Rede:
ID0200501900

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2005

  • date_rangeDatum: 29. Oktober 1953

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    2. Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953 65 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953. Geschäftliche Mitteilungen 65 C Änderung der Tagesordnung, — Absetzung der Wahl der Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt . 65 C Nächste Fragestunde 65 C Teilnahme des Sprechers des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten von Amerika an der Sitzung 65 C Präsident D. Dr. Ehlers . . . . 65 D, 67 A Joseph W. Martin, Speaker des. amerikanischen Repräsentantenhauses . . . 65 D Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 34) 68 B Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses kraft Wahl (Drucksache 35) 68 B, 82 A Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Drucksache 3'7) 68 C Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost (Drucksache 39) . . . . 68 D Wahl der Wahlmänner für die vom Bundestag zu berufenden Richter beim Bundesverfassungsgericht (Drucksache 36) 69 A, 82 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 20. Oktober 1953 69 B Dr. von Merkatz (DP) 69 B Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau '79 A Jacobi (SPD) 82 B Dr. Jaeger (CSU) 83 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU) . . . 88 D Haasler (GB/BHE) 94 D Dr. Kather (CDU) 97 C, 103 C Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene 100 B Dr. Schöne (SPD) 100 D Dr. Gille (GB/BHE) 102 C Kiesinger (CDU) 103 D Nächste Sitzung 108 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Wehner, die Note ist Ihnen bekannt?

    (Abg. Wehner: Ja!)

    — Meine Damen und Herren, ich sehe keinen Grund, weshalb der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung nicht im Geist und im Sinn dieser Note weitere Bemühungen in dieser Frage unternehmen sollten.
    Ich erwähne schließlich noch einen dritten Punkt, dem wir auch Beachtung schenken sollten, obwohl davon eigentlich nur zwischen den Zeilen der Rede von Herrn Ollenhauer zu lesen ist. Ich begrüße es, daß Herr Ollenhauer nicht eine Sache wiederholt. hat, die uns große Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung bereitet und die zu nichts geführt hat, daß wir nämlich eine förmliche Rangordnung der Werte aufstellen sollten, daß wir also unter allen Umständen sagen sollten: Wiedervereinigung vor Integration oder umgekehrt. Das scheint mir ein ganz unzweckmäßiges Verfahren zu sein, von dem keiner von uns etwas hat; denn wir sind gleichermaßen der Mächtigkeit der geschichtlichen Situation unterworfen, über 'die wir keine beliebige Verfügungsgewalt haben. Ich begrüße also, daß die Auseinandersetzung in diesem Hause in dieser unendlich wichtigen Frage in Zukunft offensichtlich in der Begrenzung auf den Methodenstreit geführt werden soll. Dazu erklären wir uns gern bereit. Wir denken, daß auch die Vorschläge und die Einwände der Oppostion dem Hause und unserer eigenen Denkschärfe nur förderlich sein können.
    Nun muß ich aber doch noch ein Wort zu einem sehn viel weniger erfreulichen Gegenstand sagen. Das ist die Formulierung, die in der Rede von Herrn Kollegen Ollenhauer zu 'der Frage der Europäisierung der Saar getroffen worden ist. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, daß die Europäisierung der Saar keine Sanktionierung der Saarregierung bedeuten dürfe. Ich hatte die Ehre, kürzlich für meine Freunde im Europarat zu Straßburg eine kurze Erklärung zu der Methodik abzugeben, mit der wir die Saardebatte im Bereich des Europarats und auch zwischen den meistbeteiligten Regierungen geführt sehen möchten. Erlauben Sie mir, hier in allem Freimut hinzuzufügen: Wer hat denn jemals um Gottes willen davon gesprochen, daß die Europäisierung der Saar oder, wie der Herr Bundeskanzler zurückhaltend gesagt hat, der Geist der europäischen Zusammenarbeit, in dem 'dieses schwierige Problem gelöst werden sollte, eine Sanktionierung der — ich präzisiere — heute an der Saar bestehenden Regierung sein könnte? Ich möchte hier einmal in vollem Freimut folgendes sagen: Wir stehen im Europarat in einem Geist der kollegialen Zusammenarbeit mit den Vertretern der 14 Mitgliedsnationen. Wir haben uns nie dazu verstanden, diesem Geist der kollegialen Zusammenarbeit auch insoweit Konzessionen zu machen, daß wir auch noch die 15 Sterne begrüßen oder zu ihnen und zu allem, was damit symbolisch verknüpft ist, ja sagen. Aber keine Konzilianz und kein Wille zur kollegialen Zusammenarbeit haben uns auch jemals in eine solche Situation bringen können, daß der Schluß erlaubt wäre — sei es auf Grund unseres Straßburger Verhaltens, sei es auf
    Grund unseres Verhaltens hier —, wir beabsichtigten mit der Lösung des Saarproblems im Geiste der europäischen Zusammenarbeit eine Sanktionierung der Saarregierung. Das, meine Damen und Herren, ist das allerletzte, was man uns irgendwie unterstellen dürfte.
    Aber noch ein anderes. Wort zur Saar. Herr Kollege Ollenhauer, ich habe eigentlich sehr bedauert, daß Sie eine Variante in der Formulierung der Saarfrage gebraucht haben. Sie haben von der opportunistischen Lösung der Saarfrage gesprochen, die zu Lasten der Ostgrenze bzw. des Problems Oder-Neiße gehen könnte. Ich habe einiges Verständnis für die Überlegung, die sich daran anschließt. Sie ist auch in unseren Kreisen immer wieder angestellt worden. Aber erlauben Sie mir, nachdem wir ganz offensichtlich — und ich begrüße das aufrichtig — jetzt in diesem Hause in der Lage sind, sehr viel nuancierter und sehr viel differenzierter miteinander zu reden als in der Zeit, in der die Schreihälse auf der Rechten und Linken saßen und wir das Konzert 'der Herren Thadden, Goetzendorf und Renner hatten, folgendes zu sagen: Finden Sie nicht doch in einem entscheidenden Punkt diese Parallelisierung einfach nicht zulässig? Sie ergibt sich, sie liegt mindestens im Schluß. Ich sage nicht, daß der Gedanke nicht irgendwo erwogen werden müßte. Trotzdem sollten wir es uns nicht gestatten —gleichgültig, ob es auf seiten !der Opposition oder auf unserer Seite geschieht —, eine im Grunde so unzulässige Paralellisierung zwischen Ost und West hier passieren und genehmigen zu lassen. Das wollen wir nicht tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Mit der Differenzierung kommen Sie unter 'den Schlitten!)

    — Herr Mellies, ich will nur folgendes sagen. Es steht auch Ihnen nicht und niemandem in diesem Hause an, uns und dem deutschen Volk diese Simplifizierung zuzumuten, die wir einige Monate vor dem Wahlkampf in ganz anderen Bereichen, noch nicht einmal im politischen Bereich, sondern — ich darf daran erinnern, daß ich evangelischer Theologe bin — 'auf ganz .anderen Ebenen gehört haben, 'nämlich die Simplifizierung: Weil im Westen, weiß Gott, nicht alles Gold ist, was glänzt, und weil es im Westen noch sehr betrübliche Tatbestände gibt, gehören also Ost und West qualitativ auf die gleiche Ebene, sind vergleichbare Größen auf derselben Ebene. Diese Schlußfolgerung ist einfach nicht erlaubt. So etwas darf man jedenfalls in einem Parlament nicht tun, das Niveau beansprucht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Die Folge davon ist mindestens, daß die entscheidenden Qualitätsunterschiede der Rechtsstaatlichkeit in Ost und West, die jedem von Ihnen bewußt sind und zu denen auch jeder von Ihnen steht, im Bewußtsein der Menge verwischt werden; und das wollen wir nicht haben.
    Meine Damen und Herren, eine letzte kritische Bemerkung! Ich habe sehr bedauert, daß der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands einen Ton in der Rede des Herrn Bundeskanzlers völlig überhört hat, von dem ich mit all meinen Freunden glaube, daß er von großer, zukunftweisender Bedeutung ist. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt — ich wiederhole es in meinen Worten —, daß 'das Dach der europäischen Einigung von vier


    (D. Dr. Gerstenmaier)

    Pfeilern getragen werden müsse, nämlich von der Wirtschaft — die Ansatzform ist die MontanUnion —, von der Verteidigung, vorn gemeinsamen Schutz- und Sicherheitsbedürfnis — Ansatzform EVG —, vom Recht — Ansatzform Europäische Gemeinschaft — und, wie er hinzugefügt hat, von dem Willen zur sozialen Gerechtigkeit und dem Willen, im sozialen Existenzkampf zusammen- und nicht gegeneinanderzustehen. Ich halte allerdings dafür, daß das von grundsätzlicher und entscheidender Wichtigkeit sein kann.
    Hören Sie! Es ist auch uns kein Fest gewesen, in den letzten drei Jahren den Gedanken der europäischen Integration dem deutschen Volk immer und immer wieder im Medium von Divisionen vortragen zu müssen. Wir haben uns das ja nicht ausgesucht, sondern :die Herren im Osten haben in Korea mit Kanonen zu schießen begonnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dadurch ist die Welt hier, ist die freie Welt vor eine Situation gestellt worden, die so nicht in unserem Programm gelegen hat, als wir nach Straßburg gegangen sind. Aber wir haben uns dem gestellt und haben nicht gekniffen. Wir haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt und gedenken das auch in Zukunft nicht zu tun. Wir wollen aber, meine Damen und Herren, daß sich 'der Gedanke der europäischen Einigung auch in einem Medium ausdrückt und konkretisiert, das Millionen Menschen in dem eng zusammengedrängten europäischen Lebensbereich ganz spontan etwas bedeutet. Dazu von seiten der Bundesregierung, von seiten dieses Hauses und der deutschen Vertreter im Europarat einen Beitrag zu leisten, das halte ich allerdings für eine ganz unabweisbare Aufgabe und Verpflichtung im Laufe der kommenden Jahre. Wir von unserer Seite gedenken dazu zu stehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich könnte etwas Ähnliches zu unserer Mitarbeit in den Vereinten Nationen sagen, wenigstens bezüglich der Bereiche, in denen wir unmittelbar mitarbeiten können. Ich denke dabei vor allem an die Arbeit des Hohen Kommissars für das Flüchtlingswesen bei den Vereinten Nationen. Ich bin bis zum Erweis des Gegenteils noch immer der Meinung, daß dieses Kapitel der internationalen Flüchtlingshilfe, das in den letzten Jahren für uns sehr dürre war, große Möglichkeiten enthält, wobei wir Deutschen übrigens keineswegs, jedenfalls nicht auf Dauer nur die Nehmenden wären; ganz im Gegenteil!
    Meine Damen und Herren, ich breche ab. Es gibt, wenn man sich die 'deutsche Außenpolitik ansieht und sie in der gegenwärtigen Situation der Welt betrachtet, eine Reihe von Problemen und Aufgaben, die in einer solchen Diskussion nicht zusammen ,angesprochen werden können. Behalten wir das anderen Diskussionen in diesem Hause vor.
    Lassen Sie mich zum Schluß noch zweierlei sagen. Erstens: Die Entscheidungen, die in diesem Hause in den letzten zwei Jahren erarbeitet und gefällt worden sind, haben die Richtung unserer Politik, die Richtung der Politik des Bundeskanzlers, die Richtung der Politik, zu der die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes steht, festgelegt. Diese Sache ist entschieden. Aber, meine Damen und Herren, jetzt beginnt die andere, sehr schwere und möglicherweise noch härtere Aufgabe, nämlich diese Entscheidungen in der Widerständigkeit der
    geschichtlichen Materie der Welt zu verwirklichen. Diese Verwirklichung erfordert die zusammengefaßte Kraft des deutschen Volkes.

    (Abg. Kiesinger: Richtig!)

    Unter diesem Gesichtspunkt, so muß ich sagen, möchte ich nicht, daß wir den Ton überhören, der doch in den Darlegungen von Herrn Ollenhauer als Sprecher seiner Fraktion durchgeklungen ist, den Ton einer, ich will nicht sagen: Konzilianz, aber doch einer sachlichen Bereitschaft, in einer sachlichen Debatte kritisch und oppositionell, aber doch im 'ganzen in seiner Art verwirklichend beizutragen. Ich glaube, daß die Aufgabe, die Entscheidungen dieses Hauses zu verwirklichen, wie gesagt, noch mehr Kraft von uns fordern wird als die Aufgabe, diese Entscheidungen richtig herbeizuführen.
    Und ein Letztes. Meine Damen rund Herren! Ich glaube, der Herr Bundeskanzler kann sich darauf verlassen, daß seine große Fraktion in kraftvollem Zusammenwirken der in ihr beschlossenen Verschiedenheiten, in einem kraftvollen Zusammenwirken der verschiedenartigen Kräfte und Temperamente geschlossen hinter ihm steht und daß sie nicht nur das ihm von der Verfassung zuerkannte Amt respektiert, die Richtlinien der deutschen Politik, d. h. des deutschen Schicksals, zu bestimmen, sondern daß sie ihn erst recht — und zwar geschlossen Mann für Mann und Frau für Frau — bei der Verwirklichung dieser seiner Aufgabe unterstützen wird. Wir halten es für einen Gewinn für Deutschland, daß die Christlich-Demokratische Union / Christlich-Soziale Union als große Volkspartei in dieses Haus zurückgekehrt ist. Wir halten das mit all ihren Verschiedenheiten für einen Gewinn. Wir glauben aber, kein Wort zuviel zu sagen, wenn wir erklären, daß wir in diesen Schicksalsfragen der deutschen Nation, der deutschen Existenz und der Zukunft Europas wie ein Mann hinter dem stehen, der seither die Entscheidungen in der Hauptsache getragen hat, der sie herbeigeführt hat und der sie auch verwirklichen wird.

    (Lebhafter Beifall bei :der CDU/CSU.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Horst Haasler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Eckhardt hat gestern namens des Gesamtdeutschen Blocks/BHE zu den Sachgebieten Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Regierungserklärung Stellung genommen. Ich möchte Ihnen heute auch zu einigen anderen Dingen der Regierungserklärung die Stellungnahme des Gesamtdeutschen Blocks vermitteln.
    Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß wir uns zur Regierungserklärung positiv einstellen. Es ist uns trotzdem bewußt, daß unsere besonderen Wünsche wie die aller anderen Partner der Koalition von Fall zu Fall durchzusetzen und notfalls auch durchzukämpfen sein werden. Es war in der Regierungserklärung und in der Generaldebatte bisher schon viel von dem erfreulichen Umstand die Rede, daß das deutsche Volk sich unter Abkehr von extremen Richtungen für jene Parteien entschieden hat, die in Bund und Ländern bewiesen haben, daß sie positive Arbeit zu leisten imstande sind. Wir haben dies als unverkennbares Zeichen der beginnenden politischen Reife des deutschen Volkes gewertet. Wenn aber dieses Ergebnis unter dem bisherigen Wahlgesetz zustande gekommen


    (Haasler)

    ist, dann sehen meine Freunde nicht ganz ein, weshalb hier bereits der Ruf nach einer Änderung dieses Gesetzes laut wird, weshalb trotz der guten Erfahrungen mit eben diesem Wahlsystem das Stichwort von dem Mehrheitswahlrecht gleich nach der Wahl wieder auftaucht

    (Zuruf von der CDU: Höchste Zeit!)

    und nicht verschwindet. Es scheint mir im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht tunlich, aus den Debatten des ersten Bundestages das Für und Wider des gestern hier angesprochenen Mehrheitswahlrechts zu wiederholen. Lassen Sie mich Ihnen aber eines sagen, was, soweit ich feststellen konnte, in den Debatten des ersten Bundestages nicht eine breitere Beachtung gefunden hat und in diesem Zusammenhang doch angesprochen werden muß. Wir können es uns nicht leisten, durch irgendein Wahlrecht jene Umstände schwieriger zu gestalten, die bei einer Wiedervereinigung zu Problemen würden. Das Mehrheitswahlrecht kann überhaupt nur da zu befriedigenden Ergebnissen führen, wo eine traditionsreiche Vergangenheit ein Zweiparteiensystem herausgebildet hat und wo nun diese Parteien dem einzelnen Staatsbürger in ihrem Wollen und in ihrem Programm genauestens bekannt sind. Man kann darüber streiten, wie weit wir von dieser Entwicklung hier im Westen noch entfernt sind. Sicher ist die Entwicklung gegenwärtig noch nicht so weit. Man kann aber meines Erachtens nicht darüber streiten, daß in Mitteldeutschland, also in der sowjetisch besetzten Zone, eine solche Entwicklung noch nicht einmal in ihren Anfängen vorhanden sein kann. Wer von unseren Brüdern und Schwestern der Zwischenzone weiß denn etwas von den wirklichen Bestrebungen unserer demokratischen politischen Parteien, die hoffentlich auch in Zukunft die Geschicke unseres Volkes bestimmen und leiten werden?
    Wir sollten auch allen Anschein vermeiden, als ob wir im Falle einer Wiedervereinigung den Willen unserer Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs in eine bestimmte Form pressen möchten. Wir wollen gemeinsam einen politischen Weg finden, und wir sollten alle Schranken vermeiden, die diese Willensbildung erschweren oder eine Willensbildung im echten demokratischen Sinne vielleicht sogar unmöglich machen würden.
    Doch ich erwähnte bereits, daß es mir heute nicht tunlich erscheint, in allen Einzelheiten das Für und Wider eines neuen Wahlrechts zu erörtern. Wir werden — und das nehmen wir als eine positive Anregung des Sprechers der CDU/CSU — hoffentlich in nächster Zeit mit diesen Erörterungen beginnen, und wir meinen, daß wir bei allseitigem Verständnis auch hier eine Regelung finden werden, die auf der einen Seite nicht gegen die Überzeugung des einen Teils, auf der anderen Seite aber auch nicht gegen die Notwendigkeiten der Gestaltung eines gemeinsamen politischen Lebens verstößt.
    Die Bemühungen um ein Gesamtdeutschland sollen und werden auch im Vordergrund unserer Erwägungen und unserer Bemühungen stehen. Wir betrachten die Frage Gesamtdeutschlands — es ist leider unter den gegenwärtigen Verhältnissen so — auch als eine Grenzfrage der deutschen Außenpolitik.
    In dieser deutschen Außenpolitik wird es eigentlich nur drei wesentliche Dinge geben, die wir in den nächsten Jahren vordringlich zu erledigen haben. Die Bemühungen um die weitere Durchsetzung der deutschen Gleichberechtigung finden die Unterstützung des ganzen Hauses und vorbehaltlos auch die unsere. Die europäische Integration wünschen wir ebenfalls voranzutreiben. Es scheint uns — und damit befinden wir uns in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundeskanzler — die Grundlade für eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik überhaupt zu sein, daß diese Integration Wirklichkeit wird. Wir stehen daher hinter den Westverträgen. Wir sind nicht blind gegenüber der manchenorts diesen Verträgen entgegengebrachten Skepsis. Auch uns wäre es lieber, wenn eine Reihe von Bestimmungen mehr den Geist einer vorbehaltlosen europäischen Zusammenarbeit aufgezeigt hätte. Doch ließ sich wahrscheinlich unter den gegebenen Umständen nicht mehr erreichen als eben die ersten Schritte.
    Die Fragen der deutschen Ostpolitik schließlich
    — das ist ebenfalls in diesem Hause schon zum Ausdruck gekommen — wünschen wir auch auf der Grundlage einer europäischen Zusammenarbeit zu behandeln. Aber für den Gang dieser Dinge
    — das muß ich in Anbetracht der Ausführungen meines Herrn Vorredners doch einmal sehr deutlich sagen — wird die Regelung der Saarfrage eine erhebliche und sogar eine grundsätzliche Bedeutung haben. Wir wissen sehr wohl zwischen der Behandlung des Deutschtums und seiner Belange in Ost und West zu unterscheiden. Wir wissen sehr wohl den Grad des Unrechts abzuwägen, das täglich hüben oder drüben geschieht. Wir sind sehr weit davon entfernt, dem östlichen Übel nun ein gleiches westliches zur Seite zu stellen, um eine unfruchtbare Neutralitätspolitik, einen Ohne-michStandpunkt zu propagieren.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der DP.)

    Aber in der Frage des Völkerrechts — und um eine solche handelt es sich bei der Behandlung der Saarfrage — ist das, was im Westen Unrecht ist, im Osten auch Unrecht, und das, was gegenüber dem Westen Recht werden könnte, würde dann auch gegenüber dem Osten Recht.

    (Beifall beim GB/BHE.)

    Wenn wir in der Saarfrage nicht eine Lösung finden, die unserem völkerrechtlichen Status gerecht wird, können wir uns gegen gewisse Forderungen des Ostens nicht mehr mit der Deutlichkeit erfolgreich zur Wehr setzen, die uns heute noch möglich wäre.

    (Zustimmung beim GB/BHE.)

    Wir haben mit Freude vernommen, daß die Saarfrage mit einer sehr hohen Verantwortung von allen Seiten des Hauses angesprochen worden ist. Auch wir haben Verständnis dafür, daß hier Empfindlichkeiten unseres westlichen Nachbarn geschont, daß seine wirtschaftlichen Belange berücksichtigt werden müssen. Wir schließen uns in weitem Maße dem an, was hier gesagt worden ist. Wir haben nur die Bitte, daß hinsichtlich der staatsrechtlichen Stellung des Saargebiets nicht Regelungen getroffen werden, die in allgemeiner Hinsicht präjudizierend für das Schicksal des Deutschtums in Ost und Südost sein könnten.

    (Sehr richtig! beim GB/BHE.)

    An der Saar wie im Osten wird, wenn eine friedliche Ordnung erreicht werden soll, davon auszugehen sein, daß die Ereignisse des Jahres 1945 kein neues Völkerrecht geschaffen haben. Die


    (Haasler)

    neuen Grundlagen des zwischenstaatlichen Rechts, unter dem wir einmal leben müssen, werden wir uns erst zu erarbeiten haben. Die Ordnung, unter der das Europa der Zukunft stehen soll, wird — das ist jedenfalls unsere Meinung — einen Abbau des übersteigerten nationalstaatlichen Prinzips mit sich bringen müssen, oder es wird eben keine wirklich neue Ordnung sein. Solange Grenzen die Bedeutung einer unübersteigbaren Schranke haben, solange die Staatsgewalt nach dem Gesichtspunkt des wirklichen oder angenommenen ausschließlichen Interesses ihres Staatsvolkes oder einer Mehrheit davon den Anspruch einer absoluten Regelung aller Dinge geltend macht, wird unser altes Europa mit seiner Verzahnung von Völkerschaften, besonders in - Mittel- und Osteuropa, nicht zur Ruhe kommen. Die Austreibung der nationalen Minderheiten, die vor mehr als 30 Jahren zwischen Türkei und Griechenland versucht wurde, die also mit der Aussiedlung von Millionen Menschen damals schon anfing und die schließlich mit der Vertreibung der gesamten Bevölkerung weiter Teile Mittel- und Osteuropas endete, ist letzten Endes das Ergebnis des übersteigerten nationalstaatlichen Prinzips. Dieses Verfahren der Austreibung hat aber keine Lösung gebracht. Es hat nur deutlich gemacht, daß selbst die vielgepriesene Höherentwicklung der Menschheit, daß alle Geisteskultur der letzten Jahrhunderte und daß auch zweitausend Jahre Christentum unmenschliche Maßnahmen nicht ausschließen konnten.
    Diese unmenschlichen Lösungen dürfen und sollen in der Zukunft nicht mit gleichen Methoden beantwortet werden. Gedanken an Rache, an neues Unrecht liegen uns fern. Wir könnten der europäischen Idee und unserem Volk keinen schlechteren Dienst tun, als wenn wir diese Gedankengänge einer Rache, einer Restaurierung im alten Sinne ventilierten. Das Recht auf Heimat, das wir als Naturrecht empfinden, beanspruchen wir für unsere deutschen Mitbürger aber mit der gleichen Intensität und Bedingungslosigkeit wie auch die Bürger aller anderen Nationen und Völker, und wir wünschen, daß es einmal Bestandteil eines Völkerrechts für alle wird.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der DP.)

    Bauen wir die Bedeutung der Grenzen ab, nehmen wir der Selbstsucht und der Selbstgefälligkeit des sogenannten nationalstaatlichen Prinzips weitgehend die Möglichkeit, das Leben des einzelnen ausschließlich zu gestalten, entwerten wir das Trennende zwischen den Völkern! Dann wird die Durchsetzung des Heimatrechts für jedermann auch möglich sein, ohne daß Europa in eine neue Katastrophe hineinstürzt.
    Nun noch ein paar Worte zur Innenpolitik. Mein Kollege Dr. Eckhardt hat das Wichtigste aus dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik gesagt. Aber lassen Sie mich bitte noch den Leitsatz herausarbeiten, unter dem nach der Meinung meiner Freunde die gesamte innere Politik zu stehen hat. Dieser Leitsatz geht dahin, daß Verhältnisse in unserem Lande geschaffen werden müssen, welche die Überlegenheit unseres politischen und wirtschaftlichen Systems gegenüber anderen Regelungen so deutlich und unbestreitbar machen, daß dieses System in der Welt fest steht und auch die anderen in seinen Bann, in seinen Einflußkreis hineinziehen kann. Es kann heute leider nicht bestritten werden, daß es bislang für einen sehr erheblichen Teil des Volkes noch nicht gelungen ist, die sozialen Verhältnisse in unserem Westdeutschland befriedigend zu gestalten. Besonders
    deutlich zeigt sich das auf dem Gebiet der Renten.

    (Zurufe.)

    — Meine Herren, auch wenn Sie widersprechen, es ist leider so. Es gibt immer noch Millionen von Menschen in Deutschland, die weit unter dem Existenzminimum leben müssen, das für unsere westliche Kultur und für unsere Wirtschaftsverhältnisse das gegebene sein sollte. Ich möchte nicht sagen, daß das unbedingt böser Wille ist, daß diese Verhältnisse noch so liegen. Es sind zweifellos Anstrengungen gemacht worden, um auch gerade auf dem Gebiet des Rentenwesens befriedigendere Lösungen zu schaffen; das Ergebnis blieb aber unbefriedigend. Wir können hier nicht allein nach fiskalischen Gesichtspunkten vorgehen. Wir müssen dieses Problem auch von einem allgemein menschlichen Standpunkt aus sehen. Es ist unmöglich, ein Volk sozial zu einen und zu befrieden, wenn man einen großen Teil des Volkes von der Entwicklung ausnimmt.
    Wir dürfen die Augen auch nicht vor der Tatsache verschließen, daß Millionen von Vertriebenen und Kriegsgeschädigten noch nicht den Anschluß an unsere soziale Entwicklung gefunden haben.

    (Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

    Auch hier mußten bisher Zehntausende arbeitswilliger tüchtiger Mitbürger abseitsstehen. Bei unserem Verlangen nach beschleunigter Eingliederung dieser Bevölkerungskreise geht es nicht nur um die Ablösung einer unproduktiven Fürsorge durch aufbauende Mitarbeit. Es geht auch nicht nur um die Erfüllung von Rechtsansprüchen, und ich darf diesen Ausdruck „Rechtsansprüche" hier noch einmal betonen. Das Wesentlichere ist eben die Schaffung sozialer Zustände, die möglichst von der Gesamtheit des Volkes, also auch von den Hauptgeschädigten des letzten Krieges, bejaht und gegen die Ideen des Ostens verteidigt werden können.
    Ganz besondere Aufmerksamkeit verdienen die Probleme des heimatvertriebenen Landvolks. Wir können es uns nicht leisten, meine Damen und Herren, das wichtigste Fundament für den Wiederaufbau eines geeinten Deutschlands, das Bauerntum des Ostens nämlich, aufzugeben. Zeitverlust in der Eingliederung bedeutet aber in diesem Falle Aufgabe. Denn die tüchtigen Menschen dieses Landvolks suchen sich gezwungenermaßen einen Ausweg durch Arbeitsaufnahme in anderen Zweigen unserer Wirtschaft. Jeder Landwirt wird bestätigen, daß besonders unter der jüngeren Generation des Bauerntums mit einem völligen Abschreiben zu rechnen ist, sobald eben die heranwachsende Generation dieses Bauerntums einmal berufsfremd geworden ist.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Dem Deutschtum werden, wenn diese Entwicklung in den nächsten Jahren nicht aufgehalten werden kann, die Grundlagen fehlen; seine östlichen Provinzen wieder einmal aufzubauen.

    (Beifall beim GB/BHE.)

    Dieser Aufbau — das ist uns allen klar — könnte niemals von irgendeiner städtischen Schicht, niemals von der Industrie erfolgen, auch nicht von einem noch so tüchtigen Beamtenkörper. Wenn er sich nicht gründet auf ein gesundes Bauerntum,


    (Haasler)

    das sich seiner Aufgabe bewußt ist, und wenn dieses Bauerntum nicht zum deutschen Volkstum gehört, dann wird all unser Bemühen insoweit vergeblich sein.
    Lassen Sie mich in Anbetracht der Wichtigkeit dieses Problems Ihnen hier nur drei Zahlen nennen. Es waren fast 400 000 Familien landwirtschaftlicher Abkunft, die im Jahre 1945 und in den nächsten Jahren hier wieder seßhaft werden wollten, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gegeben hätte. Die größten Anstrengungen führten bisher nur dazu, daß zirka 38 000 Familien seßhaft gemacht wurden. In diesen acht Jahren sind aber mehr als 150 000 Siedlungswillige in andere Berufe gegangen. Damit haben wir heute schon fast die Hälfte der Substanz verloren. Wir glauben aber — und das entnehmen wir der Regierungserklärung und Verhandlungen, die vorher geführt wurden —, daß diesem Problem der Eingliederung der Vertriebenen nunmehr erhöhte Bedeutung beigemessen wird.
    Das soll auch in einer Umorganisation des Fachministeriums zum Ausdruck kommen, das zu einem Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte hoffentlich schon recht bald ausgebaut werden kann,

    (Beifall beim GB/BHE)

    einem Ministerium im übrigen, dem man auch die Ausgabenseite des Lastenausgleichs und damit die Möglichkeit, die für richtig erkannte Arbeit auch praktisch durchzuführen, überlassen muß. Es ist unmöglich, daß der politisch verantwortliche Minister zur Durchsetzung seiner Aufgaben beim Vorhandensein der dafür erforderlichen Mittel andere Stellen einschalten muß, die vielleicht von anderen Erwägungen ausgehen als eben jenen, die dem Vertriebenenminister obliegen.

    (Erneuter Beifall beim GB/BHE.)

    Wir glauben, daß, je früher diese Umstellung vorgenommen wird, um so erfolgreicher die auf vielen Gebieten vordringliche Arbeit des Ministeriums gestaltet werden kann.
    Lassen Sie mich bitte zum Schluß kommen. Ich deutete schon bei der Behandlung der innenpolitischen Probleme an, daß nicht die Propaganda für irgendeine Staatsform, daß nicht eine geschickte Berichterstattung in der Öffentlichkeit den sozialen Frieden ausmacht, sondern daß es letztlich die wirklichen Zustände sind. Mühen wir uns alle darum, daß diese sozialen Zustände jedem von uns die Befriedigung geben, in diesem Lande zu wohnen und zu arbeiten. Geben Sie uns in Westdeutschland durch eine positive Gestaltung der sozialen Verhältnisse die Möglichkeit, unsere Brüder im Osten und darüber hinaus in Osteuropa davon zu überzeugen, daß unser System, das westliche, das aus der christlich-abendländischen Kultur resultierende, das überlegene gegenüber dem System des Ostens ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir finden in der Regierungserklärung so reichliche Anklänge an dieses Prinzip, daß wir in der Lage sind, dem Herrn Bundeskanzler für diese Erklärung zu danken und ihm unsere Mitarbeit und die Mitarbeit im gesamten Kabinett zuzusichern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)