Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Wehner, die Note ist Ihnen bekannt?
— Meine Damen und Herren, ich sehe keinen Grund, weshalb der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung nicht im Geist und im Sinn dieser Note weitere Bemühungen in dieser Frage unternehmen sollten.
Ich erwähne schließlich noch einen dritten Punkt, dem wir auch Beachtung schenken sollten, obwohl davon eigentlich nur zwischen den Zeilen der Rede von Herrn Ollenhauer zu lesen ist. Ich begrüße es, daß Herr Ollenhauer nicht eine Sache wiederholt. hat, die uns große Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung bereitet und die zu nichts geführt hat, daß wir nämlich eine förmliche Rangordnung der Werte aufstellen sollten, daß wir also unter allen Umständen sagen sollten: Wiedervereinigung vor Integration oder umgekehrt. Das scheint mir ein ganz unzweckmäßiges Verfahren zu sein, von dem keiner von uns etwas hat; denn wir sind gleichermaßen der Mächtigkeit der geschichtlichen Situation unterworfen, über 'die wir keine beliebige Verfügungsgewalt haben. Ich begrüße also, daß die Auseinandersetzung in diesem Hause in dieser unendlich wichtigen Frage in Zukunft offensichtlich in der Begrenzung auf den Methodenstreit geführt werden soll. Dazu erklären wir uns gern bereit. Wir denken, daß auch die Vorschläge und die Einwände der Oppostion dem Hause und unserer eigenen Denkschärfe nur förderlich sein können.
Nun muß ich aber doch noch ein Wort zu einem sehn viel weniger erfreulichen Gegenstand sagen. Das ist die Formulierung, die in der Rede von Herrn Kollegen Ollenhauer zu 'der Frage der Europäisierung der Saar getroffen worden ist. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, daß die Europäisierung der Saar keine Sanktionierung der Saarregierung bedeuten dürfe. Ich hatte die Ehre, kürzlich für meine Freunde im Europarat zu Straßburg eine kurze Erklärung zu der Methodik abzugeben, mit der wir die Saardebatte im Bereich des Europarats und auch zwischen den meistbeteiligten Regierungen geführt sehen möchten. Erlauben Sie mir, hier in allem Freimut hinzuzufügen: Wer hat denn jemals um Gottes willen davon gesprochen, daß die Europäisierung der Saar oder, wie der Herr Bundeskanzler zurückhaltend gesagt hat, der Geist der europäischen Zusammenarbeit, in dem 'dieses schwierige Problem gelöst werden sollte, eine Sanktionierung der — ich präzisiere — heute an der Saar bestehenden Regierung sein könnte? Ich möchte hier einmal in vollem Freimut folgendes sagen: Wir stehen im Europarat in einem Geist der kollegialen Zusammenarbeit mit den Vertretern der 14 Mitgliedsnationen. Wir haben uns nie dazu verstanden, diesem Geist der kollegialen Zusammenarbeit auch insoweit Konzessionen zu machen, daß wir auch noch die 15 Sterne begrüßen oder zu ihnen und zu allem, was damit symbolisch verknüpft ist, ja sagen. Aber keine Konzilianz und kein Wille zur kollegialen Zusammenarbeit haben uns auch jemals in eine solche Situation bringen können, daß der Schluß erlaubt wäre — sei es auf Grund unseres Straßburger Verhaltens, sei es auf
Grund unseres Verhaltens hier —, wir beabsichtigten mit der Lösung des Saarproblems im Geiste der europäischen Zusammenarbeit eine Sanktionierung der Saarregierung. Das, meine Damen und Herren, ist das allerletzte, was man uns irgendwie unterstellen dürfte.
Aber noch ein anderes. Wort zur Saar. Herr Kollege Ollenhauer, ich habe eigentlich sehr bedauert, daß Sie eine Variante in der Formulierung der Saarfrage gebraucht haben. Sie haben von der opportunistischen Lösung der Saarfrage gesprochen, die zu Lasten der Ostgrenze bzw. des Problems Oder-Neiße gehen könnte. Ich habe einiges Verständnis für die Überlegung, die sich daran anschließt. Sie ist auch in unseren Kreisen immer wieder angestellt worden. Aber erlauben Sie mir, nachdem wir ganz offensichtlich — und ich begrüße das aufrichtig — jetzt in diesem Hause in der Lage sind, sehr viel nuancierter und sehr viel differenzierter miteinander zu reden als in der Zeit, in der die Schreihälse auf der Rechten und Linken saßen und wir das Konzert 'der Herren Thadden, Goetzendorf und Renner hatten, folgendes zu sagen: Finden Sie nicht doch in einem entscheidenden Punkt diese Parallelisierung einfach nicht zulässig? Sie ergibt sich, sie liegt mindestens im Schluß. Ich sage nicht, daß der Gedanke nicht irgendwo erwogen werden müßte. Trotzdem sollten wir es uns nicht gestatten —gleichgültig, ob es auf seiten !der Opposition oder auf unserer Seite geschieht —, eine im Grunde so unzulässige Paralellisierung zwischen Ost und West hier passieren und genehmigen zu lassen. Das wollen wir nicht tun.
— Herr Mellies, ich will nur folgendes sagen. Es steht auch Ihnen nicht und niemandem in diesem Hause an, uns und dem deutschen Volk diese Simplifizierung zuzumuten, die wir einige Monate vor dem Wahlkampf in ganz anderen Bereichen, noch nicht einmal im politischen Bereich, sondern — ich darf daran erinnern, daß ich evangelischer Theologe bin — 'auf ganz .anderen Ebenen gehört haben, 'nämlich die Simplifizierung: Weil im Westen, weiß Gott, nicht alles Gold ist, was glänzt, und weil es im Westen noch sehr betrübliche Tatbestände gibt, gehören also Ost und West qualitativ auf die gleiche Ebene, sind vergleichbare Größen auf derselben Ebene. Diese Schlußfolgerung ist einfach nicht erlaubt. So etwas darf man jedenfalls in einem Parlament nicht tun, das Niveau beansprucht.
Die Folge davon ist mindestens, daß die entscheidenden Qualitätsunterschiede der Rechtsstaatlichkeit in Ost und West, die jedem von Ihnen bewußt sind und zu denen auch jeder von Ihnen steht, im Bewußtsein der Menge verwischt werden; und das wollen wir nicht haben.
Meine Damen und Herren, eine letzte kritische Bemerkung! Ich habe sehr bedauert, daß der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands einen Ton in der Rede des Herrn Bundeskanzlers völlig überhört hat, von dem ich mit all meinen Freunden glaube, daß er von großer, zukunftweisender Bedeutung ist. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt — ich wiederhole es in meinen Worten —, daß 'das Dach der europäischen Einigung von vier
Pfeilern getragen werden müsse, nämlich von der Wirtschaft — die Ansatzform ist die MontanUnion —, von der Verteidigung, vorn gemeinsamen Schutz- und Sicherheitsbedürfnis — Ansatzform EVG —, vom Recht — Ansatzform Europäische Gemeinschaft — und, wie er hinzugefügt hat, von dem Willen zur sozialen Gerechtigkeit und dem Willen, im sozialen Existenzkampf zusammen- und nicht gegeneinanderzustehen. Ich halte allerdings dafür, daß das von grundsätzlicher und entscheidender Wichtigkeit sein kann.
Hören Sie! Es ist auch uns kein Fest gewesen, in den letzten drei Jahren den Gedanken der europäischen Integration dem deutschen Volk immer und immer wieder im Medium von Divisionen vortragen zu müssen. Wir haben uns das ja nicht ausgesucht, sondern :die Herren im Osten haben in Korea mit Kanonen zu schießen begonnen.
Dadurch ist die Welt hier, ist die freie Welt vor eine Situation gestellt worden, die so nicht in unserem Programm gelegen hat, als wir nach Straßburg gegangen sind. Aber wir haben uns dem gestellt und haben nicht gekniffen. Wir haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt und gedenken das auch in Zukunft nicht zu tun. Wir wollen aber, meine Damen und Herren, daß sich 'der Gedanke der europäischen Einigung auch in einem Medium ausdrückt und konkretisiert, das Millionen Menschen in dem eng zusammengedrängten europäischen Lebensbereich ganz spontan etwas bedeutet. Dazu von seiten der Bundesregierung, von seiten dieses Hauses und der deutschen Vertreter im Europarat einen Beitrag zu leisten, das halte ich allerdings für eine ganz unabweisbare Aufgabe und Verpflichtung im Laufe der kommenden Jahre. Wir von unserer Seite gedenken dazu zu stehen.
Ich könnte etwas Ähnliches zu unserer Mitarbeit in den Vereinten Nationen sagen, wenigstens bezüglich der Bereiche, in denen wir unmittelbar mitarbeiten können. Ich denke dabei vor allem an die Arbeit des Hohen Kommissars für das Flüchtlingswesen bei den Vereinten Nationen. Ich bin bis zum Erweis des Gegenteils noch immer der Meinung, daß dieses Kapitel der internationalen Flüchtlingshilfe, das in den letzten Jahren für uns sehr dürre war, große Möglichkeiten enthält, wobei wir Deutschen übrigens keineswegs, jedenfalls nicht auf Dauer nur die Nehmenden wären; ganz im Gegenteil!
Meine Damen und Herren, ich breche ab. Es gibt, wenn man sich die 'deutsche Außenpolitik ansieht und sie in der gegenwärtigen Situation der Welt betrachtet, eine Reihe von Problemen und Aufgaben, die in einer solchen Diskussion nicht zusammen ,angesprochen werden können. Behalten wir das anderen Diskussionen in diesem Hause vor.
Lassen Sie mich zum Schluß noch zweierlei sagen. Erstens: Die Entscheidungen, die in diesem Hause in den letzten zwei Jahren erarbeitet und gefällt worden sind, haben die Richtung unserer Politik, die Richtung der Politik des Bundeskanzlers, die Richtung der Politik, zu der die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes steht, festgelegt. Diese Sache ist entschieden. Aber, meine Damen und Herren, jetzt beginnt die andere, sehr schwere und möglicherweise noch härtere Aufgabe, nämlich diese Entscheidungen in der Widerständigkeit der
geschichtlichen Materie der Welt zu verwirklichen. Diese Verwirklichung erfordert die zusammengefaßte Kraft des deutschen Volkes.
Unter diesem Gesichtspunkt, so muß ich sagen, möchte ich nicht, daß wir den Ton überhören, der doch in den Darlegungen von Herrn Ollenhauer als Sprecher seiner Fraktion durchgeklungen ist, den Ton einer, ich will nicht sagen: Konzilianz, aber doch einer sachlichen Bereitschaft, in einer sachlichen Debatte kritisch und oppositionell, aber doch im 'ganzen in seiner Art verwirklichend beizutragen. Ich glaube, daß die Aufgabe, die Entscheidungen dieses Hauses zu verwirklichen, wie gesagt, noch mehr Kraft von uns fordern wird als die Aufgabe, diese Entscheidungen richtig herbeizuführen.
Und ein Letztes. Meine Damen rund Herren! Ich glaube, der Herr Bundeskanzler kann sich darauf verlassen, daß seine große Fraktion in kraftvollem Zusammenwirken der in ihr beschlossenen Verschiedenheiten, in einem kraftvollen Zusammenwirken der verschiedenartigen Kräfte und Temperamente geschlossen hinter ihm steht und daß sie nicht nur das ihm von der Verfassung zuerkannte Amt respektiert, die Richtlinien der deutschen Politik, d. h. des deutschen Schicksals, zu bestimmen, sondern daß sie ihn erst recht — und zwar geschlossen Mann für Mann und Frau für Frau — bei der Verwirklichung dieser seiner Aufgabe unterstützen wird. Wir halten es für einen Gewinn für Deutschland, daß die Christlich-Demokratische Union / Christlich-Soziale Union als große Volkspartei in dieses Haus zurückgekehrt ist. Wir halten das mit all ihren Verschiedenheiten für einen Gewinn. Wir glauben aber, kein Wort zuviel zu sagen, wenn wir erklären, daß wir in diesen Schicksalsfragen der deutschen Nation, der deutschen Existenz und der Zukunft Europas wie ein Mann hinter dem stehen, der seither die Entscheidungen in der Hauptsache getragen hat, der sie herbeigeführt hat und der sie auch verwirklichen wird.