Rede von
Dr.
Johannes
Semler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte im Namen meiner Freunde, den Vertagungsantrag abzulehnen.
Zu. der Frage Berlin, die mein Herr Vorredner angeschnitten hat, wird morgen der Herr Berichterstatter Stellung nehmen. Ich darf soviel sagen, daß es selbstverständlich auch unser Wunsch ist, daß die von meinem Herrn Vorredner angeschnittene Frage tunlichst bald geklärt und einer deutschen Lösung, die auch für uns selbstverständlich ist, zugeführt wird.
Im übrigen haben wir genau wie die Herren Antragsteller den Wunsch, daß die von meinem Herrn Vorredner angeschnittenen Fragen von der Bundesregierung zur Verhandlung aufgenommen werden, daß Klarheit über sie erzielt wird und daß Lösungen gefunden werden, die von uns allen in der Diskussion des heutigen Tages als notwendig bezeichnet sind. Aber wir sind nicht der Meinung, daß es politisch zweckmäßig oder gar notwendig wäre, diese Fragen zu klären, bevor wir unsere Zustimmung zur Ratifikation dieses Vertragswerkes gegeben haben.
Es wurde in der Debatte eindeutig klargestellt, daß durch das Inkrafttreten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl die Regelung keiner einzigen der Fragen, auf die mein Herr Vorredner Gewicht gelegt hat, präjudiziert wird. Demnach kann es sich lediglich um eine Frage der Verhandlungstaktik handeln. Und da allerdings unterscheiden sich die Auffassungen meiner Freunde grundlegend von der meines Herrn Vorredners. Hier sind wir allerdings der Ansicht, daß Deutschlands Stellung bei diesen künftigen Verhandlungen durch den Beitritt zur Kohle- und Stahlunion nicht schlechter sein wird, sondern im Gegenteil wesentlich stärker.
Wir sind nicht der Ansicht, daß es der Stellung der Bundesrepublik in diesem Augenblick entspricht, einen Katalog ultimativer Forderungen aufzustellen, und wir sind nicht der Meinung, daß die Stellung der Bundesregierung in diesen Verhandlungen dadurch erleichtert wird, daß ein solcher Katalog von diesem Hohen Hause zur Voraussetzung der Ratifikation gemacht wird.
Die Formel „Do ut des" ist eine alte Formel, und wir alle wissen, daß sie auch auf dem Gebiet der internationalen Politik gerade in den vergangenen Jahrzehnten von deutscher Seite als besonders gescheit und klug angesehen wurde. Aber wir haben die Erfahrung machen dürfen — und jeder, der sich der Geschichte dieser Jahrzehnte erinnert, weiß es —, daß diese Formel „Do ut des" in der internationalen Politik keineswegs die einzige, jedenfalls keineswegs immer die erfolgreichste gewesen ist.
Nicht blindes Vertrauen veranlaßt uns zu dieser Stellungnahme, kein unbegründeter Optimismus, sondern die feste Zuversicht, daß das Vertrauen, welches sich Bundesregierung und Bundestag bisher erworben haben, unendlich gestärkt wird, wenn dieses Hohe Haus sich heute endgültig entschließt, dem Vertragswerk seine Zustimmung zu erteilen.
Es gab eine Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, da Sie die heute von uns vertretene Auffassung auch Ihrerseits aus voller Überzeugung bejahten. Allerdings, diese Periode liegt heute ein Vierteljahrhundert zurück. Nicht nur mir wird bei der heutigen Beratung auch Locarno in den Sinn gekommen sein. Damals handelte es sich darum, ein von Deutschland unterschriebenes Vertragswerk abzuändern, und die Position, in der sich die Reichsregierung damals befand, als ein anerkannter internationaler Vertrag zu ändern war, war eine grundlegend andere, als die Situation heute, wo Verhandlungen notwendig sind — darin stimmen wir Ihnen bei —, Verhandlungen, die aber durch das Ja zu diesem Vertragswerk in gar keiner Weise behindert oder aufgehalten werden. Freilich, damals unterstützten Sie, meine sehr geehrten Herren, eine Politik der Reichsregierung, die dem friedlichen gegenseitigen Verstehen der ehemaligen Feinde gewidmet war. Diese Politik wurde nicht nur von Ihnen, sondern auch von vielen meiner älteren Freunde in diesem Hause geteilt, und für uns, die wir damals junge Menschen waren, bedeutete es etwas, daß diese Friedenspolitik der Verständigung, die die Reichsregierung damals einschlug, von einer Partei getragen wurde, die — auch damals — nicht der Koalition angehörte.
Mag es sich insoweit noch um eine unterschiedliche Betrachtung einer zweckvollen Verhandlungstaktik handeln, so muß ich mich doch mit Entschiedenheit gegen die Auffassung meines Herrn Vorredners wenden, insoweit er die Verbindung der Ratifikation dieses Vertragswerkes mit dem Generalvertrag oder gar dem Entwurf eines künftigen deutschen Verteidigungsbeitrags verlangt. Zu leicht könnte dieses Verlangen mißverstanden werden. Ich glaube nicht, daß wir Sie mißverstanden haben, Herr Kollege Schmid. Aber wir möchten nicht, daß der Eindruck entsteht, die Zustimmung zum Schumanplan werde davon abhängig gemacht, daß der Generalvertrag oder ein deutscher Verteidigungsbeitrag den Beifall dieses Hohen Hauses findet.
— Ich weiß es. I c h sage es, Herr Kollege Schmid. Sie haben es nicht gesagt. Aber es kommt nicht immer nur darauf an, was man sagt, sondern es kommt darauf an, wie es verstanden wird, und wir möchten nicht, daß diese Worte so verstanden werden, wie ich es eben schildere. Denn auch meine Freunde wünschen den Generalvertrag und eine Vorlage für den deutschen Verteidigungsbeitrag mit kühlem Kopf eingehend und kritisch zu prüfen. Wir wünschen nicht, daß irgendwo, auch nicht auf alliierter Seite, ein Zweifel darüber aufkommen möchte, daß unser Ja zum Schumanplan in keiner Weise schon ein vorweggenommenes Ja zum Generalvertrag oder zu einem künftigen deutschen Verteidigungsbeitrag ist.
Insoweit sind wir mit Ihnen, meine verehrten Herren, durchaus einig. Aber es darf nicht draußen der Eindruck entstehen, und dieser Eindruck könnte entstehen, als handelte es sich darum, den Schumanplan zu einem Handelsobjekt gegen den Generalvertrag oder einen Verteidigungsbeitrag zu machen.
Doch auch aus einem anderen Grunde legen wir Wert darauf, diese Dinge sauber getrennt zu halten. Wir alle wissen, daß Millionen Deutsche und vor allem Millionen junge Deutsche nichts sehnlicher wünschen, als daß ein vereintes Europa bald zustande kommt. Wir erblicken in dem Beitritt zur europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft den ersten Schritt in das vereinte Europa. Wir wün-
schen, diesen Schritt aus freien Stücken zu tun, nicht belastet mit der Liquidation einer Vergangenheit, die notwendigerweise bei uns Deutschen — und nicht nur bei uns Deutschen — nur zu- viele bittere Gefühle hinterlassen hat.
Wir wissen dem Herrn Bundeskanzler Dank dafür, daß es ihm gelungen ist, diese Dinge zu trennen. Dadurch wird es uns heute möglich, in freier und unabhängiger Entschließung unser Ja zu diesem Vertragswerk und damit zu Europa auszusprechen. Jawohl, meine Damen und Herren, unser Ja soll diese Bedeutung haben. Dieses Ja ist der Schritt über den Rubikon.
— Lieber Herr Professor, wir werden es j a erleben, ob Sie, Fabius Cunctator, eher in Rom sind als wir.
Doch nicht aus dem Überschwang des Gefühls sagen wir j a zu dieser Vorlage. Die Diskussion hat zur Genüge dargetan, welche Bedenken zu vielen Punkten des Vertragswerkes auch auf unserer Seite bestehen. Wenn wir j a sagen, so tun wir dies einmal, weil uns ein gemeinsamer europäischer Markt für Kohle und Stahl eine unbedingte Notwendigkeit zu sein scheint,
zum anderen aber, weil wir der Überzeugung sind, daß sich aus der Dynamik der Europäischen Kohle-und Stahlgemeinschaft heraus der gemeinsame Markt sehr bald auf weitere Gebiete des wirtschaftlichen Lebens ausdehnen soll und wird. Denn nur mit Entsetzen können wir feststellen, daß jener wirtschaftliche Widersinn auch heute noch besteht, der in zwei Dezennien zwischen den beiden Weltkriegen in der Vielzahl hochgeschützter nationaler Volkswirtschaften in Europa Platz gegriffen hatte. Was hätte in jenen Jahren bereits erspart und verdient und zu Nutz und Frommen des sozialen Aufstiegs der europäischen Völker verwandt werden können, wenn nicht dieser wirtschaftliche Kampf aller gegen alle geführt worden wäre und wenn schon damals die europäischen Völker einsichtig genug gewesen wären, statt sich auf Tod und Leben zu bekämpfen, Hand in Hand miteinander die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ihrer Länder zu fördern!
Nach den Erklärungen meines Herrn Vorredners werden wir wohl leider damit rechnen müssen, daß die Sozialdemokratische Partei bei Ablehnung des Vertagungsantrags auch in dritter Lesung ihre Zustimmung zum Inkrafttreten des Vertragswerkes verweigern wird.
Die Situation, die sich bei einer Ablehnung der Vorlage in diesem Hohen Haus ergeben würde, ist nur am Rande gestreift worden, und doch ist sie für die Entscheidung, meine Damen und Herren, die wir alle jetzt zu treffen haben, von höchster Bedeutung. Ich bitte Sie daher, Herr Präsident, mir noch einige wenige Minuten für diese Betrachtung zu gewähren.
Nehmen wir einmal an, Sie würden mit Ihrer Auffassung durchdringen, meine Herren, die Mehrheit dieses Hauses würde die Vorlage ablehnen, und Sie würden nunmehr vor die Aufgabe gestellt, nach Ihren Ideen die deutsche Wirtschaftspolitik zu führen. Sie sind sich sicher nicht klar darüber, daß die Bundesrepublik in diesem Augenblick vollständig isoliert dastehen würde und nicht damit rechnen könnte, von ihren westeuropäischen Nachbarn oder von den Vereinigten Staaten bei den Bemühungen um den Wiederaufbau auch nur die geringste Hilfe zu bekommen.
Und, meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen eine Tatsache nach der anderen anführen und Ihnen die Frage stellen, die kürzlich im umgekehrten Sinne ein von mir verehrter Kollege Ihrer Partei in einer Zeitung gestellt hat, und ich würde umgekehrt dieselbe Antwort geben. Ich würde den Satz aufnehmen und sagen: Soviel Fragen, soviel offengebliebene Antworten. Nein, meine Herren, es bedarf keiner weiteren Gründe mehr, um jeden Einsichtigen zu überzeugen, welche Folgen für Deutschland ein Nein zum Schumanplan heraufbeschwören müßte. Daran wollen wir auch denken, meine Herren, und Sie werden diese Frage Ihrerseits ja auch bedacht haben.
Meine Freunde sind nicht bereit, das deutsche Volk und die deutsche Wirtschaft dieser Gefahr auszusetzen. Dieses Risiko wünschen wir nicht dem deutschen Volk aufzuerlegen. Wir werden daher Ihren Antrag ablehnen und unser Ja zum Schumanplan heute noch aussprechen.