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ID0200501700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953 65 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953. Geschäftliche Mitteilungen 65 C Änderung der Tagesordnung, — Absetzung der Wahl der Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt . 65 C Nächste Fragestunde 65 C Teilnahme des Sprechers des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten von Amerika an der Sitzung 65 C Präsident D. Dr. Ehlers . . . . 65 D, 67 A Joseph W. Martin, Speaker des. amerikanischen Repräsentantenhauses . . . 65 D Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 34) 68 B Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses kraft Wahl (Drucksache 35) 68 B, 82 A Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Drucksache 3'7) 68 C Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost (Drucksache 39) . . . . 68 D Wahl der Wahlmänner für die vom Bundestag zu berufenden Richter beim Bundesverfassungsgericht (Drucksache 36) 69 A, 82 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 20. Oktober 1953 69 B Dr. von Merkatz (DP) 69 B Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau '79 A Jacobi (SPD) 82 B Dr. Jaeger (CSU) 83 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU) . . . 88 D Haasler (GB/BHE) 94 D Dr. Kather (CDU) 97 C, 103 C Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene 100 B Dr. Schöne (SPD) 100 D Dr. Gille (GB/BHE) 102 C Kiesinger (CDU) 103 D Nächste Sitzung 108 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wechsel der Debatte bringt es mit sich, daß die Themen unsystematisch durcheinander diskutiert werden müssen. Ich hoffe, daß dieses Haus im Laufe der Jahre noch eine bessere Technik seiner Debatten entwickelt. In diesem Augenblick glaube ich nicht, daß eine Lösung gefunden werden kann.
    Erlauben Sie mir deshalb, noch einmal auf eine Kernfrage zurückzukommen, die gestern die Darlegungen des Herrn Kollegen Ollenhauer als Sprechers der Opposition entscheidend bestimmt hat. Seit Jahr und Tag wird 'die Außenpolitik der Bundesregierung und der Koalition von der Frage begleitet, ob und welche Alternativen zu dieser Politik möglich seien. Wir haben immer den Standpunkt vertreten, daß es weder Pflicht der Bundesregierung noch Aufgabe der Koalition ist, eine solche Alternative zu entwickeln. Wir haben uns nicht 'an dem Skeptizismus und wir haben uns nicht an dem Pessimismus beteiligt, mit denen viele — und auch manche in diesem Hause — abwechselnd nach Paris und Karlsruhe geblickt haben. Wir haben uns nicht für verpflichtet gehalten,


    (D. Dr. Gerstenmaier)

    jedem politischen Temperament in Deutschland und außerhalb Deutschlands eine Auswahlkollektion alternativer Möglichkeiten zu der Lösung anzubieten, die wir selber als die einzig richtige angesehen haben. Wenn man uns deshalb etwa der Gedankenarmut geziehen hat, dann kann ich nur sagen, daß wir uns auch dadurch nicht haben verleiten lassen, von dem abzugehen — oder es auch nur durch überflüssige Varianten in Frage zu stellen —, was wir nun einmal für den geschichtlich richtigen und zwingenden Weg Ides deutschen Volkes in dieser Situation gehalten haben.
    Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung beharrlich an der von uns und der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes für richtig gehaltenen Linie festgehalten .hat. Es gibt, wie auch die gestrige Debatte gezeigt hat, weder neue Ereignisse oder Tatbestände noch neue Ideen, die uns veranlassen könnten, davon abzugehen. Nichts zwingt uns dazu. Im Gegenteil, einstweilen hat die Opposition weder das deutsche Volk noch die Welt überzeugen können, daß diese Verträge, wie sie gemeint hat, a) unerwünscht und b) unrealisierbar sind. Auch die Opposition hat die Erfahrung gemacht, daß die Außenpolitik kein Spiel auf dem Reißbrett und keine Variation von Hypothesen ist. Mit großer Mühe hat die Opposition — das müssen wir anerkennen — jahrelang an der Entwicklung einer überzeugenden Alternative gearbeitet. Das karge Ergebnis, das sie gestern vorgetragen hat, muß dahin gewürdigt werden, daß sin dieser Kargheit der Wille spürbar ist, den farbigen Phantasien abzusagen, die dem deutschen Volke bis tief in die Wahlen hinein da und dort zugemutet worden sind. Aber was kam auch bei dieser Selbstbezwingung der Opposition heraus? Herr Kollege Ollenhauer hat es gestern in einem einzigen Satz gesagt, und ich glaube, daß dieser Satz der Kernpunkt unserer Debatte sein sollte. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt: „ein freies Gesamtdeutschland in den Vereinten Nationen". Das ist nicht nur Herrn Ollenhauers, das ist die Alternative der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Ihre Voraussetzung ist, daß der europäische Lösungsversuch der Bundesregierung tatsächlich bereits gescheitert ist. Die Folgerung der Opposition ist, daß die Viererkonferenz das vereinigte Deutschland frei in die Vereinten Nationen entlassen müsse. Das Ergebnis ist alsdann — ich zitiere wörtlich Herrn Kollegen Ollenhauer —, daß die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen dem deutschen Volk dieselben Möglichkeiten der Sicherheiten gewähren würde, die jedes Mitglied der Vereinten Nationen genieße. Lassen Sie mich in aller Kürze und trotz der Mittagsstunde folgendes zur Kritik sagen. Erstens: es ist uns willkommen, Herr Kollege Ollenhauer, daß Sie uns hier in einem großen Zusammenhang, der unsere eigene nationale Existenz betrifft, auf die Vereinten Nationen ansprechen. Denn wir haben in der Tat den bedeutsamen Festreden zum Tag der Vereinten Nationen, die außerhalb !dieses Hauses vor 'einigen Tagen gehalten worden sind, auch von diesem Ort aus noch etwas hinzuzufügen. Zunächst möchte ich mich aber auch bei dieser Gelegenheit einer Dankespflicht entledigen. Ich möchte unserem Freunde und Kollegen Dr. Wahl ein Wort des herzlichen Dankes dafür sagen, daß er es an 'der Spitze der Organisation zur Förderung der Vereinten Nationen übernommen hat, dem Gedanken der Vereinten Nationen in Deutschland Bahn zu brechen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir möchten ihn ermutigen und ermuntern, auf diesem Wege fortzufahren. Ich sage das, damit von vornherein deutlich ist, in welcher Gesinnung und von welcher Grundhaltung aus wir zu den Vereinten Nationen in 'diesem Augenblick ein Wort sagen müssen. Wir sagen das, obwohl Deutschland bis zu diesem Augenblick und noch für nicht abzusehende Zeit durch das Statut der Vereinten Nationen ausgeschlossen ist, in diesem Kreis der Völker wirksam zu werden.
    Der Gedanke der Vereinten Nationen ist zu loben, und er wird auch im deutschen Volk mit Sympathie aufgenommen. Es ist die Sympathie des deutschen Volkes für ein globales internationales Ordnungssystem, das besser als der Völkerbund von einst Frieden und Wohlfahrt sichern sollte. In Art. 1 der Satzung der Vereinten Nationen heißt es:
    Die Ziele der Vereinten Nationen sind:
    Internationalen Frieden und internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten und zu diesem Zwecke wirksame Kollektivmaßnahmen zu ergreifen zur Vorbeugung und zur Beseitigung von Bedrohungen des Friedens und zur Unterdrückung aller Angriffshandlungen und anderer Friedensbrüche sowie eine Schlichtung und Regelung von internationalen Streitigkeiten und von Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel im Einklange mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des internationalen Rechts herbeizuführen; . . .
    Das ist das hoch zu lobende Programm, das einzige wirkliche Ziel der Vereinten Nationen. Aber ist es nun, nachdem hier von einem ernst zu nehmenden Mann ein Vorschlag gemacht worden ist, der unsere Existenz und unsere Zukunft betrifft und der sich entscheidend auf dieses Gebilde bezieht, unerlaubt, von dieser Stelle aus nicht nur die Frage nach dem sehr idealen Ziel dieser notwendigen Einrichtung zu stellen, sondern auch die Frage zu stellen, wie denn die Wirklichkeit. dieser Vereinten Nationen aussieht? Von dem System, von dem in Art. .1 des Statuts der Vereinten Nationen die Rede ist, kann man mit großer Zurückhaltung und bei großem Wohlwollen nur sagen, daß es sich seit Jahr und Tag in tiefster Krisis befindet. Wann vermochten die Vereinten Nationen die Spannungen, die diese Welt bewegen, auch nur einigermaßen zu bewältigen? Die Vereinten Nationen stehen vor den unbewältigten Spannungen, die die Welt durchzittern und deren Opfer auch Deutschland ist, mindestens so lange, abs es noch geteilt ist.
    Auch der Weltsicherheitsrat, eine der vornehmlichsten Einrichtungen der Vereinten Nationen, ist dieser Spannungen keineswegs Herr geworden. Müssen wir von Korea reden? Die Vereinten Nationen haben die fernöstlichen Spannungen nicht zu bewältigen vermocht, und sie haben nicht zu erreichen vermocht, daß die Mitgliedsnationen der Vereinten Nationen, die diesem Statut zugeschworen haben, nach den Grundsätzen und auf der Basis, die das Statut der Vereinten Nationen vorsieht, ihre Spannungen auch nur soweit bewältigen, daß sie nicht mit Kanonen aufeinander schießen. Auch der Weltsicherheitsrat, den wir für eine nützliche und unaufgebbare Einrichtung halten, hat nicht zu verhindern vermocht, daß sich nach dem zweiten Weltkrieg Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mit Waffen bekämpfen.


    (D. Dr. Gerstenmaier)

    Nicht, weil uns das nun gerade in den Kram paßt, sehr verehrter Herr Ollenhauer, sondern weil wir uns einfach der Wirklichkeit der Welt bewußt sind, in der wir uns mit dem deutschen Schicksal bewegen, erlauben wir uns, zu Herrn Ollenhauers Alternative folgendes zu sagen:
    Erstens: Die Voraussetzungen dieser Alternative sind unreal, wenn nicht überhaupt falsch. Denn die europäische Lösung, Herr Ollenhauer, ist immer noch auf dem Marsch, und sie ist nicht gescheitert. Das ist eine Arbeitshypothese, die einfach nicht zulässig ist und die für niemand taugt. Selbst wenn man in Opposition zu dem System der europäischen Integration steht, wie es die SPD tut, ist es nicht richtig und eigentlich nicht erlaubt, diese Sache schon in diesem Augenblick für gescheitert zu erklären.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Das ist einfach nicht zulässig.

    Zweitens: Nicht nur die Voraussetzungen der Alternative von Herrn Ollenhauer sind unreal, wahrscheinlich falsch, sondern auch ihre Folgerungen sind einstweilen unreal. Denn es ist überhaupt nicht einzusehen, warum Sowjetrußland das vereinte Deutschland ungehindert in die Gemeinschaft der Vereinten Nationen ziehen lassen sollte, das heißt doch: genau in dieselbe Staatengemeinschaft, gegen die Rußland in Korea bis jetzt im Felde lag.
    Drittens zum angenommenen Ergebnis, das in der Alternative von Herrn Ollenhauer vorgesehen ist. Er hat gestern wie gesagt ausgeführt, die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen würde dem deutschen Volk dieselben Möglichkeiten der Sicherheit gewähren, die jedes Mitglied der Vereinten Nationen genieße. Ich meine, daß das, bei Licht besehen, das einzige ist, was in dem Vorschlag von Herrn Ollenhauer vollkommen richtig ist. Ich wiederhole: es ist das einzige, was in der hier vorgetragenen Alternative vollkommen richtig ist. Aber die große Tragödie ist doch die, daß auf die Frage: Ja, welche Sicherheit? einfach geantwortet werden muß: Gar keine! Es gibt keine ausreichende Sicherheit, auf die ein Volk auf Grund der Tatsache, daß es Mitglied in 'den Vereinten Nationen ist, vertrauen könnte. Dieses Gebilde ist zwar ideal, aber bis jetzt so schwach gebaut, daß ein konkretes Sicherheitsbedürfnis und Sicherheitsverlangen in diesem System nicht befriedigt werden kann. Das ist einfach das Ergebnis des weltgeschichtlichen Ablaufs seit 1945. Und wir, wir gebrannten Kinder, sollten das ignorieren? Meine Damen und Herren, wir bauen nicht auf Wolken, auch wenn diese Wolken sich schön vom blauen Himmel abheben.
    Erlauben Sie mir, hier eine persönliche Erinnerung vorzutragen. Ich habe mit großer Bewegung, ja mit innerer Erregung — und ich nehme an, diejenigen meiner Kollegen, die damals mit zugegen waren, werden ebenso empfunden haben — die Rede des früheren Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika am Jahrestag der Vereinten Nationen 1950 in Meadow Flushing, einem der Vororte von New York gehört. Das Bewegende und Erregende an dieser Rede Trumans war, daß sie in einer geradezu herzandringenden Weise noch einmal die Ideale, die in der Präambel und in dem Statut der Vereinten Nationen niedergelegt sind, beschworen hat. Er sprach von der Abrüstung. Er sprach davon, wie unerträglich es sei, daß die Völker noch einmal in Aufrüstung und möglicherweise in Atomwaffenaufrüstung gezwungen würden und wie unerläßlich es für den Frieden, ja für die Existenz der Welt sei, daß das Statut der Vereinten Nationen im Bereich der Völker Wirklichkeit werde. Das war erregend, weil Truman damals für eine der größten Mächte der Welt sprach, die gutgläubig die Vereinten Nationen und ihr Statut mitbegründet und mitbeschlossen haben, und weil er schon im Jahre 1950 das Ergebnis vor sich sah, daß auch diese zweite Konstruktion eines globalen Ordnungssystems nach dem zweiten Weltkrieg nicht in der Lage war, die Spannungen zu bewältigen.
    Das Ergebnis einer . kritischen Betrachtung der Ollenhauerschen Alternative läßt sich darum in zwei kurze Feststellungen fassen. Erstens: Das unter bewußter Ausschließung Deutschlands errichtete globale Ordnungssystem der Nachkriegszeit befindet sich bis zu diesem Tage in einer völlig unbewältigten und trotz des Waffenstillstandes in Korea unabsehbaren Krisis. Es ist ein Tatbestand. Wir bedauern ihn, aber wir müssen ihn zur Kenntnis nehmen. Zweitens: Das für Deutschland grundsätzlich offene atlantisch-europäische Sicherheitssystem, soweit es in der NATO präsent ist und in der EVG Wirklichkeit werden wird, ist deshalb, mindestens bis auf weiteres, die einzig gangbare und ausreichende Möglichkeit zur Befriedigung des berechtigten und weiß Gott begründeten deutschen Sicherheitsverlangens. Man kann, ja man muß sagen, daß die NATO und auch die EVG, das gebe ich zu, nur kontinentale Ersatzlösungen sind für die einstweilen gescheiterte globale Lösung der Sicherheitsfrage.
    Aber wir können eben nicht übersehen, daß die globale Lösung gescheitert ist. Wir werden uns deshalb sehr überlegen, ob wir bei den Krisen, durch die die EVG in ihrem Durchsetzungsstadium selbstverständlich hindurchgehen muß, uns erlauben können, bis zum vollen Erweis des Gegenteils zu sagen, daß auch diese kontinentale Ersatzlösung keine Chance habe und gescheitert sei. Erstens ist es nicht an dem, und zweitens hat niemand auf diesem Kontinent, am allerwenigsten das deutsche Volk etwas davon, eine solche Arbeitsthese auch noch mit Leidenschaft zu verfechten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die kontinentale Lösung der Sicherheitsfrage ist so, wie die Dinge in der Welt stehen, einfach unerläßlich. Ich kann dazu nur fragen: wie kann man uns in diesem Hause zumuten — immer wieder gesagt, so wie die Dinge stehen —, darauf zu verzichten, diese Ersatzlösung mit größter Energie und möglichst schnell zur Verwirklichung zu bringen? Wir werden uns nicht einfallen lassen, die Krisis der Vereinten Nationen noch die unerschöpften und unerledigten Möglichkeiten der europäisch-atlantischen Sicherheitsorganisation für uns zu ignorieren oder in den Wind zu schlagen!
    Nun darf doch auch das andere noch gesagt werden: wir werden es umgekehrt damit auch nicht genug sein lassen. Wir denken gar nicht daran, daß wir den Weltzusammenhang unserer nationalen und kontinentalen Existenzsicherheit irgendwie ignorieren. Auch beim Kampf um die Verträge haben wir das niemals getan. Wir haben es nur abgelehnt, für globale Wunschbilder unsere nationale und kontinentale Existenz zu riskieren, und dabei gedenken wir zu bleiben. Wir sind jedoch immer bereit, auch darüber hinaus jeden ernsthaften Versuch mit Nachdruck zu unterstützen. Wir werden also z. B. einem neuen Sicherheitssystem zwischen Ost


    (D. Dr. Gerstenmaier)

    und West nicht nur in seinen gedanklichen Anfängen, sondern auch in seiner geschichtlichen Verwirklichung — gebe Gott, daß es dazu kommt — unsere Hilfe leihen.
    Wie tief die Opposition in diesem Hause in den letzten zwei oder drei Jahren die Grundkonstruktion der Verträge und die Idee der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mißverstanden hat, das ist mir selten so deutlich geworden wie in der ruhigen und kühlen Feststellung des Herrn Kollegen Ollenhauer in seiner gestrigen Rede, als er sagte, daß der Herr Bundeskanzler in den letzten Monaten verschiedene Varianten seiner Europapolitik zur Diskussion gestellt habe. Dieses Wort ist an sich kein Kampfwort; aber es lohnt sich für uns, es sehr genau anzuhören.

    (Abg. Dr. Menzel: Darum ist es ja gesagt worden!)

    — Es ist gesagt worden, ja. Es ist sehr vornehm und sehr ruhig gesagt worden, und ich glaube, wir sollten diesem Wort einige Aufmerksamkeit zuwenden. Lassen Sie mich dazu sagen: hier geht es nicht um Varianten derselben Politik, sondern in dem, was der Herr Kollege Ollenhauer als Variante des Herrn Bundeskanzlers zu seiner eigenen Politik beschrieben hat, handelt es sich um Hinweise, um Kundgaben der in dieser Politik angelegten Möglichkeiten, Entwicklungs- und Entfaltungschancen.

    (Zuruf von der SPD: Man kann es auch so auffassen!)

    Weil die Opposition diese Politik für eine starre, unfruchtbare, entwicklungsunfähige Doktrin hielt, ) hat sie die dieser Politik innewohnenden Möglichkeiten, hat sie ihre lebendige Entelechie überhaupt nicht begriffen, mindestens aber vollkommen übersehen. Mit einer viel zu simplen Logik, die diesem Gegenstand zwar nicht angepaßt ist, aber manche Gemüter betört, hat sie deshalb imimmer wieder gesagt: Entweder Verträge oder Wiedervereinigung.
    Auch gestern hat sich die SPD, wie ich zu meinem großen Bedauern sagen muß, aus dieser Zwangsvorstellung ihres Denkens nicht befreien können; sonst hätte Herr Ollenhauer nicht erneut davon geredet, daß die Verträge der Wiedervereinigung Deutschlands keine Chance ließen. Das Gegenteil ist richtig. Die Verträge sind, so wie die Dinge stehen — ich muß das immer wieder sagen, denn wir haben immer nur die eine geschichtliche Möglichkeit, in der wir uns tatsächlich befinden, und von der müssen wir ausgehen; nehmen Sie es deshalb nicht als Langeweile, wenn ich immer wieder sage: so wie die Dinge stehen —, die Verträge sind in Tat und Wahrheit die Grundlage für eine konkrete Politik der Wiedervereinigung. Ich bestreite gar nicht, daß man, wenn man über diese konkrete, zwangsweise geschichtliche Gegebenheit hinwegsteigt, wenn man von einer ganz anderen Arbeitshypothese ausgeht, dann auch andere Konstruktionen entwerfen kann. Aber gerade das erlauben wir uns nicht. Auch wenn es noch so schön und noch so bequem wäre und selbst wenn es in Wahlkämpfen, die in Zukunft wieder auf uns zukommen, sich als zweckmäßig erwiese, das gestatten wir uns nicht. Wir glauben, daß auch daran eine große Partei, ja ein Parlament ihre eigentliche demokratische Qualifikation vor dem Volke selber an den Tag zu legen und zu bestätigen haben.
    Ich sage also, daß diese Verträge in Tat und Wahrheit die Grundlage für eine konkrete Politik der Wiedervereinigung sind. Warum? Sie allein schaffen einstweilen reale Grundlagen, nämlich für die aktive Mitwirkung Deutschlands an der Entspannung zwischen Ost und West und damit an der Herbeiführung einer Situation, in der sich die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit allein denken und erst recht vollziehen läßt. Die aufgekommenen Fragen der Beteiligung Deutschlands an einem Sicherheitssystem zwischen Ost und West sind deshalb — ich komme damit zum Ergebnis dieses Gedankenganges — keine Varianten, sehr verehrter Herr Ollenhauer, es sind wirklich keine Varianten der Europapolitik des Bundeskanzlers, sondern es sind Beweise ihrer konstruktiven, geschichtlichen, nach vorwärts drängenden Lebendigkeit. Mit diesen Verträgen bleiben wir nicht in einer einmal fixierten geschichtlichen Situation haften, die morgen überholt sein kann, sondern mit diesen Verträgen treten wir ein in die konkrete Bewältigung unserer geschichtlichen, in Fluß befindlichen, nach vorwärts in die Zukunft drängenden Möglichkeiten und Aufgaben.
    Deutschland muß und kann sich dabei — warum sollten wir das nicht offen aussprechen — frei und sachgemäß auch auseinandersetzen a) mit dem Sicherheitsbedürfnis Frankreichs und b) mit dem Sicherheitsverlangen Rußlands. Ich glaube annehmen zu sollen, daß es ein Gemeingut von Koalition und Opposition in diesem Hause ist, daß die Lösungen alten Stils uns dabei gleichermaßen unglaubwürdig erscheinen. Das Sicherheitsbedürfnis Frankreichs und das Sicherheitsverlangen Rußlands, das ist unsere Überzeugung, lassen sich nicht mit Lösungen alten Stils glaubwürdig und überzeugend befriedigen.

    (Abg. Dr. von Merkatz: Sehr richtig!)

    Wir Deutschen haben jedenfalls dem Gedanken grundsätzlich und praktisch abgesagt, daß wir noch einmal national selig und etwas in der Welt werden könnten mit der Wiederholung etwa der langweilig und stumpfsinnig gewordenen Militärallianzen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der tragischen Versuche der Militärallianzen nach dem ersten Weltkrieg. Wir, die wir ein halbes Jahrhundert lang nicht nur Kriege geführt, sondern die Opfer dieser Kriege geworden sind, sollten uns einfallen lassen, uns noch einmal die alten Rezepte aufreden zu lassen, die doch weiß Gott nicht nur einen Weltkrieg nicht zu verhindern, sondern zwei Weltkriege nicht zu verhindern, geschweige gar konstruktiv zu beenden vermochten? Nein, meine Damen und Herren, ob wir die Mehrheit oder die Minderheit in diesem Hause besitzen — was Gott verhindern wolle —, auf eine solche Sache werden wir uns niemals mehr einlassen!

    (Beifall bei der CDU.)

    Diese Lösungen alten Stils sind einfach den europäischen Völkern nicht mehr zumutbar. Ich meine, daß in diesem Punkt eigentlich keine Meinungsverschiedenheit zwischen uns zu sein brauchte. Ich sehe deshalb unseren Methodenstreit nicht gerade an diesem Punkt und ich sehe Sie nicht als Vertreter des Gedankens alter Militärallianzen; aber man muß dann auch methodisch weiterkommen.
    Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich doch nur einmal folgendes. Nehmen Sie etwa den Gedanken, daß Rußland die Ostgrenzen Frankreichs und Frankreich die Westgrenzen Rußlands garantiere. Hören Sie, welcher Sinn und Witz liegt


    (D. Dr. Gerstenmaier)

    eigentlich in einer solchen Überlegung? Solche Gesichtspunkte — verlassen Sie sich drauf, schlagen Sie die Akten nach! — waren die höchsten Träume der alten Militärallianzen. Auf diese biedere Primitivität steigen wir nicht mehr herunter, einfach deshalb, weil es zu gefährlich und zu teuer ist. Solche Unachtsamkeiten werden dann ein Jahrzehnt oder zwei Jahrzehnte später mit ein paar Millionen Toten bezahlt. Nein, wenn wir von einem Sicherheitssystem Ost-West reden, dann reden wir davon, daß wir weit über militärische Gesichtspunkte hinausgreifende neue konstruktive Integrationselemente endlich in der europäischen und in der deutschen Geschichte wirksam sehen möchten. Im übrigen behalten wir das Augenmaß. Weil wir nicht glauben, daß ein Sicherheitssystem zwischen Ost und West mit Anleihen an die alten Militärallianzen durchgeführt werden könnte, sind wir der Meinung, daß diese primitiven Garantien, die ja doch kein Unglück zu verhindern vermögen, jetzt mit Augenmaß und Mannesmut auf das zurückgeführt werden müssen, was tatsächlich garantiert werden kann.
    Lassen Sie mich offen sprechen. Ich spreche hier nicht als Vertreter der Regierung, sondern als ein einfacher Abgeordneter. Jeder von uns kann hier seine Meinung sagen. Es ist doch so, daß ein solches Sicherheitssystem, das der europäischen Entwicklung und der Erfahrung Europas entstammt, sich in einigen begrenzten und, wie ich glaube, durchaus lösbaren Aufgaben konkretisieren müßte. Ich denke etwa daran, daß z. B. die EVG bzw. Frankreich keine Garantie für die Oder-Neiße-Linie geben könnte, für die Oder-Neiße-Linie als einen Grenzabschnitt zwischen Ost und West, sondern daß sich in einem solchen Sicherheitssystem die Garantie darauf beziehen müßte, daß die Oder-Neiße-Linie nicht gewaltsam geändert wird. Ich sehe nicht ein, weshalb wir uns an einem solchen System nicht voll und ohne jeden Vorbehalt beteiligen könnten.
    Im übrigen, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir den Hinweis: Ich halte es auch unter europäischen Gesichtspunkten der Verantwortung nicht für möglich, daß man hier etwa mit positiven Garantien, mit positiven Grenzgarantien im Sinne alter Militärallianzen arbeiten könnte. Denn man würde ja sonst die ost- und südosteuropäischen Völker de jure einem Zustand überlassen, der bis jetzt nur de facto besteht. Wir sind weder frei noch berechtigt noch gewillt, den gegenwärtigen staatsrechtlichen Zustand der ost- und südosteuropäischen Völker, von denen ich glaube, daß sie zur Freiheit und zu den Menschenrechten streben, juristisch von unserer Seite mit zu bestätigen.
    Das System der Militärallianzen alten Stils ist also, wie ich glaube, für Europa vorbei. Demjenigen, dem die Vergegenwärtigung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht genügt, darf ich vielleicht noch folgende Überlegung anheimgeben. Es hat sich gezeigt, daß die alten Systeme der Militärallianzen todsicher Gegenallianzen schaffen. Es ist einfach ein Tatbestand, daß eine Politik der Einkreisung zu einer Politik der Auskreisung in anderen Bereichen führt. Was haben wir davon? Ich kann also nur wiederholen, daß hier neue Situationen herbeigeführt werden müssen und neue Elemente in der Geschichte unerläßlich notwendig geworden sind. Sie sind angelegt und sie bieten sich dar in der europäischen Integration. Nur die supranationale Bewältigung der europäischen Grenzprobleme — das gilt übrigens auch für die Saar — und, wichtiger
    noch, der nationalen Machtverhältnisse in einer grundsätzlich neuen Form europäischen Zusammenlebens schafft dieses Doppelte, von dem ich meine, daß es erstens eine dauerhafte Sicherheit für die Völker Europas verbürgen könnte und daß es zweitens eine Basis für die Entspannung — für die konkrete und nicht nur die nominell proklamierte Entspannung — zwischen Ost und West darzustellen vermöchte.
    Meine Damen und Herren, wir haben keine Illusionen. Wir sind der Meinung, auch dann; wenn aus den in den Verträgen angelegten Möglichkeiten und ihren konstruktiven Entwicklungen eine solche Befriedung und Beruhigung nicht nur unseres Kontinents, sondern der Ost-West-Spannung überhaupt zustande käme, auch damit würden die profunden Unterschiede und Gegensätze zwischen Ost und West weder aufgehoben und versöhnt noch würden etwa aus den Gegnern von heute Verbündete von morgen. Aber ich glaube, es ist möglich, mit Augenmaß und einiger erlaubter Zuversicht folgendes zu sagen: auf diesem Weg kann man zwei grundsätzlich verschiedene Lebensformen in ihrem Gegeneinandergespanntsein so entschärfen, daß sie nebeneinander in Zukunft bestehen können, ohne daß Millionen in der täglichen Angst zu leben brauchen, daß sie über Nacht von Atombomben ausgelöscht werden.
    Erlauben Sir mir, zum Schluß noch ein Wort über einige Einzelheiten zu sagen. Ich glaube, ich habe doch die Pflicht, eine Bemerkung des Herrn Kollegen Ollenhauer hier zu korrigieren. Er hat dem Herrn Bundeskanzler das Wort angekreidet, daß wir nicht weiter „nachlaufen" sollten. Ich würde doch Wert darauf legen, daß dieses Wort richtig verstanden wird. Es kann doch keinen Augenblick ein Zweifel darüber sein, daß der Herr Bundeskanzler — und mit ihm wir alle — davon überzeugt ist, daß auch in Zukunft jede zumutbare und auch nur einigermaßen reale Anstrengung gemacht werden muß, um dem Weltfrieden mit dieser Entspannung einen Dienst zu tun. Wenn ich das Wort des Herrn Bundeskanzlers vom „Nicht-Nachlaufen" richtig verstehe, dann heißt es einfach, daß mit tauglichen Mitteln oder mit denkbar tauglichen Mitteln dieser Versuch der Mitwirkung an der Entschärfung eines Weltgegensatzes, der uns alle bedroht, gemacht werden müßte. Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: hier hat der Herr Bundeskanzler recht. Denn was sollen uns denn die untauglichen Mittel, die Mittel, von denen schon von vornherein feststeht, daß sie vollkommen untauglich und ungeeignet sind? Dazu könnte jene überstürzte Eilfertigkeit gehören, die man auch als „nachlaufen" bezeichnen kann. Insofern möchte ich mich jedenfalls dem Wort des Herrn Bundeskanzlers anschließen.
    Eine andere Sache: Herr Kollege Ollenhauer hat den Herrn Bundeskanzler darauf angesprochen, daß doch die Bemühungen um die Abschaffung der Interzonenpässe fortgesetzt werden sollten. Ich bin in der glücklichen Situation, darauf hinweisen zu können, daß in einer Note des Herrn Bundeskanzlers vom 26. August an den Herrn geschäftsführenden Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission genau dieses Verlangen gestellt und damit also dieser Wunsch erfüllt worden ist.

    (Abg. Wehner: Das ist ein Mißverständnis!) — Das war ein Mißverständnis?




Rede von Herbert Wehner
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das ist ein Mißverständnis. Denn in Herrn Ollenhauers Rede ging es ja darum, daß die sowjetische Seite diese Antwortnote der westlichen Mächte abgelehnt hat und nun also von uns ein neuer Vorschlag gemacht werden muß.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Wehner, die Note ist Ihnen bekannt?

    (Abg. Wehner: Ja!)

    — Meine Damen und Herren, ich sehe keinen Grund, weshalb der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung nicht im Geist und im Sinn dieser Note weitere Bemühungen in dieser Frage unternehmen sollten.
    Ich erwähne schließlich noch einen dritten Punkt, dem wir auch Beachtung schenken sollten, obwohl davon eigentlich nur zwischen den Zeilen der Rede von Herrn Ollenhauer zu lesen ist. Ich begrüße es, daß Herr Ollenhauer nicht eine Sache wiederholt. hat, die uns große Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung bereitet und die zu nichts geführt hat, daß wir nämlich eine förmliche Rangordnung der Werte aufstellen sollten, daß wir also unter allen Umständen sagen sollten: Wiedervereinigung vor Integration oder umgekehrt. Das scheint mir ein ganz unzweckmäßiges Verfahren zu sein, von dem keiner von uns etwas hat; denn wir sind gleichermaßen der Mächtigkeit der geschichtlichen Situation unterworfen, über 'die wir keine beliebige Verfügungsgewalt haben. Ich begrüße also, daß die Auseinandersetzung in diesem Hause in dieser unendlich wichtigen Frage in Zukunft offensichtlich in der Begrenzung auf den Methodenstreit geführt werden soll. Dazu erklären wir uns gern bereit. Wir denken, daß auch die Vorschläge und die Einwände der Oppostion dem Hause und unserer eigenen Denkschärfe nur förderlich sein können.
    Nun muß ich aber doch noch ein Wort zu einem sehn viel weniger erfreulichen Gegenstand sagen. Das ist die Formulierung, die in der Rede von Herrn Kollegen Ollenhauer zu 'der Frage der Europäisierung der Saar getroffen worden ist. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, daß die Europäisierung der Saar keine Sanktionierung der Saarregierung bedeuten dürfe. Ich hatte die Ehre, kürzlich für meine Freunde im Europarat zu Straßburg eine kurze Erklärung zu der Methodik abzugeben, mit der wir die Saardebatte im Bereich des Europarats und auch zwischen den meistbeteiligten Regierungen geführt sehen möchten. Erlauben Sie mir, hier in allem Freimut hinzuzufügen: Wer hat denn jemals um Gottes willen davon gesprochen, daß die Europäisierung der Saar oder, wie der Herr Bundeskanzler zurückhaltend gesagt hat, der Geist der europäischen Zusammenarbeit, in dem 'dieses schwierige Problem gelöst werden sollte, eine Sanktionierung der — ich präzisiere — heute an der Saar bestehenden Regierung sein könnte? Ich möchte hier einmal in vollem Freimut folgendes sagen: Wir stehen im Europarat in einem Geist der kollegialen Zusammenarbeit mit den Vertretern der 14 Mitgliedsnationen. Wir haben uns nie dazu verstanden, diesem Geist der kollegialen Zusammenarbeit auch insoweit Konzessionen zu machen, daß wir auch noch die 15 Sterne begrüßen oder zu ihnen und zu allem, was damit symbolisch verknüpft ist, ja sagen. Aber keine Konzilianz und kein Wille zur kollegialen Zusammenarbeit haben uns auch jemals in eine solche Situation bringen können, daß der Schluß erlaubt wäre — sei es auf Grund unseres Straßburger Verhaltens, sei es auf
    Grund unseres Verhaltens hier —, wir beabsichtigten mit der Lösung des Saarproblems im Geiste der europäischen Zusammenarbeit eine Sanktionierung der Saarregierung. Das, meine Damen und Herren, ist das allerletzte, was man uns irgendwie unterstellen dürfte.
    Aber noch ein anderes. Wort zur Saar. Herr Kollege Ollenhauer, ich habe eigentlich sehr bedauert, daß Sie eine Variante in der Formulierung der Saarfrage gebraucht haben. Sie haben von der opportunistischen Lösung der Saarfrage gesprochen, die zu Lasten der Ostgrenze bzw. des Problems Oder-Neiße gehen könnte. Ich habe einiges Verständnis für die Überlegung, die sich daran anschließt. Sie ist auch in unseren Kreisen immer wieder angestellt worden. Aber erlauben Sie mir, nachdem wir ganz offensichtlich — und ich begrüße das aufrichtig — jetzt in diesem Hause in der Lage sind, sehr viel nuancierter und sehr viel differenzierter miteinander zu reden als in der Zeit, in der die Schreihälse auf der Rechten und Linken saßen und wir das Konzert 'der Herren Thadden, Goetzendorf und Renner hatten, folgendes zu sagen: Finden Sie nicht doch in einem entscheidenden Punkt diese Parallelisierung einfach nicht zulässig? Sie ergibt sich, sie liegt mindestens im Schluß. Ich sage nicht, daß der Gedanke nicht irgendwo erwogen werden müßte. Trotzdem sollten wir es uns nicht gestatten —gleichgültig, ob es auf seiten !der Opposition oder auf unserer Seite geschieht —, eine im Grunde so unzulässige Paralellisierung zwischen Ost und West hier passieren und genehmigen zu lassen. Das wollen wir nicht tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Mit der Differenzierung kommen Sie unter 'den Schlitten!)

    — Herr Mellies, ich will nur folgendes sagen. Es steht auch Ihnen nicht und niemandem in diesem Hause an, uns und dem deutschen Volk diese Simplifizierung zuzumuten, die wir einige Monate vor dem Wahlkampf in ganz anderen Bereichen, noch nicht einmal im politischen Bereich, sondern — ich darf daran erinnern, daß ich evangelischer Theologe bin — 'auf ganz .anderen Ebenen gehört haben, 'nämlich die Simplifizierung: Weil im Westen, weiß Gott, nicht alles Gold ist, was glänzt, und weil es im Westen noch sehr betrübliche Tatbestände gibt, gehören also Ost und West qualitativ auf die gleiche Ebene, sind vergleichbare Größen auf derselben Ebene. Diese Schlußfolgerung ist einfach nicht erlaubt. So etwas darf man jedenfalls in einem Parlament nicht tun, das Niveau beansprucht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Die Folge davon ist mindestens, daß die entscheidenden Qualitätsunterschiede der Rechtsstaatlichkeit in Ost und West, die jedem von Ihnen bewußt sind und zu denen auch jeder von Ihnen steht, im Bewußtsein der Menge verwischt werden; und das wollen wir nicht haben.
    Meine Damen und Herren, eine letzte kritische Bemerkung! Ich habe sehr bedauert, daß der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands einen Ton in der Rede des Herrn Bundeskanzlers völlig überhört hat, von dem ich mit all meinen Freunden glaube, daß er von großer, zukunftweisender Bedeutung ist. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt — ich wiederhole es in meinen Worten —, daß 'das Dach der europäischen Einigung von vier


    (D. Dr. Gerstenmaier)

    Pfeilern getragen werden müsse, nämlich von der Wirtschaft — die Ansatzform ist die MontanUnion —, von der Verteidigung, vorn gemeinsamen Schutz- und Sicherheitsbedürfnis — Ansatzform EVG —, vom Recht — Ansatzform Europäische Gemeinschaft — und, wie er hinzugefügt hat, von dem Willen zur sozialen Gerechtigkeit und dem Willen, im sozialen Existenzkampf zusammen- und nicht gegeneinanderzustehen. Ich halte allerdings dafür, daß das von grundsätzlicher und entscheidender Wichtigkeit sein kann.
    Hören Sie! Es ist auch uns kein Fest gewesen, in den letzten drei Jahren den Gedanken der europäischen Integration dem deutschen Volk immer und immer wieder im Medium von Divisionen vortragen zu müssen. Wir haben uns das ja nicht ausgesucht, sondern :die Herren im Osten haben in Korea mit Kanonen zu schießen begonnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dadurch ist die Welt hier, ist die freie Welt vor eine Situation gestellt worden, die so nicht in unserem Programm gelegen hat, als wir nach Straßburg gegangen sind. Aber wir haben uns dem gestellt und haben nicht gekniffen. Wir haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt und gedenken das auch in Zukunft nicht zu tun. Wir wollen aber, meine Damen und Herren, daß sich 'der Gedanke der europäischen Einigung auch in einem Medium ausdrückt und konkretisiert, das Millionen Menschen in dem eng zusammengedrängten europäischen Lebensbereich ganz spontan etwas bedeutet. Dazu von seiten der Bundesregierung, von seiten dieses Hauses und der deutschen Vertreter im Europarat einen Beitrag zu leisten, das halte ich allerdings für eine ganz unabweisbare Aufgabe und Verpflichtung im Laufe der kommenden Jahre. Wir von unserer Seite gedenken dazu zu stehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich könnte etwas Ähnliches zu unserer Mitarbeit in den Vereinten Nationen sagen, wenigstens bezüglich der Bereiche, in denen wir unmittelbar mitarbeiten können. Ich denke dabei vor allem an die Arbeit des Hohen Kommissars für das Flüchtlingswesen bei den Vereinten Nationen. Ich bin bis zum Erweis des Gegenteils noch immer der Meinung, daß dieses Kapitel der internationalen Flüchtlingshilfe, das in den letzten Jahren für uns sehr dürre war, große Möglichkeiten enthält, wobei wir Deutschen übrigens keineswegs, jedenfalls nicht auf Dauer nur die Nehmenden wären; ganz im Gegenteil!
    Meine Damen und Herren, ich breche ab. Es gibt, wenn man sich die 'deutsche Außenpolitik ansieht und sie in der gegenwärtigen Situation der Welt betrachtet, eine Reihe von Problemen und Aufgaben, die in einer solchen Diskussion nicht zusammen ,angesprochen werden können. Behalten wir das anderen Diskussionen in diesem Hause vor.
    Lassen Sie mich zum Schluß noch zweierlei sagen. Erstens: Die Entscheidungen, die in diesem Hause in den letzten zwei Jahren erarbeitet und gefällt worden sind, haben die Richtung unserer Politik, die Richtung der Politik des Bundeskanzlers, die Richtung der Politik, zu der die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes steht, festgelegt. Diese Sache ist entschieden. Aber, meine Damen und Herren, jetzt beginnt die andere, sehr schwere und möglicherweise noch härtere Aufgabe, nämlich diese Entscheidungen in der Widerständigkeit der
    geschichtlichen Materie der Welt zu verwirklichen. Diese Verwirklichung erfordert die zusammengefaßte Kraft des deutschen Volkes.

    (Abg. Kiesinger: Richtig!)

    Unter diesem Gesichtspunkt, so muß ich sagen, möchte ich nicht, daß wir den Ton überhören, der doch in den Darlegungen von Herrn Ollenhauer als Sprecher seiner Fraktion durchgeklungen ist, den Ton einer, ich will nicht sagen: Konzilianz, aber doch einer sachlichen Bereitschaft, in einer sachlichen Debatte kritisch und oppositionell, aber doch im 'ganzen in seiner Art verwirklichend beizutragen. Ich glaube, daß die Aufgabe, die Entscheidungen dieses Hauses zu verwirklichen, wie gesagt, noch mehr Kraft von uns fordern wird als die Aufgabe, diese Entscheidungen richtig herbeizuführen.
    Und ein Letztes. Meine Damen rund Herren! Ich glaube, der Herr Bundeskanzler kann sich darauf verlassen, daß seine große Fraktion in kraftvollem Zusammenwirken der in ihr beschlossenen Verschiedenheiten, in einem kraftvollen Zusammenwirken der verschiedenartigen Kräfte und Temperamente geschlossen hinter ihm steht und daß sie nicht nur das ihm von der Verfassung zuerkannte Amt respektiert, die Richtlinien der deutschen Politik, d. h. des deutschen Schicksals, zu bestimmen, sondern daß sie ihn erst recht — und zwar geschlossen Mann für Mann und Frau für Frau — bei der Verwirklichung dieser seiner Aufgabe unterstützen wird. Wir halten es für einen Gewinn für Deutschland, daß die Christlich-Demokratische Union / Christlich-Soziale Union als große Volkspartei in dieses Haus zurückgekehrt ist. Wir halten das mit all ihren Verschiedenheiten für einen Gewinn. Wir glauben aber, kein Wort zuviel zu sagen, wenn wir erklären, daß wir in diesen Schicksalsfragen der deutschen Nation, der deutschen Existenz und der Zukunft Europas wie ein Mann hinter dem stehen, der seither die Entscheidungen in der Hauptsache getragen hat, der sie herbeigeführt hat und der sie auch verwirklichen wird.

    (Lebhafter Beifall bei :der CDU/CSU.)