hat, am Sonntag oder Feiertag fährt, dann hat auch keiner den Schaden, weil ja dann die Wettbewerbsbedingungen für alle die gleichen sind.
Ich gehe allerdings weiter und sage, es wäre durchaus zu prüfen, ob nicht auch eine ähnliche Regelung gefunden werden kann, wie sie meines Wissens schon vielfach bei der Bundesbahn besteht. Auch die Bundesbahn läßt an Sonntagen nur die lebensnotwendigen Güterzüge verkehren, die also Lebensmittel, Frischware und andere Dinge enthalten. Das können Seefische sein und was weiß ich alles. Dort ist also die Konsequenz gezogen.
Meine Damen und Herren, es wird vielfach nicht erkannt, daß es solche Dinge in Europa schon gibt. Sehen Sie einmal in unser Nachbarland, die Schweiz! Ich habe für dieses Land immer eine Schwäche gehabt. Ich bin in seiner Nachbarschaft aufgewachsen, dort im badischen Wiesental, bei den Alemannen. Die Schweiz ist eine Musterdemokratie. Manches kommt uns zwar klein vor; aber ich möchte doch sagen, diese demokratische Erziehung und Gesinnung von Jahrhunderten her in Verbindung mit anderen Dingen hat doch auch manches Schöne in diesem Lande bewirkt, und wir sollten auch ruhig den Mut haben, von einem solchen kleineren Lande zu lernen, wenn es etwas Besseres hat als wir.
Dort gibt es eine Gesetzesvorschrift, daß ab 10 Uhr abends keine Lastwagen mehr fahren dürfen und daß der Lastwagenverkehr an Sonn- und Feiertagen verboten ist. Ist es also eine Todsünde, wenn man aus christlichen, aus menschlichen, aus humanitären Gründen, aber auch mit Rücksicht auf die Anwohner an den Straßen, eine solche Frage stellt?
Ich wohne in Bonn in der Poppelsdorfer Allee. Ich will nicht sagen, daß da nur feine Leute wohnen,
aber ich wohne dort.
— Herr Dr. von Brentano, über diese stille Anerkennung freue ich mich eigentlich.
Da ist also keine Straßenbahn und normalerweise nachts kein Verkehr. Nur wenn die Lastwagenfahrer heimkommen, fahren sie manchmal noch mit dem Lastwagen nach Hause. Es ist auch mal ein Motorradfahrer dabei. Ab und zu kommt aber auch ein schwerer Lastzug nachts durch. Ich kann Ihnen sagen — die Häuser dort sind alt, gut und solid gebaut mit dicken Mauern —: wenn ein solcher Lastzug durchfährt, dann ist das tatsächlich für das Haus und für die Bewohner eine einzige Erschütterung, und so ungefähr jeder wacht vom Schlaf auf.
— In der Koblenzer Straße ist es noch schlimmer.
Denken Sie aber auch an die Bundesfernstraße 3, die durch meinen Wahlkreis und durch den Wahlkreis des Herrn Abgeordneten Morgenthaler durchgeht. Dort hat man also die Autostraße noch nicht gebaut. Denken Sie auch an den Streit, ob die ganze Autostraße Basel—Karlsruhe in die Dringlichkeitsstufe 1 oder 2 gehört. Denken Sie daran, daß man die Bundesstraße auf 71/2 m verbreitern muß. Es ist allerhand getan worden, das muß man anerkennen, wenn man offenen Auges durch die Gegend geht. Aber das hat dazu geführt, daß man die Straße in den Dörfern bis an die kleinen Bauernhäuser, bis an den Eingang, bis an die Tür hin hat verbreitern müssen. Und nun stellen Sie sich bitte einmal eine
Durchgangsstraße vor, wo der Verkehr Tag und Nacht geht. Daß diese Leute den Wunsch haben, am Sonn- und Feiertag nicht mehr durch das Erzittern ihrer Häuser und durch den durch diese Lastwagenzüge verursachten Lärm belästigt zu werden, ist verständlich.
Ich glaube auch nicht an eine Notwendigkeit, daß man ausgerechnet am Sonntag Baustoffe, Bretter, Balken, Eisenzeug und derartige Dinge auf den Straßen befördern muß.
Ich halte das nicht für eine Lebensnotwendigkeit.
Man ist nun aber, wenn man so etwas ausspricht, da und dort immer der Gefahr ausgesetzt, daß einem gesagt wird, man habe etwas gegen den Straßenverkehr. Ich sage noch einmal: nein und nochmals nein! Ich halte den gewerblichen Straßenverkehr im Nahverkehr wie im Fernverkehr für eine technisch und wirtschaftlich durchaus vertretbare notwendige Ergänzung. Ich sage es noch einmal als Standpunkt der gesamten Fraktion: es ist Lebensraum und Lebensrecht für beide Teile da.
Dann darf ich noch eine Sache anschneiden, die mir übergeben wurde, als ich hier heraufging. Es handelt sich um die Frage Berlin — sie hängt mit der Bundesbahn zusammen —, über die vielleicht bei dieser Gelegenheit zum Schluß ein paar Worte zu sagen sind. Die Bundesbahn gleicht einem Manne, der in ein Rennen geht und mit irgendeinem Tornister oder irgendeiner anderen schweren Last vorbelastet ist. Man kann aber, wenn man gleiche Startbedingungen schaffen und ein Rennen ehrlich ausfechten will, nicht mit ungleichen Belastungen hineingehen. Die Bundesbahn trägt u. a. als betriebsfremde Lasten - ich möchte sagen, wir sollten das Wort „politische Lasten" vermeiden — eine ganze Reihe von Millionen DM — es geht meines Wissens in Berlin an die 90 Millionen heran; ich will mich nicht genau auf die Zahl festlegen — für Unterstützungen, die aus dem Befreiungskampf für Berlin notwendig wurden. Damals mußten die Eisenbahner einfach gegen die Ostzone antreten, und sie sind angetreten, und heute noch liegen über 500 Eisenbahner mit ihren Familien auf der Straße. Die Bahn zahlt hierfür Unterstützungen, und es ehrt sie, daß sie das tut. Aber jede 100 Millionen sind auch für die Bahn 100 Millionen, und 100 Millionen DM sind gleichzeitig 100 Lokomotiven oder auch 50, je nachdem, um welche Gattung es sich handelt. Mit 100 Millionen DM könnte man eine ganze Menge moderner Schnellzugwagen, Personenwagen oder Güterwagen anschaffen. Das ist aber nur eine dieser Lasten.
Hier schreibt nun ein solcher Mann von Berlin: „Ich kriege wohl die Unterstützung; auch die Gewerkschaft tut noch etwas darauf. Aber wir haben doch auch das Recht, so wie die 131er behandelt zu werden und wieder irgendwo im Bundesgebiet hineinzukommen und bei der Bahn Unterschlupf zu finden." Die Frage der 131er hat die Bundesbahn auch auf dem Rücken. Es ist die übereinstimmende Meinung auch im Straßenverkehrsgewerbe, bei der deutschen Industrie, selbstverständlich bei der Bundesbahn und ebenso bei der Binnenschiffahrt, daß man der Bundesbahn diese betriebsfremden Belastungen, die neben der Pflicht des Wiederaufbaues der Betriebssicherheit usw. aus eigener Kraft bestehen, abnehmen muß. Darum kommt das Kabinett einfach nicht herum.
Hinzu kommen dann noch die anderen Verpflichtungen aus dem gemeinwirtschaftlichen Betrieb. Erfreulich ist hierbei, daß es auch in dieser Zeit im Rahmen der konkurrierenden Träger des Verkehrs — Straße, Schiene und anderen — noch gemeinsame Ansatzpunkte gibt. Völlige Übereinstimmung besteht wohl darüber, daß die Bundesbahn in einer Art und Weise weitergeführt werden muß, daß sie gemeinwirtschaftlich fährt. Völlige Klarheit besteht darüber, daß die Bundesbahn, die ja Treuhänderin des Staatsvermögens von, umgerechnet, etwa 13 Milliarden ist — früher ja viel mehr —, den Fahrplanzwang, den Betriebszwang, den Beförderungszwang, den Veröffentlichungszwang usw. aus dem Wesen der Gemeinwirtschaft und dazu die sozialen Tarife zu tragen hat. Das ist in der ganzen Welt so, wenn auch nicht ganz einheitlich. Aber durch die Bank haben die Bahnen zum Ausgleich für andere Dinge, die den Bahnen zugute kommen, die Möglichkeit und die Verpflichtung, gemeinwirtschaftlich für das Volk zu arbeiten.
Darf ich eines noch zur Ehre der Bundesbahn sagen. Die Bundesbahn ist der sicherste Betrieb, den es gibt. Die Bundesbahn veröffentlicht voll Stolz die Nachricht — „Statistik" ist da, möchte ich sagen, wirklich zuviel gesagt, weil man daraus keine Statistik mehr machen kann! —, daß im ganzen Jahre 1953 bei 1,2 Milliarden Reisenden, die befördert wurden, nur eine einzige Reisende ihr Leben durch Schuld der Bahn verloren hat.
Meine Damen und Herren, betrachten Sie demgegenüber die Unfallzahlen des Straßenverkehrs; dann sehen Sie den Unterschied. Auch deswegen müssen wir Ordnung hineinbekommen.
Dann kommt noch eines allerdings, was gesagt werden muß, hinzu. Es sterben täglich einige Eisenbahner — die genauen Zahlen habe ich nicht, aber es sind mehrere hundert Eisenbahner im Jahr — im Dienste des Verkehrs den Eisenbahnertod, ruhmlos, klanglos, ohne daß man viel davon erfährt. Hut ab vor dieser Pflichterfüllung! Anerkennung aber auch den Beamten, Arbeitern und Angestellten, den Menschen, die bei der Bundesbahn das Rückgrat des Verkehrs bilden.
Wir wünschen, daß bei den kommenden Reformen erstens einmal die Sache beschleunigt wird. Wir haben im Süden unseres schönen Vaterlandes ein Wort, das heißt: „Die Birnen werden im Herbst reif." Bis im Herbst, verehrter Herr Vizekanzler, verehrter Herr Bundesverkehrsminister, müssen wir meiner Schätzung nach die Verkehrsgesetze hier im Bundestag verabschiedet haben, wenn wir unsere Pflicht tun wollen.
Diese Pflicht wollen wir tun, und wir wollen dabei unser Herz vorauswerfen und Verantwortung auf uns nehmen. Ich bin überzeugt, daß man das Problem in einer Art und Weise lösen kann, die weder der deutschen Wirtschaft noch einem Träger des Verkehrs in der deutschen Wirtschaft schadet, die aber allen nützt und die, ich möchte es noch einmal sagen, eine Christen- und eine Menschenpflicht ist.